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Titel
Grandhotels. Luxusräume und Gesellschaftswandel in New York, London und Berlin um 1900


Autor(en)
Knoch, Habbo
Erschienen
Göttingen 2016: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
495 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Yvonne Robel, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

Grandhotels sind Orte, die Phantasien über Luxus, Freizeit und illustre Gesellschaften beflügeln. In Literatur und Film begegnen sie uns heute eher als schrullige Zeugnisse längst vergangener Zeiten oder als verwunschene Schauplätze persönlicher und politischer Dramen. Solche Bilder ruft auch Habbo Knoch in seiner Arbeit über Grandhotels im New York, London und Berlin der Jahrhundertwende auf. Jedoch präsentiert er Grandhotels als vieles mehr: als Orte, an denen städtische Transformationen sichtbar wurden und von denen zugleich (sozial)räumliche Veränderungen ausgingen; als Bühnen, auf denen um soziale Hierarchien, Rollen und Werte gerungen wurde und auf denen scheinbar fest definierte Geschlechterrollen durcheinander gerieten; als Arenen, in denen moderne Kontingenz und Individualität verhandelt wurden; und schließlich als Räume, die eine äußere wie innere Urbanisierung forcierten. Knoch begreift seinen Untersuchungsgegenstand somit nicht ausschließlich als Projektions- und Imaginationsfläche, sondern rückt ihm mit einer konsequenten Verbindung von sozial- und kulturhistorischen Fragen zu Leibe. Darin liegt die besondere Würze des auf der Habilitationsschrift des Autors basierenden, sehr vielfältigen, anregenden und unterhaltsamen 400-seitigen Werkes.

Nach einem theoretischen, mit Verweisen auf die Raum-, Urbanisierungs-, Reichtums- und Tourismusforschung unterfütterten Aufschlag wendet sich Knoch in zwei (teils etwas mäandernden) Kapiteln zunächst der Vorgeschichte des Grandhotels von ca. 1800 bis in die 1880er-Jahre zu. Hierbei begreift er die sich sukzessive etablierenden modernen Hotels als „wesentliche Schrittmacher der soziographischen Stadtentwicklung“ (S. 69). Zugleich beschreibt er die jeweiligen nationalen Besonderheiten dieser Entwicklung – samt US-amerikanischen ausladenden Broadway-Hotels, englischen familiären Privathotels und Eisenbahnhotels sowie ‚verspäteten‘ deutschen herrschaftlich-repräsentativen Hotelbauten.

Den Kern der Arbeit bilden die folgenden drei Kapitel, in denen Knoch die urbanen Grandhotels der Jahrhundertwende als zunehmend „verdichtete Dienstleistungs-, Verwaltungs- und Vergnügungszonen“ (S. 124) fasst, die durch Ökonomisierung, Rationalisierung sowie Internationalisierung geprägt waren und sich immer stärker ausdifferenzierten. Insbesondere in den Kapiteln vier („Das Grandhotel als Großbetrieb“) und fünf („Leben im Luxus“) entwirft er ein transnationales Panorama des Hotellebens im Inneren. Mit Finanziers und Hoteliers, Hotelbesucher/innen, Portiers, Hoteldieben und -detektiven begegnen uns dabei verschiedene Akteure, die nicht nur den Hotelalltag formten, sondern zugleich zu spezifisch modernen Sozialtypen gerieten, die auf ein großes mediales Interesse stießen. Die New Yorker, Londoner und Berliner Grandhotels treten uns einerseits als Orte des Rückzugs entgegen, andererseits als Orte der Begegnung und Geselligkeit. Dort übernachtete man nicht lediglich, sondern da dinierte, parlierte, flanierte, rauchte, tanzte und beobachtete man. Knoch konstatiert auf sozialhistorischer Ebene: „Zwar blieb Distinktion über soziales, symbolisches und materielles Kapital ein dominantes Merkmal gerade in den Grandhotels, doch öffneten sich in einem zugleich breiter werdenden sozialen Spektrum von Gästen neue Verhaltensformen und Handlungsspielräume.“ (S. 259) Insbesondere für die Vergnügens- und die Reichtumsforschung dürften diese beiden Kapitel eine Fundgrube sein, da sie das Grandhotel gleichermaßen als sozialen Ort, als urbane Erscheinung wie als kommerzielle Einrichtung in den Blick nehmen. Eindrucksvoll zeigt Knoch, dass die Ausgestaltung der Hotels im Inneren, aber auch die Erwartungen an sie und ihre öffentliche Wahrnehmung je nach konsum- und tourismusgeschichtlichen Entwicklungen oder auch in Abhängigkeit zu Nervositäts-, Hygiene- und Bakteriologiediskursen variierten.

