P. Eser u.a. (Hrsg.): El atentado contra Carrero Blanco

Titel
El atentado contra Carrero Blanco como lugar de (no-)memoria. Narraciones históricas y representaciones culturales


Herausgeber
Eser, Patrick; Peters, Stefan
Reihe
La Casa de la Riqueza. Estudios de Cultura de España 34
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anna Catharina Hofmann, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Die Ermordung von Admiral Luis Carrero Blanco durch die baskische Terrororganisation ETA gehört zweifellos zu den spektakulärsten politischen Attentaten des vergangenen Jahrhunderts. Am Morgen des 20. Dezember 1973 wurde die „rechte Hand“ des Diktators Francisco Franco samt seinem Auto mitten im Zentrum von Madrid in die Luft gesprengt. In der Rückschau wird dieses Ereignis oft als Anfang vom Ende der fast vierzig Jahre währenden Diktatur bewertet. Denn nur Carrero Blanco schien das Überleben des Regimes über den Tod des Diktators hinaus garantieren zu können. Ziel des von Patrick Eser und Stefan Peters (beide Universität Kassel) herausgegebenen Sammelbandes ist es, die Erinnerung an die Ermordung Carrero Blancos aus einer interdisziplinären Perspektive zu untersuchen und die These zu überprüfen, nach der das Attentat als „(Nicht-)erinnerungsort“ bezeichnet werden kann. Denn trotz seines „erheblichen Erinnerungspotentials auf symbolischer und emotionaler Ebene“ (S. 25)1, so die Autoren in ihrer Einleitung, sei es weder im kollektiven Gedächtnis verankert, noch spiele es in politischen und historiographischen Auseinandersetzungen eine Rolle.

Nach der Lektüre der zwölf Beiträge scheint diese These widerlegt zu sein. Denn die Autoren (und wenigen Koautorinnen) fördern eine Vielzahl von (populär)kulturellen, literarischen und audiovisuellen Repräsentationen zu Tage, die darauf hindeuten, dass das Attentat in der Erinnerungslandschaft in Bezug auf den Franquismus offenbar doch einen größeren Raum einnimmt als von den Herausgebern postuliert wird. Zunächst beleuchtet Eduardo Uriarte Romero mit Hilfe einer Analyse dreier Tageszeitungen die offizielle Reaktion des Regimes auf das Attentat. Seine Schlussfolgerung, dass die Berichterstattung weitgehend uniform war und den Regimediskurs reproduzierte, ist vor dem Hintergrund der Zensurmechanismen und Presseanweisungen, auf die der Autor leider nicht eingeht, allerdings wenig verwunderlich. Eine mögliche Antwort auf die Frage, warum das Attentat schon kurze Zeit später in den Hintergrund rückte, geben Enrique Maestu, Marina Montoto und Lidia Carrasco. Sie können mit Hilfe einer Presseanalyse erstens zeigen, dass die Erinnerung an das Attentat bereits nach einem Jahr durch die Debatten um eine mögliche „Öffnung“ des Regimes verdrängt wurde und 1975 schließlich endgültig vom Tod des Diktators überschattet wurde. Zweitens weisen sie darauf hin, dass der „Märtyrertod“ Carrero Blancos durch die Hardliner des Regimes vereinnahmt wurde. Für sie verkörperte Carrero Blanco in der Endphase der Diktatur ein Symbol für die Möglichkeit eines „Franquismus ohne Franco“, der jedoch spätestens 1976 mit dem „Gesetz über die politische Reform“ obsolet geworden war. Nicht zuletzt zeigt Pablo Sánchez León in seiner überzeugenden Auseinandersetzung mit der bisherigen Historiographie, dass die Rolle des Attentats für das Ende des Francoregimes und die Transition durchaus sehr kontrovers bewertet worden ist.

