Cover
Titel
Der Russen-Boom. Sowjetische Ausstellungen als Mittel der Diplomatie in der BRD


Autor(en)
Korowin, Elena
Reihe
Das östliche Europa: Kunst- und Kulturgeschichte 3
Erschienen
Köln 2015: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
312 S., 42 SW-Abb.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sonja Großmann, Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde, Eberhard Karls Universität Tübingen

In den letzten Jahren haben die kulturellen Austauschbeziehungen zwischen Ost und West während des Kalten Krieges in der Forschung große Aufmerksamkeit erfahren. Gegenüber anderen Kulturbereichen wie Musik oder Film blieb die Bildende Kunst jedoch bisher eher unterrepräsentiert.1 Umso wichtiger ist die 2013 an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe vorgelegte Dissertation der Kunsthistorikerin Elena Korowin, die das Zustandekommen, die Rahmenbedingungen und die Rezeption sowjetischer Kunstausstellungen in der Bundesrepublik Deutschland untersucht.

Hierzu stellt Korowin exemplarisch neun Ausstellungen vor, die in der Bundesrepublik bzw. in West-Berlin während der 1970er- und 1980er-Jahre stattfanden und im Gegensatz zu Ausstellungen früherer Jahrzehnte mit Hilfe von Leihgaben aus der Sowjetunion realisiert wurden. Die Ausstellungen verbindet die „individuelle Kulturdiplomatie“ (S. 16) einzelner Sammler und Museumsdirektoren, die durch Engagement und persönliche Kontakte sowjetische Kunst in die Bundesrepublik holen konnten. Der zweite rote Faden der Darstellung ist die von der Autorin kritisierte allzu schematische Rezeption der Ausstellungen in der bundesdeutschen regionalen und überregionalen Presse, die sich ausgehend von der früheren „Ersten Russischen Kunstausstellung“ 1922 in Berlin über Jahrzehnte hielt. Nach diesem Schwarz-Weiß-Schema gab es nur die „gute“ Avantgarde und die „schlechte“ Staatskunst, sodass die Qualität sowjetischer Ausstellungen in der Bundesrepublik daran gemessen wurde, „wie viele avantgardistische Werke aus den Depots ausgeliehen werden konnten“ (S. 265).

Im Mittelpunkt des ersten Hauptteils der Arbeit zu den 1970er-Jahren steht Klaus Gallwitz, Direktor der Kunsthalle Baden-Baden und ab 1974 des Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt am Main. Für die Ausstellung „Russischer Realismus 1850–1900“ gelang es ihm 1972, erstmals in großem Maßstab Leihgaben russischer Museen selbst auszuwählen und in der Bundesrepublik zu zeigen. Bei den Verhandlungen in der Sowjetunion und der Rezeption in der Bundesrepublik kam ihm zugute, dass die positive Stimmung des Moskauer Vertrages von 1970/72 noch anhielt, die ausgestellte Epoche politisch weniger umstritten war und das Stereotyp der „russischen Seele“ bediente. Die Nachfolgeausstellung 1976 in Frankfurt, „Russische Malerei 1890–1917“, war dagegen politisch wesentlich heikler. Zwar schaffte es Gallwitz, einzelne avantgardistische Werke aus den sowjetischen Depots zu holen, doch musste er insbesondere für den Katalog Kritik einstecken, da dieser die sowjetischen Interpretationen der Avantgarde übernahm.

Neben Verweisen auf andere „dissidentische“ Ausstellungsprojekte von Künstlern im Exil präsentiert Korowin als Gegenbeispiel zu Gallwitz den griechisch-sowjetischen Privatsammler Georgios Costakis, der in Moskau selbst eine beträchtliche Sammlung von Bildern der Avantgarde zusammenkaufen und regelmäßig Ausländern vorführen konnte. Dafür wurde er von westlichen Medien gern als „Retter der Avantgarde“ vor den sowjetischen Behörden heroisiert. Ein Teil der Sammlung, den er bei seiner Ausreise in den Westen mitnehmen durfte, wurde 1977 im Kunstmuseum Düsseldorf ausgestellt („Russische Avantgarde 1910–1930“). Diesen Erfolg schrieb sich unter anderem der Bankier Friedrich Wilhelm Christians auf die Fahnen, der persönlich mit Costakis bekannt war und damit das Kunstengagement der Deutschen Bank in Russland begründete.

