S. Nadolny: Die severischen Kaiserfrauen

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Titel
Die severischen Kaiserfrauen.


Autor(en)
Nadolny, Sonja
Reihe
Palingenesia 104
Erschienen
Stuttgart 2016: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
257 S.
Preis
€ 52,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Krüpe, Seminar für Alte Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Refokussierung: In einer Zeit digitaler Datenexplosion und komplexer Datenbanken im Bereich der sogenannten „Digital Humanities“ besteht die Aufgabe von Historikerinnen und Historikern mehr denn je darin, Informationen aller Art zu hinterfragen, zu klassifizieren und zu validieren – oftmals auch im Rahmen einer Rekombination eigentlich bekannter Quellen. Angesichts einer vermeintlich immer besseren Verfügbarkeit von Literatur und Quellen wird es zunehmend wichtiger, dezidiert „ad fontes“ zu gehen und sich nicht jedem wissenschaftstheoretischen Zeitgeist zu unterwerfen. Unter dieser Prämisse ist es ausgesprochen angenehm, eine Arbeit zu besprechen, die sich auf diese Primärtugenden besinnt, ohne indes andere Qualitäten vermissen zu lassen.

Sonja Nadolny hat mit ihrer hier zu besprechenden Arbeit den Finger auf ein Desiderat gelegt und die Frage nach den Gründen für die herausragende Stellung der severischen Kaiserfrauen Julia Domna, Julia Maesa, Julia Soaemias und Julia Mamaea gestellt. Dieses Desiderat ist umso erstaunlicher, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass die männlichen Severer und auch die althistorische Frauen- und Geschlechtergeschichte seit mehreren Jahr(zehnt)en regelmäßig Gegenstand einschlägiger Studien waren. Nadolny ist jedoch beizupflichten, wenn sie schon früh (S. 11–12) feststellt, dass abseits von Einzel- und Spezialstudien bislang keine zusammenhängenden und quellenkritischen Untersuchungen der vier Juliae vorgelegt worden sind – insbesondere keine, die deren Bedeutung für die Dynastie und deren Aufgabe im dynastischen Kontext systematisch untersucht hätten: Abseits der „subjektbezogenen Perspektive“, jenseits der „Mutter- und Gattinnenrolle“ und fernab der „Fassade“ habe es doch ganz offensichtlich eine starke öffentliche Präsenz dieser Frauen gegeben, für die daher eine politische Konzeption im personalen Herrschaftsgeflecht der Severer unbedingt anzunehmen sei (S. 14). Sie seien nicht nur akzeptiert gewesen, sondern herausragend dargestellt worden, daher Trägerinnen der Macht und damit gewissermaßen systemrelevant.

Diese Konzeption sei jedoch bei den antiken Geschichtsschreibern bewusst ausgeblendet worden, weswegen es geboten scheine, jene Medien in den Untersuchungsmittelpunkt zu stellen, die vom Kaiser unmittelbar selbst kontrolliert werden konnten. Einen besonderen Wert misst Nadolny daher den rund 3.000 unterschiedlichen Reichsmünztypen bei, die spezifische Analysen darüber zulassen, wie der Kaiser und seine Familie gesehen werden wollten. Als weitere große Quellengruppen greift sie auf die Provinzialmünzen und Inschriften zurück, in der berechtigten Annahme, dass die Wechselwirkungen dieser drei Schlussfolgerungen darüber erlauben, wie die Rolle dieser vier „Kaiserfrauen“ definiert werden kann und wie sie im familiären Verbund inszeniert wurden.

Nach einer kurzen definitorischen Klärung der Gemeinsamkeiten der vier Untersuchungspersonen und der Abgrenzung gegenüber anderen Frauen im „severischen Netzwerk“ folgen dann drei große thematische Blöcke, die sich den Quellen jener Zeit verpflichtet sehen: den Reichsmünzen als eigene Gattung (S. 19–73), dann den Provinzialmünzen und Inschriften (S. 74–134) und zuletzt der bekannten literarischen Quellentrias zur severischen Zeit, nämlich den entsprechenden Passagen aus Cassius Dio, Herodian und der Historia Augusta (S. 135–203). Diese klare Strukturierung erhält eine Abrundung durch ein Fazit in Form einer Gesamtwürdigung der Familienherrschaft der Severer sowie den obligatorischen Anhängen (Bibliographie, umfängliches Personen-, Orts-, Namens- und Sachregister), die in der vorliegenden Arbeit um einen Exkurs zur Datierung der Reichsmünzen Julia Maesas erweitert wurden.