Auch die zeitgenössische Deutung des Attentats durch die Akteure wird eingehend analysiert. Als Quelle dient dabei insbesondere der ETA-Bericht „Operation Menschenfresser. Wie und warum wir Carrero Blanco hingerichtet haben“2, der erstmals 1974 im Pariser Exilverlag Ruedo Ibérico erschien. Während Ulrich Winter das Attentat auf dieser Grundlage in der kulturellen Praxis der „direkten Aktion“ und der damit verbundenen Zeithorizonte verortet, geht Germán Labrador Méndez in seinem Beitrag zunächst auf die Selbstästhetisierungsstrategien der Täter ein. Darüber hinaus analysiert er zahlreiche Repräsentationen des Attentats von den bildenden Künsten bis zur baskischen Comic-Kultur der Transitionszeit. Die übrigen Beiträge zu den audiovisuellen und literarischen Verarbeitungen des Attentats zeigen, dass die Erinnerung an die Ermordung Carrero Blancos vor dem Hintergrund der ETA-Radikalisierung seit Ende der 1970er-Jahre eine bemerkenswerte Verschiebung erfuhr. So konstatieren Santiago de Pablo und Igor Barrenetxea Marañón in ihrem Aufsatz zum Wandel in der filmischen Darstellung, dass sich das Bild der „guten“, da antifranquistischen ETA nur noch in Gillo Pontecorvos Film „Operación Ogro“ (1979) ausmachen lässt. Mittlerweile hat sich die Deutung hingegen vollkommen verkehrt, wie etwa die Fernsehserie „El asesinato de Carrero Blanco“ (Miguel Bardém, 2011) zeigt, in der Carrero Blanco als sympathischer Familienvater und erstes Opfer des baskischen Terrorismus dargestellt wurde. Auch Patrick Eser arbeitet in seinem ersten Aufsatz, der aufgrund seiner vergleichenden Perspektive besonders gelungen ist, die rasche Entheroisierung der Attentäter in literarischen, essayistischen und filmischen Repräsentationen heraus. In seinem zweiten Beitrag weist er auf den wichtigen Punkt hin, dass es gerade auch der weit verbreiteten Darstellung der Transition als friedliche, modellhafte Erfolgsgeschichte geschuldet ist, dass Gewaltakte wie das ETA-Attentat von 1973 aus der hegemonialen Erzählung herausgeschrieben wurden.

Im Vergleich zum ansonsten sehr hohen analytischen Niveau fallen die Beiträge zum Baskenland etwas schwächer aus. Zu den interessantesten Ergebnissen des Aufsatzes von Ludger Mees und Virginia López de Maturana gehört sicherlich, dass Carrero Blanco in der nationalistischen Presse des Baskenlandes weder vor, noch nach seiner Ermordung eine große Rolle spielte. Am Ende kommen die Autoren nicht nur zu dem Schluss, dass das Attentat keinen Eingang in die baskische Erinnerungskultur gefunden habe. Zudem negieren sie dessen Bedeutung für den Zusammenbruch des Francoregimes mit der streitbaren Feststellung, dass die Diktatur aufgrund der sozioökonomischen Modernisierungsprozesse ohnehin obsolet und der Übergang in die Demokratie somit vorprogrammiert gewesen sei (S. 78). Mikel Ayerbe und Mari Jose Olaziregi behaupten hingegen, dass sich das Attentat im Baskenland in „einen wahrhaften Erinnerungsort“ verwandelt habe, ohne dies jedoch zu belegen. Denn von der Existenz eines baskischen Liedes über die Ermordung Carrero Blancos darauf zu schließen, dass „es kein Fest oder Volksfest im größten Teil des Baskenlandes gab, auf dem es nicht gesungen, bejubelt oder im Chor gefeiert wurde“ (S. 219), scheint etwas gewagt.

