B. Shadle: The Souls of White Folk

Cover
Titel
The Souls of White Folk. White Settlers in Kenya, 1900s–1920s


Autor(en)
Shadle, Brett L.
Reihe
Studies in Imperialism
Erschienen
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 87,94
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norman Aselmeyer, European University Institute, Florenz

Die Geschichte von Siedlern und Siedlungen, von „Britishness“ und „British Worlds“ in Kenia war lange Zeit eine Domäne von Nostalgikern – ehemaligen Siedlern oder untröstlichen Anhängern des abhandengekommenen Empires.1 Die Erzählungen dieser Memoirenliteratur formten das Bild des kolonialen Kenias und seiner weißen Besiedlung und tun dies mithilfe ihrer populärsten Titel und deren Verfilmungen bis heute: Das rauschhafte Leben britischer Adeliger im Happy Valley beispielsweise verschaffte Kenia den Ruf der „fun colony“ und verengte damit nicht nur die komplexe und oft widersprüchliche Geschichte der weißen Siedler und Siedlerinnen, sondern blendete zudem die lokalen Bevölkerungen und ihre Rolle im kolonialen Beziehungsgeflecht aus. In den letzten zehn Jahren haben eine ganze Reihe von Arbeiten das Feld des Siedlerkolonialismus erheblich erweitert. Lorenzo Veracini und andere haben dafür plädiert, Siedlerkolonialismus und Kolonialismus analytisch voneinander zu trennen und beides in ihrem dialektischen Verhältnis zu verstehen.2 Das Forschungsfeld, das sich im Zuge dieser neuen Studien, Handbücher und Zeitschriften etablieren konnte, hat bisher allerdings nur in begrenztem Umfang auf die Siedlergeschichte Kenias ausgestrahlt.3

Umso mehr ist zu begrüßen, dass der in den Vereinigten Staaten lehrende Brett Shadle mit seiner Studie „The Souls of White Folk“ eine neue Untersuchung zur Frühgeschichte (1902–1928) der weißen Siedlungsbevölkerung in Kenia vorgelegt hat. Darin unternimmt er den Versuch, dem Alltag der Siedlerinnen und Siedler sowie ihrer Weltanschauung näherzukommen. Shadle operiert dabei nicht mit monolithischen oder determinierten Narrativen. Wo Vergleichsarbeiten der New Imperial History gewöhnlich aufhören, setzt er an: Rassismus und Sexismus sind Ausgangspunkt seiner Fragen, nicht deren Ergebnisse. Er nimmt die Vorstellungswelt, Überzeugungen und Sorgen der siedelnden Menschen ernst, fragt nach deren Ursprüngen und untersucht die Auswirkungen ihrer Glaubenssätze auf das Alltagshandeln. Sein Augenmerk liegt dabei auf der kollektiven Panik, die Kenias Siedlergesellschaft erfasste, auf der Angst vor einem möglichen Aufstand der lokalen Bevölkerung und vor vermeintlichen sexuellen Übergriffen afrikanischer Männer. Forschungen hat Shadle dafür in Kenia und Großbritannien betrieben und als Quellen Selbstzeugnisse, Zeitungen, Regierungsberichte und Gerichtsprotokolle herangezogen.

In vier Kapiteln zeigt Shadle, wie miteinander verbundene Glaubenssätze die Siedlerseele antrieben. Das erste davon, überschrieben mit „Race, Civilization, and Paternalism“, geht dem Selbstverständnis weißer Siedler und Siedlerinnen in Kenia nach. Demzufolge war die zentrale Trennlinie im kolonialen Kenia die Rasse. Diese war Ausweis des Zivilisationsgrads und damit ausschlaggebend für die gesellschaftliche Stratifikation. Zivilisation wurde von den Siedlergruppen mit (einem zusätzlich noch hierarchisch segmentierten) Weißsein gleichgesetzt. Hintergrund dieser Überzeugung waren insbesondere sozialdarwinistische Lehren des 19. Jahrhunderts. Um die lokale Bevölkerung zu zivilisieren, so die Überzeugung der Siedlungsbevölkerung, müsste ihr der Wert harter Arbeit vermittelt werden, vorzugsweise auf den Farmen weißer Eigentümer. Die Konsequenz war, so Shadle, ein „paternalistischer Autoritarismus“ gegenüber der jeweils lokalen Bevölkerung, der im Kontrast zum Treuhänderprinzip stand, dem sich die Kolonialverwaltung verpflichtet glaubte.

