N. Fisher u.a. (Hrsg.): 'Aristocracy' in Antiquity

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Titel
'Aristocracy' in Antiquity. Redefining Greek and Roman Elites


Herausgeber
Fisher, Nick; Wees, Hans van
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 390 S.
Preis
£ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gunnar Seelentag, Heinrich Schliemann-Institut für Altertumswissenschaften, Universität Rostock

Die Beiträge des zu besprechenden Bandes gehen auf die Sektion „Aristocrats, Elites and Social Mobility“ bei der Fifth Celtic Conference in Cork im Jahre 2008 zurück. Vorweg ist zu sagen, dass die Artikel fast sämtlich von bemerkenswerter Qualität sind und sich ausgesprochen stimmig zum hier vorliegenden Sammelband fügen, was nicht zuletzt auf der zumeist einheitlichen Verwendung gewisser Kernbegriffe beruht. Hans van Wees und Nick Fisher legen dazu in ihrer programmatischen Einleitung „The trouble with ‚aristocracy‘“ (S. 1–57) den roten Faden aus: In der griechisch-römischen Antike war sozialer Status von den Akteuren selbst erworben, die ihn beständig durch Performanz zu aktualisieren hatten. Reichtum war dabei maßgeblich. Es gab keine Gruppe, die sich allein – oder im Wesentlichen – auf ihre Abstammung berufen konnte, um Prominenz im Gemeinwesen zu beanspruchen – mögen antike Zeugnisse eine solche Ideologie auch häufig widerspiegeln. Zu diesem Zweck wählten die Herausgeber eine in verschiedenen Beiträgen (etwa S. 87 u. 125) reflektierte Arbeitsdefinition von ‚aristocracy‘, die im Deutschen am Ehesten als ‚Adel‘ zu übersetzen ist: Ihre Mitglieder bilden „an identifiable […] order, united by a sense of hereditary exclusiveness based on lineage as well as wealth […] and ideally signalled by formal designations such as titles or heraldic emblems, which legitimises access to power; and an order conscious of sharing a coherent ideology, an exclusive set of leisure activities and social and moral values“. Die Brauchbarkeit einer derart zugespitzten Arbeitsdefinition ist freilich für die Antike von Vorneherein fraglich.

Und wenn die Herausgeber darüber hinaus noch die Vorstellung vertreten, es existiere „in modern scholarship […] a belief that a hereditary ‚aristocratic‘ class is identifiable at most times and places in the ancient world“ (S. 1), erzeugen sie damit einen Papiertiger, der von ihnen und den anderen Beiträgern vergleichsweise leicht überwunden werden kann. Tatsächlich dürfte kaum noch ein Gelehrter unreflektiert von einem ‚Erbadel‘ in antiken Gesellschaften ausgehen. Den Hauptteil der gedankenreichen Einleitung bilden allerdings kritische Bemerkungen zur Auseinandersetzung mit verschiedenen Großdeutungen zu griechischen Eliten der letzten Jahrzehnte sowie Überlegungen zu Werten und Performanz der Eliten in den Epen und der frühgriechischen Lyrik. Und so gehen die folgenden Beiträge sämtlich davon aus, dass bei aller Fluidität und sozialen Mobilität der Eliten wie bei allem Fehlen eines intergenerationalen ‚Adels‘ die Betonung von Abkunft nichtsdestotrotz in zahlreichen Zeugnissen von Prominenz ist, und sind bemüht, den Sinn dieses Ideologems zu entschlüsseln.

Alain Duplouy etwa betrachtet in seinem Artikel „Genealogical and dynastic behaviour in archaic and Classical Greece: Two gentilician strategies“ (S. 59–84) gentilizische Strategien der Selbstdarstellung als eine spezifische Kategorie von statusdefinierendem Verhalten. Hierzu trennt er Strategien, um die gegenwärtige Sozialstruktur zu rechtfertigen, wie etwa die Beanspruchung von eugeneia, welche er vor allem von ‚Aufsteigern‘ betont sieht, von Strategien, um gegenwärtiges Prestige in die nächste Generation zu transportieren, wie etwa gemeinsame Weihungen von Vätern und Söhnen. Erscheint diese Differenzierung auch überspitzt, kann seine – auch theoriegesättigte – Deutung der Prominenz von Familienbanden in unseren Quellen doch überzeugen.

Antoine Pierrot stellt mit seinem Beitrag „Who were the Eupatrids in archaic Athens?“ (S. 147–168) geradezu ein Gegenmodell hierzu auf. Gegen jüngere Ansätze, in den Eupatriden lediglich „a polemical and propandagist reconstruction, invented at the end of the archaic period […] by some oligarchic circles“ (S. 147) zu sehen, ist er bemüht literarische, epigraphische und archäologische Zeugnisse heranzuführen, um eine traditionelle Sichtweise zu rehabilitieren, dass im vorsolonischen Athen tatsächlich die Angehörigen eines durch Herkunft definierten und klar konturierten Adels über mehrere Generationen hinweg die Herrschaft in der Hand gehalten hätten.

