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Titel
Kontrolle der Macht. Formen und Regeln politischer Beratung im Mittelalter


Autor(en)
Althoff, Gerd
Erschienen
Anzahl Seiten
360 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hubertus Seibert, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der Beratung der Mächtigen kommt als epochen- und kulturübergreifendes Phänomen zentrale Bedeutung zu.1 Zu allen Zeiten zogen (und ziehen) Politiker und Herrscher Ratgeber zur Beilegung von Konflikten und in den Prozessen politischer Willensbildung und Konsensherstellung hinzu. Deren Informationen und Expertenwissen lieferten wichtige Ratschläge und Argumentationshilfen bei der Lösung von Problemen und der Entscheidungsfindung, auf die sie zugleich einen kaum zu überschätzenden Einfluss nahmen.

Während die althistorische Forschung die zahlreichen antiken Zeugnisse für den Rat als Entscheidungshilfe des Herrschers angemessen gewürdigt hat2, schenkten die Mediävisten den weitreichenden Dimensionen der Beratung des mittelalterlichen Königs durch Mitglieder seines Herrschaftsverbandes nicht nur wenig Beachtung, sie reduzierten diese auf die bloße Funktion einer freiwilligen Selbstbindung durch Zustimmung.3

An diesem Punkt setzt das neue Buch von Gerd Althoff an, das sich als erste systematische Darstellung der politischen Beratung des mittelalterlichen Königs und der Funktion herrscherlicher Berater versteht. Er fragt nach den je eigenen Formen, spezifischen Regeln und Funktionsweisen mittelalterlicher Beratung im fränkischen und römisch-deutschen Reich. Der Fokus liegt auf den Voraussetzungen und Rahmenbedingungen königlicher Beratung, auf den Möglichkeiten und Grenzen, die das Handeln von Ratgebern und beratenen Personen gleichermaßen bestimmten und strukturierten. Mithilfe dieses Ansatzes erhofft Althoff sich vor allem nähere Aufschlüsse über die Wirkungsweise königlicher Herrschaft sowie Antworten auf zwei zentrale Fragen: Inwieweit war mit der Beratung des Herrschers eine Kontrolle seiner Macht intendiert und verbunden? Gelang es Adel und Klerus durch das Instrument des Rates, ihren Anspruch auf Partizipation an der Königsherrschaft gleichsam dauerhaft zu institutionalisieren?

Seine begrenzte Materialbasis erweitert Althoff um den quellenmäßig viel besser dokumentierten Bereich der Konflikte. Die Einbeziehung der Verhandlungen dissentierender Gruppen im Konfliktfall, die Althoff als Sonderform der Beratung einstuft, ermöglicht tiefere Einblicke in die Mechanismen politischer Streitbeilegung und konsensualer Willensbildung.

Mit Blick auf die überschaubare Zahl einschlägiger Quellen (vor allem Historiografie, Briefe, Traktate) und deren zumeist knappen Angaben folgt die Struktur der Darstellung der vom Autor getroffenen, aber diskussionswürdigen Auswahl aussagekräftiger Beispielsfälle, die vom frühen 9. Jahrhundert bis zum deutschen Thronstreit (1198–1208) reichen. Die vier Hauptkapitel (zur Karolinger-, Ottonen-, Salier- und frühen Stauferzeit) werden von einer instruktiven Einleitung (zu Forschungsstand, Erkenntniszielen, Untersuchungsansatz und Prämissen) und einer als Vertiefung und Ausblick angelegten Zusammenfassung eingerahmt.

Die Beschränkung der Untersuchung auf signifikante Fälle – in der Karolingerzeit auf die Beratung in den Krisenjahren Ludwigs des Frommen (822–835) und auf die Rolle der Beratung im Denken und Handeln Hinkmars von Reims († 888); in der Epoche der Salier auf die Verhandlungen in den beratungsintensiven Konflikten Heinrichs IV. und Heinrichs V. mit Papst und Fürsten –, die Althoff entweder mit dem generellen Mangel an Quellen oder der Repräsentativität der ausgewählten Fälle begründet, überzeugt nur partiell. Insbesondere für die – hier weitgehend ausgeblendete – Regierungszeit Lothars III. und Konrads III. lassen sich manche Beratungsvorgänge und Verhandlungen in Konfliktfällen anführen, in denen die Fürsten ihr Vorrecht der politischen Beratung des Herrschers erfolgreich praktizierten und demonstrativ inszenierten.4

