N. Quenouille (Hrsg.): Von der Pharaonenzeit bis zur Spätantike

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Titel
Von der Pharaonenzeit bis zur Spätantike. Kulturelle Vielfalt im Fayum. Akten der 5. Internationalen Fayum-Konferenz, 29. Mai bis 1. Juni 2013, Leipzig


Herausgeber
Quenouille, Nadine
Erschienen
Wiesbaden 2015: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
XII, 206 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Bojowald, Ägyptologisches Seminar, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Der von Nadine Quenouille herausgegebene Sammelband „Von der Pharaonenzeit bis zur Spätantike“ versammelt die Beiträge der Fünften Internationalen Fayum-Konferenz, die 2013 unter gleichem Titel in Leipzig veranstaltet worden ist. Die Beiträge stellen neue papyrologische und archäologische Forschungen zum ägyptischen Fayum vor, die sich mit Zeugnissen von der Perserzeit bis zur Spätantike beschäftigen.

Isabella Andorlini widmet sich zwei griechischen Briefen (P.Tebt. II 413–414) zur Textilproduktion im griechisch-römischen Ägypten, für die neue Lesungen vorgeschlagen werden. Die Briefe gehen auf Wirkereien, Webgeräte und Textilhandel ein (S. 2). In beiden Papyri treten Diminutive auf -is/in auf, die typisch für die gesprochene Alltagssprache sind. Der P.Tebt. II 413, der einige Ähnlichkeiten zur lateinischen rustica aufweist, wird ins 2. Jahrhundert n.Chr. datiert. Der römische Hintergrund geht aus dem offenbar im Fayum sonst nicht belegten Personennamen Mamertinus und Hinweisen auf die Hafenstadt Puteoli hervor (S. 3). Der P.Tebt. II 414, der kursiv beeinflusst ist, wird ebenfalls ins 2. Jahrhundert n.Chr. gesetzt (S. 9). In diesem Text könnten Musterbücher für Weber erwähnt sein (S. 12).

Der Beitrag von Ivan Guermeur gibt neue hieratische Papyrusfunde aus den Grabungen der Jahre 2008 bis 2010 in Tebtynis bekannt. Der Text auf phiéra Teb SCA 7962 aus dem 1. Jahrhundert v.Chr. wird als Anrufungen von Götternamen, Erwähnung von Kronen sowie hymnische und ritualbezogene Passagen analysiert (S. 17–21). Den Text auf phiéra Teb SCA 7963 aus der Ptolemäerzeit entziffert Guermeur als Hymnus an Horus (S. 21–27). Der Text auf phiéra Teb SCA 8166, der ebenfalls in die Ptolemäerzeit gehört, wird als Hymnus an Sobek – Horus bestimmt (S. 27–29). Rituellen Charakter mit Ähnlichkeiten zum Ritual „Vertreibung des Bösen“ weist phiéra Teb SCA 8167 auf (S. 29). Der Text auf phiéra Teb SCA 8176, der in die zweite Hälfte der Ptolemäerzeit datiert, wird als Ritual für Horus und Anrufungen von Osirisaspekten interpretiert (S. 29f.). Der Text auf phiéra Teb SCA 8351+8352 vom Übergang der Ptolemäerzeit zur Römerzeit wird als magische Beschwörung oder ähnliches gedeutet (S. 31f.). Das grammatikalische Schema lässt einen demotischen Einschlag erkennen. Der Text auf phiéra Teb SCA 8353 aus der Römerzeit ruft einen rituellen Eindruck hervor (S. 33f.).1

Gisele Hadji-Minoglou legt in ihrem Beitrag neueste Grabungsergebnisse zur Stadtentwicklung von Tebtynis in griechisch-römischer Zeit vor. Die jüngst aufgedeckten Straten ruhen auf keinen älteren Schichten auf (S. 40). In der urbanen Entwicklung der Stadt werden drei Phasen unterschieden: eine erste Phase in der Ptolemäerzeit ab dem 3. Jahrhundert v.Chr., eine zweite Phase vom 2. Jahrhundert v.Chr. bis zur ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v.Chr. sowie eine dritte Phase vom Beginn der augusteischen Zeit bis zum 3. Jahrhundert n.Chr. (S. 40f.). Die Errichtung neuer Gebäude nimmt ab dem 1. Jahrhundert n.Chr. spürbar zu, um im 2. Jahrhundert das größte Ausmaß zu erreichen.

Brendan Haug setzt sich mit Fragen rund um das Bewässerungssystem im Fayum in der Römerzeit auseinander. Die Bedingungen im islamischen Mittelalter und in der Neuzeit werden dabei als Vergleichspunkt herangezogen und die ökologischen und geologisch-geographischen Verhältnisse im Fayum diskutiert. Haug erörtert die Bevölkerungsstruktur und Binnenwanderung. Die römische Bürokratie bei der Verwaltung des Fayum wird ebenfalls angeschnitten (S. 67f.).