Grundsätzlich zu kritisieren ist im Grunde nur die Ausgangshypothese des Bandes, die den Blick auf den Ort des Attentats in der spanischen Erinnerungskultur eher verstellt, als dass sie erkenntnisfördernd wäre. Dabei verweisen Eser und Peters bereits in ihrer Einleitung auf die Schwierigkeit, „Vergessen“, „Verschweigen“ und „Verdrängung“ empirisch zu belegen. Im vorliegenden Fall hätte man diese Frage vermutlich nur kontrastiv, und das heißt durch die Kontextualisierung in der Erinnerungslandschaft bzw. im Vergleich mit anderen Erinnerungsorten des Franquismus lösen können. So fragt sich der Leser im Laufe der Lektüre immer wieder, was denn den Autoren zufolge „richtige“ Erinnerungsorte in Bezug auf den Franquismus sein könnten. Eine Antwort auf diese Frage bleibt der Sammelband jedoch schuldig. Darüber hinaus hätten die Spezifika der stark fragmentierten, ideologisch polarisierten Erinnerungskultur in Spanien und die weit verbreitete Indifferenz in Bezug auf die diktatoriale Vergangenheit unter Auseinandersetzung mit der bisherigen Literatur stärker reflektiert werden müssen. Auch das Argument, die weit verbreitete Unkenntnis in Bezug auf das Attentat insbesondere bei jüngeren Generationen als Beleg für die These des „(Nicht-)erinnerungsortes“ anzuführen, überzeugt nicht. Dies zeigt etwa eine Umfrage aus der Tageszeitung „El Mundo“ aus dem Jahr 2000, derzufolge die befragten Schüler zum großen Teil nicht einmal in der Lage waren, Franco einer historischen Epoche zuzuordnen.3 Schließlich sei noch angemerkt, dass der Band sorgfältiger hätte lektoriert werden müssen. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die fehlerhafte Wiedergabe spanischer Originaltitel. Auch Druckfehler wie der Widerstandskämpfer „Georg Eisler“ (S. 142) oder der Philosoph „Peter Marcuse“ (S. 260) stören bei der Lektüre. Insgesamt überzeugt der Sammelband jedoch sowohl durch die Breite seiner Untersuchungsfelder als auch durch die interdisziplinäre Perspektive und zeigt, dass die These eines „Schweigens in der Historiographie und der Erinnerung in Bezug auf das Attentat gegen Carrero Blanco“ (S. 258) so nicht zu halten ist. Die zahlreichen aktuellen Nachrichten über Verurteilungen aufgrund des Straftatbestands „Verherrlichung von Terrorismus“ gegen Personen, die sich bei Facebook und Twitter über die Ermordung Carrero Blancos lustig machten, mögen ein weiterer Beleg dafür sein, dass das Attentat offenbar doch einen Platz im kollektiven Gedächtnis gefunden hat.4

Anmerkungen:
1 Der Sammelband ist durchgehend auf Spanisch verfasst. Alle Übersetzungen von der Verfasserin.
2 Camarada Julen Aguirre (= Eva Forest), Cómo y por qué ejecutamos a Carrero Blanco, Paris 1974. Der Bericht erschien zwei Jahre später erstmals in Westdeutschland: Operation Menschenfresser. Wie und warum wir Carrero Blanco hingerichtet haben. Ein authentischer Bericht und Dokumente von E.T.A. Übersetzt von Annie le Roux, Berlin 1976.
3 Vgl. Enrique Moradiellos, Un incómodo espectro del pasado: Franco en la memoria de los españoles, in: Pasajes (11) 2003, S. 5–11, hier S. 7.
4 Vgl. etwa das derzeit laufende Verfahren gegen César Strawberry, den Sänger der spanischen Band Def con Dos, dem vorgeworfen wird, über Twitter das Attentat gegen Carrero Blanco verherrlicht zu haben. Vgl. El líder de Def Con Dos, ‚César Strawberry’, entre los detenidos de la Guardia Civil, in: El Mundo, 10.12.2015.

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