Methodisch viel problematischer erscheint hingegen Althoffs bewusster Verzicht auf eine systematische Einbeziehung der Herrscherurkunden als weitere Quellengrundlage. Die herrscherliche Vergabe von Urkunden unterlag zwar keiner Beratungspflicht, doch haben wir die Privilegierung als Akt politischer Kommunikation zu verstehen, dem vielfach intensive Verhandlungen und nicht selten kontroverse Beratungen mit (dem König) und unter den Großen vorangingen.5 Nicht wenige Urkunden des Früh- und Hochmittelalters belegen, dass der Herrscher im Rahmen des Beurkundungsvorgangs den Rat und die Hilfe von Experten in Anspruch nahm und den Standpunkt Betroffener bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigte.6

Insgesamt gesehen zeitigt Althoffs Werk wichtige Befunde und überraschende, vielfach weiterführende Erkenntnisse und neue Einsichten (etwa zur Rolle der geistlichen Berater oder „zum Verhältnis informeller und formeller Beratung“; S. 319–325). Die bisher gültigen Vorstellungen von den Regeln und Formen politischer Beratung des mittelalterlichen Königs erfahren erhebliche Korrekturen. An vier zentralen Beispielen sei dies hier kurz verdeutlicht.

Im 9. Jahrhundert durchlief die politische Beratung des Herrschers durch geistliche und weltliche Magnaten eine überaus dynamische Entwicklung von der ursprünglichen Selbstbindung der Großen durch Zustimmung über eine profilierte Rolle der Bischöfe als Mahner und Aufseher des Königs hin zu einer maßgeblichen Mitwirkung an allen politischen Entscheidungen, die Stellung und Rang des Königs betrafen. Die während der Krisenjahre Ludwigs des Frommen (822–835) gleichsam institutionalisierte Verpflichtung des Herrschers zur politischen Beratung nutzten Adlige und Bischöfe verstärkt dazu, ihre Ansprüche und Interessen in neuer Weise zur Geltung zu bringen.

Keine andere zeitgenössische Quelle der Ottonenzeit bietet einen so intimen, ja geradezu indiskreten Einblick in verschiedene Beratungs- und Entscheidungssituationen am Hof Heinrichs II. wie die Weltchronik Bischof Thietmars von Merseburg. Dieser übte bei aller Wertschätzung deutliche Kritik an den neuartigen Verhaltensweisen Heinrichs, der seine Verpflichtung zur Beratung wiederholt äußerst eigensinnig interpretierte und ihr mitunter nur widerwillig nachkam.

Die langwierigen Konflikte der beiden letzten salischen Herrscher mit Papsttum und Fürstenopposition bewirkten – neben der sukzessiven Bevorzugung des Verhandlungsweges – vor allem eine wichtige Neuerung: Ob Gregorianer, Anhänger der Fürstenopposition oder des salischen Königtums, die Vertreter beider Seiten verhandelten nunmehr in paritätisch besetzten Kommissionen über einvernehmliche Konfliktlösungen, die Althoff mit guten Gründen als Vorläufer der (späteren) Schiedsgerichtsbarkeit deutet.

Wie Althoff insbesondere am Beispiel der Chronik Gisleberts von Mons zeigt, maßen die Zeitgenossen Friedrich Barbarossas Verfahrensfragen bei der Verhandlung und Beilegung von Konflikten ein immer größeres Gewicht bei. Während das Barbarossa von den Fürsten 1177 geradezu aufgezwungene Schiedsverfahren zu einer einvernehmlichen Lösung seines langjährigen Streits mit dem Papsttum führte, gaben Kaiser und Fürsten im Konflikt mit Heinrich dem Löwen 1179/80 eindeutig einem rechtsförmlichen Verfahren vor dem Königsgericht den Vorzug. Der damit einhergehende, bewusste Verzicht auf Vermittlung und Schiedsgericht gab ihnen freie Hand, die übermächtige Stellung des Welfen zu zerschlagen.

