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Titel
Musik - Zeit - Geschehen. Zu den Musikverhältnissen in der SBZ/ DDR 1945 - 1952


Autor(en)
Köster, Maren
Erschienen
Saarbrücken 2002: Pfau-Verlag
Anzahl Seiten
179 S.
Preis
€ 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christiane Sporn, Potsdam

Die wissenschaftliche Erforschung und Aufarbeitung der Musik aus der DDR sowie der damit verbundenen individuellen wie auch der parteilich definierten, offiziellen Musikanschauung steht – im quantitativen Vergleich zu den Forschungsergebnissen in Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte – noch immer in ihrem Anfangsstadium. Außerhalb der Untersuchung von Person und Werk sowohl Paul Dessaus als auch Hanns Eislers, denen in den vergangenen Jahren mehrfach Forschungsinitiativen gegolten haben, sind neben einigen wenigen Überblicksartikeln und der hauptsächlich quantitativ ausgerichteten Darstellung Manfred Vetters zur Kammermusik in der DDR die institutionengeschichtlich angelegten Arbeiten Lars Klingbergs und Daniel Zur Weihens bislang die einzigen größeren abgeschlossenen Forschungsprojekte seit 1990 auf diesem Gebiet.1 Bei den beiden letzteren jedoch stehen die Auseinandersetzungen um Musik bzw. die Bedingungen des Komponierens im Zentrum des Interesses, so dass Eigenarten der entstandenen Musik selbst in den Hintergrund rücken.

Die Musikwissenschaftlerin Maren Köster ist bislang mit Arbeiten zum Werk und zur Person Hanns Eislers sowie über neue Musik in der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte hervorgetreten. In ihrer unlängst veröffentlichten Dissertation zu den Musikverhältnissen in der SBZ/DDR zwischen 1945 und 1952 versucht sie, der allgemein gegebenen Problematik einer Politisierung des Gegenstandes durch eine gezielte Verknüpfung exemplarischer Fallstudien verschiedener Bereiche der Produktion und Rezeption sowie der Kommunikation über Musik beizukommen. So prüft sie die Möglichkeiten, vermittels einer montageartigen Darstellung widersprüchlicher Einzelereignisse, der „Kontingenz der Geschichte eher gerecht“ zu werden (S. 15).

Dabei wird der Darstellung von drei Entwicklungsphasen der gesellschaftlichen Relevanz von Musik allgemein (und nicht nur zeitgenössischer Musikproduktion) im untersuchten Zeitraum etwa die Hälfte des Textkorpus vorbehalten, während ein zweiter Teil Aspekte von Institutionen, Biografie und Werk behandelt. Maren Köster strebt dadurch offenbar an, eine am Ende der Darstellung stehende Werkdiskussion einerseits kontextuell anlegen zu können, diese aber andererseits nicht funktional zu verengen und so dem Eigenstatus des Werks gerecht zu werden. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, dass die Arbeit bereits durch ihr Konzept der Gefahr einseitiger Wahrnehmung entgeht und zudem aufschlussreiche Perspektiven auf die zugrunde liegende Fragestellung vermittelt.

Ausgehend von der Auffassung, dass avancierte Musik „schließlich immer eher die Sache einer kleinen Minderheit gewesen“ ist (S. 14), werden zunächst Bestrebungen einer Neubelebung des Konzertbetriebs unmittelbar nach Kriegsende aufgeschlüsselt. Prinzipiell ist dahingehend festzuhalten, dass im Rahmen der Durchsetzung und Begründung kulturpolitischer Ziele in Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone kein Unterschied zwischen moderner und klassischer Musik auszumachen ist. Mit der Wiederbelebung auch des Musik- und Konzertbetriebs verfolgte die Sowjetische Militäradministration in Deutschland, so Köster, drei wesentliche Zwecke: allgemeine Beruhigung/Harmonisierung, Überzeugung der Bevölkerung von ihrer Hochachtung vor kulturellen Werten und Gewinnung der Intelligenz als Bündnispartner sowie Einsatz von Musik als Mittel der Umerziehung und der Demokratisierung. 2

Vor allem der erzieherische Aspekt von Musik (und die damit einhergehende Überschätzung ihrer Möglichkeiten) stehen im Zusammenhang mit der Frage nach einem neuen Publikum, wie sie in der DDR, sichtbar schließlich in den Beschlüssen des Bitterfelder Weges, nachfolgend zentrale Bedeutung erlangen sollte. Ein Vorteil der Untersuchung als einer auf die Musikverhältnisse ausgerichteten Darstellung, die nicht nur das Gegenwartsschaffen berücksichtigt, zeigt sich weiterhin in dem Gedanken von unterschiedlicher Bedeutung zeitgenössischer und, allgemein formuliert, klassischer Musik in der Rezeption: Musikalische Strukturen historischer Werke seien, so Köster, nach dem Krieg als emotional besonders geeignet empfunden worden, gegenwärtige Erfahrungen zu vermitteln. Die historische Musik habe damit 1945 die Funktion einer gleichsam zeitgemäßen Verarbeitungshilfe traumatischer Erlebnisse übernommen.

