S. Czekaj: Deutsche Geschichtsbilder – Filme reflektieren Geschichte

Cover
Titel
Deutsche Geschichtsbilder – Filme reflektieren Geschichte. Modellierungen historischer (Dis-)Kontinuität in selbstreflexiven Non-Fiction Filmen


Autor(en)
Czekaj, Sonja
Reihe
Aufblende – Schriften zum Film 16
Erschienen
Marburg 2011: Schüren Verlag
Anzahl Seiten
364 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Ebbrecht-Hartmann, Department of Communications and Journalism, Hebrew University of Jerusalem

Die Frage, inwiefern Filme unsere Vorstellungen von der Vergangenheit beeinflussen oder gar aktiv daran partizipieren, Geschichtsbilder zu kommunizieren und zu gestalten, hat in der Vergangenheit verschiedene Disziplinen bewegt. Aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft standen dabei zunächst kritische Fragen danach im Zentrum, inwieweit Filme vergangene Realitäten authentisch wiederzugeben in der Lage seien. Dabei wurden insbesondere non-fiktionale Filme zunächst als Quellen wahrgenommen und entsprechend kritisch analysiert.

In Auseinandersetzung mit den Ansätzen und Theorien der Filmwissenschaft begannen Historiker später auch fiktionale Filme im Hinblick auf ihren historischen Charakter und ihre Bedeutung zu untersuchen. Dabei standen Fragen nach kollektiven Bewusstseinsformen und der zeitgenössischen Wahrnehmung bestimmter historischer Epochen im Vordergrund. Im Kontext dieses Ansatzes wurden Filme zunehmend als Produkte ihrer jeweiligen Gegenwart betrachtet, die mit Hilfe von analytischen Instrumenten und durchaus im Gegensatz zu etwaigen beabsichtigten Intentionen von dieser Gegenwart Zeugnis ablegten.

In den letzten Jahren hat sich das Interesse dann zunehmend in Richtung eines historiographischen Zugangs zum Medium Film verschoben. Nun stellt sich Fachhistorikern ebenso wie Filmwissenschaftlern verstärkt die Frage, wie mit Filmen Geschichte geschrieben werden kann und wird. Ein früher Pionier auf dem Gebiet filmischer Historiografie war der Filmtheoretiker Siegfried Kracauer, der in seinem posthum veröffentlichten Buch „Geschichte vor den letzten Dingen“ die Affinitäten zwischen Film und Geschichte näher untersucht hat.1 Zuletzt hat Simon Rothöhler, unter anderem in Rückgriff auf Kracauer, einen überzeugenden Entwurf filmisch-historiographischer Verfahren vorgelegt. Dazu untersuchte er non-fiktionale Filme, die mit filmischen Mitteln und Techniken wie Re-Enactment und der Montage von Archivaufnahmen Geschichtsschreibung betrieben.2

Nun hat Sonja Czekaj mit ihrer Dissertation „Deutsche Geschichtsbilder – Filme reflektieren Geschichte“, für die sie im vergangenen Jahr mit dem Promotionspreis der Universität Marburg ausgezeichnet wurde, einen weiteren Versuch unternommen, das Wechselverhältnis von Film und Geschichte näher zu bestimmen. In ihrer Studie untersucht sie die „Modellierungen historischer (Dis-)Kontinuität in selbstreflexiven Non-Fiction Filmen“. Der Schwerpunkt liegt also auf essayistischen, selbstreflexiven und Meta-Filmen, die nicht nur Vergangenheiten rekonstruieren bzw. erinnern, sondern in ihrer Form die Herstellung von Geschichte als mediales Gedächtnis reflektieren.

