N. Oreskes u.a.: Die Machiavellis der Wissenschaft

Cover
Titel
Die Machiavellis der Wissenschaft. Das Netzwerk des Leugnens


Autor(en)
Oreskes, Naomi; Conway, Erik M.
Erschienen
Weinheim 2014: Wiley-VCH Verlag
Anzahl Seiten
XXV, 363
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manuel Kaiser, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Zürich

Naomi Oreskes, Professorin für Wissenschaftsgeschichte in Harvard, und Erik M. Conway vom California Institute of Technology in Pasadena veröffentlichten 2010 das viel beachtete Buch „Merchants of Doubts“. Auch die 2014 unter dem Titel „Die Machiavellis der Wissenschaft“ erschienene deutsche Übersetzung wurde breit rezipiert und äußerst positiv besprochen.1 Das Buch entstand als Reaktion auf die insbesondere in den USA verbreiteten Bestrebungen, den menschengemachten Klimawandel zu verharmlosen oder gar ganz abzustreiten. Die Studie geht weit über den Nachweis der organisierten Skepsis gegen die Forschungsresultate der Klimawissenschaften hinaus. In sieben thematisch geordneten Kapiteln, die den Zeitraum von den 1950er-Jahren bis ins 21. Jahrhundert abdecken, zeigen Oreskes und Conway, mit welchen Strategien es konservativen Netzwerken gelang, auch in den Debatten um die Gesundheitsrisiken des Rauchens, bei der Planung von Ronald Reagans Strategic Defense Initiative (SDI), der Forschung zu saurem Regen, Ozonloch und Passivrauchen sowie durch eine postume Attacke auf Rachel Carson Zweifel am begründeten Konsens der Scientific Community zu sähen.2

Oreskes und Conway ergänzen bestehende wissenschaftshistorische Arbeiten zu den jeweiligen Themengebieten um den Fokus auf die Produktion und Zirkulation von „Unwissen“. Dabei tragen sie zu der von Londa Schiebinger und Robert R. Proctor profilierten Forschungsrichtung der „Agnotology“ bei, der Untersuchung der gezielten Schaffung und Aufrechterhaltung von Un- beziehungsweise Nichtwissen aus wissenschaftssoziologischer und -historischer Perspektive.3

Oreskes und Conway beschreiben, wie zunächst die Tabakindustrie begann, „Wissenschaft mit Wissenschaft zu bekämpfen“ (S. 4). Obwohl spätestens seit den frühen 1960er-Jahren Fachleute, Gesundheitsbehörden und, wie die Auswertung interner Dokumente zeigt, auch Tabakfirmen von den Gesundheitsrisiken des Rauchens überzeugt waren, wurde eine intensive Kampagne gegen den erreichten Konsens der Scientific Community initiiert. Die Tabakindustrie entwickelte in ihren Abwehrkämpfen gegen wissenschaftlich längst anerkannte Tatsachen eine Art Blaupause für die Strategien anderer Interessenverbände.

Die Strategie der „Vermarktung des Zweifels“ (S. 17) bestand aus einer millionenschweren Förderung von „alternativer“ Forschung, selektiver Rezeption und Kommunikation von Forschungsresultaten, einer geschickten PR-Strategie und der Diskreditierung von Wissenschaftlern, die gegenteilige Positionen vertraten. Um unliebsame Forschungsresultate zu entwerten, setzte man beim offensiven Umgang mit Wissenslücken und damit bei einer der großen Stärken der Wissenschaft an. Durch die unredliche Überbetonung einzelner offener Fragen wurde der Schein einer wissenschaftlichen Kontroverse erzeugt. Bei der Debatte um den Zusammenhang von Rauchen und Krebs wurden beispielsweise Forschungsarbeiten unterstützt, welche die genetischen Krebsursachen betonten und so die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von der Tabakindustrie weggelenkten.