Das folgende Kapitel „Prestige, Whiteness, and the State“ handelt von der diskursiven Grundlage kolonialer Herrschaft. Diese, so argumentiert Shadle, bestand für Siedler und Siedlerinnen im Prestige ihrer Hautfarbe. Prestige war nicht zementiert, sondern musste täglich aufs Neue bekräftigt werden. Bedroht war es sowohl durch die lokale Bevölkerung, die beispielsweise die koloniale Hierarchie infrage stellte, als auch durch Siedlerinnen und Siedler selbst, die durch ihr Verhalten oder Auftreten die Integrität ‚weißer‘ Zivilisation untergruben. Die für heutige Betrachter kuriosen Marotten der Siedlergesellschaft – ihr Kleidungsstil, ihre Hauseinrichtung, ihre Umgangsformen und ihre Rituale – deutet Shadle (indes ohne Verweis auf Erving Goffman) als koloniales Rollenspiel, das der notwendigen Produktion von Prestige diente. In Kenia konkurrierten allerdings zwei verschiedene Arten von weißem Prestige miteinander: das Prestige der Regierung und das Prestige der Siedler.

Die Rolle von Gender und Sexualität verhandelt Shadle im Kapitel „Chivalry, Immorality, and Intimicy“. Geschlechternormen, insbesondere der Umgang mit Frauen, waren nach Vorstellung der weißen Akteure ein entscheidendes Maß für den Zivilisationsgrad einer Gemeinschaft. Männliche Zuvorkommenheit und Fürsorge waren ebenso wichtig wie sexuelle Moral und Diskretion. Dagegen stand das aus Kolonialdiskursen gespeiste Klischee des schwarzen Mannes, der seine Frau als ungleichwertig erachtete. Potentielle Vergewaltigungen weißer Frauen durch afrikanische Männer, eine permanente Sorge der Siedlerinnen und Siedler, wurden als Verlust von Prestige interpretiert: Sie degradierten weiße Frauen zu afrikanischen. Diese vermeintliche Umkehrung der Rassenhierarchie wurde als existentielle Bedrohung der Siedlergesellschaft wahrgenommen. Sie bemühten sich deshalb schon sehr früh, Sexualität zwischen den Rassen zu kriminalisieren, obgleich sexuelle Übergriffe dieser Art eine seltene Ausnahme darstellten.

Unter der Überschrift „The Law and the Lash“ thematisiert Shadle zuletzt Justiz und Gewalt im kolonialen Kenia. Siedler und Siedlerinnen lebten zuweilen im Glauben, dass ihnen der Staat gehöre und sie über dem Gesetz stünden. Das Bekenntnis zur Überlegenheit des britischen Rechtssystems hatte deshalb nur solange Gültigkeit, solange sie selbst nicht in dessen Mühlen gerieten. Recht und Gesetz waren, so die Überzeugung siedelnder Weißer, nicht unabhängig vom eigenen Prestige, weshalb sie eine Rechtsprechung ohne Ansehen der Person ablehnten. Ihre persönliche Vorstellung von Gerechtigkeit setzten sie mittels Selbstjustiz durch. Auf den weißen Farmen in Kenia gehörte Brutalität so zum Alltag. Überhaupt bestand unter den Siedlergruppen das Einvernehmen, dass allein Gewalt der latenten „schwarzen Gefahr“ vorbeuge. Es nahm deshalb kein Wunder, dass zu ihrem Schutz auch das Gesetz auf Gewalt fußen sollte. Befriedet war die Siedlerseele, als 1926 die Todesstrafe für Vergewaltigung eingeführt und 1928 das erste Mal vollstreckt wurde. „Violence“, so Shadle resümierend, „was the lingua franca of colonial Kenya“(S. 126).