Der Vorgang der Beratung folgte im Mittelalter bestimmten Gewohnheiten und Prinzipien (wie Vertraulichkeit, Beachtung der Rangordnung), doch war er keinen definierten Regeln oder gar einem Regelsystem unterworfen. Der König bewahrte sich gegenüber seinen Ratgebern und den Großen einen erheblichen Ermessens- und Handlungsspielraum, um die Beratungen in seinem Sinne zu beeinflussen und zu lenken.

Die beachtlichen Beobachtungen und Befunde, die Althoff präsentiert, verleihen der Zeit des Mittelalters die neue Signatur einer Kultur der Beratung. Die künftige Forschung hat sich jedoch intensiver als in diesem Buch geschehen der Figur des königlichen Beraters in all ihren spezifischen Formen als Unterhändler, Vermittler oder Schiedsrichter zuzuwenden. Insbesondere die Rolle der Königin als engste Beraterin des Herrschers verdient größere Aufmerksamkeit als bisher.7

Anmerkungen:
1 Hierfür nur vier repräsentative Beispiele: Elisabeth-Dorothea Hecht, Der Herrscher und seine Ratgeber im afrikanischen sakralen Königtum, Tervuren 1969; Levi Roach, Kingship and Consent in Anglo-Saxon England 871–978, Cambridge 2013 (zur Rolle der „witan“, der weisen Männer, im angelsächsischen Reich); Merle Marie Schütte, Sitzen – Stehen – Schweigen – Sprechen: Hochmittelalterliche Beratungen im Spannungsfeld von Narration und Herrschaftspraxis, in: dies. u.a. (Hrsg.), Zwischen Fakten und Fiktionen. Literatur und Geschichtsschreibung in der Vormoderne, Würzburg 2014, S. 115–142; zum 20./21. Jahrhundert Svenja Falk u.a. (Hrsg.), Handbuch Politikberatung, Wiesbaden 2006.
2 John Crook, Consilium principis. Imperial Councils and Counsellors from Augustus to Diocletian, Cambridge 1955; Werner Eck, The Emperor and his Advisers, in: Alan K. Bowman u.a. (Hrsg.), The Cambridge Ancient History. Second Edition, Bd. 11, Cambridge 2000, S. 195–213; Michel Christol, Le consilium Principis aux deux premiers siècles: les traits de l’évolution vers un rouage administratif, in: Jean-Louis Ferrary / John Scheid (Hrsg.), Il princeps romano. Autocrate o magistrato? Fattori giuridici e fattori sociali del potere imperiale da Augusto a Commodo, Pavia 2015, S. 587–612.
3 Zu der von Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, 5. Aufl. Wien 1965 (1. Aufl. 1939), S. 269–272 u. 427–429, entwickelten Theorie der freiwilligen Selbstbindung durch Zustimmung siehe die Kritik von Jürgen Hannig, Consensus fidelium. Frühfeudale Interpretationen des Verhältnisses von Königtum und Adel am Beispiel des Frankenreiches, Stuttgart 1982, S. 24f.
4 Dies erweist bereits ein Blick in das Register der Urkunden König Konrads III. sub verbo consilium: Die Urkunden Konrads III. und seines Sohnes Heinrich, hrsg. von Friedrich Hausmann (MGH. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 9), Wien 1969, S. 765f.
5 Mark Mersiowsky, Die Urkunde in der Karolingerzeit. Originale, Urkundenpraxis und politische Kommunikation, Bd. 2, Wiesbaden 2015, S. 552f., 645–649 u. 652–654.
6 Dazu mit Verweis auf entsprechende Beispiele Mersiowsky, Urkunde, S. 652–655; Philippe Depreux, Bitte und Fürbitte am Karolingischen Hof. Zugleich ein Beitrag zur politischen Bedeutung der Ambasciatoren- und Impetratorenvermerke (Mitte 8. bis 9. Jahrhundert), in: Archiv für Diplomatik 58 (2012), S. 57–101, hier S. 72f.; Knut Görich, Friedrich Barbarossa. Eine Biographie, München 2011, S. 185–191.
7 Dazu zuletzt Daniela Müller-Wiegand, Vermitteln – Beraten – Erinnern. Funktionen und Aufgabenfelder von Frauen in der ottonischen Herrscherfamilie (919–1024), Kassel 2005.

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