F. U. Mäuer: Zu Gast in Deutschland

Cover
Titel
Zu Gast in Deutschland. Staatsbesuche in der Weimarer Republik und im Dritten Reich


Autor(en)
Mäuer, Frank Uwe
Reihe
Schriften zur Kulturgeschichte 38
Erschienen
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 96,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norman Domeier, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien

Wer kann, ganz ehrlich, den jüngsten Staatsbesuch in Deutschland benennen: Welcher asiatische Präsident, afrikanische Herrscher oder arabische Emir wurde zuletzt im Schloss Bellevue mit oder ohne militärische Ehren empfangen? Formale Staatsbesuche sind heute etwas Inflationäres, die Medien berichten meist nur pflichtschuldig mit ein paar bunten Bildern. Im gegenwärtigen kollektiven Gedächtnis in Deutschland ist vermutlich nur 1991 der Besuch von Königin Beatrix der Niederlande, alias Hape Kerkeling, haften geblieben.

Diese Zuspitzung soll auf einen wichtigen kulturhistorischen Aspekt von Staatsbesuchen verweisen: ihren Konjunkturen. Herrschertreffen fanden in Mittelalter und früher Neuzeit häufig statt. Auch im langen 19. Jahrhundert war dies üblich, wie Johannes Paulmann in seiner einschlägigen Studie zu Monarchenbegegnungen gezeigt hat.

Frank Uwe Mäuer beschäftigt sich in seiner 2014 in Münster angenommenen Doktorarbeit mit den nur fünf Staatsbesuchen in Weimarer Republik und Drittem Reich, einer Zeit, die in der longue durée geradezu durch ein Versiegen von Staatsbesuchen gekennzeichnet ist, bevor sich in Bundesrepublik und DDR der heute bekannte Tagesbetrieb etablierte. Konzeptionell nimmt Mäuer folgerichtig eine Bedingtheit durch die jeweilige Epoche an: Ein Staatsbesuch fällt nie vom Himmel, er läuft auch nicht stets nach uralten, überkommenen Ritualen ab, sondern wird, in Anlehnung an gewisse historische Muster, immer wieder neu konstruiert und ausgehandelt. Zudem gelingt kaum ein Staatsbesuch so, wie es der Regieplan vorsieht.

Bereits bei der Definition ist Pragmatismus angezeigt, denn eigentlich ist ein Staatsbesuch nur der Besuch eines Staatsoberhauptes in einem anderen Land auf Einladung des dortigen Staatsoberhauptes. Nach einer so engen Definition wäre der Besuch Benito Mussolinis in Deutschland 1937 gar kein Staatsbesuch gewesen. Tatsächlich aber stellte er alle bisherigen Staatsbesuche in Deutschland in den Schatten, wie Staatssekretär Otto Meissner urteilte. Wer hätte es besser einschätzen können als dieser Diener vieler Herren?

Am 21. Februar 1928 kam mit dem afghanischen König Aman Ullah, um es diplomatisch zu sagen, nicht das bedeutendste Staatsoberhaupt der damaligen Welt zum ersten Staatsbesuch der Weimarer Republik. Vorausgegangen waren diesem Ereignis jahrelange Versuche des ägyptischen Königs Fuad, einen Staatsbesuch in Berlin zu unternehmen. Auch er durfte schließlich im Juni 1929 seinen offiziellen Besuch abstatten. Beachtlich ist, auch Mäuer bleibt hier eine Antwort schuldig, warum die Weimarer Republik auf diesem im Kaiserreich so wichtigen Feld der Politik gar nicht erst versuchte, die Niederlage des Ersten Weltkrieges symbol- aber auch realpolitisch zu revidieren. Im Auswärtigen Amt herrschte in den 1920er-Jahren eine so gewaltige wie erklärungsbedürftige Unlust, sich mit Staatsbesuchen abzugeben. Noch im März 1929 schrieb man von dort an den Reichskanzler, diese seien ohnehin „heute nur noch sehr wenig gebräuchlich“. Überdies sei man auf sie in der Reichshauptstadt „gar nicht eingerichtet, insbesondere z.B. wegen der Unterkunftsmöglichkeit“ (S. 30).

