Titel
Götter in Uniform. Studien zur Entwicklung des abendländischen Königtums, und einem


Autor(en)
Kantorowicz, Ernst H.
Herausgeber
Grünewald, Eckhart; Raulff, Ulrich
Erschienen
Stuttgart 1998: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
391 S.
Preis
€ 154,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephan Schlak

In den Zeiten des Aufruhrs wird die Bibliothek zu einem geistigen Zollhafen. Ideologiefabriken schmuggeln hier ihre Waren. Bücher und Broschüren werden umgeschlagen, die aus Lesern Revolutionäre machen. An diesem Grenzort setzt aber nicht nur der Geist in die Tat über. Die Bibliothek ist immer auch Rückzugsort für die Verstoßenen und Verfolgten. In so einem Schutzraum, der Monumenta Germaniae Historica in Berlin, sehen wir 1937 Ernst Hartwig Kantorowicz über die Bücher gebeugt. Hinter Kantorowicz hat sich die Tür der Bibliothek erst spät geschlossen. Wie so viele andere aus seiner Generation hat er sich in den Tagen des Augusts 1914 von der nationalen Begeisterung mitreißen lassen. Er wurde Frontsoldat, später Freikorpskämpfer in München und Berlin.

Nun schreibt der Jude Kantorowicz im nationalsozialistischen Deutschland an einem Aufsatz über "Die Wiederkehr gelehrter Anachorese im Mittelalter". "Des Weisen Lob ist Einsamkeit"- mit dieser Kraftformel beginnt er seine Studie. "Es ist das geistig und künstlerisch fruchtbare Leben, das mit den Großen des Altertums ungestört Zwiesprache zu halten gestattet und das Elend der Gegenwart vergessen läßt." Man wird diese Stellen kaum antiquarisch lesen können. Wer hörte nicht aus den Bildern der Entsagung und der Weltflucht, die Kantorowicz zeichnet, den Aufschrei des rechtlosen Bürgers? Wer nicht aus Petrarcas Verwünschungen der "plebejischen Menge" den Stiefeltritt der braunen Kolonnen? Anders als seine Mutter und Schwester, die in den Vernichtungsmühlen umkamen, ist es Ernst Kantorowicz gelungen, sich rechtzeitig dem Wüten des Neuen Deutschland zu entziehen. Fast prophetisch wirkt heute im Lichte seiner glücklichen Rettung der von ihm zitierte Rat, den Augustin in der "traumhaften Selbstbeichte" Petrarca gab: "So wirst du dann einmal am sicheren trockenen Ufer stehen und anderer Menschen Schiffbruch betrachten und das jammervolle Klagen der Ertrinkenden ruhigen Herzens hören. Und neben dem Mitleid, das dieses traurige Schauspiel in dir erregen mag, wirst du eine tiefe Freude empfinden über dein festbegründetes sicheres Glück, das du aus so vielen Gefahren dir errettet hast." Nur, mit stoischem Gleichmut, oder sogar mit Freude, wird Kantorowicz dem Schiffbruch kaum gefolgt haben.

Dem Europäer wurde die Heimat genommen. Kantorowicz wird Amerika für die Rettung stets dankbar gewesen sein; das gelobte Land wurde es nicht. Amerika war nicht der Wunschort des Geheimen Deutschland. Noch Ende der 20er Jahre hatte er in Briefen an seinen Meister Stefan George vor der Anpassung an eine "fremde Lebensform" gewarnt, die die "bequemste, niederste - (eben) die amerikanische" ist. Überall, sogar im idyllischen Heidelberg, stellte er zu dieser Zeit eine "Durch-Amerikanisierung" fest. Und prophezeite, wenn dem nivellierenden Treiben kein Einhalt geboten werde, -horror vacui- den mechanischen Betrieb der amerikanischen Universität. "In absehbarer Zeit wird auch die neue amerikanische Universität entstanden sein mit siloartigen Stahlrohren, die den Universalkleister GEIST mit viel-atmosphärigem Druck saugen werden." Die Klause, in der er sich für seine späten Aufsätze zurückzog, war das wohlbestallte Princetoner Advanced Institute for Social Studies. Hier konnte er ganz ein dem humanistischen Ideal verpflichtetes Gelehrtenleben - sibi et litteris vacare - führen. Nun schlossen sich endgültig hinter ihm die Türen der Bibliothek.

Der Quartband aus grauem Leinen mit den goldenen Initialen E.K., der kurz nach seinem Tode erschien und seine Selected Studies (1965) sammelt, ist das stolze Dokument seiner wissenschaftlichen Reputation in Amerika. Nun wurde ein Teil der Aufsätze übersetzt. Kantorowicz wird schon seit einiger Zeit nicht mehr nur in geheimen Kreisen gelesen. Das unschickliche Verhalten des amerikanischen Präsidenten, auch Kohls barocker Politikstil haben dem Theoretiker der zwei Körper unverhoffte Aktualität beschert.

Wenn uns nun ein repräsentativer Teil seines Spätwerks vorliegt, fragt man sich natürlich, wie weit Kantorowicz seinen frühen Arbeiten, die ganz im Geiste Stefan Georges geschrieben sind, treu geblieben ist. Haben die so nüchtern klingenden Aufsätze über das "Königtum unter der Einwirkung wissenschaftlicher Jurisprudenz" oder "Über Verwandlungen apollinischer Ethik" noch etwas zu tun mit dem Autor des Friedrich Buches, dem in "unkaiserlicher Zeit" für andere als gelehrte Kreise geschriebenen Heldenportrait des großen Staufers?

Formal fällt einem zuerst einmal der Bruch in das Auge. Anfang der 30er Jahre hatte Kantorowicz noch seinen Quellen- und Ergänzungsband als "Bastard" verspottet und eigentlich für nicht würdig empfunden, unter der "Blätter-Fahne" zu segeln. An seine späten Aufsätze reihen sich nun gelehrte Fußnoten. Eine elegante, bisweilen lässige Wissenschaftsprosa hat den alten, hochgestochenen Ton des Kreises zur Seite gedrängt. Ist Kantorowicz am Ende seiner Entwicklung aber wirklich bei den Positivisten angekommen, wie Albert Brackmann schon 1930 mutmaßte?

Man verabsolutiert Stilfragen, wenn man in dem luziden Ton seiner späten Studien den Moment einer Kehre sieht. Kantorowicz stand auch am Ende bei Stefan George. Von "bestimmten Versteinerungen des frühen Kreises" hatte er sich zwar distanziert, über alle formalen Brüche hinweg ist er dem Geist Stefan Georges jedoch treu geblieben. Noch am 13. Juli 1954 schreibt Kantorowicz an Robert Boehringer: "Aber es ist kein Tag, an dem mir nicht bewußt wäre, daß alles, was ich zu leisten vermag, aus einer Quelle gespeist ist, und daß diese Quelle auch nach über 20 Jahren immer noch sprudelt."

Hier handelt es sich um weit mehr als um persönliche Anhänglichkeit. Kantorowicz hat sich nie von der georgeanischen Denkwelt entfernt. Was er bis zuletzt betreibt, ist Mythenschau. Exemplarisch wird das in seiner Studie über das "Problem mittelalterlicher Welteinheit". Ein politischer Romantiker müsste an der Realität einer gefügten, mittelalterlichen Welt festhalten. Von mittelalterlicher Welteinheit, wie es Fichte oder Novalis getan haben, möchte Kantorowicz aber nicht sprechen. Byzanz und das Weströmische Reich sind für ihn nicht unter einen Hut zu bringen. "Das heißt, die faszinierende Vorstellung von mittelalterlicher Welteinheit fällt in sich zusammen, und eine Fata Morgana löst sich auf, wenn die Kuppel der Hagia Sophia am Horizont auftaucht." (149) Gleichwohl gibt es auch für Kantorowicz diese Einheit. Sie war der Mythos mittelalterlichen Denkens. Kantorowicz respektiert den Mythos und zeigt nun, wie er in Gebeten, Ritualen und Ausrufen immer wieder beschworen wird. Der Mythos hat für ihn eine Realität eigener Art. "Mittelalterliche Welteinheit, wie sie im Osten und Westen geglaubt wird, ist in erster Linie eschatologisch, und ihre Wirklichkeit ist identisch mit der wirklichen Gegenwart des Herrn in den Sakramenten." (154) Kantorowicz historisiert Mythen. Die Geschichten, Legenden und Sagen, die die Zeitgenossen umranken, interessieren ihn weit mehr als die Frage nach historischen Typen. Sogar Fälschungen können, wie er an einem angeblichen Testament Kaiser Friedrichs zeigt, historische Fakten erster Ordnung sein.

Souverän läßt Kantorowicz vor den Augen des Lesers die Welt des Alten Europa aufleben, ganz ohne falsche Rechtfertigungs- oder Legitimationswünsche. Seine Aufsätze sind Studien zur politischen Theologie, oder wie er wohl sagen würde, zu den Mysterien des Staates. Carl Schmitt hatte Anfang der 20er Jahre in seiner Souveränitätslehre diesen Begriff geprägt. Bei ihm schleppte der Begriff noch schwer am Weltanschauungslärm. Jedenfalls war der diskriminierende Ton selten zu überhören. Kantorowicz bringt die Moderne nicht im finsteren Mittelalter zum Verschwinden, sondern läßt sie neu beginnen. Für die Hüter der Moderne mag das als Provokation schon ausreichen. Denn all die Brüche, die die Moderne bei ihrer emphatischen Setzung erfand, die Trennung von Geschichte und Vorgeschichte, verlieren bei ihm an Bedeutung. Von Kantorowicz kann man lernen, daß schon mit der Rezeption des römischen Rechts an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert eine abstrakte Formensprache belebt wurde, die all die Trennungen ermöglichte, auf die die moderne Welt angewiesen ist. Beschreibt man den Prozess der modernen Zivilisation als Fähigkeit, Formen des Symbolischen auszubilden, so finden sich die Spuren schon im Mittelalter. Kantorowicz erzählt Geschichten von langer Dauer. Fast jeder moderne Begriff ist bei ihm gedeckt von einer Tradition kirchlicher Lehre und abendländischen Denkens. Überall ist der Klang einer langen Tradition zu hören. Seine späten Studien sind ein einziger großer Lauschangriff auf die Welt des Alten Europa. Viel erinnert hier an die Warburg-Schule. Mit dem Kunsthistoriker Erwin Panofsky stand Kantorowicz in Princeton in regem Austausch.

Percy Ernst Schramm hatte sich in seiner Rezension der "Selected Studies" vor dem Universalgelehrten verbeugt und vorgeschlagen, man solle einmal einen Studenten raten lassen, welche Disziplin hier die Feder geführt habe. Das Buch ist so kunstgeschichtlich gelehrt, wie es auch Stellung zu theologischen und juridischen Grundsatzfragen nimmt. Man denkt an Burckhardt oder Ranke und bekommt auf einmal wieder eine Ahnung von der einstigen Kraft des deutschen Bildungsbürgertums.

So sehr Kantorowicz auch im Spätwerk seinen antiquarischen Neigungen folgte, aus ihm spricht immer eine politische Biographie des 20. Jahrhunderts. Wenn er sich Gedanken macht, wie das hehre Ideal Pro patria mori "durch die Einsetzung in nationale, rassische und parteipolitische Dokrinen" (313) entwertet und entstellt werden konnte, sehen wir wieder den von der nationalsozialistischen Ideologie Vertriebenen vor uns. Der einstmalige Nationalrevolutionär beklagt nun die Auswüchse eines übersteigerten Nationalismus. An die Stelle des Nationalgedankens tritt die über Dante vermittelte Idee der humanitas. Der Aufsatz schließt mit einem Abgesang auf Europa, das in dem blutigen Jahrhundert seine moralischen Ressourcen aufgezehrt hat. Die "alten ethischen Werte, von allen Seiten erbärmlich mißbraucht und ausgebeutet, sind im Begriff, sich wie Rauch aufzulösen. Kalte Effizienz (...) hat den traditionellen religiösen und ideologischen Überbau beseitigt - mit der Folge, daß Menschenleben nicht mehr geopfert, sondern >liquidiert< werden. Wir sind im Begriff, von einem Soldaten zu verlangen, daß er sein Leben gebe, ohne ein emotionales Äquivalent für das verlorene Leben zu bieten, das mit diesem Schicksal versöhnt. Wenn der Tod des Soldaten im Kampf - vom Tod der Zivilpersonen in von Bomben verwüsteten Städten zu schweigen - jeder Idee bergender humanitas, sei es Gott oder König oder patria, beraubt ist, wird er auch der adelnden Idee des Selbstopfers beraubt sein. Er wird zu einem kaltblütigen Abschlachten oder, schlimmer noch, er nimmt den Wert und die Bedeutung eines politischen Verkehrsunfalls an einem Feiertag ein." (313)

Auf den Schlachtfeldern des Jahrhunderts wurden keine Wechsel mehr gezeichnet. Wer aber aus dem Tauschverhältnis aussteigt, fällt weit hinter die Zivilisation zurück. Wenn der Wille zur Fiktion erschöpft ist, kehren die Barbaren zurück. Vielleicht, denkt der Leser, wenn er das Buch beiseite legt, interessierte sich Kantorowicz ja so für die Frage, wann die Götter das Waffenkleid anlegten, weil der Bürger in den Kriegen unseres Jahrhunderts seinen Verhaltensanzug ablegte.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension