T. Baensch u.a. (Hrsg.): Museen im Nationalsozialismus

Cover
Titel
Museen im Nationalsozialismus. Akteure – Orte – Politik


Herausgeber
Baensch, Tanja; Kratz-Kessemeier, Kristina; Wimmer, Dorothee
Erschienen
Köln 2016: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
411 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Hirte, Berlin

Der zu besprechende Band dokumentiert ein Symposium, zu dem die Richard-Schöne-Gesellschaft 2013 im Rahmen des Berliner Themenjahres „Zerstörte Vielfalt“ ins Deutsche Historische Museum lud. Gefragt wurde, über alle musealen Genres hinweg, „nach den politischen und administrativen Rahmenbedingungen für die Museumsarbeit, nach Museumsakteuren, der Sammlungspraxis, Formen der Museumsinszenierung, Formen von Propaganda, den Museen im internationalen Kontext, sowie dem Umgang der Museen mit ihrer NS-Geschichte in der unmittelbaren Nachkriegszeit“ (S. 11). Von über 100 angebotenen Beiträgen fanden 20 Aufnahme in den Tagungsband. Der erschließt sich, durch Quellen- und Literaturverzeichnis, so wie einen Personenindex.

Zwischen Wien und Detmold, Carnac und Zagreb, von der Weimarer Republik bis in die Nachkriegszeit dehnt sich der betrachtete Raum. Wir lernen die Linien museums-administrativer Debatten im Großen kennen, desgleichen den kleinteiligen Hader in der Provinz. Es geht um Ausstellungsästhetik und Sammlungspolitik, Anpassungsbereitschaft und Handlungsspielräume.

Die inhaltliche Struktur des Bandes (Museumspolitik, Akteure im Museum, Ausstellung – Propaganda – Publikum, Kunst – Ideologie, Symbolorte) stellt den Versuch dar, die Breite der berührten Phänomene handlich zu systematisieren. Nicht immer erweisen sich die geschnürten Themenpakete als stringent. So sind jeweils kleine Sammelsurien zusammengekommen. Dabei durchziehen die Activa der nationalsozialistischen Museums-, Kunst- und Kunstraubpolitik die gesamte Publikation. Der Rezensent erlaubt sich, die Beiträge in chronologischer Reihung vorzustellen.

Tanja Baensch gibt einleitend einen Überblick zum Forschungsstand. Resümee: „Die ideologische Indienstnahme und eigene Verstrickung vieler Museumsleute und Museen konnte [...] im Nachkriegsdeutschland überraschend schnell vergessen gemacht werden und teilweise bis in die Gegenwart unbefragt bleiben.“ (S. 17)

Aber noch einmal von Anfang an: In der Berliner Parochialstraße betrieb der Pazifist Ernst Friedrich als Gegenentwurf zum „Zeughaus“ sein privates „Internationales Anti-Kriegsmuseum“. Im März 1933 fielen Angehörige der dafür zuständigen SA-Standarte 6 drüber her und ließen wenig übrig. Ihrerseits betrieben diese Herren ein „NS-Revolutionsmuseum“, bestückt mit Beutestücken ihrer politischen Gegner, z.B. waren da ein Paar Ohrringe Clara Zetkins zu sehen. Allerdings geriet dieser Ausdruck revolutionärer Subkultur auf Dauer immer stärker in Gegensatz zum Selbstbild des arrivierten NS-Regimes und musste am Ende stillschweigend verschwinden (Hans Georg und Katrin Hiller von Gaertringen).

Mit Einführung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verloren 1933 etliche Museumdirektoren ihre Stellung. Noch im selben Jahr begann die Skandalisierung von „Entartetem“ durch das Medium der Ausstellung: „Kulturbolschewistische Bilder“ in Mannheim oder „Novembergeist – Kunst im Dienste der Zersetzung“ in Stuttgart. Der nächste Schritt konnte die vorauseilende Bestandsbereinigung sein (Christoph Zuschlag). Für das Schlesische Museum der bildenden Künste in Breslau zeigt Diana Codogni-Lancucka aber auch Spielräume kunstpolitischer Eigensinnigkeit.

Für zahlreiche Museen wurden bis Anfang der 1940er-Jahre Um- oder Neubaupläne entworfen, allen voran in der Reichshauptstadt. Gerade hier blieb das meiste ungebaut. Eine ausstellungsästhetische Innovation sollte sich als bleibend erweisen: An die Stelle von Bodes kunstgattungsgemischten Stilräumen trat im Kunstmuseum die „Atelierraumsimulation“ mit weißen Wänden als das moderne Gestaltungsprinzip. Nikolaus Bernau liefert mit seinem Beitrag ein kleines Grundsatzreferat „nationalsozialistischer Museumsinszenierungspolitik“. Die Kulturpolitik des faschistischen Italien diente den Nazis in mancher Hinsicht als Vorbild. Gerade bezüglich der Museen stellte sich diese jedoch vergleichsweise liberaler und moderner dar (Marta Nezzo).

Neben den Kulturhistorischen Museen waren es besonders Häuser mit prähistorischen Beständen, die von der „völkischen“ Neuorientierung profitierten. Beispiele aus dem Lippischen Landesmuseum Detmold (Uta Halle) und dem Museum Lüneburg (Ulfert Tschirner) zeigen, wie stark die Verwirklichung von NS-Profilierungsabsichten personengebunden blieb. Tschirner diskutiert in diesem Zusammenhang die Handlungsspielräume zwischen Fachlichkeit und Konformität. Wo beginnt die Kompromittierung? Für die Erweiterung des Goethe-Hauses in Weimar warb der Direktor eine Zuwendung Hitlers ein (Paul Kahl). Hatte er damit schon seine Seele verkauft?