Deshalb sei es auch nahe liegend für die zeitgenössischen Komponisten gewesen, klassizistische Formen zu erproben, während radikalere Experimente kaum angebracht schienen (S. 34f.). Es besteht also offenkundig eine Gemeinsamkeit zwischen rezeptionsgeschichtlichen Symptomen und den Unsicherheiten in der Frage, wie nun – nach 12 Jahren nationalsozialistischer Herrschaft – verantwortungsvoll komponiert werden könne und wo der Anknüpfungspunkt zu suchen sei: Nicht grundlos war neoklassizistisches Komponieren in der Nachkriegsphase die einflussreichste Strömung und das Werk Paul Hindemiths zentraler Bezugspunkt, wobei freilich auch kompositionsgeschichtliche und -ästhetische Aspekte eine ebenfalls nicht zu unterschätzende Rolle einnahmen.3

Wenn auch die Kennzeichen der Parallelität zwischen Produktions- und Rezeptionsaspekten von Musik in der unmittelbaren Nachkriegszeit durch Maren Köster implizit benannt werden 4, wäre eine ausführlichere Analyse dieser Relation als ein in der Forschung bislang vollkommen unberücksichtigter Aspekt sicher gewinnbringend für das Anliegen der Darstellung gewesen.

Die am Ende der Untersuchung stehende Werkdiskussion rückt Hanns Eislers Textbuch „Johann Faustus“, vollendet im August 1952, in den Mittelpunkt der Betrachtung. Köster weist zu Recht auf die Einseitigkeit der bisherigen Forschung hin, die den Text, von wenigen Ausnahmen abgesehen, einzig unter dem machtpolitischen Aspekt der Diskussionen um das Werk im Mai/Juni 1953, als „Faustus-Debatte“ zusammengefasst, abhandelt. Diese in der Prägnanz der kulturpolitischen Repression begründete Tendenz der Forschung missachtet dabei folgenden Gesichtspunkt: Nicht nur, vielleicht sogar am wenigsten diese Repressalien, sondern vielmehr werkimmanente Probleme führten dazu, dass Eisler die Musik zum „Faustus“ über einige Skizzen hinaus nie komponierte. Eine literaturkritische und die Eigenständigkeit des Werks hervorhebende Betrachtung, wie sie Köster anstrebt, vermag demnach, relativierende Perspektiven in die Erforschung der Werkgenese wie auch der „Faustus-Debatte“ einzubringen. Wie das Werk des Weiteren – ohne seinen Eigenstatus einzubüßen – im Kontext der Debatten um Formalismus und sozialistischen Realismus der frühen fünfziger Jahre zu sehen ist, wird aussagekräftig in einem Kapitel zu Notizen und Textentwürfen Eislers dargestellt und erörtert. So diskutiert beispielsweise Fausts Adlatus Wagner mit Hanswurst über Luthers „neue Konstruktionsmethoden“ bei den Kirchenlied-Melodien, was Köster zufolge auch auf eigene Erfahrungen Hanns Eislers mit den Debatten um sozialistisch-realistische Kunst und Musik hindeutet.

Wenngleich das oben benannte „Montageverfahren“ von Einzelereignissen durch Maren Köster von vornherein als beabsichtigt „bruchstückhaft“ (S. 15) benannt wird, muss dennoch angemerkt sein, dass dies auch Schwächen der Arbeit zur Folge hat, weil einige der von Köster benannten, zweifellos wichtigen und berechtigten Fragen zur Nachkriegsmusikgeschichte und -musikpolitik im Stadium der Anmerkung verbleiben. Dies betrifft den Fragenkomplex der „musikgeschichtlichen Relevanz“ des II. Internationalen Kongresses der Komponisten und Musikkritiker im Mai 1948 in Prag (S. 46) oder die Problematik der Person Ernst Hermann Meyers (dem eine der biografischen Studien der Arbeit gilt) als Komponist und einem der einflussreichsten Musikpolitiker über die „in der DDR üblichen Beschönigungen oder anderen selektiven Kriterien“ hinaus (S. 116).

Auch im letzten Kapitel, den „Anmerkungen zur Faustus-Debatte“, einem, wie Köster selbst formuliert, thesenhaften Anreißen vier verschiedener, in der Forschung bislang unbeachteter Aspekte, findet sich nur der Hinweis auf die noch immer gegebene Notwendigkeit einer „profunde[n], umfassende[n] Studie über die Auseinandersetzungen um Eislers Faustus“ (S. 155). Als aufschlussreich erweisen sich die eingangs erwähnten unterschiedlichen Blickwinkel auf den Gegenstand aber fraglos hinsichtlich ihres Stellenwertes für die nachfolgende musikkulturelle und kompositionsgeschichtliche Entwicklung in der DDR. Kösters Ausführungen zum Beitrag Hanns Eislers auf dem Prager Kongress und die daraus resultierenden Aspekte seines Standpunktes zu modernen Musik- und Kompositionsentwicklungen sind von wesentlicher Bedeutung für das Verständnis seiner späteren Position in der Musikkultur der DDR, die ihn zwar wohl als „Sohn der Arbeiterklasse“ hervorhob, seine Vergangenheit aber als Arnold Schönbergs Schüler (der bis zu seinem Tod das Werk seines Lehrers verteidigte) bestenfalls ignorierte, aber oftmals auch böse diffamierte.

Ebenfalls informativ und fruchtbar für die weitere Auseinandersetzung mit Musik und Musikpolitik in der DDR sind die biografischen Studien der Arbeit, insbesondere zur Person Johanna Rudolphs, Händelforscherin und eine der hartnäckigsten Verfechterinnen der SED-Linie im kulturpolitischen Bereich. Da sie, 1943 in Amsterdam festgenommen und den Verhören nicht standhaltend, es der Gestapo ermöglicht hatte, mindestens vier weitere Genossen zu verhaften, wurde sie nach dem Krieg als Kollaborateurin angesehen. Sie betrachtete offenbar ihre parteipolitische Arbeit als „Sühne“ – ein Hintergrund, der gemeinsam mit dem Hinweis, dass ihre kultur- und musikhistorischen Kenntnisse autodidaktisch erworben waren, dem Nachvollziehen einiger ihrer Positionen zumindest tendenziell förderlich ist. Allgemein zeigt sich anhand der insgesamt sechs Studien Kösters, wie lohnend biografische Forschung auch im kunstwissenschaftlichen Bereich eingesetzt sein kann.

Festgestellt sein soll abschließend, dass sich die methodische Prämisse einer Untersuchung der Musikverhältnisse in geschichtlich-chronologischer, institutioneller und biografischer Perspektive als gewinnbringend erweist, während die Darstellung in werkgeschichtlicher Hinsicht trotz des eingangs gesetzten Anspruchs, „Musik als Weg zum Geschichtsverständnis“ 5 zu begreifen, aufgrund fehlender Bezüge zur Musik selbst viele Fragen offen lässt.

Anmerkungen:
1 Vetter, Manfred, Kammermusik in der DDR, Frankfurt am Main 1996; Klingberg, Lars, Politisch fest in unseren Händen. Musikalische und musikwissenschaftliche Gesellschaften in der DDR, Kassel 1997; Zur Weihen, Daniel, Komponieren in der DDR, Weimar 1999.
2 S. 24ff. Auf den zweiten Aspekt – die Überzeugung der Bevölkerung – haben auch Anne Hartmann und Wolfram Eggeling hingewiesen. Sie betonen, viele der kulturellen Bestrebungen durch die sowjetische Besatzungsmacht unmittelbar nach dem Krieg hätten auch dazu gedient, die von den Nationalsozialisten verbreiteten Vorurteile über Russen zu widerlegen und auszuräumen. Vgl. Hartmann, Anne; Eggeling, Wolfram, Sowjetische Präsenz im kulturellen Leben der SBZ und frühen DDR 1945–1953, Berlin 1998.
3 Einen Überblick über die kompositionsgeschichtliche Nachkriegsentwicklung zeitgenössischer Musik bietet Dibelius, Ulrich, Moderne Musik nach 1945, München 1996.
4 Vgl. vor allem das Kapitel 1.1.3 „Fragen der Musikentwicklung“, S. 39–44.
5 S. 14. Die Formulierung entspringt einer musikwissenschaftlichen Neuinterpretation eines Ansatzes Georg Kneplers, wie er sie in seiner Publikation „Geschichte als Weg zum Musikverständnis“, Leipzig 1982, entworfen hatte.

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