L. Hecht (Hrsg.): Ludwig August Frankl

Titel
Ludwig August Frankl (1810–1894). Eine jüdische Biographie zwischen Okzident und Orient


Herausgeber
Hecht, Louise
Reihe
Intellektuelles Prag im 19. und 20. Jahrhundert 10
Erschienen
Köln 2016: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
430 S.
Preis
€ 57,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ingeborg Fiala-Fürst, Katedra germanistiky, Filozifické fakulty UP, Olomouc

Zur Serie illustrer Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, die seit 2011 in der Bücherreihe „Intellektuelles Prag im 19. und 20. Jahrhundert“ – im Böhlau Verlag von Steffen Höhne, Alice Stašková und Václav Petrbok herausgeben – vorgestellt wurden, tritt nun im zehnten Band eine prominente Gestalt des 19. Jahrhunderts hinzu, Ludwig August Frankl (1810–1894), eine „polyphone“ Persönlichkeit „zwischen Okzident und Orient“, Jude zwischen Orthodoxie und Assimilation, Dichter deutscher Zunge und österreichischer Patriot zwischen Deutschen und Tschechen, Journalist und Herausgeber zwischen Revolution und konservativer Restauration, Historiker zwischen Dichtung und Wahrheit, eine Gestalt, an deren breitgefächerten Aktivitäten und reichem Schrifttum fast die gesamte Problematik des 19. Jahrhunderts zu illustrieren ist. Nach Gebühr widmen sich dem Leben und Werk Ludwig August Frankls nacheinander Forscher eines breiten interdisziplinären Spektrums, Historiker, Genealogen, Literatur- und Kulturhistoriker, Musikwissenschaftler, Linguisten und Museumspraktiker, die zusammen ein abgerundetes Bild dieser Persönlichkeit erzeugen, in welchem kaum etwas fehlt und in welchem einzelne Zugangsweisen und Blickwinkel sich aufeinander beziehen und einander ergänzen.

Biographische Darstellungen, wie sie vor allem die Einleitung Louise Hechts, „Eine polyphone Biographie“ und der nachfolgende Aufsatz Dieter Hechts über die „Frauen im Leben von Ludwig August Frankl“ liefern, stützen sich auf die lückenlose „Genealogie der Familie Frankl und Frankl von Hochwart (mit Basch)“ von Georg Gaugusch, die präzise biographische Zeittafel und den Stammbaum im Anhang des Bandes.

Der obligaten Frage der tschechischen Bohemistik, inwieweit berühmte deutschböhmische Dichter Tschechisch verstanden, wie tief sie in der tschechischen Kulturwelt verankert waren und inwieweit man sie also auch als „tschechische Dichter“ bezeichnen kann, geht Václav Petrbok im Aufsatz „Ludwig August Frankl als tschechischer Dichter?“ nach, in welchem er spannende Sprachinformationen aus Frankls Biographie berichtet, über Frankls Beziehungen zu tschechischen Persönlichkeiten und Themen schreibt und zum Schluss kommt, dass „Frankls gesamtösterreichischer (kritischer) dynastischer Patriotismus mit deutlichen Zügen von böhmischem Landespatriotismus deutschkultureller Prägung [durchsetzt ist]“ und dass Frankls „Herausbildung der vielfachen Identitätskonstruktionen […] – religiösen, kulturellen und politischen Loyalitäten folgend“ (S. 118f.) als plastisches Beispiel für das gesamte 19. Jahrhundert dienen kann. Die Aufzählung böhmischer und slawischer Bezüge Frankls bereichert noch um einige weitere Namen, Werke, Fakten und Daten Gertraud Marinelli-König („Ludwig August Frankl und die Wiener Unterhaltungsblätter im Vormärz“), während Ernst Wangermann in seinem Aufsatz „Ludwig August Frankls Bedeutung in der Revolution von 1848“ unter anderem kurz auf die Verwirrung und Ratlosigkeit hinweist, die im Frankl-Kreis 1848 ausgebrochen sind, nachdem es zu einer plötzlichen nationalen Polarisierung in den ethnisch gemischten Gebieten gekommen war.