1937 kann vielleicht als museumspolitisches Schlüsseljahr bezeichnet werden. Es war das Jahr der Ausstellung „Entartete Kunst“ und der mit ihr verbundenen Beschlagnahmungen in den Kunstmuseen. Petra Winter erinnert an die „Erste Tagung deutscher Museumsdirektoren“. Hier überspannte das Regime seine Zumutungen derart, dass einige Kollegen entschieden protestierten, wenn auch nur in der internen Fachöffentlichkeit. Ebenfalls 1937 scheiterte, nach längeren internen Querelen, der Versuch einer systemkonformen Neugliederung des Deutschen Museumsbundes (Kristina Kratz-Kessemeier). International setzten sich deutsche Museen in der Abteilung „Musées et expositions – Muséographie“ der Pariser Weltausstellung repräsentativ und erfolgreich in Szene (Christina Kott). In der Heimat feierte sich der NS-Staat mit Propaganda-Ausstellungen, die inszenatorisch neue Maßstäbe setzten: „Gebt mir vier Jahre Zeit“ in Berlin, „Schaffendes Volk“ in Düsseldorf (Michael Tymkiw).

Im folgenden Jahr begann bereits der heraufziehende Krieg seine Schatten vorauszuwerfen. Mit dem „Anschluss“ Österreichs 1938 wurden auch hier dem Regime politisch oder rassistisch unliebsame Museumsmitarbeiter entlassen. Monika Löscher und Susanne Hehenberger zeigen dies für das Kunsthistorische Museum Wien. Zugleich wurden die Häuser inhaltlich auf NS-Linie gebracht. Wie im Falle des Wiener Naturhistorischen Museums wurden dazu oft ideologisch zuverlässige Kräfte aus dem „Alt-Reich“ importiert (Margit Berner).

Mit zunehmender Nähe des Krieges wurden keine Museen mehr gegründet. Die Eröffnung der Städtischen Galerie Würzburg 1941 stellte eine seltene Ausnahme dar (Bettina Keß). Dringender scheint es gewesen zu sein, sich über den Kulturgüterschutz im Falle eines Luftkrieges Gedanken zu machen. Doch der Krieg bot den Museumsmitarbeitern auch fachlich neue Betätigungsfelder: ob im Rahmen des „Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg“ (ERR), für das SS-Ahnenerbe oder die persönliche Kunstsammlung einer NS-Größe. Der Tagungsband untersucht die „Kunstpolitik“ im besetzten Krakau (Isabel Röskau-Rydel). Der repressiven Besatzungspolitik in Polen stand im Westen eine Haltung gegenüber, die scheinbar situativ zwischen Beutezug und Bewahrungsintention changierte. Dazu liefert der Band Beispiele aus der restauratorischen und archäologischen Praxis (Morwenna Blewett; Reena Perschke). Einen Sonderfall stellte die deutsche (bzw. italienische) Einflussnahme auf das Ausstellungswesen in der kroatischen „Nezavisna država Hrvatska“ dar, dem letzten verbliebenen Staatswesen des 1941 zerschlagenen Jugoslawiens. Iva Pasini Trzec und Ljerka Dulibic führen dies am Beispiel der „Strossmayer-Galerie“ in Zagreb vor.

In Berlin wurde der Kustos Walther Arndt 1943, „nach der Entfernung von Brandbomben vom Dach ‚seines’ Naturkundemuseums in Berlin wegen defätistischer Äußerungen denunziert [...] und trotz verschiedener Gnadengesuche am 26. Juni 1944 hingerichtet“ (S. 35). Indes findet Adolf Reichwein, Pädagoge am „Museum für deutsche Volkskunde“ in Berlin und Mitglied des Kreisauer Kreises, keine Erwähnung. 1944 wurde er in Berlin-Plötzensee umgebracht.

Am Ende der Geschichte kommen wir an, wo wir begannen. Das Berliner „Zeughaus“, heute Sitz des DHM, betrieb den Krieg als museales Kerngeschäft (Thomas Weißbrich). Ihm aber verdanken wir ein Foto, das wie kaum ein anderes in der Lage ist, ein Saldo nach diesen 12 Jahren NS-Herrschaft zu formulieren. Wir finden es als Abbildung 87 auf Seite 288. Der Blick geht in die von Trümmern übersäte „Ruhmeshalle“. Die Plastik Friedrich Wilhelms IV. von Carl Schuler steht eingestaubt noch an ihrem Platz. An der Wand links ist Anton von Werners „Kaiserproklamation 1871“ zu sehen. Im Vordergrund schleppen zwei livrierte Bedienstete ramponierte Figurinen durchs Bild. Denen hängen ihre Uniformen in Fetzen vom Leib: Ein musealer Abtritt von dramatischer Letztgültigkeit.

Die Veröffentlichung ist eine tour d’horizon geworden, im Zuge derer eine Fülle von Phänomenen und Aspekten aufgerührt wird. Vielleicht gerade durch die Zufälligkeit manches Exempels gelingt es, einen plastischen Eindruck dieser museumsgeschichtlichen Phase zu vermitteln. Vielleicht hätte dem Ganzen am Ende eine wertende Synthese gutgetan. Es bleibt die Feststellung, dass uns hier ein Band zu einem, geradezu verdächtig selten berührten, museographischen Forschungsfeld gegeben ist, der seinen Gegenstand repräsentativ vermisst und letztlich als Aufforderung zu werten ist, hier und da tiefer zu bohren.

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