Während die sowjetischen Behörden in den 1970er-Jahren eher widerwillig einzelne Werke der Avantgarde herausgaben und die Initiative westlichen Sammlern überließen, bemühten sie sich in den 1980er-Jahren selbst aktiv, das Bild der sowjetischen Kunst im Westen mitzugestalten und die dort so beliebte Avantgarde zu exportieren. Diesem Trend ist der zweite Hauptteil des Buches gewidmet. So stellten die sowjetischen Behörden für die Kunsthalle Düsseldorf 1980 die Ausstellung „Kasimir Malewitsch (1878–1935). Werke aus sowjetischen Sammlungen“ zusammen, eine erste umfangreiche Werkschau, die den Künstler in den Augen der westlichen Medien endgültig zum „Superstar der russisch-sowjetischen Kunstgeschichte“ (S. 134) machte. Am Zustandekommen der Ausstellung war neben Christians auch der sowjetische Botschafter in Bonn beteiligt, Vladimir Semënov. Dieser war selbst Kunstkenner und zeigte Teile seiner persönlichen Sammlung, die zum Erstaunen der bundesdeutschen Medien auch Werke der Avantgarde umfasste, im gleichen Jahr im Museum Ludwig in Köln.

Der Ort der Ausstellung ist ein Hinweis auf Semënovs gute Kontakte zu weiteren bundesdeutschen Kunst-Mäzenen, besonders dem Industriellen-Ehepaar Peter und Irene Ludwig. Nachdem er bereits vorher unter anderem Kunst der DDR gesammelt hatte, kaufte Peter Ludwig in den 1980er-Jahren mit Unterstützung Semënovs und der Kölner Galeristin Antonina Gmurzynska größtenteils gegenständlich-naturalistische Werke „offizieller“ Künstler aus allen Sowjetrepubliken. Von den sowjetischen Behörden hofiert, geriet Ludwig in der Bundesrepublik zunehmend in die Kritik. Entsprechend stieß seine Ausstellung „Aspekte sowjetischer Kunst der Gegenwart“ 1982 in Köln auf überwiegend negative Resonanz. Im Kunsthandel mit der Sowjetunion war auch „stern“-Herausgeber Henri Nannen aktiv, der 1982/83 Verkaufsausstellungen in der Bundesrepublik präsentierte.

Im Zuge von Glasnost und Perestroika Ende der 1980er-Jahre – der dritte chronologische Schwerpunkt des Buches – wurden die avantgardistischen und „inoffiziellen“ Künstler zunehmend rehabilitiert. Der materielle Wert ihrer Werke stieg im Westen rasant. Die enge Verquickung von künstlerischen und wirtschaftlichen Interessen beweist auch eine Ausstellung der Deutschen Bank unter Beteiligung weiterer großer Firmen in Kooperation mit dem sowjetischen Kulturministerium unter dem Titel „Schrecken und Hoffnung. Künstler sehen Frieden und Krieg“ 1987/88 in Hamburg und München. Die Werke deutscher und sowjetischer Künstler aus mehreren Jahrhunderten zum Thema Krieg wurden von den bundesdeutschen Medien nicht als Friedensappell, sondern als Feier der florierenden deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen bewertet. Während Peter Ludwig weiter Kunst des sozialistischen Realismus sammelte, begeisterte sich Nannen nun für die lange Zeit verfemten Künstler Maxim Kantor und Lenina D. Nikitina. Ausstellungen mit programmatischen Titeln wie „Glasnost – Die neue Freiheit der sowjetischen Maler“ (Kunsthalle Emden, 1988) profitierten in dieser Zeit von dem geradezu euphorischen Interesse an den Entwicklungen in der Sowjetunion.