Leider kommen darin weder Kracauer noch Rothöhler vor. Stattdessen nimmt die Arbeit ihren Ausgangspunkt vom vielfach diskutierten Konzept des Geschichtsbildes. Geschichtsbilder werden dabei von Czekaj als „audiovisuelle Formierungen und sinnliche Konkretisierung von Vorstellungsbildern historischer Vergangenheit in umfassendem Sinne verstanden“ (S. 14). Mit dieser sehr allgemein gefassten Definition grenzt sie sich von einem im Kontext der Auseinandersetzung mit filmischen Geschichtsfiktionen vorgeschlagenen Geschichtsbildkonzept ab, das den konsensualen, beglaubigenden und schließlich vereindeutigenden Charakter von kollektiv geteilten und medial tradierten Geschichtsbildern hervorgehoben hat.3 Tatsächlich fordern Beispiele wie jene, auf die sich Czekaj bezieht, dazu heraus, diesen kritisch perspektivierten Geschichtsbild-Begriff durch weiterführende Konzepte zu ergänzen. Dazu hatte ich zum einen den Begriff des „Vorstellungsbildes“, zum anderen den des „Erinnerungsbildes“ vorgeschlagen. Ersteres meint ein Bild, das in der Imagination der Zuschauer in Auseinandersetzung mit der filmischen Geschichtsschreibung entsteht, während letzteres zumeist subjektiv markiert und durch eine gewisse Offenheit und Mehrdeutigkeit charakterisiert ist. Auch Czekaj verwendet im Verlauf ihrer Studie diese Begriffe, allerdings werden sie dem bewusst allgemein gehaltenen Geschichtsbild untergeordnet und verlieren dadurch an begrifflicher Schärfe.

Im ersten Teil ihrer Studie referiert die Autorin verschiedene Ansätze, Geschichte und Film zusammenzudenken. Dazu führt sie u.a. den „New Historicism“, Semiopragmatismus und verschiedene Studien zum Essayfilm an. Davon ausgehend entwickelt sie die Parameter für ihre eigene „medienwissenschaftliche Untersuchung zu (zeit-)historischen Phänomenen und deren historiographische Behandlung in und mit Filmen“ (S. 17). Dabei orientiert sie sich zum einen an gesellschaftlichen Umbruchsituationen und fragt danach, inwieweit gerade solche Umbrüche zu filmischen Reflektionen von Geschichtsschreibung anregen. Zum anderen richtet die Studie den Blick auf das Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität. Schließlich fragt sie nach der Position, die dem Zuschauer von den analysierten Filmen zugeschrieben wird. Diese Überlegung orientiert sich an dem semiopragmatischen Ansatz, Lektüreanweisungen zu bestimmen, die von Filmen angeregt werden. Ausgehend von diesen Parametern formuliert Czekaj als Ausgangsfrage, „wie historische Kontinuität und Diskontinuität im Hinblick auf die filmisch verhandelten Umbruchsituationen der jüngeren und jüngsten deutschen Geschichte modelliert werden“ (S. 49).

Dazu untersucht die Autorin in drei Kapiteln verschiedene Beispiele, die unterschiedlichen Formen der in Frage stehenden audiovisuellen Geschichtsbildproduktion entsprechen, gleichzeitig aber auch bestimmte historische Umbruchsituationen der deutschen Nachkriegsgeschichte abbilden. Die Filme „Deutschlandbilder“ (1983), „Reichsautobahn“ (1986) und „Der VW-Komplex“ (1989), die Regisseur Hartmut Bitomsky in seiner „Deutschlandtrilogie“ zusammengefasst hat, stehen dabei für bestimmte filmische Techniken des Umgangs mit dem visuellen Erbe der Nazizeit und beziehen sich auf den Umbruch, den der Beginn der Nachkriegszeit als vermeintliche „Stunde Null“ markiert. Eine zweite Gruppe von Filmen wendet sich der Geschichte der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) und dem deutschen Linksterrorismus zu. „Black Box BRD“ (2001), „Starbuck – Holger Meins“ (2002) und „Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte“ (2009) stehen dabei auch für an konkreten Biografien orientierte Formen filmischer Geschichtserzählung. Schließlich richtet die Studie ihren Blick auf die „Wende“ als Umbruchzeit und diskutiert dazu Filme, die von den bekannten narrativen und visuellen Formen, das Ende der DDR zu visualisieren, abweichen: „Aus Liebe zum Volk“ (2004), „Cycling the Frame“ (1988) und „The Invisible Frame“ (2009).

