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Titel
Augen-Blicke sichtbarer Gewalt?. Eine Geschichte des Türken in medientheoretischer Perspektive 1453–1529


Autor(en)
Topkaya, Yiğit
Erschienen
Paderborn 2015: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
234 S.
Preis
€ 36,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Woelki, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Eine Gesamtgeschichte der medial konstruierten Türkenfigur zwischen dem Fall Konstantinopels 1453 und der ersten Belagerung Wiens durch die Türken 1529 ist ein extrem ambitioniertes Dissertationsprojekt, welches eine kaum überschaubare Menge an, teilweise wenig erschlossenen, Quellen und weitläufige Forschungstraditionen aus verschiedenen Bereichen der Theologie-, Kultur- und Kunstgeschichte im Blick behalten müsste. Yiğit Topkaya bewältigt dies durch eine konsequente Selektion des Quellenkorpus und ein geradezu programmatisch vorgetragenes theoretisches Modell, welches die unterschiedlichen exemplarisch analysierten Quellen in einen kohärenten Interpretationszusammenhang bringt. Seine „medientheoretische Perspektive“ geht dabei weit über die wechselseitige Beeinflussung von Türkendiskurs und medientechnischem Wandel durch den Buchdruck und die Entstehung einer typographischen Öffentlichkeit hinaus. Der Schwerpunkt der Argumentation liegt vielmehr auf den Strategien der Medialisierung des Türkenthemas für die Repräsentation politischer und ekklesiologischer Ordnungsvorstellungen. Die textlichen und bildlichen Darstellungen des ‚Türken‘ waren, so zeigt Topkaya an zahlreichen Beispielen, nicht vorrangig von der Alteritätswahrnehmung geprägt; vielmehr diente die mediale Präsenz der Türkenfigur als Bote einer Störung, Irritation und Inversion der sozialen Ordnung, als „Parasit“ (so der vom französischen Philosophen Michel Serres entlehnte Schlüsselbegriff der Darstellung), der Sichtbarmachung und Besetzung von „Möglichkeitsräumen des Politischen“ (S. 57).

Die Annahme einer politischen Instrumentalisierung des Türkenthemas ist freilich keineswegs originell und in einzelnen Bereichen längst anerkannt, sie erhält jedoch insbesondere im I. Kapitel (S. 37–57) eine medientheoretisch reflektierte Basis, welche für künftige Einzelforschungen zu diesem Thema methodisch fruchtbar sein könnte, aufgrund seiner sehr stark abstrakt verdichteten Sprache dem Allgemeinhistoriker aber einiges an Geduld abverlangt. Die folgenden Kapitel II–V liefern in weitgehend chronologischer Folge eine im Einzelnen oft innovative Neuinterpretation von gedruckten und zum Teil bereits oft diskutierten Einzelquellen. Zunächst versucht Topkaya, das nach wie vor ungeklärte Rätsel um die Wirkungsabsicht der „Epistula ad Mahumetem“ Pius’ II. (1461) zu lösen, indem er den Text in den Deutungshorizont der Bulle „Execrabilis“ (1460) einbindet, mit der Pius II. die Appellation vom Papst an das Universalkonzil verbot, und ihn damit in das Programm einer angeblich papalistisch-reaktionären Bewältigung des Konziliarismus einzuordnen versucht. Dabei wird der Mehmet-Brief des Papstes sogar als ekklesiologischer Gegenentwurf zum berühmten Religionsdialog „De pace fidei“ (1453) des Nikolaus von Kues in Stellung gebracht. Diese durchaus anregende und fruchtbare Interpretation bedürfte freilich einer viel stärkeren Fundierung, da die Einwände gegen die Interpretation von „De pace fidei“ als latent konziliaristischen Angriff auf den ekklesiologischen Geltungsanspruch des Papstes angesichts der Lebensgeschichte des Cusanus auf der Hand liegen. Überhaupt zeigt sich an diesem Beispiel bereits die wohl empfindlichste Schwäche des breiten Blickwinkels der Arbeit: Die umfangreiche neuere Spezialliteratur zu Cusanus wird weitgehend ignoriert, das Bild vom „Konziliarismus“ und „Papalismus“ auf denkbar schmaler Literaturbasis auf ein einziges Schriftargument verengt und die Lehre von der „infallibilitas des Papstes“ als bereits feststehende kuriale Position angenommen, die es zu verteidigen galt. Auch die Cusanus-Texte werden nicht in der maßgeblichen und durch den reichen Kommentar sehr nützlichen Ausgabe der „Opera omnia“ benutzt 1, sondern in zweisprachigen Übersetzungen. Überhaupt fehlt eine Einordnung in den Gesamtzusammenhang der kurialen Reformdiskussion und in das Genre der „Sultansbriefe“. Jedoch wäre all dies angesichts der Vielzahl der behandelten Einzelquellen wohl kaum in der für eine Dissertation zur Verfügung stehenden Zeit zu leisten gewesen.

Das III. Kapitel (S. 93–122) analysiert im Kern den „Tractatus de moribus, condicionibus et nequicia Turcorum“ des Georg von Ungarn, der um 1480 über zwischen den Jahren 1438 und 1458 durchlebte Zeit in türkischer Gefangenschaft berichtet. Dabei versteht Topkaya das Werk in Abgrenzung zur bisherigen Forschung nicht primär als einen von theologischen Exkursen durchsetzten ethnographischen Erfahrungsbericht, sondern als apokalyptisches konstruiertes Erweckungserlebnis mit frömmigkeitstheologischer Intention. Die figural überhöhte Schilderung der türkischen Sitten als apokalyptische Verführungen zur Apostasie dient dabei als moralisierender Spiegel für eine gottvergessene Christenheit.

Eine ähnliche Medialisierung des Türkenthemas beobachtet Topkaya im IV. Kapitel (S. 123–161) anhand der lutherischen Türkenschriften „Vom Kriege wider die Türken“ (1529) und „Heerpredigt wider die Türken“ (1529). Indem die Obrigkeitsschrift Luthers („Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“, 1523) und die Lehre von der Doppelnatur des Menschen (simul peccator et iustus) als interpretatorischer Rahmen für die Türkenschriften ausgemacht wird, wird auch hier die Funktion des Türkenthemas zum Kampf gegen kuriale Geltungsansprüche und als Projektionsfläche für ekklesiologische und soziale Ordnungsmodelle sichtbar. Das V. Kapitel (S. 163–207) schließlich liefert eine auf das kreisförmige Horizontalpanorama von der Belagerung Wiens 1529 im Riesenholzschnitt des Niclas Meldemann konzentrierte Analyse von sprachlichen und jetzt vor allem ikonographischen Darstellungen von Gewalttaten der Türken, welche als Versuche der Besetzung von medialen Repräsentationsräumen von Herrschaftsgewalt interpretiert werden.

Insgesamt bieten gerade das IV. und V. Kapitel eine ganze Reihe an Interpretationen von Einzelquellen, welche jedoch nicht durch das Inhaltsverzeichnis auffindbar sind, welches vor allem aus Schlagworten der Deutung besteht. Ein Register hätte dieses beklagenswerte Defizit für die substantielle Benutzbarkeit der Arbeit wettmachen können, doch ein solches fehlt dem Band.

Rätselhaft bleibt schließlich der Titel des Buches „Augen-Blicke sichtbarer Gewalt“, welcher sich primär auf den im V. Kapitel analysierten typographischen Rundumblick der Belagerung Wiens von 1529 bezieht, jedoch nicht den Kern der Argumentation trifft. Denn das Anliegen der Arbeit besteht gerade in der konsequent vorgetragenen Rückbindung des Türkendiskurses an die politische Theologie, insbesondere an ekklesiologische Ordnungsvorstellungen und -deutungen, und tritt damit jenen Forschungstendenzen entgegen, die die religiöse Dimension des Türkendiskurses zugunsten eines gesteigerten ethnographischen und kulturellen Interesses relativieren. Ob diese Sichtweise tatsächlich allen publizistischen Verarbeitungen des Türkenthemas gerecht wird, insbesondere auch den hier nur gestreiften Türkenreden des 15. Jahrhunderts, wäre zu diskutieren.

Anmerkung:
1 Hier: Raimund Klibansky / Hildebrand Bascour (Hrsg.), Nicolai de Cusa De pace fidei cum Epistula ad Iohannem de Segobia (Nicolai de Cusa Opera omnia 7), Hamburg 1970.

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