Orte sozialer Teilhabe und Distinktion gleichermaßen blieben Grandhotels laut Knoch auch in der Zeit ihres Niedergangs ab dem Ersten Weltkrieg, der er sich in seinem abschließenden Kapitel zuwendet. Hierbei zeichnet er das Bild einer Krise, die wenig geradlinig verlief, in New York, London und Berlin jeweils recht unterschiedlichen Konjunkturen unterlag und auch ambitionierte Hotelneubauten nicht zwingend ausschloss. Transnational konstatiert er allerdings einen immensen Umsatzrückgang seit den 1920er-Jahren – zur selben Zeit, zu der das Grandhotel zum reich besprochenen und bebilderten, beliebten Thema von Reportagen sowie (Spiel-)Filmen wurde.

Neben der bereits erwähnten, äußerst gelungenen Verknüpfung von Sozial- und Kulturgeschichte möchte ich zwei Aspekte zusätzlich herausheben: Erstens gelingt es Knoch – was nicht selbstverständlich ist – zwischen einem differenzierenden Vergleich der drei Metropolen und einer transnationalen Verflechtungsgeschichte zu changieren. So vermag er zu zeigen, dass sich die Städte bzw. Grandhotels in den USA, Großbritannien und Deutschland gegenseitig beäugten, Neuerungen voneinander übernahmen und dass ihre Qualität zugleich an transnationalen, sich ständig neu austarierenden Maßstäben gemessen wurde. Verflochten war ihre Geschichte nicht zuletzt aufgrund eines vielseitigen transnationalen „Transfers durch Reisende, Hoteliers und Fachzeitschriften“ (S. 181f.), der sich auf die Gestaltung und Organisation der Hotels niederschlug. Mit Fokus auf den zeitgleich wirksamen europäischen Antiamerikanismus verdeutlicht Knoch jedoch, dass gerade auch repräsentative Hotelbauten gleichsam dazu einluden, die eigene nationale Größe zu überhöhen und kulturell gedeutete nationale Grenzen festzuklopfen.

Zweitens jongliert Knoch wiederholt mit raumtheoretischen Ansätzen, was teils auch bemüht wirkt, sich aber dann als besonders spannend erweist, wenn er die – durch die Grandhotels veränderten oder gar aufgeweichten – Grenzen zwischen dem Privaten und Öffentlichen diskutiert. Letztlich begegnet uns das Grandhotel bereits in seiner Frühform als halböffentlicher Raum, in dem Ansprüche an das private, behagliche und manchmal auch dauerhafte Wohnen mit Erwartungen an einen öffentlichen Ort des Vergnügens und eine temporäre, breite (mindestens beobachtende) Partizipation am Luxus kollidierten. Eben jener Verortung zwischen Stadt- und Privatraum schreibt es Knoch auch zu, dass Grandhotels unter anderem für weibliche Unabhängigkeitsbestrebungen und für das Infragestellen von Geschlechterordnungen (etwa durch allein reisende Frauen) eine zentrale Rolle spielten – ein Thema, das sich sicherlich lohnend ausbauen ließe.

Was das Buch neben den herausgehobenen Aspekten so lesenswert macht, ist zugleich seine Schwäche, wenn man so will: das Anekdotische. Knoch schöpft aus einer enormen Quellenvielfalt, so bezieht er seine Informationen unter anderem aus Werbematerialien und Selbstdarstellungen der Hotels, Zeitschriften der Hotelier- und Angestelltenverbände, Handbüchern, Ratgebern, Reiseführern, Architekturzeitschriften, Postkarten, Fotografien, Erinnerungstexten, literarischen und filmischen Verarbeitungen. Einzelne Personen begleiten die Leserin und den Leser durch das gesamte Buch und tauchen gleichsam wie alte Bekannte immer wieder auf, wie etwa Marcel Proust, der stets mehrere Hotelzimmer buchte und dann das mittlere, ruhigste bewohnte. Damit nähert sich Knoch auch konkreten Praktiken der Hotelnutzung und einer daran gebundenen Erfahrungsgeschichte an. Die Wiederbegegnungen erzeugen aber zugleich auch Redundanzen. Außerdem verliert sich zwischen den Anekdoten immer wieder der rote Faden des Buches – vor allem wenn man nach zeitlichen Entwicklungen fern der Unterscheidung zwischen Aufschwung, Hochphase und Niedergang sucht. Dafür sind auch die Kapitel teils zu wenig klar voneinander getrennt. Umso erhellender ist Knochs Fazit, in dem er in zehn Punkten nicht nur „die wesentlichen Merkmale der urbanen Grandhotels um 1900“ (S. 384) auflistet, sondern seine Thesen systematisch an eine Geschichte der Moderne rückbindet. Es lohnt sich also wegen und trotz des Anekdotischen sehr, dieses Buch zur Hand zu nehmen, nicht nur für diejenigen, die sich mit städtebaulichen Aspekten, mit Fragen sozialer Distinktion in der modernen Stadt oder des urbanen Vergnügens befassen.