M. Goltz u.a. (Hrsg.): Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen

Cover
Titel
Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914). Kultur als Behauptungsstrategie?


Herausgeber
Goltz, Maren; Greiling, Werner; Mötsch, Johannes
Reihe
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe 46
Erschienen
Anzahl Seiten
576 S.
Preis
€ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Silke Marburg, Graduiertenkolleg Geschichte der sächsischen Landtage, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

Der Band legt die Ergebnisse einer Tagung vor, die vom 26. bis 28. Juni 2014 in Meiningen aus Anlass des 100. Todestages Herzog Georgs II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914) stattfand. Die Konferenz, die also der historiografischen Vergewisserung des lokalen Gedenkens diente und dazu einen Kenntnisstand über die Person Georg bündelte, nahm gezielt die Kompetenz zeitgenössischer wissenschaftlicher Forschung in Anspruch.1 Der Band kommt deswegen ohne hagiografischen Anspruch daher.

Seit jeher war der Protagonist historiografisch interessant als künstlerisch-konzeptionell engagierter Kulturmäzen und Impulsgeber der Theatergeschichte. Dieser Aspekt kommt auch im vorliegenden Band auf circa 200 von 500 Druckseiten wiederum ausführlich zur Sprache und bildet den Ausgangspunkt für die dem Band aufgeprägte Frage, ob Kultur im Falle Georgs als „Behauptungsstrategie eines mindermächtigen Monarchen“ (S. 10) zu verstehen gewesen sei. Damit wird das Interesse am Mäzen und Künstler Georg in die Perspektive einer Kulturgeschichte des Politischen gerückt. Eine Entwicklung dieser Leitfrage und eine Einbettung in die historische Forschung fehlen jedoch. In dieser Hinsicht fällt das Vorwort, das einen Umfang von lediglich drei Druckseiten hat, karg aus. An der Beantwortung dieser Frage versuchen sich nur wenige der 23 Autoren.

Auf Grund der Beitragsfülle kann hier nicht auf jeden der Texte eingegangen werden. Thematisch vielfältig sind die Forschungsergebnisse in der Abteilung „Kunst und Kultur“. Sie widmen sich nicht nur dem „Theaterherzog“, sondern beleuchten auch seine Beziehung zu bildender Kunst, Chor- und Orchestermusik. Diese vielseitige Annäherung ist geeignet, das Interesse am Protagonisten zu schüren. Denn Georg betrieb nach seinem Regierungsantritt eine Reform des Hoftheaters, die Meiningen überregional berühmt machte. Hier würde mancher Vergleich mit anderen Monarchien weiterführen. Die Verfügbarkeit von finanziellen Ressourcen, die personelle Größe der künstlerischen Apparate würden sich in Bezug zu den Potenzen des jeweiligen Staates bzw. des Fürstenhauses aufschlussreich abbilden. Denn wie der Musikhistoriker Hans-Joachim Hinrichsen andeutet, blieb gerade das Orchester „winzig“ (S. 421) und die Besoldung nicht nur für die Spitzenkräfte, sondern auch für das künstlerische und handwerkliche „Fußvolk“ ein Problem, das „keine dauerhafte organisatorische Lösung“ zuließ (S. 423). Die Tätigkeit des Ehepaares Georg II. und Helene Freifrau von Heldburg erscheint damit quasi als gezielte Nachwuchsarbeit, die eine große Prägekraft für den lokalen Musik- und Theaterbetrieb gewinnen konnte. Die Einkürzung auf ein Zweispartentheater (Sprechbühne, Konzertorchester), die Georg bei seinem Regierungsantritt vornahm, dürfte zum künstlerischen Erfolg in den verbleibenden Sparten beigetragen haben. Man wird darin eine Strategie zur Sicherung einer funktionalen höfischen Repräsentationskultur erkennen können.