Alle logistischen und organisatorischen Bemühungen der Folgejahre hat Mäuer solide, vor allem anhand der Akten des Bundesarchivs und des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes rekonstruiert: Von den Überlegungen, ausländische Machthaber im Hotel Adlon oder bei abgehalfterten Hohenzollernfürsten unterzubringen bis zur Herrichtung des Schlosses Bellevue als Gästehaus der Reichsregierung in NS-Deutschland.

Nur die diskursive Seite, die Aushandlung der Bedeutung der wenigen Staatsbesuche von der späten Weimarer Republik bis 1939 in der deutschen wie internationalen Öffentlichkeit, erreicht in der Arbeit leider keine analytische Tiefe. Einerseits mag dies mit der geringen Anzahl an Staatsbesuchen im Untersuchungszeitraum zu tun haben. Zu den Reisen der beiden orientalischen Potentaten 1928 und 1929 kamen im Dritten Reich nur die Besuche des italienischen Diktators Benito Mussolini vom 25.–29. September 1937, des ungarischen Reichsverwesers Horthy vom 21.–28. August 1938 sowie des Prinzregenten Paul von Jugoslawien vom 1.–5. Juni 1939 hinzu. Hitler traf sich laut Mäuer (S. 12) zwar gut 20 Mal mit ausländischen Regierungs- und Staatschefs, doch waren dies kurze Arbeitsgespräche, Privatbesuche oder Durchreisen ohne Pomp and Circumstance. Horthy etwa war bereits am 22. August 1936 zu Gast auf dem Obersalzberg gewesen. Andererseits fehlt es der Arbeit an Inspiration: Thesen sind nirgendwo zu finden. Auch eine Anbindung an jüngere Forschungen zur Kulturgeschichte der Politik fehlt. Nur zur recht alten Forschungsfrage ‚NS-Polykratie/schwacher oder starker Diktator‘ bezieht Mäuer kurz Stellung und unterstützt etwas zu beflissen, da ohne weitere Begründung und ohne eigene Auseinandersetzung mit anderen Perspektiven, die Deutung Hans-Ulrich Wehlers.

Man merkt der Studie an, dass sie aus einer Magisterarbeit mit dem Schwerpunkt auf den Staatsbesuchen im Nationalsozialismus hervorgegangen ist und dann ausgebaut wurde. Der Teil zur Weimarer Republik ist stiefmütterlich geraten, aber auch die „Anbauten“ zum Dritten Reich erscheinen lustlos. Doch selbst zu den politisch irrelevantesten Staatsbesuchen werden mitunter gesellschaftlich bedeutsame Debatten geführt, die von Mäuer, der vorwiegend die Organisations- und Logistikgeschichte im Blick hat, nur angerissen werden. Eine politische Kulturgeschichte hätte beispielsweise nicht allein die schier verzweifelte Suche nach einer angemessenen Unterkunft für König Aman Ullah verfolgt, sondern auch die Diskussionen und Konflikte in der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit ausgewertet, die sein Besuch auslöste, etwa um das Verhältnis der deutschen Nachkriegsgesellschaft zu Militär und Aufrüstung (Militärparaden und Militärmanöver wurden abgehalten) oder zum eigenen Staatsoberhaupt, dem zunehmend autokratischer agierenden Paul von Hindenburg (das Abspielen der „Wacht am Rhein“ wurde aus Sorge vor der Reaktion Frankreichs noch einmal fallengelassen). Sogar das generelle Selbstverständnis der Republik stand zur Debatte, wie diese aufschlussreiche, aber nicht weiter verfolgte Pressestimme der „Berliner Nachtausgabe“ vom 25. Februar 1928 zeigt: „Alles war schön, aber eigenartig, ungewohnt. Die Republik gibt große Gesellschaften, und man geht hin, als wollte man die Fähigkeiten einer jungen Hausfrau prüfen“ (S. 81).

Die schönsten Stellen der Arbeit sind die Schilderungen über das Misslingen von Orga und Regieplan, da hier einmal die Quellen-Ebene des bürokratisch Gewünschten und aktenmäßig Angeordneten verlassen wird. Etwa die Presseschilderungen über den verpatzten Auftritt des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm beim Besuch des afghanischen Königs 1928, der ohne Einladung mit seinem riesigen knallroten Mercedes in der Menschenmenge unter dem Brandenburger Tor steckenblieb und neben „Hurras“ auch „Buh“-Rufe erntete. Nicht nur bizarr, sondern auch auf die Grenzen totalitärer Regiekunst verweisend, ist die Szene, in der Hitler mit einer Stoppuhr nachprüfte, wie lange das Warmwasser benötigte, um in die Badewanne des Duce im ehemaligen Reichspräsidentenpalais zu fließen. Nach einem Unwetter bei der durchchoreographierten Massenkundgebung mit Ansprache Mussolinis auf dem Berliner Maifeld am 28. September 1937 vor rund 700.000 Menschen sah dieser sich völlig durchnässt gezwungen, für ein heißes Bad von seinem frisch renovierten Quartier ins nahgelegene Hotel Adlon zu gehen (S. 198–199).

Der Vorfall erinnert auch daran, beim Thema Staatsbesuch das Reziproke als ein Grundprinzip von Außenpolitik und Diplomatie zu untersuchen, weshalb ein Vergleich von Besuch und Gegenbesuch (Hitler in Italien im Mai 1938) aufschlussreich wäre, da sich hier ähnliche Episoden abgespielt haben, die den Regieplan über den Haufen warfen.

Schade ist vor allem, dass die zentrale Rolle und Funktion der Presse nur angeschnitten wird. Zwar ist sie als Quelle wichtig, auch ausländische Zeitungen werden im Original zitiert (allerdings oft mit Tipp- bzw. Übertragungsfehlern aus der digitalen Vorlage, etwa bei dem Times-Zitat auf S. 154). Nur kommen weder Akteursqualität noch Deutungshoheit der internationalen Medien, jenseits der gleichgeschalteten faschistischen Journalisten, bei den Staatsbesuchen zum Ausdruck. Ohne selbständig agierende Journalisten und mediale Dynamiken aber war seit dem 19. Jahrhundert ein Staatsbesuch gar nicht mehr vorstellbar und machbar, worauf auch die Planungen der staatlichen Stellen immer wieder verweisen. Mäuer hat einen kurzen Abschnitt „Mediale Vermittlung der Staatsbesuche“ (S. 241–251) ganz am Ende der Studie eingefügt. Diese hätte jedoch der rote Faden durch die gesamte Studie sein müssen. Dadurch kann auch die erst im Fazit versuchte Abgrenzung eines „normalen“ Staatsbesuches von „politischen“ Treffen, etwa den dramatischen Reisen Neville Chamberlains nach Deutschland im September 1938 (Berchtesgaden und Bad Godesberg), nicht mehr greifen. Zwar hatte das NS-Regime in der Tat kein Interesse, die ungewöhnlich direkten außenpolitischen Interventionen des britischen Premierministers theatralisch als Staatsbesuch „aufzuziehen“. Doch allen propagandistischen Tiefstapeleien zum Trotz, unter anderem um das Charisma Hitlers zu schützen, waren diese Überraschungsbesuche gewaltige transnationale Medienereignisse, die sich der Kontrolle des NS-Regimes entzogen und die angesichts der Kriegsgefahr Europa den Atem anhalten ließen. Gegenüber solchen politisch-medialen Ereignissen ersten Grades verblasst die Bedeutung jedes von langer Hand vorbereiteten Staatsbesuches, zu dessen Definition auch die Prinzipien des schönen Scheins und der Bella Figura gezählt werden sollten.