Jeder dieser sehr umfangreichen Analyseblöcke wird durch ein kontextualisierendes Kapitel eingeführt, in dem andere, zumeist kanonische, Beispiele und die dazugehörigen akademischen Debatten vorgestellt werden. Zu diesem größeren filmgeschichtlichen und filmwissenschaftlichen Kontext werden dann die Analysen in Beziehung gesetzt, bevor ein zusammenfassendes Kapitel jeden Block beschließt und die wichtigsten Erkenntnisse für die Frage nach der audiovisuellen Geschichtsbildproduktion zusammenfasst.

Czekaj bearbeitet in ihrer Studie ein wichtiges und bisher noch nicht zusammenfassend erschlossenes Forschungsfeld: Filme, die nicht nur Vergangenheit zu repräsentieren oder zu erinnern suchen, sondern gewissermaßen auf einer Meta-Ebene selbst am Schreiben von Geschichte partizipieren. Zuletzt haben insbesondere solche Beispiele Interesse geweckt, die mit filmischen Mitteln audiovisuelle Überreste aus der Vergangenheit befragten, so z.B. Yael Hersonskis „Geheimsache Ghettofilm“ (2010) über propagandistisches Filmmaterial aus dem Warschauer Ghetto oder Thomas Heises „Material“ (2009), in dem er eigenes, für unbestimmte Zwecke gedrehtes Filmmaterial aus der Wende-Zeit kompiliert. Doch tatsächlich sind solche Ansätze einer filmischen Geschichtsschreibung keinesfalls neu. Sie stützen sich auf die Tradition historischer Kompilationsfilme, finden aber ihre Ausprägung insbesondere im Genre des Essayfilms und dabei vor allem bei an Geschichts- und Erinnerungsprozessen interessierten Filmemachern wie Bitomsky, Harun Farocki oder Chris Marker.4

An dieser Tradition orientiert sich auch Czekaj in ihrer Filmauswahl und der theoretischen Rahmung ihrer Studie. Dabei betonen insbesondere die sehr detaillierten Filmanalysen zahlreiche erhellende Aspekte, die in vielen Fällen neue Sichtweisen eröffnen. Besonders überzeugend ist in diesem Kontext das Kapitel zu „Black Box BRD“. Der Film dient der Autorin als Beispiel für eine weniger an Strukturen als an Personen und ihren Biografien orientierte Form der Geschichtsbetrachtung. Sie geht dabei von den „Uneindeutigkeiten bzw. Leerstellen des Films“ (S. 173) aus, die bereits durch den im Titel anklingenden Verweis auf das Motiv der Black Box angedeutet sind. In ihrer sehr genauen Analyse der Eröffnungssequenz kann Czekaj zeigen, wie Gegensätze aufgeweicht und dadurch ein thematisch den Film durchziehendes Wechselspiel von Kontrast- und Verbindungsmotiven entsteht, die den vom Film evozierten Vorgang der „Verunklarung“ vorantreiben (S. 174). So kann die Autorin durch die genaue Betrachtung von filmischen Verfahren, Motiven und der Figurenkonstellation zeigen, wie eine dichotome Gegenüberstellung von Tätern und Opfern vermieden wird. Im Hinblick auf ihre Forschungsfrage sieht sie den Film daher als Beispiel für Geschichte als eine „fortwährende Erinnerungsproduktion in der Gegenwart“ (S. 200).

