M. Bossenbroeck: Tod am Kap. Geschichte des Burenkriegs

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Titel
Tod am Kap. Geschichte des Burenkriegs


Autor(en)
Bossenbroek, Martin
Erschienen
München 2016: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
624 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jonas Kreienbaum, Historisches Institut, Universität Rostock

Der Südafrikanische Krieg, in dem sich zwischen 1899 und 1902 Großbritannien und die beiden vormals unabhängigen Burenrepubliken Transvaal und Oranje Freistaat gegenüberstanden, war der größte und kostspieligste Krieg, den das Empire zwischen den Napoleonischen Kriegen und dem Ersten Weltkrieg führte. Als kurzer „tea time war“ antizipiert, zog er sich über fast drei Jahre, in denen 450.000 Soldaten aus verschiedenen Teilen des Empire eingesetzt wurden. Er kostete Großbritannien 230 Millionen Pfund und insgesamt über 80.000 Menschenleben – Zivilisten und Kombattanten, Buren, Briten und Afrikaner. Gleichzeitig ist der sogenannte ‚Burenkrieg‘ eines der am intensivsten erforschten Ereignisse der britischen Imperial- bzw. südafrikanischen Geschichte. Diese Forschung kreist – so Martin Bossenbroek, Historiker an der Universität Utrecht und Autor des zu besprechenden Bandes – vor allem um fünf Debattenschwerpunkte: 1. Die Stellung des Südafrikanischen Krieges als „atypischer Höhepunkt des britischen Imperialismus“ (S. 20), 2. seine Rolle als transnationales Medienereignis, 3. seine Verbindungen zum Ersten Weltkrieg, 4. das Massensterben der Zivilbevölkerung in den von den Briten errichteten Konzentrationslagern und 5. seinen Einfluss auf den weißen Nationalismus in Südafrika und die Apartheid.

Angesichts dieser umfangreichen Auseinandersetzung mit dem Themenfeld – eine einschlägige Bibliographie aus dem Jahr 2000 umfasst bereits 1300 Titel und seitdem sind Dutzende hinzugekommen – lässt sich fragen, warum wir eine weitere Studie zum „war for South Africa“ benötigen.1 Bossenbroek antwortet, dass alle Darstellungen des Krieges eine entscheidende Perspektive auslassen: „Nirgendwo wird die Geschichte des Burenkrieges aus niederländischem Blickwinkel erzählt.“ (S. 23) Dementsprechend strukturiert Bossenbroek sein Buch anhand von drei imperialen Biographien – ohne dass er es selbst so nennen würde –, die exemplarisch für die niederländische, britische und burische Perspektive stehen. Die Vorgeschichte des Krieges erarbeitet er primär über die Lebensgeschichte des jungen niederländischen Juristen Willem Leyds, der 1884 das Amt des Generalstaatsanwaltes Transvaals übernahm und anschließend als Staatssekretär und ab 1898 schließlich als außerordentlicher Gesandter der Südafrikanischen Republik in Europa die zunehmenden Spannungen zwischen Großbritannien und Transvaal unmittelbar mitbekam. Im zweiten Teil des Buches rückt mit Winston Churchill, der als ebenso ehrgeiziger wie abenteuerlustiger Zeitungskorrespondent für die Morning Post über den beginnenden Krieg berichtete, ein englischer Akteur in den Vordergrund. Hier steht die erste, konventionelle Kriegsphase – Oktober 1899 bis Mitte 1900 – mit den anfänglichen militärischen Erfolgen der Buren und der folgenden Invasion der Burenrepubliken durch eine britische Übermacht im Fokus. Den dritten Teil, der sich mit der anschließenden, langwierigen Guerillakriegsphase bis zum Friedensschluss von Vereeniging im Mai 1902 beschäftigt, schildert Bossenbroek schließlich anhand der Erlebnisse und Berichte des burischen Kämpfers Deneys Reitz. Dieser hatte sich als 17-jähriger zu Kriegsbeginn den burischen Truppen angeschlossen und kämpfte – zuletzt im Kommando des berühmten Jan Smuts – als einer der sogenannten „bitterender“ bis zum Kriegsende weiter.