In Kapitel 2 rechtfertigt Nadolny zunächst die Fokussierung auf die Reichsmünzen, da diese mehr noch als andere geeignet sei, Qualitäten, Leistungen und Werte der Kaiserfamilie gegenüber der Öffentlichkeit herauszustellen. Im quantitativen Teil ihrer Analyse differenziert sie behutsam zwischen den diesbezüglichen quellenimmanenten Aussagemöglichkeiten, die sich auch aus Art und Entstehung der einzelnen Corpora ergeben. Entscheidend für die vorliegende Arbeit seien allgemeine „[…] herrschafts- und personenübergreifende Tendenzen und Entwicklungslinien, welche auch ohne exakte Kenntnis von Einzelstückzahlen aus der Münzverteilung ermittelt werden können“ (S. 25). Verschiedene Diagramme veranschaulichen unter anderem Anzahlen von Reichsmünztypen für severische Kaiser und Kaiserfrauen, Verteilungen auf Münzstätten, sorgsam ausgewählte Bildbeispiele dagegen Aspekte der Aufgabenvielfalt der severischen Kaiserfrauen, darunter jene als mater castrorum, mater senatus und mater patriae.

Hier kann Nadolny belegen, dass diese drei Titel bei den jüngeren beiden Juliae nicht Teil ihrer offiziellen Titulatur waren (S. 52ff.) – vermutlich wegen ihres frühzeitigen Ablebens und der Tatsache, dass insbesondere der mater-castrorum-Titel unmittelbare militärische Rahmenbedingungen voraussetzte, die bei den Frauen im Umfeld Elagabals nicht (mehr) gegeben waren, und die Verleihung des Titels daher unpassend gewirkt hätte. Als mater Augusti hingegen wurden sie alle inszeniert, um den Zusammenhang zwischen Mutterrolle, familiärer Eintracht und dem Glück Roms zu kommunizieren (S. 58ff.), ein Zusammenhang, der vor allem in den frühen Jahren der Severerherrschaft notwendig war, in denen die Etablierung der neuen Macht stattfinden musste, und in den späten, in denen nach dem Sturz Elagabals eine Neuausrichtung der Macht eine neuerliche Legitimation der Herrschaft notwendig machte. Es ging in diesen Münzbildern der severischen Kaiserfrauen offenbar nie um die Herausstellung klassisch weiblicher Tugenden, sondern um politische Programme: Familie als Identifikationskonzept, Einbettung in dynastische Traditionen und Kontinuitäten, bei denen insbesondere die Kaisermutter als „Generationenklammer“ fungieren sollte, Erzeugung dynastischer Legitimierung (S. 70ff.).

Kapitel 3 widmet sich in etwa gleichem Umfang jeweils den Provinzialmünzen und den Inschriften und untersucht in konsequenter Fortführung der Ergebnisse des ersten thematischen Blockes, wie in diesen Quellengruppen die Präsentation des Kaiserhauses als „eine alle Mitglieder der Kernfamilie gleichermaßen integrierende Familienherrschaft“ (S. 74) betrieben wurde. Hier interessiert Nadolny vor allem die Frage, ob die Kaiserfrauen als öffentliche und politische Personen wahrgenommen wurden und akzeptiert waren. Provinzialprägungen mit ihren regionalen Verbreitungen, Motiven und Adaptionen zentraler Bildprogramme dokumentieren ein ausgeprägtes städtisches Selbstbewusstsein, Analysen indes sind aufgrund der disparaten Erschließungssituation erheblich problematischer als bei den Reichsmünzen. Trotz aller Unsicherheiten im Bereich quantitativer Auswertungen zeigen Nadolnys Einzelergebnisse klare Tendenzen auf wie jene, dass Städte und städtische Beamte überdurchschnittlich häufig als Auftraggeber von inschriftlichen Ehrungen auftraten (S. 89f.). Ehrenbezeugungen und Loyalitätsbekundungen an das Herrscherhaus insgesamt wie auch an dessen weibliche Mitglieder kam eine überdurchschnittlich große Bedeutung zu. Rückseitenmotive der Provinzialmünzen zeigen zwar den Hang zu lokalen Traditionen, belegen jedoch auch dass man sich stark an den Reichsmünzen und ihren Darstellungen orientierte; die dort kommunizierten Rollenbilder der Kaiserfrauen fanden auch in der Provinz ihren Niederschlag, wenngleich lokale Einflüsse und Traditionen offizielle Titel und Motive manchmal ignorierten (S. 98–112).

Die Inschriften zeigen ein heterogenes Bild: Im Gegensatz zu Julia Domna wurden Julia Maesa und Julia Soaemias ausschließlich als Augustae geehrt (S. 121f.). Unabhängig von den Münzen scheinen sich Inschriftenformulare separat etabliert zu haben und tradiert worden zu sein, man variierte jedoch bewusst die Vielfalt der Titulaturen. Für Nadolny ist dies ein klares Zeichen dafür, dass man in der Öffentlichkeit aufmerksam registrierte, welches Maß an Ehrung welcher Frau zustand. Durch Dedikanten und Inschriften entstand ein besonderes Beziehungsgeflecht und ein Gradmesser für Loyalität: 54 Prozent der ausgewerteten Inschriften stammen aus einer Gruppe, die weniger als 1 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten, und sich mehrheitlich aus lokalen Eliten, Beamten und Militärs zusammensetzte (S. 128ff.). Leitideen und Ideologien seien demnach verstanden, akzeptiert, und rezipiert worden – auch das Konzept einer personenübergreifenden Familienherrschaft, innerhalb der wichtige Positionen und Schwerpunkte durch die Frauen besetzt wurden.

Der letzte große inhaltliche Block widmet sich der literarischen Rezeption der severischen Kaiserfrauen in den literarischen Quellen. Anders als Münzen und Inschriften waren die Autoren dieser Texte den offiziellen Darstellungen weit weniger verpflichtet, nicht zuletzt auch aufgrund einer gewissen zeitlichen Distanz zu Ereignissen und Personen. Kurze Fallstudien der Darstellungen der vier Juliae bei Cassius Dio, Herodian und der Historia Augusta komplettieren das Gesamtbild und belegen nachdrücklich die außergewöhnlich einflussreiche Stellung insbesondere von Julia Domna, Julia Maesa und Julia Mamaea.

Wie im abschließenden Kapitel nochmals deutlich wird ist für Nadolny der zentrale Aspekt die Einbindung der vier Juliae in die Kaiserfamilie, ihre bruchlose Integration als politisierte Mitglieder einer größeren Einheit. Als Repräsentantinnen der Familie waren sie Teil eines „komplementären Systems“ (204ff.), in dem die Propagandamittel ebenso aufeinander abgestimmt und bezogen waren wie die Personen selbst. Ehrentitel waren politische Botschaften, mit denen man sich der Treue und Loyalität bestimmter Gruppen versicherte. Die diese Titel tragenden Frauen dienten dadurch unmittelbar der dynastischen Legitimation und Stabilisierung der Herrschaft und traten so deutlich stärker in Erscheinung als ihre Vorgängerinnen früherer Zeiten – sichtbar anhand von Quantitäten und Qualitäten reichsrömischer und provinzialrömischer Prägungen und epigraphischen Zeugnissen. Dass dies kein einseitiger Prozess im Sinne eines top-down war, zeigen ihre Analysen im Bereich der Dedikanten: Man war offenbar bereit, diesen Frauen zentrale Stellungen und Positionen zuzugestehen. Bei allen Unterschieden zwischen den vier Frauen kann Nadolny aufzeigen, wie sehr historische Umstände, politische Entscheidungen und individuelle Konstellationen Stellung und Einflussmöglichkeiten mitbestimmten, doch waren dies eben keineswegs zufällige Entwicklungen auf rein persönlicher Ebene.

Natürlich, so Nadolny, war das Ausmaß des Einflusses auch abhängig von der Qualität der personellen Verflechtung, doch zeigten die Auswertungen eindrucksvoll, dass diese vier über alle Voraussetzungen verfügten, in der personalisierten Kaiserherrschaft des 3. Jahrhunderts eine wichtige Rolle zu spielen (S. 212ff.): „Die Selbstverständlichkeit, mit der Julia Maesa und Julia Mamaea die Führung übernehmen konnten, demonstriert in jedem Fall, dass eine Beteiligung der Kaiserfrauen an der Herrschaft zu diesem Zeitpunkt bereits in hohem Maße etabliert und akzeptiert war.“ (S. 219) Ihre Stellung war für Nadolny das Ergebnis eines innersystemischen Prozesses, der eine Stärkung der kaiserlichen Gewalt, einen Bedeutungsverlust des Senats und einen starken Einflussgewinn von Einzelpersonen, die Zugang zum kaiserlichen Umfeld hatten, mit sich brachte (S. 225). Ob die Frauen jeweils ihre Machtmöglichkeiten nutzten, hing von verschiedenen Faktoren ab, denn formalen Anspruch auf unmittelbare politische Beteiligung hatten sie nach wie vor nicht, sie waren nun aber dezidiert Teil des autokratischen Systems.

Die vorliegende Studie ist ohne Einschränkung eine Bereicherung der umfangreichen Forschungsliteratur zu den Severern, sie refokussiert im Kontext einer zentralen Frage auf das uns vorliegende Quellenmaterial, beschränkt sich jedoch auf deren Aussagemöglichkeiten und kommt zu Schlussfolgerungen, die einschlägig bewanderte Leserinnen und Leser sicher nicht in Erstaunen versetzen werden. In ihrer Stringenz und Aufarbeitung stehen diese Ergebnisse nun jedoch auf einer erheblich fundierteren Basis und empfehlen dieses Buch nachdrücklich zur Lektüre.

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