Wesentlich hermetischer hingegen wirkt die Analyse des seinerzeit kontrovers diskutierten Kompilations- und Reenactmentfilms „Aus Liebe zum Volk“ über die DDR-Staatssicherheit. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass der vermeintlich reflexive Charakter des Films vor allem durch dessen wiederholte Betonung in der Analyse evoziert werden soll, allerdings nicht begründet wird. Im Gegenteil reproduziert und legitimiert die Autorin das von den Filmemachern bewusst eingesetzte Verfahren der historischen und filmischen Dekontextualisierung. Kritische Stimmen, wie die von Ekkehard Knörer, der in seiner Besprechung des Films anmerkt, ob nicht die zahlreichen Archivbilder einen rein illustrativen Charakter bekommen, während der Moment der Irritation ausbleibe, werden zwar angeführt, aber nicht überzeugend widerlegt.5 An dieser Stelle wären vielleicht auch werkimmanente Kontextualisierungen hilfreich gewesen, beispielsweise der Verweis auf einen anderen umstrittenen Film, an dem der Regisseur Eyal Sivan ebenfalls beteiligt war: „Ein Spezialist“ über den Eichmannprozess kompiliert ebenfalls willkürlich Archivmaterial, um einen verallgemeinernden und damit letztlich persönliche Verantwortung negierenden Effekt zu kreieren. So wie Eichmann zum Sinnbild des Bürokraten wurde, wird die Stasi zum Sinnbild der Überwachung, wobei in dieser Universalisierung Gegenwartsbezüge hergestellt werden, in denen historisches Unrecht hinter Aktualisierungen verschwimmt.

So wird an verschiedenen Stellen der Studie die Argumentation durch eine teilweise redundante Reihung von unscharfen Begriffen verunklart. Dies erschwert zum einen die Lektüre des Buches. Zum anderen entsteht der Eindruck, dass das Untersuchungsobjekt der „Geschichtsbildproduktion“ eigentlich erst durch ihre wiederholte Benennung entsteht. Langatmige Einführungen folgen einer Wissenschaftsrhetorik, die präzise Beschreibungen und argumentativ begründete Urteile unmöglich macht. Was dabei allerdings verschwindet, ist Geschichte selbst. Als distinktes Ereignis spielt sie keine eigenständige Rolle und wird so letztlich, und trotz anderslautender Beteuerungen, wiederum als bloß Repräsentiertes begriffen. Was die Autorin den Filmen unterstellt, sie verschöben den Fokus „von der filmischen Auseinandersetzung mit Geschichte zur Auseinandersetzung mit der filmischen Geschichtsbildproduktion“ (S. 322–323), beschreibt daher viel eher ihren eigenen Ansatz. In der zusammenfassenden Perspektive der Autorin scheint alles produziert oder formiert, aber weder die Filme, noch andere Akteure werden zu aktiven Agenten einer Geschichtsschreibung, die stattdessen als produzierte lediglich unpersönlich zu prozessieren scheint, losgelöst von den historischen Ereignissen, aber auch von ihren Medien.

Anmerkungen:
1 Siegfried Kracauer, Geschichte – vor den letzten Dingen. Werke, Band 4, herausgegeben von Ingrid Belke unter Mitarbeit von Sabine Biebl, Frankfurt am Main 2009; siehe dazu auch: Drehli Robnik / Amália Kerekes / Katalin Teller (Hrsg.), Film als Loch in der Wand. Kino und Geschichte bei Siegfried Kracauer, Wien 2013.
2 Simon Rothöhler, Amateur der Weltgeschichte. Historiographische Praktiken im Kino der Gegenwart, Zürich 2011.
3 Vgl. Tobias Ebbrecht, Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis. Filmische Narrationen des Holocaust, Bielefeld 2010.
4 Vgl. unter anderem Nora M. Alter, Projecting History. German Nonfiction Cinema, 1967–2000, Ann Arbor 2002 und Sven Kramer / Thomas Tode (Hrsg.), Der Essayfilm. Ästhetik und Aktualität, Konstanz 2011.
5 Ekkehard Knörer, Filmkritik zu: Eyal Sivan / Audrey Maurion: Aus Liebe zum Volk (F 2003), in: Jump Cut Magazin. Kritiken und Analysen zum Film, http://www.jump-cut.de/filmkritik-ausliebezumvolk.html (26.10.2017).