Als Plus ist hervorzuheben, dass der Band der Frage nach dem Zusammenwirken und den individuellen Anteilen des Monarchen und seiner dritten morganatischen Ehepartnerin am gemeinsamen Meininger Kunst- und Kulturprojekt nachgeht. Maren Goltz postuliert „Augenhöhe“ zwischen beiden, von Heldburg sei dem Herzog „in intellektueller und künstlerischer Hinsicht ebenbürtig“ (S. 83) gewesen. Freifrau von Heldburg habe ihre Expertise und ihre Arbeitskraft und ihre Netzwerke in das Projekt eingebracht. Der eher metaphorische Begriff der „Augenhöhe“ mag geeignet sein, entgegen der älteren Forschung für Helene und ihre keinesfalls marginale Mitarbeit Aufmerksamkeit zu reklamieren. Laut Goltz besteht hier aber zunächst Forschungsbedarf. Demnach wird zu beleuchten sein, welche Rollen die beiden Partner für ihre ineinander verwobene Theater- und Repräsentationarbeit entwickelten und wie sich das mit der systematischen rangmäßigen Deklassierung der Ehefrau verband. Christian Storchs Beitrag gibt zu wissen, dass im Liebensteiner Theater noch 1874 eine rote Kordel durch die Hofloge den Rangunterschied zwischen dem Herzog und seiner Ehefrau öffentlich zelebrierte (S. 377). Es bleibt zu vermuten, dass ähnliche Lösungen den Alltag des Paares mit großer Selbstverständlichkeit prägten und dazu dienten, jeden Anschein von „Augenhöhe“ zu vermeiden – selbst bzw. gerade auch im Theater, einem wichtigen Repräsentationsinstrument der Monarchie. Fallstudien zu Beziehungen des Meininger Monarchen zu Künstlern und Wissenschaftlern wie zu seinem Erzieher Moritz Seebeck, zu dem Historienmaler Arthur Fitger, zu den Musikern Heinrich und Elisabeth von Herzogenberg, dem Kapellmeister Hans von Bülow, dem Chorleiter Bernhard Müller, zu dem Medizinalreferenten Georg Leubuscher, zu dem Anthropologen Ernst Haeckel und anderen bieten unterschiedliche, einander ergänzende Ansichten und zeigen Anknüpfungspunkte auf. Der Kommunikationsstil des Monarchen wird deutlich.

Jene Beiträge, die die politik-, sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Umstände der Lebenszeit Georgs skizzieren, stechen von den kunst- und bildungsorientierten Beiträgen insofern ab, als sie zwar den historischen Kontext im Herzogtum Sachsen-Meiningen zeichnen, aber nicht auf empirischen Studien basieren, die eine Bewertung des Protagonisten in diesem Rahmen ermöglichen würden. Folgerichtig bleibt hier vieles offen. Dies gilt etwa für die agrar- und industriegeschichtlichen Beiträge von Uwe Schirmer und Hans-Werner Hahn. Merkwürdig desinteressiert wirkt es dagegen, wenn Mitherausgeber Werner Greiling die Beziehung Georgs zur Presse anhand von drei Meldungen zum Regierungsantritt 1866, zum 50. Geburtstag 1876 und zu Georgs Tod 1914 pauschal als „Huldigungen“ (S. 220) abhandelt. Denn der Beitrag von Martina Lüdtke im selben Band weist explizit darauf hin, dass Georgs Reputation nach seiner dritten, morganatischen Eheschließung in der lokalen Gesellschaft sowie in „in- wie ausländischen Zeitungen“ (S. 67) eine schwere Krise erlebte. Welche Rolle einzelne Presseorgane dabei spielten und welche Strategien der Herzog ihnen gegenüber an den Tag legte, hätte deutlich mehr Aufschluss ermöglicht.

In mehreren Beiträgen des Bandes klingt an, dass Georg seinem Engagement den Gedanken unterlegte, positiv Musterhaftes auf die Beine zu stellen und damit eine breite Nachahmung zu bewirken, die zu einer allgemeinen Verbesserung auf dem jeweiligen Gebiet führten. Diese Idee des Mustergültigen erscheint nicht nur als persönlicher Ehrgeiz des Fürsten plausibel, sondern sie könnte insbesondere für die Monarchie eines Kleinstaats ein starkes legitimatorisches Moment geboten haben. Ein Fürst konnte sich auch und gerade im überschaubaren Rahmen – etwa des Herzogtums Sachsen-Meiningen – berufen fühlen, mit eigenen Projekten trendsetzende Anstöße zu geben. Wie die Musikwissenschaftlerin Herta Müller und die Kirchenhistorikerin Hannelore Schneider andeuten, gehörte es zu Georgs Überzeugungen, auf diesem Weg an einer allgemeinen sittlichen und moralischen Veredelung zu arbeiten. Stellung und Kompetenzen eines Monarchen boten dafür ein spezifisches Handlungspotenzial. Es würde sicher lohnen, diesem Topos monarchischen Legitimationsdenken noch weiter nachzugehen, auch bei Georg II.