John Lonsdale, Cambridge Historiker und Nestor kenianischer Geschichte, hat Kenia wiederholt das Sorgenkind unter Großbritanniens afrikanischen Kolonien genannt.4 Kenia war ein kolonialer Sonderfall, weder klassische Siedlerkolonie nach südafrikanischem Modell noch reine Handelskolonie wie die Länder der Westküste. Welche Konflikte sich aus den gegensätzlichen Vorstellungen ergaben, die Siedler und Siedlerinnen, Kolonialverwaltung und Colonial Office im Umgang mit Land und Leuten hatten, kann Shadle mit seiner Analyse der Siedlerseele deutlich herausarbeiten. In ihrer geradezu hysterischen Sorge um die eigene Stellung waren die Siedlergruppen Kenias „of one soul“(S. 18). Diesen gemeinsamen Denkhorizont tastet Shadle nicht schemenhaft ab, sondern mit feinem Gefühl für die Komplexität und Diversität der Siedlergemeinschaft Kenias. Das Phantom der „schwarzen Gefahr“, dessen ideologisches Gerüst hier nachgezeichnet wurde, ist für Shadle zudem nur ein Aspekt der Siedlermentalität. Er macht plausibel, dass Siedlerinnen und Siedler ihr Prestige von vielen Seiten gefährdet sahen – von Afrikaandern, Indern, Mitsiedlern, Kolonialbeamten, von der Rechtsprechung, dem Staat, von London – und es deshalb permanent durch Gewalt, Demütigung und Selbstdisziplin zu bewahren suchten.

Brett Shadle ist mit „The Souls of White Folk“ ein ausgezeichnetes Buch gelungen. Seine packende Prosa macht es zu einer zugleich klugen und unterhaltenden Lektüre. Nicht immer deutlich wird allerdings, inwieweit sich Kenias Siedlungsbevölkerung von anderen Siedlergemeinschaften unterschied. Eine konkrete Einordnung in die Geschichte des Siedlerkolonialismus und eine stärkere Vergleichsebene hätten die spezifisch kenianische Ausprägung deutlicher herausgestellt. Die wesentlichen Einsichten werden den Lesern und Leserinnen aus anderen Kontexten bereits vertraut sein. Dessen ungeachtet stellt die Arbeit eine überzeugende Fallstudie zur Mentalitätsgeschichte weißer Siedler und Siedlerinnen dar.

Anmerkungen:
1 Siehe für Kenia u.a. Elspeth Huxley, White Man’s Country. Lord Delamere and the Making of Kenya, 2 Bde., London 1935; Karen Blixen, Out of Africa, London 1937; Errol Trzebinski, The Kenya Pioneers, London 1985. Vgl. Will Jackson, White Man’s Country. Kenya Colony and the Making of a Myth, in: Journal of Eastern African Studies 5 (2011), S. 344–368. Zur Rolle von Frauen in der Erinnerungsliteratur von europäischen Siedler/innen in Kenia siehe Patricia M. E. Lorcin, Historicizing Colonial Nostalgia. European Women’s Narratives of Algeria and Kenya, 1900–Present, New York 2012.
2 Lorenzo Veracini, Settler Colonialism. A Theoretical Overview, London 2010. Ebenso überzeugend wie einschlägig: Caroline Elkins / Susan Pedersen, Settler Colonialism. A Concept and Its Uses, in: dies. (Hrsg.), Settler Colonialism in the Twentieth Century. Projects, Practices, Legacies, London 2005, S. 1–23. Zuletzt: Edward Cavanagh / Lorenzo Veracini (Hrsg.), The Routledge Handbook of the History of Settler Colonialism, London 2017.
3 Neuere Arbeiten umfassen u.a. Janet McIntosh, Unsettled. Denial and Belonging Among White Kenyans, Oakland 2016; Will Jackson, Madness and Marginality. The Lives of Kenya’s White Insane, Manchester 2013. Sehr empfehlenswert als Überblick: John Lonsdale, Kenya. Home Country and African Frontier, in: Robert Bickers (Hrsg.), Settlers and Expatriates. Britons over the Seas, Oxford 2010, S. 74–111.
4 Zuletzt ebd., S. 75.