Ein wichtiges Verdienst von Korowins Arbeit ist es, dass sie durch den Fokus auf individuelle Akteure eine oft vernachlässigte Perspektive auf den „Cultural Cold War“ einnimmt. Anhand privater Bestände und der Archive einzelner Museen sowie mit Zeitzeugeninterviews zeigt sie die Handlungsspielräume Einzelner unterhalb der staatlichen Ebene. Korowin belegt jedoch auch sehr plastisch, dass das Engagement der „Pioniere“ nicht so selbstlos war, wie sie es selbst gern darstellten, sondern oft von ganz banalen ökonomischen Interessen geleitet wurde. Daran wird deutlich, wie eng Kunst- und Wirtschaftsdiplomatie verknüpft waren und dass nicht jeder Kulturaustausch von Versöhnungsgedanken getragen war.

Schließlich liefert das Buch einen Beitrag zur medialen Rezeption sowjetischer Kunst in der Bundesrepublik. Zu Recht kritisiert Korowin, dass viele Medien über Jahrzehnte alle Zwischentöne ignorierten und die Werke stark vereinfachend in offizielle staatliche oder inoffizielle oppositionelle Kunst einteilten. Den hier naheliegenden Vergleich beispielsweise mit der ebenso schematischen Rezeption sowjetischer Literatur oder Musik zieht Korowin allerdings nicht. Eine vergleichende Perspektive auf die Rezeption des Sozialistischen Realismus und der Avantgarde in anderen westlichen Ländern würde vermutlich auch Korowins These in Frage stellen, dass die „laute Kritik an der realistischen Staatskunst der UdSSR“ in der Bundesrepublik eine „befreiende Funktion für den schwierigen Umgang mit der Kunst des Dritten Reiches“ gehabt habe und die Begeisterung für die Avantgarde eine Art „verspätete Wiedergutmachung“ für die Verfolgung der „Entarteten Kunst“ gewesen sei (S. 270).

Historikerinnen und Historiker mögen an der kunstgeschichtlichen Arbeit bemängeln, dass sie ihrem Untertitel nicht gerecht wird, demzufolge die Ausstellungen als „Mittel der Diplomatie“ analysiert werden. Die politische und (kultur)diplomatische Ebene der Bundesrepublik und der Sowjetunion wird nur auf der Basis von einzelnen (teilweise in die Jahre gekommenen) Sekundärwerken angedeutet. Sicherlich hätte es aufwendige Recherchen in Moskauer Archiven erfordert, die sowjetischen politischen Überlegungen und Aushandlungsprozesse im Kontext des Kunstaustausches nachzuzeichnen. Die leicht zugänglichen einschlägigen Bestände im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes hätten aber wohl schon Aufschluss gegeben über die Interessen und die Involvierung der bundesdeutschen Diplomatie in den Kunstaustausch mit der Sowjetunion – und hätten damit manch heroische Selbstdarstellung der Protagonisten relativiert. Problematisch erscheint zudem die Vermischung von gedruckten Quellen und Sekundärliteratur im Literaturverzeichnis. Auch vermisst man einige Standardwerke, die sich mit sowjetischer Kunst beziehungsweise mit deren Rezeption im Westen beschäftigen.2 Trotz dieser Kritikpunkte bietet das Buch einen mit vielen Abbildungen ansprechend gestalteten, auch für Kunstlaien gut lesbaren Einblick in die Kunstbeziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik während der 1970er- und 1980er-Jahre. Es bietet damit eine Grundlage für sicher bereichernde vergleichende Betrachtungen der sowjetischen Kunstpolitik und Kunstrezeption im Westen sowie, unter deutlich anderen Vorzeichen, auch in der DDR.

Anmerkungen:
1 Ausnahmen bilden, bezogen auf den deutschen Fall: Christian Saehrendt, Kunst als Botschafter einer künstlichen Nation. Studien zur Rolle der bildenden Kunst in der Auswärtigen Kulturpolitik der DDR, Stuttgart 2009; Eckhart Gillen, Feindliche Brüder? Der Kalte Krieg und die deutsche Kunst 1945–1990, Berlin 1990; oder auch der Ausstellungskatalog von Stephanie Barron / Sabine Eckmann (Hrsg.), Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945–89, Köln 2009.
2 Zum Beispiel David Caute, The Dancer Defects. The Struggle for Cultural Supremacy During the Cold War, Oxford 2003, insbesondere S. 507–561 über „Art Wars“; oder Waltraud Bayer, Gerettete Kultur. Private Kunstsammler in der Sowjetunion 1917–1991, Wien 2006.