Dem anderen Balance-Akt Frankls, zwischen Judentum und Assimilation, zwischen säkularisierter Religiosität und Orthodoxie, mit Louise Hechts Metapher gesprochen: „zwischen Okzident und Orient“, widmen sich die Aufsätze von Carsten Wilke („Ludwig August Frankl als historischer Mythograph der Marannen“), Marie Krappmann („Ludwig August Frankls ‘Nach Jerusalem!‘“), Yochai Ben-Ghedalia („My Heart is in the East“) und mit einzelnen Absätzen auch die Artikel Louise Hechts („Durch Wort und That“) und Gabriele Kohlbauer-Fritz („Ludwig August Frankl und das jüdische Museum“) über jüdische bzw. israelische Memoria in Frankls Sammlungen. Diese drei Aufsätze sind für einen Literaturhistoriker am spannendsten, denn hier erfolgt auch Textanalyse und literarische Interpretation: Wilke sieht Frankl „als den eigentlichen, bisher verkannten Gestalter des Marranentopos“ (S. 223), auf dem verschiedene spätere Bearbeitungen des Mythos zwar fußen, die den eigentlichen Begründer nicht mehr nennen. Marie Krappmann zweifelt durch überzeugende textkritische Analyse die – bisher in der Sekundärliteratur stets gelobte – Objektivität des zweibändigen Reiseberichts an und enthüllt Frankls häufige Benutzung vieler „Standardtricks der Gattung Reisebericht, festgelegter Topoi und Leitmotive, auffallende Schablonenhaftigkeit“ (S. 242f.) und kommt zu dem Schluss – der Frankl als einen recht modernen Reiseberichtautor erscheinen lässt – dass Frankls Bericht sich von der Flut anderer Reisebeschreibungen seiner Zeit „durch ununterbrochene Metareflexion des Schaffens- und Schreibprozesses […] unterscheidet“ (S. 247). Der Aufsatz Ben-Ghedalias verfolgt schließlich die Spuren des großen jüdischen Dichters des 12. Jahrhunderts, Jehuda Halevy, in Frankls belletristischer und belletrisierter jüdischer Weltanschauung und zieht nach dieser Spurensuche das eher depressive Fazit: „Frankl´s violin was silent while he was in Jerusalem, and remained so even in his retrospective writing about the city. […] For Frankl, the face-to-face encounter with oriental reality proved a frustrating experience.” (S. 268ff.)

Doch kein Wunder, dass die heutige Nachwelt alles andere an Frankls Wirken fesselt als dessen „genuin schriftstellerische Leistungen“ (S. 123). Den Grund für diese Diskrepanz, „warum ein Autor mit so hohem Ansehen im Kultur- und Gesellschaftsleben Österreichs ein so rasches literaturgeschichtliches Ende fand“ (S. 124) erklärt Jörg Krappmann in seinem Aufsatz „Der Mitgenannte, Ludwig August Frankl und die Literaturgeschichte“, indem er den Eingang Frankl‘scher Werke in Literaturkritiken seiner Zeit und in jüngere Literaturgeschichten verfolgt, all die kritischen Stellungnahmen von Frankls Kritikern zusammenfasst („publizistische Betriebsamkeit, literarische Umtriebigkeit, Erinnerungsindustrie, Bewirtschaftung von Erlebniskapital, politisch korrekte Gelegenheitsdichtung, schöngeistiges Dilettieren usw., S. 124) und durch den Vergleich Frankl‘scher Dichtung mit anderen Dichtern des österreichischen Vormärz zu dem zweifachen Schluss kommt, dass es zum einen dem gesellschaftlich hoch erfolgreichen Frankl an einer echten und tiefen individuellen Krise mangelte, so dass „spätestens ab der Revolutionszeit Erlebnislyrik und autopoetische Überlegungen versiegen“ (S. 136), und zweitens, dass „Frankls literarisches Werk zwischen biedermeierlicher Weltschmerzdichtung und revolutionärem Vormärz steht, und damit zwischen Skylla und Charybdis der Literaturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, was seine Stellung als Mitgenannter erklärt.“ (S. 135) Zu einem etwas anderen Schluss kommt Herlinde Aichner im Aufsatz „Ludwig August Frankl, Politiker der Erinnerung“, welcher Jörg Krapmanns Befunde teils bestätigt („Frankls eigene Wirkungsgeschichte ist […] eine Chronologie des Vergessens.“ (S. 276) und teils um weitere Überlegungen – etwa zu Frankls ausgiebiger Pflege inzwischen untergegangener Gattungen wie Dichterbiographie oder literarische Anekdote – ergänzt: „Frankls Projekt der Zusammenführung der Rollen von Schriftsteller und Zeitgenosse, Geschichtsschreiber und Menschenfreund war schon bald gescheitert.“ (S. 289)