Um den Positionen der Industrie wissenschaftliche Autorität zu verleihen, wurden renommierte, aber meist fachfremde Wissenschaftler engagiert. Eine Schlüsselposition nahm der Physiker Frederick Seitz ein, der beim Bau der Atombombe mitgeholfen hatte, wissenschaftlicher Berater der NATO gewesen war und in den 1970er-Jahren zum Präsident der Rockefeller-Universität ernannt wurde. Später stießen William Nierenberg, ehemaliger Direktor der Scripps-Institution für Ozeanographie, der Astronom Robert Jastrow und der Atmosphärenphysiker Fred Singer zum Netzwerk dazu. Sie alle verband ihre Sozialisierung im Kalten Krieg, ein ungebrochener Technologie- und Wissenschaftsoptimismus, ein strikter Antikommunismus, eine konservative politische Einstellung und der Glaube an den Neoliberalismus Fridman’scher Prägung. Zu diesem Netzwerk gehörten neben den Wissenschaftlern, Interessenvertretern aus Wirtschaft und Politikern auch antikommunistische Think Tanks wie etwa das von Herman Kahn gegründete Hudson-Institut. Im Kontext von Reagans SDI wurde zudem mit dem Georg C. Marshall-Institut eine einflussreiche Institution geschaffen, die sich bis heute gegen den wissenschaftlichen Konsens über den anthropogenen Klimawandel stellt. In dieser Konstellation wurde mit bemerkenswerten personellen Kontinuitäten die teilweise thematisch sehr unterschiedlich gelagerten Kampagnen bestritten.

Grundpfeiler der Vermarktung des Zweifels waren geschickte PR-Strategien, dank derer es gelang, über Jahre hinweg wissenschaftlich abgeschlossene Debatten in der Öffentlichkeit am Leben zu erhalten. In den USA wurde unter Berufung auf die sogenannte „Fairness-Doktrin“ (S. 60) eine ausgewogene Berichterstattung verlangt und auch durchgesetzt. Nicht nur die öffentliche Meinung wurde nachweislich beeinflusst – so fiel die Zustimmung zur Theorie des Klimawandels in den USA von 2008 bis 2009 von 71 auf 57 Prozent –, die PR-Kampagnen zeitigten auch immer wieder konkrete politische Erfolge. So legte das konservative Netzwerk beispielsweise die Grundlage für die Aufrüstungspolitik der Reagan-Jahre oder verhinderte über Jahrzehnte hinweg Regulierungsmaßnahmen zur Verminderung des sauren Regens.

In den Auseinandersetzungen um die SDI und den nuklearen Winter wurde eine weitere Strategie entwickelt, die Wissenschaft und ihre Vertreter unter Ideologieverdacht zu stellen – eine Strategie, die sich bis heute als wirkmächtig erweist. Den Wissenschaftlern um Carl Sagan, die Modelle zum nuklearen Winter veröffentlich hatten, wurde vorgeworfen, dass ihre politische Sichtweise die Resultate verfälschen würde. Oreskes und Conway drehen diese Strategie gewissermaßen um und problematisieren die politische und wirtschaftliche Verortung der selbst ernannten „Skeptiker“. Mit der Auswertung eines umfassenden Quellenkorpus, das aus wissenschaftlichen Publikationen, internen Dokumenten der beteiligten Institutionen, aber auch Interviews besteht, können sie aufzeigen, wie es einem kleinen, aber einflussreichen und ressourcenstarken Netzwerk von Firmen, Politikern, Denkfabriken und Wissenschaftlern gelang, den eigentlich bestehenden Konsens über wissenschaftlich gesicherte Tatsachen zu schwächen.

„Die Machiavellis der Wissenschaft“ ist ein sehr engagiertes, vielleicht sogar wütendes Buch. Dieses Engagement ist angesichts der gezielten Untergrabung, Verfälschung und Diskreditierung von jahrzehntelanger Forschung und den daraus resultierenden Theorien verständlich. Da es sich in erster Linie um ein Buch über die Produktion von „Unwissen“ handelt, kann man Oreskes und Conway nicht vorwerfen, dass die „reguläre“ Wissensproduktion der Scientific Community unterbelichtet bliebe. Falls man sich für die Wissenschaftsgeschichte der einzelnen Themengebiete (Tabak, Klimawandel usw.) interessiert, bieten sich andere Publikationen an, die detaillierter und unter Einbezug des gesellschaftlichen und politischen Kontextes die Entwicklung dieser Wissensfelder behandeln.4