Der Beitrag von Sandra L. Lippert fördert vor dem Hintergrund von Wanddekorationen im perser-zeitlichen Hibis-Tempel in der Oase Charga neue Informationen zum Pantheon des Fayum zutage. Die Götter Sobek-Re-Harachte (S. 76f.), Anukis (S. 77–94) und Sobek (S. 79–85), Osiris (S. 88–89), Mechet-weret (S. 89f.), Schedet (S. 91), Neith (S. 92f.), Bastet (S. 93f.) und Hathor (S. 94–97) werden in jeweils eigenem Rahmen behandelt. Lippert wertet die Belege dabei sowohl ikonographisch als auch epigraphisch aus.2

Julia Lougovaya befasst sich mit drei griechischen Inschriften aus dem ptolemäischen Narmouthis, die in der Kampagne von 2009 entdeckt wurden. Die älteste sicher datierte griechische Inschrift stammt aus der Zeit der Dreierherrschaft von Ptolemäus VIII. Euergetes II. mit seiner Schwester Kleopatra II. und seiner Frau Kleopatra III. (S. 106). Der Tempelbau hat im Fayum in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v.Chr. eine architektonische Blüte erlebt. Lougovaya erörtert die formale Struktur der ptolemäischen Weihinschriften, von der die neu entdeckten Inschriften teilweise abweichen (S. 111f.). Die Textangaben deuten auf die Errichtung oder Wiedererrichtung des sakralen Heiligtums von Narmouthis ab Ende der Regierungszeit Ptolemäus’ VIII. Euergetes II. hin (S. 112). Die Arbeiten an dem Gebäude seien dann unter Ptolemäus IX. fortgesetzt worden (S. 119).

Der Beitrag von Anna Monte führt in den griechischen P.Berol. Inv. 16021 R ein, der einen Sitologenbericht aus dem Speicher des Ortes Aphrodites Berenikes Polis vom Jahr 144 n.Chr. enthält. Die Geschichte des Ortes lässt sich vom 3. Jahrhundert v.Chr. bis zum Anfang des 4. Jahrhunderts n.Chr. verfolgen (S. 125). Die Existenz eines Speichers kann nach dem papyrologischen Befund in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts v.Chr. als sicher gelten (S. 124). Der erhaltene Teil des Textes thematisiert die steuerlichen Getreideeingänge des Monats Payni und ist nach dem gängigen Schema aufgebaut. Der Text klärt über die Lage von kaiserlichen Landgütern (usiai) in der Umgebung des Dorfes auf (S. 125).

Nadine Quenouille beschäftigt sich mit dem griechischen P.Tebt. II 451, der 1899 bei Grabungen in Tebtynis geborgen wurde. Der Text überliefert einen Privatbrief des Gymasiarchen Heron an seine Familie, in dem unter anderem mehrere Textilbezeichnungen genannt werden. Der Papyrus teilt den bisher frühesten Beleg für Kerzenständer mit (S. 128). Das undatierte Schriftstück wird vom Duktus her an das Ende des 2. Jahrhunderts bis an den Anfang des 3. Jahrhunderts n.Chr. gesetzt (S. 128). Der Text wartet mit einem weiteren Beleg für die im Fayum recht häufige Metathese zwischen Rho und Lambda auf (S. 133).

Der Beitrag von Vincent Rondot setzt sich auf der Basis von bemalten Holzpaneelen des 2. Jahrhunderts mit dem Pantheon des griechisch-römischen Fayum auseinander. Die Ikonographie des Gottes Soknebtynis lehnt sich teilweise an pharaonische Vorbilder an, wobei die Nacktheit unter der Chlamys eine Neuerung der späteren Zeit bedeutet. Der ägyptische Gott Sobek wird ikonographisch an den griechischen Gott Kronos angenähert (S. 147). Rondot dokumentiert zudem das Vorkommen von Kindgöttern auf den Paneelen. Der Synkretismus von Harpokrates mit Dionysos wird einer besonderen Erwähnung gewürdigt. Die Nemesisdarstellungen werden auf einen nichtägyptischen Ursprung zurückgeführt (S. 151). Der thrakische Gott Heron tritt ohne Pferd, aber in Begleitung eines schwarzen Dieners auf (S. 152).

Der Beitrag von Dorothy J. Thompson zieht die Description de l’Égypte als Hilfsmittel zur Deutung ausgewählter Verhältnisse im antiken Fayum heran. Der Blick richtet sich konkret auf Bewässerungslandwirtschaft und Agrarprodukte, bei denen noch im 18. Jahrhundert ähnliche Bedingungen wie im Altertum geherrscht haben. Die Schafzucht wird ebenfalls en passant berührt, für die das Fayum sowohl in der Neuzeit als auch in früheren Epochen ein Zentrum war. Die Description de l’Égypte könnte zudem bei der Klärung einer bisher rätselhaften demotischen Stelle zur Salzgewinnung helfen (S. 170).