Stephen Lambert hingegen reflektiert in seinem Artikel „Aristocracy and the Attic genos. A mythological perspective“ (S. 169–202), wie die attischen gene als vermeintliche Abstammungsgemeinschaften mithilfe von Mythen eine Aura von Adel und Exklusivität für ihre Mitglieder entwarfen, wie eine solche instrumentalisiert wurde und welche Auswirkungen etwa das perikleische Bürgergesetz darauf hatte. Noboru Sato analysiert in seinem Beitrag „Aristocracy in Athenian diplomacy“ (S. 203–226) die Relevanz ‚internationaler‘ Verbindungen bei der Entscheidungsfindung im klassischen Athen. Angesichts der auch hier betonten Pluralität von Feldern zur Generierung von Prominenz und der damit einhergehenden sozialen Mobilität kommt der Artikel zu dem nachvollziehbaren Schluss, dass die Relevanz von in einer Familie hochgehaltenen Beziehungen der xenia mit Gastfreunden außerhalb Athens für die Ausrichtung der Außenpolitik eher gering war. Nichtsdestotrotz bildeten etablierte Gastfreundschaften mit Bewohnern anderer Poleis oder gar Monarchen auch im demokratischen Athen eine Quelle von Prestige.

Nick Fisher betrachtet in seinem Beitrag „‚Aristocratic‘ values and practices in Aegina. Athletes and coaches in Pindar“ (S. 227–257) die Frage, ob athletische Exzellenz dem Aristos wesentlich aufgrund vornehmer Abkunft mitgegeben sei und von einem Trainer lediglich modelliert werde oder ob sie dem elitären Athleten auch gegen Entlohnung vermittelt werden könne. Ultimativ geht es um die Ideologisierung von Geblüt in einer Elite, in welcher tatsächlich Reichtum wesentlich für Prominenz war. Der Beitrag ist darüber hinaus um exemplarische Modellbildung bemüht, setzt sich kritisch mit den Modellen von Leslie Kurke und Ian Morris auseinander und führt in die soziopolitische Ordnung Aeginas ein, deren Eliten er eine womöglich überdurchschnittliche soziale Mobilität attestiert.

Olivier Mariaud rekonstruiert in seinem Beitrag „A Samian Leopard. Megas, his ancestors and strategies of social differentiation“ (S. 259–285) die um 540 v.Chr. datierte, ausgesprochen prunkvolle Grabanlage eines gewissen Megas, deren Inschrift eine immerhin fünf Generationen umspannende Genealogie enthält. Mariaud weist auf die Besonderheiten dieser Grablege hin, mit welcher sich die Begräbnisgruppe des Megas von ihren zeitgenössischen Peers der Insel deutlich abzusetzen bemüht war und fragt nach dem Sinn dieser besonderen Strategie im Kontext der Eliten der Insel. James Whitley wendet sich in seinem Artikel „Agonistic Aristocrats? The curious case of archaic Crete“ (S. 287–312) einer Gesellschaft zu, deren materielle Kultur seit dem ausgehenden 7. Jahrhundert bis in das 5. Jahrhundert nicht jene kulturelle Praktiken reflektiert, die wir als typische Zeugnisse elitären Wettbewerbs deuten: Es finden sich etwa keine Dedikationen wertvoller Weihegaben und auch keine Symposionskultur. Whitley stellt daran anschließend die Frage, ob das Fehlen, ja das bewusste Unterdrücken dieser Wettbewerbsfelder uns folgern lassen kann, dass die Eliten kretischer Poleis besonders stabil waren und soziale Mobilität von geringerer Relevanz war.

Thomas J. Figueira untersucht in seinem Beitrag „Modes of colonization and elite integration in archaic Greece“ (S. 313–347), welche Auswirkungen die sogenannte Kolonisation der früharchaischen Zeit auf Phänomene wie die Elitenbildung, die Grenzen von Inklusion und Exklusion in den Apoikien wie auch den Mutterstädten hatte. Entgegen der These, dass Kolonisation häufig das Werk nichtstaatlicher Akteure (Robin Osborne) gewesen sei, und mithilfe einer Modellbildung auf Basis der Kolonisation des klassischen Athen kommt er zu dem Schluss, dass die zentral gesteuerten Kolonisationszüge wesentlich dem Zweck dienten, von den maßgeblichen Eliten der Mutterstädte den Druck durch soziopolitische Aufsteiger zu nehmen und jenen ein attraktives anderes Wirkungsfeld ihrer neuen Prominenz zu bieten. Auch Gillian Shepherd stellt in ihrem Artikel „Display and the emergence of elites in archaic Sicily“ (S. 349–379) die Frage, wie sich Eliten in Szenarien gesteigerter Mobilität entwickelten, nämlich in jenen Politien des archaischen Siziliens, welche sich in recht kurzer Zeit von Neugründungen zu durchaus bemerkenswert reichen und mächtigen Gemeinwesen entwickelten. Indem sie literarische Quellen mit Befunden der materiellen Kultur zusammenbringt, kann sie eine klare Verschärfung elitären Wettbewerbs vom 7. zum 6. Jahrhundert konstatieren.

