S. Wölfel: Weiße Ware zwischen Ökologie und Ökonomie

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Titel
Weiße Ware zwischen Ökologie und Ökonomie. Umweltfreundliche Produktentwicklung für den Haushalt in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR


Autor(en)
Wölfel, Sylvia
Reihe
Hochschulschriften zur Nachhaltigkeit
Erschienen
München 2016: Oekom Verlag
Anzahl Seiten
353 S.
Preis
€ 34,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Silke Fengler, Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Marburg

Wer von uns Leserinnen und Lesern erinnert sich noch an stromfressende Kühlschränke und Waschmaschinen, die für eine Ladung Wäsche den Tagesverbrauch an Wasser eines ganzen äthiopischen Dorfes benötigten? Heute gehen Verbraucher wie selbstverständlich davon aus, dass Kühlgeräte frei von dem ozonschichtschädigenden Gas FCKW sind. Haushaltsgroßgeräte werden nach deren Energieeffizienz beurteilt und manch ein konsumkritischer Bürger beruhigt sein schlechtes Gewissen, „schon wieder“ eine neue Waschmaschine gekauft zu haben, damit, dass das alte Gerät problemlos recycelt werden kann. Deutsche Hausgerätehersteller taten sich indes lange schwer, den seit den 1970er-Jahren immer lauter werdenden Ruf nach umweltfreundlichen Geräten zu erhören und entsprechende Produkte anzubieten.

Die Berliner Technikhistorikerin Sylvia Wölfel hat den dornigen Weg der Branche hin zu verbrauchsärmeren, recyclingfähigen Massenprodukten untersucht. Sie tut dies anhand eines Vergleichs der westdeutschen Unternehmen AEG Hausgeräte AG bzw. GmbH und der Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH (BSHG) sowie der ostdeutschen VEB dkk Scharfenstein (Haushaltskältegeräte, Kältemittelverdichter) und VEB Waschgerätewerk Schwarzenberg. In ihrer Monographie, die 2014 als Dissertation an der TU Dresden angenommen wurde, geht sie der Frage nach, wie sich Neubewertungen des Verhältnisses von Mensch und Umwelt seit den frühen 1970er-Jahren bis zur Jahrtausendwende in veränderten Produktentwicklungsstrategien der Haushaltsgroßgeräteindustrie niederschlugen. Ingenieure stehen als zentrale Akteure im Mittelpunkt der Untersuchung, sie nimmt aber auch die Stiftung Warentest oder Greenpeace in den Blick, die zwischen Produzenten und Konsumenten vermittelten. Um es gleich zu sagen: Waschmaschinen und Kühlschränke aus west- und ostdeutscher Produktion konnten lange Zeit nicht als Umweltschutztechnik gelten, auch wenn die Geräteindustrie dies selbst gern behauptete.

Sylvia Wölfels Untersuchung liegen mehrere Hypothesen zugrunde, die in der Studie geprüft werden. Anhand des deutsch-deutschen Vergleichs soll der angenommene system- und länderspezifische Übergangszeitraum „nach dem Boom“ beleuchtet werden, der in drei große Entwicklungsphasen eingeteilt wird. Mit der ersten Phase wird die Zeit der Verunsicherung der Produktentwickler ob der Forderungen einer umweltbewegten Öffentlichkeit und Politik während der 1970er-Jahre in den Blick genommen. In der zweiten Phase, die im Wesentlichen die 1980er-Jahre umfasst, erfolgte die aktive Suche nach neuen Produktentwicklungslösungen bei gleichzeitiger Abwehr politischer Regulierungsmaßnahmen. In der dritten Phase während der 1990er-Jahre fand schließlich eine konsensorientierte Entwicklung sparsamerer und effizienterer Hausgeräte statt.

Die Gerätehersteller in BRD und DDR werden als asymmetrisch miteinander verflochten interpretiert. Wölfel geht davon aus, dass insbesondere die ostdeutschen Produktentwickler sich an ihren westdeutschen Kollegen orientierten, zumindest wenn es die Ebene des Sprechens über Technikentwicklung betraf. Damit einher geht die Annahme, dass kulturell geprägte Wertvorstellungen deutscher Ingenieure trotz gravierender politischer und wirtschaftlicher Systemveränderungen stabil blieben, unter anderem auch in Abgrenzung von der US-amerikanischen Technikentwicklung. Eine weitere Hypothese lautet, dass im Untersuchungszeitraum ein schrittweiser Übergang von eher linear gedachten Produktentwicklungsstrategien hin zu Kreislaufmodellen stattfand. Diese bezogen die Wiederverwertung konsequent in den Planungsprozess neuer Geräte mit ein. Der aus den Wirtschaftswissenschaften bekannte Produktlebenszyklus dient als Analyseinstrument, um produktbezogene Einflüsse aus der Gesellschaft zu analysieren und zu bewerten. Sylvia Wölfel konzentriert sich auf die Produktentwicklungsphase, die sie als entscheidenden Knotenpunkt versteht, in dem kulturell geprägte Überzeugungen, Deutungsmuster und Handlungsroutinen der beteiligten Akteure verhandelt werden.

Sie entfaltet ihre Argumente in vier chronologisch geordneten Kapiteln. In zwei Exkursen flicht sie Zukunftsvisionen der Haushaltsgroßgeräteindustrie aus den späten 1960er- und späten 1980er-Jahren in die Analyse ein. Am Beginn stehen Erläuterungen des methodischen Vorgehens und eine ausführliche Einordnung der Studie in den technik-, umwelt- und wirtschaftsgeschichtlichen Diskurs. Das nachfolgende Kapitel „Expansion und Stagnation“ behandelt die Produktentwicklungen west- und ostdeutscher Hersteller von den 1950er-Jahren bis zur Mitte der 1970er-Jahre. Elektrische Kühlschränke und Waschmaschinen waren anfangs Luxusgüter, die sich nur wenige Haushalte leisten konnten. Die 1960er-Jahre waren dies- und jenseits der Mauer von der Entwicklung hin zum Massenmarkt und zu ständig steigenden und sich ausdifferenzierenden Bedürfnissen der Verbraucher gekennzeichnet. Schon zu Beginn der 1970er-Jahre zeigten sich erste Sättigungstendenzen, welche die Anbieter in Ost und West zur vermehrten Anpassung an Kundenwünsche zwangen. In der Bundesrepublik waren im Gegensatz zur DDR viele Akteursgruppen an der Aushandlung von Umweltkonflikten rund um Haushaltsgroßgeräte beteiligt, die sich öffentlich zu Wort meldeten. Die eigentliche Herausforderung durch den umweltpolitischen Diskurs ereilte die Hersteller aber in den späten 1970er-Jahren. Im Kapitel „Reduktion? Hausgeräte im Umweltdiskurs der 1970er bis 1990er Jahre“ beleuchtet Sylvia Wölfel die Rolle, die der Umweltschutzgedanke im Entwicklungsprozess von Kühlschränken und Waschmaschinen in Ost und West spielte. Umweltpolitische Vorgaben führten anfangs weder in der DDR noch in der Bundesrepublik dazu, dass die Hersteller verbrauchsärmere Geräte konzipierten. Dies geschah erst zum Ende der 1980er-Jahre, als die Entsorgung von Altgeräten in den Fokus der Produktentwickler geriet. Das Leitbild umweltfreundlicher Hausgeräte setzte sich in den 1990er-Jahren endgültig durch. Dabei mutet es fast tragisch an, dass die FORON Hausgeräte Vertriebs GmbH, die 1991 aus einem Zusammenschluss der dkk Scharfenstein und des Waschgerätewerks Schwarzenberg hervorgegangen war, ihren zu DDR-Zeiten entwickelten FCKW-freien Kühlschrankprototyp auf dem hart umkämpften gesamtdeutschen Markt nicht in einen Geschäftserfolg ummünzen konnte. Das Unternehmen wurde 1992 nach einer gescheiterten Übernahme durch die BSHG abgewickelt.

