Titel
Castles at War. The Danish Castle Research Association “Magt, Borg og Landskab”. Interdisciplinary Symposium 2013


Herausgeber
Atzbach, Rainer; Meldegaard, Lars; Jensen, Sass; Lauritsen, Leif Plith
Reihe
Castles of the North 1
Erschienen
Anzahl Seiten
230 S.
Preis
€ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrike Laufer, Essen

Burgen sind ein europäisches und zugleich sehr vielschichtiges Thema. Militärlager, Festung, Burg und Schloss – in dieser Spannbreite bewegen sich die Beiträge in dem von Rainer Atzbach, Sass Jensen und Leif Plith Lauritsen herausgegebenen Tagungsband „Castles at War“. Die „Danish Castle Research Association“ hatte 2013 unter dem Motto „Magt, Borg og Landskab“ (Macht, Burg und Landschaft) ein interdisziplinäres Symposion veranstaltet. Die daraus entstandene Publikation ist als Auftakt gedacht zu einer Reihe, die sich mit nordeuropäischen Burgen beschäftigen will, wobei der Schwerpunkt, so die Autoren im Vorwort (S. 8), auf dänischen Bauwerken liegen soll.

Mit der Lektüre des Bandes eröffnen sich dem Leser spannende Einblicke in das Nordeuropa des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Vergleichende Ausführungen zur polnisch-ukrainischen, englischen, französischen, böhmischen, Tiroler und Eifeler Festungsbaukunst bewirken, dass sich das Werk insgesamt in die europäische Burgen- und Mittelalterforschung gut einfügt. Ziel ist es, die wesentliche, zentrale Funktion einer Burg zu beleuchten, nämlich die Burg als strategisches Zentrum oder auch Vorposten der Kriegsführung. Dieser Aspekt ist nach Auffassung der Herausgeber in all den Diskussionen um die Burg als Herrschaftsort, als Wohnraum, als Bühne, als Architekturobjekt, als landwirtschaftlicher Betrieb, als Symbol und weiteres in der jüngeren Forschung vernachlässigt worden (S. 8).

Die ersten sieben Beiträge befassen sich unter der Überschrift „The role of castles in political strategy“ mit Überlegungen und Maßnahmen zur Sicherung und Verteidigung von Herrschaft, die zum Bau oder Ausbau von Burgen führten.

Bevor der Leser die skandinavische Szene betritt, führen ihn Aleksander Andrzejewski und Leszek Kajser (S. 12–24) zunächst nach Polen und in die Ukraine, konkret in das damalige Herrschaftsgebiet der Familie Koniecpolski von der Zeit der Kreuzzüge bis ins 16. Jahrhundert. Der Bau ihrer Herrschaftssitze orientierte sich zunächst an französischen (château à motte), dann in der Blütezeit der Renaissance an italienischen (palazzo in fortezza) Vorbildern. Krieg und Frieden entschieden darüber, ob man sich jeweils für den Ausbau als Burg oder als Residenz entschied.

Knut Arstad (S. 26–37) eröffnet dann den Reigen der Betrachtung nordeuropäischer Burgen und führt uns zu Festungen im Süden Norwegens, die unter bürgerkriegsartigen Zuständen im 12. und 13. Jahrhundert errichtet wurden. Die Burgen hatten eine überwiegend passive militärische Funktion: Sie dienten der Kontrolle von Verkehr, Handel und Kommunikation, was im Ernstfall eines Krieges von strategischer Bedeutung sein konnte. Der Bau steinerner Burgen setzte in Norwegen später ein als im südlicheren Europa. Erst am Ende des 12. Jahrhunderts entstanden in größeren Städten die ersten Festungstürme (Bergen, Nidaros). Im 14. Jahrhundert konzentrierte sich der Burgenbau an den Landesgrenzen, um das norwegische Herrschaftsgebiet gegen Feinde von außen zu verteidigen.

Mit dem Beitrag von Felix Biermann (S. 40–58) über slawische Festungen südlich der Ostsee wird erstmals das deutsche Mittelalter in den Betrachtungsraum mit einbezogen. Im Elbe- und Oderraum erstreckte sich das nordwestliche Siedlungsgebiet der Slawen. Ihre eigentümlichen Festungsbauten entstanden in einer Zeit ökonomischer Blüte und dienten zugleich als Residenzen der jeweiligen Machthaber. Es handelte sich in den ersten Bauphasen vom 8. bis 10. Jahrhundert um ringförmige, überwiegend aus Lehm und Holz gebaute Forts, die auf Hügeln, später auch im Flachland errichtet wurden. In der dritten Bauphase vom 10. bis 12. Jahrhundert entstanden mächtigere Festungen, die wie im Fall von Spandau auch Siedlungen umfassten und als „castle town“ (S. 44) umschrieben werden. Auch in dieser Phase dienten die Burgen in erster Linie militärischen Zwecken und nicht zugleich als Machtsymbole oder zu Repräsentationszwecken wie zeitgleich die fränkischen oder böhmischen Burgen.

Dass das Seefahrerreich Dänemark ganz andere Strategien des Festungsbaus verfolgte, führen Jan Kock (S. 60–74) und Claus Frederik Sörensen (S. 102–117) vor Augen. Der Beginn des Burgenbaus in Dänemark lässt sich, wie Kock ausführt, in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts zurückdatieren. Die strategische Rolle der Burgen bestand in erster Linie in der Kontrolle der Küste und der Wache über die kostbaren Häfen. In den Glaubenskämpfen an der Wende zum 16. Jahrhundert wurden viele Burgen zerstört, nach der Reformation durch die neuen evangelischen Herrscher wieder aufgebaut: Durch imposante Mauern, Wälle und eine beeindruckende Vielfalt an Türmen demonstrierten die neuen Herren ihre Macht. Dänemark war ein prosperierendes Land und trug wesentlich dazu bei, dass die neue Festungsbaukunst aus Italien über die Niederlande nach Skandinavien kam. Sörensen beschreibt das dramatische Schicksal der mächtigen Burg Nyborg in der Zeit der großen Fehde 1534 bis 1536. Dabei stützt er sich auf archäologische Befunde und eine Quelle, die zwei Generationen später das Geschehen detailliert beschreibt: „Danmarks Riges Krønike“ aus dem Jahre 1595.

Der äußerste Osten des baltischen Raumes, Livland und Estland wird ebenfalls in zwei Beiträgen vorgestellt. Ieva Ose (S. 76–86) verweist darauf, dass in Litauen, Estland und Livland die Erfahrungen der Teilnehmer an den Kreuzzügen großen Einfluss auf den Burgenbau hatten. Viele der überwiegend von den Deutschordensrittern errichteten Burgen wurden jedoch im Livländischen Krieg (1558–1583) wieder zerstört. Schweden, Polen und Russland strebten nach Landbesitz an der strategisch und wirtschaftlich wichtigen Küstenregion. Auch Carsten Selch Jensen (S. 88–99) beschäftigt sich mit dem livländischen Burgenbau. Er stützt sich auf die wichtigste Quelle dieser Region im Mittelalter, die Chronik Heinrichs von Livland aus dem frühen 13. Jahrhundert, und untersucht sie auf Nachrichten über den Burgenbau in hochmittelalterlicher Zeit. Der Chronist stellte sich ganz auf die Seite der Deutschordensritter, deren militärische Überlegenheit er vor allem auf die Nähe zu Gott und die aus dem Westen tradierte Burgenbaukunst zurückführte.

Im zweiten Teil mit dem Titel „Castles during warfare and sieges“ werden einzelne Belagerungen interpretiert. Rainer Atzbach (S. 120–134) nimmt die Gelegenheit wahr, die folkloristische Deutung von „Pechnasen“ an den Burgmauern und Erzählungen über das Ausgießen heißen Teers aus oder über die Burgmauern auf die Angreifer endgültig in das Reich der Legende zu verweisen. Nachweisbar ist allerdings die Verwendung von Teer oder Pech im Burgenbau. Vom 13. bis 15. Jahrhundert errichtete man auf Türmen und Wehrmauern über die Mauern hervorragende Wehrgänge. Durch Öffnungen am Boden dieser meist hölzernen Konstruktionen konnten Steine oder anderes auf die Angreifer herabgeschleudert werden.