Die Entscheidung, den Krieg über ausgewählte Akteure zu erzählen, erweist sich in zweierlei Hinsicht als entscheidender Vorteil. Einerseits gelingt es Bossenbroek tatsächlich, seine Darstellung multiperspektivisch zu gestalten. So kommen Leyds und Churchill etwa auch im dritten Teil des Buches immer wieder vor und erweitern so punktuell das Bild, das bei einer reinen Fokussierung auf den burischen Guerillero Reitz entstanden wäre. Außerdem gelingt es Bossenbroek durchgehend weitere Schlüsselakteure – etwa Transvaals Präsident Paul Krüger, den britischen Oberbefehlshaber Sir Redvers Buller oder die britische Philanthropin Emily Hobhouse – über ihre Handlungen und Interpretation der Lage in die Erzählung mit aufzunehmen und so einer perspektivischen Verengung entgegenzuwirken. Andererseits trägt der akteurszentrierte Ansatz entscheidend zum hochgradig lebendigen und kurzweiligen Charakter von „Tod am Kap“ bei. Bossenbroeks glänzend geschriebenes Buch reiht sich damit in eine Reihe brillant geschriebener Geschichten des Südafrikanischen Krieges – wie etwa Thomas Pakenhams Klassiker „The Boer War“ – ein, die allerdings allesamt nie ins Deutsche übersetzt wurden.2

Dennoch ist „Tod am Kap“ nicht bedingungslos zu empfehlen. Die erzählerische Brillanz wird leider nicht von analytischer Schärfe komplementiert. Tatsächlich verharrt das Buch konsequent auf darstellender Ebene. Die von Bossenbroek in der Einleitung identifizierten Debatten um den Krieg spielen auf den folgenden fast 600 Seiten praktisch keine Rolle mehr. Auch erscheint die Gewichtung der Perspektiven fragwürdig. Dass die „Dutch connection“ (S. 574) zwischen dem Transvaal und den Niederlanden, die Bossenbroek beschwört, so viel zentraler für das Verständnis des Konflikts sein soll als etwa die Verbindung zum Deutschen Reich, ist weit weniger offensichtlich als hier unterstellt wird. Vor allem aber muss verwundern, dass der Anteil der afrikanischen Bevölkerung am Krieg im Vergleich zur burischen, britischen und niederländischen Beteiligung marginalisiert wird. Dabei waren Afrikaner als Zivilisten und Kombattanten – wie die Forschung seit dem Erscheinen von Peter Warwicks grundlegender Studie im Jahr 1983 festgestellt hat – zu Hunderttausenden in den Krieg einbezogen.3 Mindestens 120.000 von ihnen wurden etwa, um nur ein Beispiel anzuführen, in britischen „concentration camps“ interniert, wobei wie in den separaten Lagern für Buren vermutlich deutlich über 20.000 Insassen an Mangelernährung und Krankheiten starben.4 Bossenbroek erwähnt zwar – anders als weite Teile der älteren Forschung –, dass der ‚Burenkrieg‘ kein „white man’s war“ gewesen sei (S. 16). In der Anlage seiner Arbeit, in der keiner der drei zentralen Akteure schwarz ist, obwohl das mit Blick auf Sol Plaatje, Dolmetscher am Gericht in Mafeking und 1912 Gründungsmitglied des ANC, quellenmäßig durchaus möglich gewesen wäre, findet sich diese Einsicht aber nur in Ansätzen wieder. Bezeichnend ist nicht zuletzt, dass Bossenbroek konsequent den alten Begriff ‚Burenkrieg‘ verwendet, der den Anteil der afrikanischen Bevölkerung am Krieg kaschiert. Peter Warwick hatte aus diesem Grund in den 1980er-Jahren den inklusiven Terminus ‚Südafrikanischer Krieg‘ vorgeschlagen, der sich in weiten Teilen der Forschung zu Recht durchgesetzt hat.

Martin Bossenbroek ist mit „Tod am Kap“ eine beeindruckend virtuose Erzählung des Krieges in Südafrika gelungen, die auf dem deutschen Buchmarkt praktisch konkurrenzlos ist. Mit Blick auf die englischsprachige Literatur existieren hingegen Gesamtdarstellungen, die in Komposition und analytischem Gehalt einen deutlich fundierteren Überblick vermitteln.5

Anmerkungen:
1 Fred R. van Hartesveldt: The Boer War. Historiography and Annotated Bibliography, Westport 2000.
2 Thomas Pakenham, The Boer War, London 1982. Auch erinnert es in der Anlage an Brian Robert, Those Bloody Women. Three Heroines of the Boer War, Cambridge 1991, das mit Lady Sarah Wilson, Hansie van Warmelo und Emily Hobhouse drei in den Krieg involvierte Frauen in den Vordergrund rückte und damit das im Grunde unkonventionellere Projekt darstellt.
3 Peter Warwick, Black People in the South African War 1899–1902, Cambridge 1983.
4 Stowell V. Kessler, The Black Concentration Camps of the Anglo-Boer War 1899–1902, Bloemfontein 2012; Jonas Kreienbaum, „Ein trauriges Fiasko“. Koloniale Konzentrationslager im südlichen Afrika, 1900–1908, Hamburg 2015.
5 Hier ist vor allem auf Bill Nassons Arbeit zu verweisen. Bill Nasson, The South African War 1899–1902, London 1999 und die überarbeitete Neuauflage ders., The War for South Africa. The Anglo-Boer War 1899–1902, Kapstadt 2010.

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