Das Fallbeispiel der Haushaltsgroßgerätehersteller bestätigt einige bekannte Strukturmerkmale der asymmetrisch verflochtenen deutsch-deutschen Industriestruktur. Die Ankündigung Wölfels, außenwirtschaftliche Aspekte nicht in die Analyse mit einzubeziehen, verwirrt zunächst. Allerdings kommt die außenwirtschaftliche Perspektive spätestens bei der Untersuchung der 1990er-Jahre ins Bild, wenn nämlich die Anpassungsleistungen deutscher Anbieter an die massiv zunehmende Globalisierung diskutiert werden. Doch auch schon davor sind die mannigfachen Verflechtungen west- und ostdeutscher Hersteller mit den Exportmärkten und damit einhergehenden Handlungszwängen ein großes Thema. So wird einmal mehr deutlich, in welchem Ausmaß die DDR durch den Export von No-name-Produkten in das nicht-sozialistische Ausland ihre Devisenbilanz zu verbessern suchte. Der Exportdruck war in der Haushaltsgroßgeräteindustrie wie in vielen anderen Branchen mitbestimmend für die (insgesamt nachhinkende) Innovationstätigkeit ostdeutscher Hersteller.

Auch die Abwicklung von Kombinaten und Betrieben in den frühen 1990er-Jahren ist für viele Industriezweige beschrieben worden. Der Entwicklungsrückstand bei der Integration mikroelektronischer Baugruppen traf nicht nur auf Kühlschränke und Waschmaschinen zu, sondern auch auf viele andere Gebrauchsgüter aus DDR-Produktion. Dabei war der kontinuierliche Vergleich mit dem westlich konnotierten „Weltmaßstab“ in den Entwicklungsabteilungen ostdeutscher Industriebetriebe weit verbreitet. Gleiches gilt für das Selbstbild deutscher Ingenieure dies- und jenseits der Mauer, „echte Wertarbeit“ zu leisten. Dieses Selbstbild, gepaart mit einer gewissen Geringschätzung ausländischer Ingenieurstätigkeit, trug insbesondere in der DDR nicht eben dazu bei, die politisch verordnete Entwicklungszusammenarbeit mit dem befreundeten sozialistischen Ausland im Rahmen des RGW zu erleichtern. Während viele ältere Branchenstudien Wissenstransferprozesse zwischen west- und ostdeutschen technischen Experten aber vornehmlich für die Zeit vor 1989 untersuchen, liefert Sylvia Wölfels Studie neue Erkenntnisse bezüglich umweltrelevanten Wissens für die Transformationsperiode von 1989 bis Mitte der 1990er-Jahre. Sie betritt dort Neuland, wo es um die Wechselwirkungen von wachsendem gesellschaftlichem Umweltbewusstsein, internationalen und nationalen politischen Regelungsversuchen und betrieblicher Produktentwicklung geht. Das Beispiel des von Greenpeace promoteten FCKW-freien FORON-Kühlschranks macht deutlich, wie umweltpolitische Intermediäre ihren Einfluss auf innovative Wasch- oder Kühlgeräteentwicklungen auszuüben vermochten.

Die akribisch recherchierte quellengesättigte Darstellung wird dem selbst formulierten Anspruch Sylvia Wölfels, die „steigende Komplexität von Produktentwicklungsprozessen seit den 1970er Jahren“ abzubilden (S. 29), durchaus gerecht. Sie verlangt der Leserschaft allerdings einiges an Aufmerksamkeit ab, um angesichts der Vielzahl von technischen, wirtschaftlichen und sonstigen Detailinformationen den roten Faden nicht aus den Augen zu verlieren. Wer sich für einen fundierten Einblick in die Handlungslogik deutsch-deutscher Industrieproduktentwicklungen und umweltpolitische Diskurse rund um die Haushaltsgroßgerätetechnik interessiert, wird bei der Lektüre von Sylvia Wölfels Buch auf seine Kosten kommen.

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