Mit Frankls Position im Vormärz und der Revolution von 1848 beschäftigen sich einige weitere Aufsätze und führen die von Jörg Krappmann angesprochene Dichotomie weiter: Einerseits steht Frankl als geschätzter Herausgeber der anerkannten „Sonntagsblätter“, die im Revolutionsjahr zu einer „vorwiegend politischen Zeitschrift“ wurden, als Mitglied der Akademischen Legion und als Autor des ersten zensurfreien Gedichtes „Die Universität“, das „so etwas wie die Marseillaise der österreichischen Revolution geworden ist,“ (S. 197) mitten im Zentrum der Wiener Revolution. Andererseits erschien Frankls „Erinnerungspolitik“, seine Bemühung, diese seine Position und den Ruf des Revolutionärs auch ex post (etwa in seinen „Erinnerungen“) zu befestigen, so manch einem Zeitgenossen (vor allem Ferdinand Kürnberger und Daniel Spitzer) suspekt – wie Hubert Lengauer in seinem Aufsatz „Konkurrenz und Kompensation“ berichtet. Vor allem Frankls jahrelang währenden Bemühungen um das Schiller-Denkmal, die „sich in seinen Erinnerungen als eine auf die Revolution von 1848 gerichtete Aktion darstellen,“ (S. 148), riefen die beiden scharfzüngigen Wiener Kritiker auf den Plan und besonders Kürnberger scheute dabei sogar vor antisemitischer Demagogie nicht zurück.

Die beiden musikgeschichtlichen Aufsätze, Barbara Boisits‘ „Die Bedeutung der Sonntagsblätter Ludwig August Frankls für die Wiener Musikkritik“ und Stefan Schmidls „Gedichte von Ludwig August Frankl in ihren Vertonungen“ runden das Bild des erfolgreichen Herausgebers („In der in qualitativer Hinsicht nicht allzu erfreulichen vormärzlichen Presselandschaft ragten die „Sonntagsblätter“ wohltuend hervor […] auch auf dem Gebiet der Musik.“, S. 157) und viel geliebten Lyrikers („seine Verse stießen auf breiteste Akzeptanz“, S. 184) ab, so dass nun tatsächlich nichts mehr zu Frankl zu fehlen scheint. Freilich könnte man sich noch eine weitere Frankl-Konferenz (der Band geht auf eine 2014 in Olmütz veranstaltete Tagung zurück) und einen weiteren Frankl-Band denken: Als Literaturhistorikerin würde ich mir mehr Literaturanalysen wünschen – vielleicht etwa im Hinblick auf die mögliche Festlegung eines Dichterkreises deutschböhmischer (und deutschmährischer) Romantiker. Die etwaigen kommenden Herausgeber eines Frankl-Nachfolgebandes hätten es allerdings schwer, neue, im vorliegenden Band nicht bereits bearbeitete oder zumindest gestreifte Ansätze zu finden.

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