M. Prinz (Hrsg.): Die vielen Gesichter des Konsums

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Titel
Die vielen Gesichter des Konsums. Westfalen, Deutschland und die USA 1850–2000


Herausgeber
Prinz, Michael
Reihe
Forschungen zur Regionalgeschichte 79
Erschienen
Paderborn 2016: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
295 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sina Fabian, Deutsche und Europäische Zeitgeschichte, Leibniz Universität Hannover

Mit dem vorliegenden Sammelband, der auf eine Tagung des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte zurückgeht, knüpft der Herausgeber Michael Prinz an eine ebenfalls von ihm herausgegebene Aufsatzsammlung zur Konsumgeschichte aus dem Jahr 2003 an.1 Wie der Vorgängerband nimmt auch dieser eine lange und vielschichtige Perspektive auf die Konsumentwicklung in Westfalen, Deutschland und den USA ein. Bereits der Titel verspricht ein breites Untersuchungsspektrum. Dieses löst der Band in jedem Fall ein. Prinz gibt in seiner umfangreichen Einleitung einen ausführlichen Überblick über die aktuelle Forschungs- und Literaturlage der Konsumgeschichte. Wie bereits im Vorgängerband gelingt ihm dieser sehr gut. Prinz unternimmt dabei gar nicht erst den Versuch, die in der Mehrzahl disparaten Beiträge miteinander zu verknüpfen, sondern formuliert „Schnittflächen von Konsum- und allgemeiner Geschichte“ (S. 11), die im Band in den Blick genommen werden sollen.

Die Beiträge sind vornehmlich chronologisch angeordnet und reichen vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Eine Vielzahl der Aufsätze beschäftigt sich mit bisher unterbeleuchteten Facetten des Konsums in Deutschland. So demonstriert Ira Spieker, wie gewinnbringend mikrohistorische Studien sein können. Sie zeigt anhand eines Dorf-„Warenhauses“ im Paderborner Land um 1900 zum einen die Warenvielfalt, die dort bereits herrschte. Zum anderen kann sie dank der umfangreichen Quellenüberlieferung sowohl die Kaufgewohnheiten verschiedener Einkommensschichten rekonstruieren als auch die sozio-ökonomischen dörflichen Verflechtungen und Abhängigkeiten, die über das Warenhaus und die Kaufmannsfamilie bestanden, aufzeigen. Heidrun Homburg illustriert eindrücklich die Überlegenheit der französischen und britischen Konsumsphären gegenüber der deutschen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Versuche etwa von Karl Friedrich Schinkel, Warenhäuser in Deutschland nach französischem und britischem Vorbild zu etablieren, scheiterten in der ersten Jahrhunderthälfte noch. Sie konnten sich erst mehrere Jahrzehnte später durchsetzen.

Den Vorsprung der britischen Konsumgesellschaft gegenüber der deutschen zeigt auch Karl Ditt in seinem Beitrag zur Zwischenkriegszeit. Das Konsumniveau und die Verbreitung von Luxusgütern waren in Großbritannien bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs deutlich höher als in Deutschland. Ditt führt dies in erster Linie auf die höheren Realeinkommen im Vereinigten Königreich zurück. Doch auch in Großbritannien hatten sich Gas- und Elektrogeräte wie Telefone, Kühlschränke und Herde in der Zwischenkriegszeit noch lange nicht flächendeckend durchgesetzt, sondern blieben ein Privileg wohlhabender Schichten.

Michael Prinz will in seinem Beitrag Konsumvorstellungen der 1920er- bis 1940er-Jahre rekonstruieren. Dazu zeichnet er die Nachkriegsplanungen bürgerlicher, nicht-nationalsozialistischer Ökonomen wie Günter Schmölders, Erwin von Beckerath und Walter Eucken in den 1940er-Jahren nach. Sie bezogen sich in ihren Planungen auf Überlegungen der Zwischenkriegszeit, die vorsahen, dass ein Großteil der Bevölkerung zumindest teilweise Selbstversorger sein sollte. Die Bevölkerung sollte mehr Wert auf Sparsamkeit und selbsterzeugte Produkte legen als auf Massenkonsumgüter. Prinz betont, dass die Konsumerwartungen nach dem Krieg bei den genannten Autoren eher gering waren. Allerdings zeigt er auch, dass gerade jüngere Ökonomen wie Schmölders einen Verzicht auf Massenkonsumgüter aus politischen Gründen für unmöglich hielten. Dies spricht jedoch dafür, dass sie die Konsumerwartungen der Bevölkerung als hoch einschätzten. Prinz konzentriert sich in seinem Beitrag in erster Linie auf Vorstellungen einiger weniger bürgerlicher Ökonomen. Diese sagen jedoch kaum etwas über die Konsumerwartungen der Bevölkerung aus. Zu fragen wäre zudem, inwieweit es sich bei den Selbstversorgungsplanungen nicht eher um bürgerliche Wunschvorstellungen handelte, den von ihnen geschmähten Massenkonsum einzudämmen.

Gleich zwei Beiträge des Bandes widmen sich dem bisher stark vernachlässigten Konsumgut Alkohol in der Weimarer Republik. Claudius Torp nimmt die Alkoholgegner in den Blick, die in den frühen 1920er-Jahren ihre größte Wirkmächtigkeit erreichten. In den ökonomischen Krisenjahren bis 1924 fanden sie breite Unterstützung mit der Forderung, dass Rohstoffe wie Getreide, Zucker und Obst zur Herstellung von Alkohol verwendet werden sollten. Die Bevölkerung sollte zudem der Krisenzeit angepasst sparsam und nur das Nötigste konsumieren und sich keinem exzessiven Alkoholkonsum hingegeben. Die Alkoholgegner konnten jedoch letztlich keine restriktive Alkoholpolitik durchsetzen. Ab Mitte des Jahrzehnts stieg der Konsum wieder stark an. Dass die Anti-Alkoholiker an Einfluss verloren, lag auch daran, dass die Prohibition, die von 1920 bis 1933 in den USA herrschte, in Deutschland zunehmend kritisch rezipiert wurde.

Thomas Welskopp untersucht daran anschließend den Bierkonsum in den USA und in Deutschland in den 1920er-Jahren. Er stellt die zunächst überraschende Entwicklung heraus, dass der Alkoholkonsum trotz Prohibition im Deutschen Reich deutlich stärker zurückging als in den USA.2 Welskopp argumentiert für die USA, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowohl der Produzenten als auch der Konsumenten letztlich entscheidender für den Rückgang des Alkoholkonsums waren als die Durchsetzung der Prohibition. Ihr Einfluss zeigte sich zum einen im Entstehen einer von der Organisierten Kriminalität kontrollierten Schattenwirtschaft. Zum anderen veränderten sich die Konsumpraktiken. Statt Bier wurden mehr Spirituosen konsumiert. Das gesellige Trinken trat hinter das schnelle, allein auf Berauschung angelegte Trinken zurück. Obwohl in der Weimarer Republik kein Alkoholverbot herrschte, trugen insbesondere die hohe Besteuerung sowie die bis 1923 bestehende Kontingentierung der Rohstoffe zur Herstellung von alkoholischen Getränken dazu bei, dass der Konsum unter dem Vorkriegsniveau verharrte. Wie auch in den USA ging der Alkoholkonsum während der Weltwirtschaftskrise besonders stark zurück, was für den Einfluss der individuellen finanziellen Situation auf den Alkoholkonsum spricht.

Mit den Wechselwirkungen zwischen Deutschland und den USA befassen sich auch die Aufsätze von Lydia Langer und Jan Logemann. Langer betont, dass die Vereinigten Staaten zwar wichtige Impulsgeber bei der rasanten Durchsetzung des Selbstbedienungsprinzips in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit waren. Jedoch eigneten sich die westdeutschen Einzelhändler die neue Verkaufsform selektiv an und passten sie an nationale und regionale Bedingungen an. Noch weitergehend argumentiert Logemann in seinem Beitrag, dass sich die Konsumräume in Westdeutschland und den USA bis in die 1970er-Jahre stark auseinanderentwickelten und nicht, wie häufig kolportiert wird, eine westdeutsche Angleichung an die Vereinigten Staaten geschah. Während sich in den USA der Einzelhandel zunehmend in Einkaufszentren außerhalb der Städte konzentrierte, behielten in der Bundesrepublik die Innenstädte ihre Bedeutung als zentrale Konsumräume.

Der Sammelband beinhaltet auch drei interdisziplinäre Aufsätze, die sich mit Gegenwartsphänomenen des Konsums befassen. So geht Sabine Kienitz aus einer historisch-ethnographischen Perspektive dem Boom der Wochenmärkte am Beispiel Hamburgs nach. Marcus Termeer widmet sich mit dem Blick des Soziologen der Einkaufsgeografie Münsters, die häufig als vorbildhaft be- und ausgezeichnet wird. Der Architekt Bernd Neuhoff nimmt die Entwicklung der Lippstädter Fußgängerzone kritisch unter die Lupe. Bei den drei Beiträgen zeigen sich sowohl der Mehrwert als auch die Schwächen dieser aktuellen Perspektive. Termeer gibt einen sehr guten Überblick über die aktuelle soziologische Konsumforschung, die auch für die historische Betrachtung gewinnbringend ist. Sie ist jedoch mehrheitlich konsumkritisch und geht von einem normativen Konsumverständnis aus. Dies spiegelt sich in Prinz' Einleitung; je näher er der Gegenwart kommt, desto moralisierender werden die Ausführungen. Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang am Beitrag von Bernd Neuhoff. Er scheint weniger eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Lippstädter Stadtentwicklung anzustreben als eine Abrechnung mit der früheren und besonders der aktuellen Stadtplanung (der Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass der Autor weitgehend auf Fußnoten verzichtet). Dagegen zeigen etwa die Beiträge von Langer und Logemann, die auf pauschalisierende und moralisierende Argumente verzichten, den Vorzug historischer Distanz.

Der Sammelband bietet eine Vielzahl interessanter und innovativer Beiträge, die für die Konsumgeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert zentrale Phänomene untersuchen. Die Aufsätze sollten jedoch als eigenständige Beiträge verstanden werden. Dem Band mangelt es an Kohärenz, was durch die nur teilweise nachvollziehbare Gruppierung der Aufsätze noch verstärkt wird.

Anmerkungen:
1 Michael Prinz (Hrsg.), Der lange Weg in den Überfluss. Anfänge und Entwicklung der Konsumgesellschaft seit der Vormoderne, Paderborn 2003.
2 Diese überraschende Feststellung lässt sich eventuell auf die unterschiedlichen Vergleichszeiträume zurückführen. Während Welskopp für die USA feststellt, dass der Konsum zwischen 1920 und 1933 um 30 Prozent zurückging, bezieht sich der Rückgang um 50 Prozent im Deutschen Reich auf einen Vergleich der Jahre 1923/1926 mit 1906/1910. Doch bereits vor dem Ersten Weltkrieg und besonders währenddessen war der Alkoholkonsum stark zurückgegangen. Vergleiche für die Zahlen: Heinrich Tappe, Alkoholverbrauch in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Entwicklung und Determinanten des Trinkverhaltens, in: Hans Jürgen Teuteberg (Hrsg.), Die Revolution am Esstisch. Neue Studien zur Nahrungskultur im 19./20. Jahrhundert, Stuttgart 2004, S. 282–294.