Nicht nur in der livländischen Chronik, sondern auch in der Geschichtsschreibung anderer Herrschaftsgebiete nehmen Beschreibungen von Belagerungen breiten Raum ein. Dies mag an der Dramatik dieses oft langwierigen und verlustreichen Vorgangs selbst liegen. Es ist aber auch darauf zurückzuführen, dass die belagerten Burgen nicht nur strategisch, sondern auch politisch zumeist hochbedeutend waren und der Fall einer Burg zu Herrschaftswechseln oder der Einnahme einer ganzen Stadt oder einer Region führen konnte. Dies gilt allerdings nicht für die Angriffe auf das königliche Schloss von Stockholm in den Jahren 1501/2, die Vivian Etting (S. 136–146) in ihrem Beitrag darstellt. Die acht Monate dauernde, äußerst heftige Belagerung des Schlosses entsprang einer Revolte des schwedischen Adels und endete im Grunde ergebnislos.

Weniger bekannt und zum Teil vergessen sind die drei Burgen Hald in Dänemark auf der Insel Seeland, die Jesper Hjermind (S. 148–172) anhand archäologischer Befunde und geophysikalischer Studien zu beschreiben versucht, obwohl ihre Ruinen kaum noch nachweisbar sind und die Untersuchungen erst am Anfang stehen. Es gelingt ihm, anhand zeitgenössischer ähnlicher Belagerungen und topographischer Begebenheiten den möglichen Untergang dieser Bauwerke durch Belagerungen als ein psychologisches, für Angreifer wie Verteidiger hoch riskantes Spiel zu diskutieren. Auch Leif Plith Lauritsen (S.174–185) versucht die Rekonstruktion von nach Belagerungen untergegangenen dänischen Burgen auf der Insel Lolland. Dabei stellt er heraus, dass einige der Wälle und Gräben, die diese Burgen umgaben, erst von den Angreifern errichtet worden waren und diesen zur Verteidigung ihrer eigenen strategischen Linien und zur Kontrolle möglicher Versorgungs- oder auch Fluchtwege der Burgbesatzung dienten.

Um Fluchtwege in Form von unterirdischen Stollen und Gängen, die von ausgebildeten Bergleuten unter englischen Burgen im Spätmittelalter angelegt wurden, geht es im Beitrag von Peter Purton (S. 188–201). Schon im frühen 13. Jahrhundert hatte der englische König John im Kampf gegen den aufständischen Adel Soldaten aus Frankreich rekrutiert, mit deren Hilfe während einer Belagerung die Untertunnelung der mächtigen Mauern von Rochester Castle gelang. Purton schildert im Folgenden weitere Belagerungen auf der britischen Insel, deren Ausgang mehr oder weniger von den Tunneln und Gegentunneln geschickter Bergleute bestimmt wurden. Zuletzt rekrutierte man auf Befehl Heinrichs V. sogar Spezialisten aus Liège.

Anders Reisnert (S. 204–215) beschreibt die Hintergründe und den Verlauf der Belagerung von Lindholm bzw. des Sturms auf die Burg im zweiten Hanseatischen Krieg (1368–69) und kommt zu einer neuen Darstellung der Ereignisse, indem er die schriftlichen Überlieferungen mit archäologischem Beweismaterial verknüpft. Im Folgenden musste Dänemark zwar die Suprematie der Hanse anerkennen, behielt jedoch dank der Festung Lindholm eine starke Vorrangstellung auf dem wichtigen südschwedischen Markt.

Mithilfe der Lidar Laser Scanning-Technologie konnten wesentlich neue Erkenntnisse über die Belagerungen von Burg Eltz 1331 und 1337, von Burg Dhaun 1340–42 sowie die Belagerungen der Burg Thurant an der Mosel in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gewonnen werden. Nun liegt die Eifel nicht unbedingt in Nordeuropa. Trotzdem bildet dieser Beitrag von Olaf Wagener (S. 218–230) einen guten Abschluss des Bandes, da hier nochmals ein wichtiges Plädoyer für die Einbeziehung neuer wissenschaftlicher Methoden in die Burgen- und Mittelalterforschung gehalten wird.

Die heterogenen innovativen Herangehensweisen der Autoren an das Thema „Burgen im Krieg“ machen den Wert dieses Tagungsbandes aus. Die Herausgeber haben eine thematische Gleiderung gewählt, die Lesern ohne tiefere Kenntnisse der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte im nördlichen Europa zuweilen viel abverlangt. Jeder einzelne Beitrag vermittelt jedoch so profunde Einblicke in den Kultur- und Technologietransfer dieser Zeit quer durch Europa, dass die Lektüre und vielleicht auch eine Neuauflage in deutscher Sprache unbedingt zu empfehlen ist.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch