Titel
Groupes cathédraux et complexes monastiques. Le phénomène de la pluralité des sanctuaires à l’époque carolingienne


Autor(en)
Pain, Marie-Laure
Anzahl Seiten
120 S.
Preis
€ 16,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Miriam Czock, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

Seit dem Beginn des 20. Jahrhundert beschäftigt sich die Forschung mit karolingischen Sakralbaukomplexen und der Frage ihrer Ursprünge. Der aus einem Kolloquium im Jahr 2013 am DHI in Paris hervorgegangene Band nimmt die Frage wieder auf, ob und inwiefern die Pluralität von Sakralbauten in Kirchenanlagen karolingischer Zeit ein neues Phänomen oder doch eher ein Rückgriff bzw. eine Erneuerung merowingischer oder sogar frühchristlicher Architektur war. In einer kurzen Einleitung stellt Marie-Laure Pain, die Herausgeberin des Bandes, den Forschungsstand und die sich aus diesem speisenden Ziele des Bandes dar. So ginge es darum, die jeweiligen Baukomplexe in ihrer Architektur und Topographie im Verbund mit ihrer Funktionalität zu beleuchten, um Traditionen bzw. Reproduktionen älterer Bautypen und mögliche Neuerungen im Vergleich aller betrachteter Beispiele auszuleuchten (S. 8). Nicht nur die materiellen Überreste gelangen dabei in den Blick, sondern auch die schriftlichen Quellen, nicht zuletzt um auszuloten, ob das Phänomen auf individuelle Initiativen zurückgeht oder es sich eher aus einem politischen Programm der Kirche oder mächtiger Laien ergab.

Die Traditionslinien und Brüche werden bereits im ersten Beitrag des Bandes von Michael Wyss mit Blick auf Saint-Denis beleuchtet. Er zeichnet anhand der schriftlichen Quellen und der Befunde der Grabungen seit dem 19. Jahrhundert bis zu seinen eigenen Grabungen der letzten Jahre die topographische und funktionale Geschichte der Gebäude nach. Er geht davon aus, dass die erste Basilika im 5. Jahrhundert möglichweise auf einem Mausoleum erbaut wurde. Um diese wurden dann weitere Gebäude mit einem Atrium gruppiert. Zusätzliche Erweiterungen erfuhr das Ensemble in karolingischer Zeit; unter anderem um die Abtei. Schwerpunkt sei dabei die Funeralfunktion der Gebäude gewesen.

Der sich anschließende Artikel von Marie-Laure Pain befasst sich mit der Abtei Saint-Requier und den dort vorhandenen Sakralräumen unter zwei Gesichtspunkten: Zum einen wendet sie sich den verschiedenen Rekonstruktionsversuchen – die hypothetisch bleiben müssen – zu, zum anderen analysiert sie Schriften zur Architektursymbolik. Im Mittelpunkt steht die um 800 entstandene Beschreibung Angilberts und die Multiplikation der liturgischen Orte, die das Kloster in das Reformprogramm Karls des Großen einschrieben. Bei der Auswertung wäre eine Berücksichtigung der Arbeit Susan Rabes wünschenswert gewesen.1

Einen Baukomplex, nämlich die Abtei St. Peter und St. Paul in Ferrières-en-Gâtinas mit zwei Kirchen, untersucht Cécile Coulangeon. Ihr geht es darum, anhand der schriftlichen Quellen und einiger Baubefunde die merowingischen und karolingischen Ursprünge der heute im Gewand des 12. Jahrhunderts erscheinenden Kirchen darzustellen. Sie stellt die – aufgrund der heutigen Erscheinung des Komplexes schwierig zu beweisende – Hypothese auf, dass die topographisch hintereinanderliegenden Kirchen St. Peter und St. Paul möglichweise in karolingischer Zeit zusammenhingen und sie architektonische Verweise auf die Grabeskirche in Jerusalem sowie römische Kirchen waren.

Den Abteikirchenkomplexen in den nordöstlichen Pyrenäen und damit einem schlecht erforschten Gegenstand wendet sich Géraldine Mallet zu. Sie gibt zu den verschiedenen Kirchen kurze Überblicke zu Forschung, schriftlicher Erstnennung und den baulichen Spuren und bietet der Forschung damit weitere Anknüpfungspunkte.

Das Phänomen der Doppelkirchen untersucht Nicolas Reveyron im nächsten Beitrag anhand der karolingischen Kirchen in Cluny. Dabei kann er sich vor allem auf die Quellen des 10. und 11. Jahrhunderts stützen, ausführlich analysiert er die „Vita sancti Hugonis“ und die „Consuetudines antiquiores“. Er geht unter anderem der Frage nach, wie das Verhältnis von Klosterkirche und Marienkirche ausgesehen hat und kommt zu dem Schluss, dass die Marienkirche zwar alle liturgischen Funktionen erfüllen konnte, aber eine besondere Rolle in der Fürsorge für die Sterbenden einnahm.

Nicht mit einer Abtei, sondern einem bischöflichen Ensemble beschäftigt sich der Beitrag von Claire De Cazanove, die den Domberg von Freising von der Gründung 739 über die Erweiterungen der Sakralbauten im 8./9. Jahrhundert bis zu Zerstörungen im Jahr 903 bearbeitet. Auch hier sind die Grabungsbefunde in vielen Fällen zu ungenau, um einen präzisen und belastbaren Lageplan der Gebäude zu entfalten. Anhand der schriftlichen Zeugnisse kann sie zeigen, dass sich die Topographie und Funktionszuschreibungen mit der Transformation vom Kloster zu Kathedralkapitel verändern.

Eine weitere Übersicht über eine Kirchenlandschaft stellt der Beitrag von Jaques Le Maho dar, der sich mit den Kirchenkomplexen in der Normandie vom 4. bis 11. Jahrhundert beschäftigt. Als Hauptbeispiele hat er für einen Kathedralkomplex Rouen und für einen Abteikomplex Jumièges sowie die Pfarrkirche Notre-Dame de Bondeville gewählt.

Im letzten Beitrag blickt Christian Sapin auf Auxerre und die Entwicklung eines städtischen Sakralbautenkomplexes, der Aspekte einer Kathedrale und eines Klosters in sich aufnahm. Er schreibt der karolingischen Zeit in Auxerre eine Art Scharnierfunktion zu, in der keine neuen Sakralorte entstanden, sondern eine Transformation mit neuen Funktionszuschreibungen und Rahmungen des älteren Bestandes immer in Bezug auf den Heiligen stattfand. Während in der Abtei die Kultorte im Rahmen der Liturgie neu positioniert wurden und die Kapellen als ein Ausdruck einer neuen Polarität, die durch Prozessionen bestimmt wurde, verstanden werden können, wird die Kirche zum Zentrum der Stadt.

Das Schlusswort von Jean-Pierre Caillet greift nochmals einige Problemstellungen auf. So weist er auf die Schwierigkeit hin, Kathedral- und Klosterkomplexe zu trennen. Auch gibt er zu bedenken, dass die Anzahl der Sakralorte meist schwer einzuschätzen ist, da ein und derselbe Ort mit mehreren Heiligen verbunden sein konnte oder es Namensanalogien gab. Nochmals betont er auch die Schwierigkeiten der Erkennbarkeit von Kontinuitäten und Transformationen. Deutlich ist jedoch, dass gerade die Transformationen häufig mit der Heiligenverehrung verbunden waren. Eine Besonderheit der karolingischen Zeit sieht er allerdings recht deutlich hervortreten, nämlich die funktionale Neubestimmung einiger Räume, die mit der neuen Bedeutung der Totenfürsorge einherging.

Den einzelnen Aufsätzen sind schwarz-weiße Bebilderungen im Fließtext beigefügt, die eine Visualisierung der Textinhalte erleichtert. Die Farbtafeln mit Plänen jedoch sind bedauerlicherweise nur am Ende des Bandes angefügt, was den Nachvollzug teils erschwert.

Der Band stellt eine an vielen Beispielen verdienstvolle Wiederaufnahme der Auseinandersetzung mit der Frage nach der Transformation und Tradition im Bereich der Sakralarchitektur dar. In einem zeitlich wie geographisch weit gespannten Bogen beleuchten die Beiträger viele wichtige Aspekte der historischen Entwicklung von Sakralbauten, stoßen dabei aber auch immer wieder auf Grenzen. Ein grundsätzliches Problem ist es, Interdependenzen zwischen schriftlichen Quellen und materiellen Überresten herzustellen. Ganz generell ist der Band daher auch ein Beitrag zur Auseinandersetzung mit den interpretatorischen Möglichkeiten, die für die Untersuchung frühmittelalterlicher Sakralbauten in ihrer Materialität bereitstehen.

Anmerkung:
1 Susan A. Rabe: Faith, Art, and Politics at Saint-Riquier. The Symbolic Vision of Angilbert, Philadelphia 1986.

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