Der Beitrag über das Haus Sachsen-Meiningen wurde von Alfred Erck leider als biografische Skizze abgefasst, um Georg II. als dessen „bedeutendsten Vertreter“ zu würdigen. Damit geraten Haus und Dynastie als erklärende Momente für das Handeln des Protagonisten außer Acht, auf die zwei andere Beiträge zumindest hindeuten. So umreißt Gerhard Müller die Verfassungsverhältnisse und berührt dabei die bei der Teilung des Herzogtums Sachsen-Gotha 1826 eingetretenen Folgen der dynastischen Sukzessionsverträge sowie den bekannten Meininger Domänenstreit. Und Stefan Gerber zeigt die Universität Jena als Gemeinschaftsprojekt mehrerer ernestinischer sogenannter Nutritoren. Eine Untersuchung der Modalitäten des Hausgesetzes sowie der rechtlich-organisatorischen und kommunikativen Strukturen des Gesamthauses Wettin und der Ernestiner hätten ein Bindeglied zwischen diesen Beiträgen darstellen können. So kommt es, dass der dynastische Faktor hier zunächst nur als Einhegung des Privatlebens und der Berufswahl zur Sprache kommt sowie als Ahnengeschichte, die Sujets für jene repräsentative Historienmalerei in Meiningen und Umgebung lieferte, die in den Beiträgen von Wolfgang Türk und Ingrid Reißland vor Augen geführt wird.

Insgesamt ist mit dem vorliegenden Band eine niveauvolle Zusammenschau der Forschungserträge mehrerer Wissenschaftssparten entstanden. Sie ist nicht nur für die Forschung relevant, sondern kann auch den kulturhistorisch interessierten Laien fesseln. Darüber hinaus lassen sich viele weiterführende Fragestellungen gewinnen. Sinnvoll wäre es künftig, stärker den historischen Vergleich zu suchen. Will man den Behauptungsstrategien des Monarchen Georg, des Hauses und Fürstentums Sachsen-Meiningen tatsächlich näher kommen, dann kann hierzu letztlich nur eine im nationalen bzw. internationalen Rahmen zu diskutierende Hof-, Monarchie- bzw. Dynastiegeschichte führen.2 Um deren Fokussierung auf „große“ bzw. die Nationalstaaten regierende Häuser zu überwinden, bietet sich die Vielfalt der Residenzenlandschaft Thüringens geradezu an.

Anmerkungen:
1 Die Meininger Initiatoren schließen sich damit einem Verfahren an, Monarchen-Jubiläen wissenschaftlich zu würdigen, das sich auch in Thüringen etabliert hat. Angeknüpft wird offenbar an die Weimarer Tagungen anlässlich des 200. Todestages von Herzogin Anna Amalia und des 250. Geburtstages von Herzog Carl August, vergleiche den Tagungsband Lothar Ehrlich / Georg Schmidt (Hrsg.), Ereignis Weimar-Jena, Gesellschaft und Kultur um 1800 im internationalen Kontext, Köln 2008; sowie zum 100. Todestag von Georgs Zeitgenossen Großherzog Carl Alexander (1818–1901) vergleiche den Tagungsband Lothar Ehrlich / Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach. Erbe, Mäzen und Politiker, Köln 2004.
2 Hierzu aus deutscher Perspektive zuletzt Frank-Lothar Kroll / Dieter J. Weiß (Hrsg.), Inszenierung oder Legitimation? Monarchy and the Art of Representation. Die Monarchie in Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Ein deutsch-englischer Vergleich (Prinz-Albert-Studien / Prince Albert Studies 31), Berlin 2015. Letzte Tagung zum Thema: Vom Olymp zum Boulvard: die europäischen Monarchien von 1815 bis heute – Verlierer der Geschichte?, am 24./25.9.2015 an der Universität Passau (Marc von Knorring / Benjamin Hasselhorn), vergleiche den Tagungsbericht von Anja Schöbel unter https://monarchie.hypotheses.org/40 (03.02.2017).

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