Es bleiben die beiden Artikel zur römischen Geschichte: Guy Bradley plausibilisiert in seinem um methodische Klarheit bemühten und komparativ argumentierenden Beitrag „Investigating aristocracy in archaic Rome and central Italy. Social mobility, ideology and cultural influences“ (S. 85–124), für das 7. bis 5. Jahrhundert, dass zu Beginn dieses Zeitraums die Eliten Mittelitaliens nicht etwa eine starke – vor allem auf Abstammung beruhende – Stellung hatten, die dann durch politische Reformen langsam erodierte, sondern dass sie als eine zunächst fluide und fragile Gruppe erst durch Prozesse der state formation und spezifische Mechanismen der In- wie Exklusion soziopolitischer Herausforderer als Institution zunehmend stabilisiert wurden. Der Beitrag bietet anregende Überlegungen zum Patriziat und dem Ursprung der gentes.

Laurens E. Tacoma konstatiert in seinem Artikel „Roman elite mobility under the principate“ (S. 125–145) für die lokalen, regionalen und Reichseliten des Principats ein hohes Maß an sozialer Mobilität, im Wesentlichen aufgrund der Sterblichkeitsrate und der Aufteilung von Erbmasse, und betont die Verbindungen zwischen diesen elitären Strata, welche Aufstieg ermöglichen und Abstieg auffangen konnten. Vor dem Hintergrund dieser Mobilität und der ausgeprägten Heterogenität der Eliten sei der Diskurs über die kulturelle Kompetenz, was es heiße ‚römisch‘ zu sein, als Mechanismus der Integration und Ausgrenzung zu verstehen.

Beinahe alle Beiträge führen eigene methodische Diskussionen rund um ‚Adel‘ und ‚Eliten‘, gelegentlich um ‚Klasse‘ und ‚Schicht‘, sodass diese Artikel – so sehr sich gerade ihre Zusammenschau lohnt – auch jeweils gut alleine wahrgenommen werden können. Ein jeder Beitrag kombiniert die Befunde verschiedener Materialgattungen, um zu Ergebnissen zu gelangen; ein jeder ist mit einem ausführlichen Fazit versehen, dies erleichtert die kursorische Lektüre. Die folgenden Anmerkungen und Punkte der Kritik sollen von der hohen Qualität des Ganzen und seiner Teile nicht ablenken: Bei aller Energie, die maßgeblichen Prominenzrollen und das Verhalten der in den Blick genommenen Eliten zu beschreiben, fehlen doch Überlegungen zur Schichtung der besprochenen Gesellschaften weitgehend. Wo verliefen denn die maßgeblichen soziopolitischen Trennlinien zwischen den politischen Akteuren; wer gehörte zum Demos, und wer wurde von dessen Mitgliedern und seinen eigenen Peers ab welchem Punkt als ein Mitglied der Elite angesehen? Was trennte die Aristoi von den im Band immer wieder auftauchenden, jedoch nicht definierten peasant farmers? Vor diesem Hintergrund ist auch die Beobachtung relevant, dass sämtliche Beiträge bei ihrer Behandlung von sozialer Mobilität den Abstieg viel leichter erklären können als den Aufstieg. Demographische Fragen, etwa nach der Wahrscheinlichkeit, dass ein patrilinearer Familienverband über mehrere Generationen fortdauerte, oder solche nach den Modalitäten des Aufbaus und der Weitergabe von Vermögen, spielen in dem Band eine bemerkenswert geringe Rolle.

Ebenso fällt auf, dass alle Artikel den Wettbewerb – dessen Modi, etwa die Konkurrenz, nicht näher differenziert werden – als treibende Kraft ansehen und dass demgegenüber Modi kooperativen Verhaltens wie die Kartellbildung sehr kurz kommen. Überhaupt sind viele Beiträger einem sozialanthropologisch geprägten Modell der state formation verpflichtet, was darin resultiert, dass die Frage nach Akteuren, deren Interessenlagen und Handlungsspielräumen eine immer noch zu geringe Rolle spielt. Bedauerlich ist auch die entgegen dem Titel des Bandes so deutliche Ausrichtung auf das – zumeist – archaische Griechenland. Die Beiträge von Bradley und Tacoma, die auch zu den methodisch stärksten gehören, zeigen, welche Synergie aus einer noch stärkeren Verzahnung von griechischen und römischen Fallstudien hätte entstehen können.

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