Um ihre Kritik plausibilisieren zu können, zahlen Oreskes und Conway allerdings einen hohen Preis. Die „Normalwissenschaft“ erscheint bei ihnen durchweg als positive Folie, von der die Produktion von „Unwissen“ abgegrenzt wird. Immer wieder werden zwar kürzere Passagen eingestreut, um die Debatten innerhalb der Scientific Community zu behandeln, Kontexte zu skizzieren oder auch epistemologische Probleme anzudeuten. Doch insgesamt erscheint die „Normalwissenschaft“ in der Analyse von Oreskes und Conway als sorgfältig arbeitendes und grundsätzlich unproblematisches Unterfangen. Falls sie Kritik an der wissenschaftlichen Arbeit äußern, betrifft sie lediglich die Art und Weise, wie wissenschaftliche Resultate kommuniziert werden. Aus einer wissenshistorischen Perspektive, welche die Wissensproduktion konsequent historisiert, gibt diese Komplexitätsreduktion Anlass für Kritik.5 Natürlich mag angesichts der in dem Buch beschriebenen Täuschungen, die oft strafrechtlich relevant zu sein scheinen, die „reguläre“ Wissensproduktion und -zirkulation vergleichsweise reibungslos verlaufen sein. Doch die insgesamt unkritische Darstellung der „Normalwissenschaft“ provoziert nicht nur Nachfragen, sondern bietet auch Angriffsfläche für die kritisierten Akteure.6 Umso mehr als Oreskes und Conway selbst an anderer Stelle gezeigt haben, dass die „Normalwissenschaft“ im Kontext des Kalten Krieges keineswegs unabhängig war, sondern stark beeinflusst von den politischen und gesellschaftlichen Implikationen des globalen Systemkonflikts.7

Des Weiteren – und dies mag dem populären Format der Publikation geschuldet sein – irritieren die psychologisierenden Argumente, die Oreskes und Conway anführen, um die Arbeit von renommierten Wissenschaftlern für die Industrie zu erklären. Dass eine politische Einstellung wie ihr strikter Antikommunismus oder Neoliberalismus eine Ursache war, weshalb sie mit den jeweils betroffenen Industrien gegen staatliche Regulierungen vorgingen, vermag als These noch zu überzeugen. Ob jedoch, wie mehrfach angedeutet wird, eine wie auch immer geartete Kränkung von „Kalten Kriegern“ wie Frederick Seitz durch den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Prestigeverlust nach der Hochphase des Kalten Kriegs die Arbeit gegen den wissenschaftlichen Mainstream begünstigte, ist anhand des untersuchten Quellenkorpus zumindest nur schwer nachzuweisen.

Diese Kritikpunkte ändern jedoch nichts daran, dass Oreskes und Conway ein (wissenschafts)politisch wichtiges Buch vorgelegt haben, das empirisch sauber belegte Argumente liefert, um den Produzenten und Vermarktern des Zweifels die Stirn bieten zu können.

Anmerkungen:
1 Siehe Falk Hartig, Rezension zu: Naomi Oreskes / Erik M. Conway, Die Machiavellis der Wissenschaft. Das Netzwerk des Leugnens, Weinheim 2014, in: Portal für Politikwissenschaften, <http://pw-portal.de/rezension/37890-die-machiavellis-der-wissenschaft_46239> (20.06.2016); o. A., Händler des Zweifels. „Das Netzwerk des Leugnens“ aufgedeckt, in: Nano 3Sat, <http://www.3sat.de/page/?source=/nano/bt/183806/index.html> (20.06.2016).
2 Zum Konsens bezüglich Klimawandel siehe Naomi Oreskes, The Scientific Consensus on Climate Change, in: Science 306 (2004), S. 1686.
3 Agnotology: The Cultural Production of Ignorance, Workshop, Pennsylvania State University, April 2003, in: The British Society for the History of Science, <http://www.bshs.org.uk/agnatology-the-cultural-production-of-ignorance> (01.06.2016); Robert N. Proctor / Londa Schiebinger (Hrsg.), Agnotology. The Making and Unmaking of Ignorance, Stanford 2008.
4 Zur Klimawissenschaft vgl. Paul N. Edwards, A Vast Machine. Computer Models, Climate Data, and the Politics of Global Warming, Cambridge 2010; Spencer R. Weart, The Discovery of Global Warming, 2. überarb. Aufl., Cambridge 2008 (1. Aufl. 2003). Zu Tabak vgl. Robert N. Proctor, Golden Holocaust. Origins of the Cigarette Catastrophe and the Case for Abolition, Berkeley 2012.
5 Siehe Reiner Grundmann, Debunking Sceptical Propaganda, in: BioSocieties 8 (2013), S. 369–374, hier S. 373.
6 Siehe William O’Keefe, Clouding the Truth. A Critique of Merchants of Doubt, in: George C. Marshall Institute (Hrsg.), Policy Outlook (2010), S. 1–9.
7 Siehe Erik M. Conway, Atmospheric Sciences at NASA. A History, Baltimore 2008; Naomi Oreskes / John Krige (Hrsg.), Science and Technology in the Global Cold War, Cambridge 2014.