Alexandra von Lieven stellt eine Verbindung zwischen dem „Buch vom Fayum“ und dem Isishymnus auf pVienna Aeg 2420/pVienna Aeg 12405 her, die wahrscheinlich aus dem Soknopaiu Nesos des 1./2. Jahrhunderts n.Chr. stammen. Die Parallelen sind vornehmlich in den Epitheta der Göttin Isis zu finden. Der Hymnus ist seinem Charakter nach als Morgenlied zu bestimmen (S. 174). Die Adressatin der Lobreden ist in die spezielle Mythologie des Fayum eingebunden. Der synkretistisch geprägte Hymnus spielt auf die Lokalmythologien anderer Städte an.

Die Publikation reiht sich als würdiger Vertreter unter die Akten der vorherigen Fayum-Kongresse ein. Die Forschungsergebnisse des Bandes werden durch Indices erschlossen.

Anmerkungen:
1 Zu „ʿḥ(.t)“ in der Bedeutung „Kapelle“ (S. 19) vgl. Hartwig Altenmüller, Zwei Annalenfragmente aus dem frühen Mittleren Reich, Hamburg 2015, S. 288; Ghislaine Widmer, Une invocation à la deese (table démotique Louvre E 10382), in: Friedhelm Hoffmann / Heinz–Josef Thissen (Hrsg.), Res Severa Gaudium. Festschrift für Karl-Theodor Zauzich zum 65. Geburtstag am 8. Juni 2004, Leuven 2004, S. 651–686, hier S. 660. Die Gruppe Gardiner Sign – list O 4 + D 21 + D 54 (S. 24–26) ist in der aktuellen Form eher „h3i“ „herabsteigen“ zu lesen. Zur Schreibung „hr“ für „h3i“ „herabsteigen“ vgl. Alexandra von Lieven, Der Himmel über Esna, Eine Fallstudie zur religiösen Astronomie in Ägypten am Beispiel der kosmologischen Decken- und Architravinschriften im Tempel von Esna, Wiesbaden 2000, S. 124a. Die Bedeutung von „ḏfḏ“ (S. 25) sollte besser „Iris“ statt „Pupille“ lauten, vgl. Friedhelm Hoffmann, Das Wort ḏfḏ, in: Göttinger Miszellen 132 (1993), S. 37–38. Zur Verbindung aus „bśi“, „einführen o. ä.“ und der „nśr.t“ – Flamme (S. 29) vgl. François-René Herbin, La renaissance d’Osiris au temple d’Opet (P. Vatikan INV. 38608), in: Revue d’Égyptologie 54 (2003), S. 67–127, hier S. 118; zuletzt Christian Leitz, Geographisch-osirianische Prozessionen aus Philae, Dendara und Athribis. Soubassementstudien II, Wiesbaden 2012, S. 443. Zum Epitheton „iti“, „Fürst“ von Osiris (auch im Fayum) (S. 30) vgl. Alexa Rickert, Gottheit und Gabe. Eine ökonomische Prozession im Soubassement des Opettempels von Karnak und ihre Parallele in Kôm Ombo, Wiesbaden 2011, S. 22; David Klotz, Caesar in the City of Amun. Egyptian Temple Construction and Theology in Roman Thebes, Turnhout 2012, S. 191–195; Mark Smith, Catalogue of Demotic Papyri in the British Museum, Bd. 3: The Mortuary Texts of Papyrus BM 10507, London 1987, S. 61. Zum Epitheton „ḥwnw“, „Jüngling“ von Osiris (S. 30) vgl. Klotz, Caesar, S. 192/201.
2 Zur Kurzschreibung des Namens der Göttin Anukis (S. 77) vgl. Kenneth A. Kitchen, Ramesside Inscriptions. Historical and Biographical, Bd. IV, Oxford 1982, 442, 14; zum Ausfall von „n“ in mittlerer Stellung vgl. Wolfhart Westendorf, Grammatik der medizinischen Texte, Grundriss der Medizin der alten Ägypter VIII, Berlin 1962, S. 27f. Zur Verbindung zwischen den Göttinnen Satet und Sothis (S. 78) vgl. jetzt auch Susanne Töpfer, Fragmente des sog. „Sothisrituals“ von Oxyrhynchos aus Tebtynis, Copenhagen 2015, S. 100. Zum euphemistischen Gebrauch der Farbe „grün“ statt „rot“ (S. 84) vgl. Günter Burkard, Spätzeitliche Osirisliturgien, in: Manfred Görg / Günther Hölbl (Hrsg.), Ägypten und der östliche Mittelmeerraum im 1. Jahrtausend v. Chr., Wiesbaden 2000, S. 1–21, hier S. 11. Die Gruppe Gardiner Sign-list S 10 + G 17 (S. 83) sollte besser „mḏḥ“, „Kopfbinde“ gelesen werden. Zur Schreibung „ḏ“ für „ḏś“, „selbst“ (S. 90) vgl. Burkhard Backes, Drei Totenpapyri aus einer thebanischen Werkstatt der Spätzeit (pBerlin P. 3158, pBerlin P. 3159, pAberdeen ABDUA 84023), Wiesbaden 2009, S. 27; Andreas Pries, Die Stundenwachen im Osiriskult, eine Studie zur Tradition und späten Rezeption von Ritualen im Alten Ägypten, Wiesbaden 2011, S. 196.