B. Braun u.a. (Hrsg.): Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit

Cover
Titel
Nur die Frau des Kaisers?. Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit


Herausgeber
Braun, Bettina; Keller, Katrin; Schnettger, Matthias
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 64
Erschienen
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nadir Weber, Universität Konstanz

Der auf eine im März 2014 in Wien durchgeführte Tagung zurückgehende Band erschien punktgenau zum 300. Geburtstag der bei weitem bekanntesten frühneuzeitlichen Kaiserin, so könnte man meinen. Freilich ist im Vorwort von Maria Theresia nicht die Rede, der Index weist nur sporadische Nennungen aus, und die titelgebende Frage wird kaum auf sie gemünzt sein: „Nur“ die Frau von Franz I. Stephan war die große Herrscherin, die aus eigenem Recht unter anderem als Erzherzogin von Österreich, „König“ von Ungarn und Königin von Böhmen regierte, ja nun ganz bestimmt nicht. Auch ziert nicht ein Porträt von Maria Theresia das Titelbild des Bandes, sondern ein Kupferstich, der 1666 anlässlich der Vermählung von Kaiser Leopold I. mit der spanischen Infantin Margarita Teresa entstand. Nicht der Magie runder Jahreszahlen, sondern primär der Eigenlogik wissenschaftlicher Diskurse ist das Erscheinen des zu besprechenden Reihenbandes also geschuldet.

Mit Blick auf die Namen von Kaiserinnen, denen die einzelnen, chronologisch angeordneten Beiträge des Bandes gewidmet sind, erhält die Titelfrage ihren – wiewohl eher rhetorischen – Doppelsinn: Erstaunlich wenig wissen wir über die Position der Kaiserin in der Frühen Neuzeit und das Leben der einzelnen Exponentinnen. Im Vergleich zu Herrscherinnen wie Maria Tudor, Elizabeth I. und Katharina der Großen oder von den eingeheirateten französischen Königinnen Maria de’ Medici, Anne d’Autriche und Marie Antoinette sind etwa Eleonora Gonzaga die Ältere und die Jüngere, Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg oder Amalia Wilhelmina von Braunschweig-Lüneburg über einen engen Kreis von Dynastieexperten hinaus kaum bekannt.

Einige Besonderheiten der Reichsverfassung mögen mit zu dieser fehlenden Präsenz im Allgemeinen, auf einem engen Politikverständnis aufbauenden Geschichtsbewusstsein beigetragen haben. So wurde die Kaiserwürde bekanntlich nach dem Wahlprinzip vergeben, was erbdynastische Ansprüche von Frauen bei einem Fehlen männlicher Nachkommen ausschloss. Damit zusammen hing die Tatsache, dass die Witwen von verstorbenen Kaisern von einer Regentschaft ausgeschlossen waren; während der Interregna übten Reichsvikare diese Funktion aus. Die Kaiserin beziehe ihre zeremonielle und rechtliche Stellung, so der in Zedlers „Universal-Lexicon“ zusammengefasste Tenor des frühneuzeitlichen Reichsrechts, ausschließlich aus ihrer Eheschließung und der Majestät ihres Gemahls (S. 12).

Diese Spezifika machen die Vernachlässigung der Kaiserinnen bis in die neuste Forschung hinein aber nicht unbedingt verständlicher. Denn dass auch Fürstengattinnen ohne formale Herrschaftsrechte zentrale Akteure in der höfischen Politik und Diplomatie waren, hat die internationale Forschung in den letzten Jahren deutlich aufgezeigt, wie Katrin Keller in ihrem souveränen Forschungsüberblick darlegt. Sie waren entscheidend an der Erziehung und Ehestiftung des dynastischen Nachwuchses beteiligt, agierten als Vermittlerinnen von fürstlichen Gunsterweisen, gestalteten über ihren eigenen Hofstaat und die Beziehungen zur Herkunftsfamilie Netzwerke am Hof und darüber hinaus, waren über ihre öffentlich inszenierten Rollen als Ehefrau und Mutter sowie ihre religiösen Aktivitäten ein wesentliches Element der Repräsentation dynastischer Herrschaft und agierten oftmals als politische Ratgeberinnen ihrer Gatten oder Söhne (S. 22). Der Hinweis auf diese Handlungsfelder wurde in Form eines Fragerasters auch vorgängig an die Autorinnen und Autoren der Beiträge weitergegeben, was dem Band eine ausgesprochene Kohärenz verleiht.

Nicht ganz überraschend, aber eben empirisch fundiert kommen letztlich alle Beiträge zu dem Schluss, dass auch die Kaiserinnen zentrale politische Akteure am und über den Hof hinaus waren, mithin also deutlich mehr als „nur“ die Frau des Kaisers und gegebenenfalls die Mutter von dessen Nachfolger. In der Regel entweder der spanischen Linie der Habsburger oder einer – im Vergleich zum Haus Österreich minderrangigen – Dynastie aus dem Reich oder Italien entstammend, agierten sie unter anderem als diplomatische Vermittlerinnen zu ihrem Herkunftsort, waren aktiv in der Ämterpatronage, traten als Stifterinnen von Damenorden in Erscheinung und übten Herrschaftsrechte in ererbten Territorien oder als Regentinnen in der zusammengesetzten Monarchie aus. Im Vergleich zum dynastischen Rivalen in Frankreich waren die ehelichen Beziehungen zwischen Kaiser und Kaiserin kaum von Zerwürfnissen geprägt, was das Auftreten als „Arbeitspaar“ in funktionaler Weise erleichterte und zusätzliche dynastische Legitimität für die formal nicht nach dem Prinzip der Erbfolge vergebene Würde stiftete.

Einen interessanten Zugang zur Rolle der Kaiserinnen im Rahmen der Reichsverfassung eröffnet die in fast allen Beiträgen thematisierte Frage nach ihrer Krönung. Im Spätmittelalter war die Führung kaiserlicher Titel an die gleichzeitig oder unmittelbar nach dem Gemahl vollzogene Krönung zur imperatrix in Rom gebunden. Wer dies wie noch die zweite Ehefrau Maximilians I., Bianca Maria Sforza, verpasste (sie weilte 1508 mit ihrem ganzen Hofstaat als „Pfand“ des verschuldeten Königs in der Stadt Konstanz), hatte die bisherigen geringeren Titel fortzuführen. Im 16. Jahrhundert verschwand zusammen mit den Romzügen auch die rechtliche Bindung des Kaiserinnenstatus an die Krönungszeremonie. Dennoch wurden ab 1612 in neuer zeremonieller Form wieder Kaiserinnenkrönungen durchgeführt; insgesamt deren sechs im 17. und 18. Jahrhundert, teils Jahre nach jener des Kaisers: Die Kaiserinnenkrönung war nun zu einem variabel einsetzbaren Mittel zur symbolischen Stärkung des Kaisertums geworden, auch und gerade in krisenhaften Zeiten, wie etwa die nachträglichen Krönungen von Eleonora Gonzaga der Älteren zur Königin von Ungarn (1622), Königin von Böhmen (1627) und schließlich zur Kaiserin (1630) zeigen.

Der komplementäre Charakter dynastischer Herrschaft, bei der verschiedene Familienmitglieder je spezifische, sich ergänzende, teils überlagernde und konkurrierende, aber oft auch Leerstellen bei „inkompletten“ Herrschern ausfüllende Rollen ausübten, kommt damit deutlich zum Tragen. Dem durch einen zusammenfassenden Kommentar von Barbara Stollberg-Rilinger abgerundeten Band kommt das Verdienst zu, endlich einen systematischen Überblick über die Position der Kaiserinnen am Kaiserhof und im Reich zu liefern. Wenngleich bei weitem nicht alle Kaiserinnen abgehandelt werden, kann man ihn durchaus als Handbuch begreifen, das bisher verstreute Informationen bündelt und um neue Ergebnisse aus Quellenstudien ergänzt. Als Basis für künftige Forschungen wird er daher von großem Nutzen sein. Die eine oder andere Inkohärenz – zu nennen ist hier insbesondere der Beitrag zu österreichischen Erzherzoginnen als Königinnen am spanischen Hof, der für sich interessant ist, aber ein anderes Kapitel öffnet – fällt dabei kaum negativ ins Gewicht.

Bewusst von der Leitlinie des Bandes weicht auf originelle Weise die Mitherausgeberin Bettina Braun ab: Sie stellt in ihrem Beitrag zu Maria Theresia mit gutem Recht auch und vor allem die Frage nach den Handlungsspielräumen des Kaisers. Wenn die zugeheirateten Kaiserinnen nicht bloß ein zur Reproduktion und Repräsentation benötigtes Anhängsel waren, so gilt dies auch für Franz Stephan von Lothringen, der mit der Heirat seine dynastische Identität weitgehend aufgab und an den Wiener Hof zog, von wo aus seine Gemahlin ab 1740 – fünf Jahre vor seiner Wahl zum Kaiser – aus eigenem Recht über die habsburgischen Erbkönigreiche und -länder herrschte. Der Beitrag zeigt erstaunliche Forschungslücken auf und kommt mit seinem Parcours durch Repräsentationspolitik, Militärwesen, Diplomatie und Herrschaftspraxis zu dem Schluss, dass Maria Theresia und Franz Stephan bis zu dessen Tod 1765 ein „Amtspaar par excellence“ (S. 212) bildeten. So trägt der gelungene Band schließlich doch noch etwas zu einem kompletteren Bild einer Ausnahmefigur bei, der die im Jubiläumsjahr bisweilen zu beobachtende Stilisierung zur allein auf sich gestellten „Powerfrau“ letztlich auch nicht wirklich gerecht wird.

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