Th. Kolnberger (Hrsg.): August Kohl. Ein Luxemburger Söldner

Titel
August Kohl. Ein Luxemburger Söldner im Indonesien des 19. Jahrhunderts. Kommentierte Edition der Reise- und Lebensbeschreibungen (1859–1865) des Soldaten August Kohl


Herausgeber
Kolnberger, Thomas
Erschienen
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Yvan Staus, Doktorand, Forschungseinheit: "Identités. Politiques, Sociétés, Espaces", Universität Luxemburg. Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Geisteswissenschaften, Kunst und Erziehungswissenschaften.

Selbst kleine europäische Staaten konnten im 19. Jahrhundert einen kolonialen Machtanspruch durchsetzen – so die Niederlande in Niederländisch-Ost-Indien, dem heutigen Indonesien. Die Kolonialgeschichte des Mikrostaates Luxemburg beschränkt sich hingegen auf den Dienst mancher Einwohner in den Kolonialarmeen und -verwaltungen seiner Nachbarländer. Einen Beitrag zur Kolonialgeschichte beider Länder, im 19. Jahrhundert in dynastischer Personalunion verbunden, stellt die Teilautobiographie des luxemburgischen Söldners August Kohl (1834–1921) während den Jahren 1859–1865 in der niederländisch-ostindischen Kolonialarmee (KNIL) dar, die das Centre National de Littérature, Forschungszentrum für luxemburgische Literatur, veröffentlicht hat.

August Kohl ist nur einer von über 176.000 KNIL-Soldaten des langen 19. Jahrhunderts. Die wissenschaftliche Ausgabe seines Lebensberichts stellt einen interessanten Beitrag zur eigentlich gut dokumentierten niederländischen Kolonialgeschichte dar. Biographien von ausländischen Soldaten wurden bisher nur selten veröffentlicht, während die zahlreichen niederländischen Biographien hauptsächlich vom Zweiten Weltkrieg und anschließenden Unabhängigkeitskrieg handeln. Die historisch-kritische Ausgabe des Textes beruht auf einer wiederentdeckten Handschrift, die in einer diplomatischen Transkription wiedergegeben wird.

Der Handwerker August Kohl berichtet in einer direkten, lebendigen Sprache über „Reise, Abendtheueren, u. Soldatenleben“ (S. 13). Tatsächlich liest sich die Biographie wie eine Folge von meist militärischen Abenteuern. Nach missglückter Wirtschaftsmigration nach Paris, verpflichtet sich Kohl in die KNIL. Seine Überfahrt nach Java und sein Dienst in Ostindien führen dabei immer wieder zu lebensgefährlichen Situationen, sei es durch Sturm, Truppenrevolten, lebensbedrohende Krankheiten oder Militärexpeditionen. Der Erzähler überlebt die Gefahren jeweils mittels Glück, Bedachtsamkeit, Einhalten der Regeln oder Schläue. Im Zentrum der Schilderungen stehen die Erlebnisse mit Freunden sowie die Begegnungen der einheimischen Bevölkerung. Besonders die Strafexpeditionen bei Revolten werden im Detail beschrieben, obwohl sie nur einen Bruchteil von Kohls Dienstzeit darstellen. Dahingegen erscheinen das Alltagsleben sowie Naturbeobachtungen nur stellenweise. Bei Kohls Erkrankungen treten immer wieder die Grenzen des damaligen medizinischen Wissens hervor. Seine eigene Akkulturation erwähnt Kohl durch den Gebrauch der malaiischen Sprache und das Eingehen eines Konkubinats. Der Bericht schließt mit Kohls Rückkehr nach Luxemburg.

Begleitet werden Kohls Schilderungen von einem akribisch recherchierten Anmerkungsapparat. Der Historiker Thomas Kolnberger, Herausgeber mehrerer global- und militärhistorischer Schriften,
untersucht kritisch die Detailschilderungen und gibt Erklärungen zu Begriffen, Namen, Flora und Fauna. Nur vereinzelt bleiben unverständliche Bemerkungen Kohls unkommentiert. Passende Farbillustrationen begleiten die jeweiligen Schilderungen. Es handelt sich hierbei um zeitgenössische Fotografien und Zeichnungen, neu erstelltes Kartenmaterial und Abbildungen der genannten Dinge. Ergänzend zu Kohls Bericht geben sie europäisch geprägte Ansichten der Kolonialwelt wieder.

Die zweite Hälfte der Publikation besteht aus vier wissenschaftlichen Beiträgen, in denen Kohls Lebenslauf als spezifisches Fallbeispiel dient. Dass der erste Beitrag (Th. Kolnberger, Einmal Ostindien und zurück. Die Reise- und Lebensbeschreibungen oder die ‚kleine Heldenreise‘ des August Kohl, S. 164–181) aus einer literarischen Interpretation besteht, ist wohl dem Verleger geschuldet. Kolnberger folgt auf unkonventionelle Weise einer Anleitung über Heldenmythen für Drehbuchautoren von Christopher Vogler.1 Obwohl nur ein Idealtypus, identifiziert Kolnberger in der Autobiographie Voglers zwölf Stadien in der Erzählstruktur eines Heldenmythos, sowie eine Verdoppelung der Schlüsselerlebnisse. Dies erlaubt es dem Herausgeber, auf die Dichtung einer literarischen Heldenreise zu verweisen und wie bereits in der Quellenkritik zu einer gewissen Distanz zu manchen Schilderungen zu mahnen. Als Reisebericht für die eigene Familie des Erzählers gedacht, ist laut Kolnberger die Moral der Heldengeschichte die Einsicht, dass es daheim am besten ist.

Für diese literarische Interpretation muss der Herausgeber allerdings historische Deutungen ausblenden, obwohl er dieselbe in einem zweiten Beitrag erwähnt. Um Voglers Schema anwenden zu können, wird zum Beispiel Kohls Verpflichtung in die Kolonialarmee als Schwellenerlebnis stilisiert und nicht dessen ursprüngliche Entscheidung, in Paris auf Arbeitssuche zu gehen. Von einem historischen Blickpunkt wäre hingegen die Kontinuität von ziviler zu militärischer Emigration zu betonen.

Die geschichtswissenschaftliche Diskussion des Textes erfolgt im zweiten Beitrag des Herausgebers (Th. Kolnberger, Luxemburger Söldner in Niederländisch-Indien während des „langen 19. Jahrhunderts“. Ein Quellenbericht und seine statistische Auswertung im kolonialen Kontext, S. 182–217). Dieser stellt Kohls Text zuerst in Bezug zur Quellenlage. Kolnberger konnte eine erste Niederschrift Kohls in der Archivsammlung eines Mitbegründers der Geschichtszeitschrift Ons Hémecht (Unsere Heimat, 1895–1939) ausfindig machen. Kolnberger verzichtet in diesem Zusammenhang aber darauf, auf die Bedeutung der Umstände der Niederschrift bei einer autobiographischen Erzählung einzugehen. Er verweist zwar auf den konstruktiven Charakter des Erinnerns; die Gedächtnis- und Erinnerungstheorien kommen aber zu kurz bei einer Publikation, die insgesamt ein breites Publikum ansprechen will. Kolnbergers eigene Entdeckung verschiebt den Bezugsrahmen des Textes von einer Familienerzählung zu einer historisch inspirierten Quellensammlung, die kaum als neutral zu bewerten ist. Immerhin gab sich Ons Hémecht zum Ziel, zu zeigen, dass Luxemburg große Männer – unter anderem tapfere Kriegshelden – hervorgebracht habe. Die historische Situierung der Autobiographie bleibt demnach noch zu vertiefen.

Schwerpunkte des Artikels sind ein Quellenbericht der eingesehenen Primärquellen und veröffentlichten Zeugnisse, sowie eine statistische Auswertung der Luxemburger Soldaten in Ostindien. Alter, Dienstverlauf, Beförderungen, Kolonialkarriere, Rückkehr sowie Todesrate von über 1.000 Söldnern werden statistisch ausgewertet. Kolnberger greift dabei als erster auf Quellen in den Niederlanden zurück und kann den Forschungsstand erweitern. Gleiches gilt für seine Analysen der Rekrutierung im militärischen Kontext, des Söldnerwesens als Arbeitsmigration sowie des Dienstverlaufs.

Der Ethnologe und Indonesien-Spezialist Helmut Lukas (H. Lukas, Die Kolonie Niederländisch-Indien im 19. Jahrhundert. Ein Überblick zur historischen Entwicklung mit besonderer Berücksichtigung der Zeit August Kohls, S. 218–269) richtet seinen Blick auf die einheimischen Gesellschafts- und Machtstrukturen der ostindischen Inseln, verzichtet aber auf Alltagsbeschreibungen der einheimischen Bevölkerungen. Lukas korrigiert Kohls zeitgenössische und die politisch-soziale Komplexität der lokalen Situationen verkennende Erklärungsversuche. Während Kohl die Feinde der Niederländer als geldgierig, räuberisch oder grausam porträtiert, nennt Lukas strukturelle Ursachen der Umwälzungen, die zu Revolten und Strafexpeditionen führen. Lukas verweist auf die Komplexität der Machtverhältnisse der verschiedenen Königreiche und den Einfluss der Kolonialmacht auf deren politische und sozioökonomische Strukturen. Sein Exkurs greift mehrere Jahrhunderte zurück, um den Wandel des niederländischen Machtanspruchs zu verfolgen. Von Java aus folgt Lukas dabei dem Itinerar Kohls nach Sulawesi und Borneo und liefert ein Bild dieser Regionen, das weit entfernt von Kohls Erinnerungen liegt.

Der letzte Beitrag (Norbert Franz, Luxemburg im 19. Jahrhundert. Von der Festungs- und Garnisonsstadt zur offenen Stadt, S. 270–295) führt schließlich nach Luxemburg, Geburtsstadt des August Kohl und Hauptstadt des noch jungen Großherzogtums. Der Historiker Norbert Franz geht auf die Ausweitung der Staatstätigkeit auf nationaler wie auch kommunaler Ebene um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein – dies im Hinblick auf eingeschränkte und wechselnde Partizipationsrechte, bei einer zahlenmäßigen Domination der Unterschichten. Franz erkennt eine wachsende Leistungsverwaltung, die Infrastrukturen errichtet und Sozial- und Kulturausgaben tätigt, was ihn zum Schluss führt, dass die Bevölkerung vom eigenständigen Staatswesen profitieren kann.

Die Publikation schließt mit einer allumfassenden, gemeinsamen Bibliographie. Neben einem Index fehlt nur eine ausführliche, aktuelle biographische Notiz des August Kohl.

Anmerkung:
1 Christopher Vogler, The writer’s journey. Mythic structure for storytellers and screenwriters, 2. überarb. Aufl., London 1999.

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