F. L. Müller u.a. (Hrsg.): Sons and Heirs

Cover
Titel
Sons and Heirs. Succession and Political Culture in Nineteenth-Century Europe


Herausgeber
Müller, Frank Lorenz; Mehrkens, Heidi
Reihe
Palgrave Studies in Modern Monarchy
Erschienen
Houndmills 2015: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
xiii, 288 S.
Preis
€ 90,94
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Haußer, Instituto de Estudios Humanísticos 'Abate J. I. Molina', Universidad de Talca

Die Monarchie rückt wieder verstärkt ins Interesse der Forschung. Schwang sie für die Frühe Neuzeit noch als gleichsam natürlicher politischer Hintergrund mit, so galt dies für das 19. Jahrhundert schon nicht mehr. Unter dem Eindruck Atlantischer Revolutionen der „Sattelzeit“ erschien das 19. Jahrhundert allenfalls als eine Phase des Übergangs, die in Europa 1918 mit dem weitgehenden Ende der Monarchie als Herrschaftsform weitgehend abgeschlossen war. Nicht zuletzt eine kulturgeschichtliche Herangehensweise hat in den letzten Jahren allerdings dazu beigetragen, solche lineare Deutungsansätze zu hinterfragen. Gegen eine vom Ende her gedachte Beschäftigung mit der Monarchie haben jüngere Arbeiten das Thema aus einer herrschaftszentrierten Verengung herausgeführt. Als Ergebnis wurden unter anderem die vielfältigen Leistungen der Monarchie etwa im Zeichen gesellschaftlicher Veränderungen oder bei der Entstehung moderner Nationalstaaten betont. So gilt die postnapoleonische Epoche mittlerweile eher als Beleg einer monarchischen Langlebigkeit, die Voraussetzung und Folge zugleich bei der Herausbildung einer europäischen Friedensordnung war. 1

Auch der hier zu besprechende Band widmet sich einer Epoche des Wandels, in der die Monarchien des Kontinentes ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt und dadurch bis 1918 eine eigenständige und oft konstitutive Rolle in den Gesellschaften Europas gespielt haben. Die Monarchie, für Mitherausgeber Frank Lorenz Müller sowohl Regierungsform wie auch "a complex of cultural, emotional and legal structure"(S. 2), zeigte sich kompatibel etwa mit dem Verfassungsprinzip oder einer am Monarchen und seiner Familie zunehmend interessierten medialen Öffentlichkeit und damit also durchaus auf der Höhe ihrer Zeit. Eine geregelte Nachfolge auf dem Thron spielte im 19. Jahrhundert dabei eine doppelte Rolle, garantierte sie nicht nur dynastische Kontinuität, sondern auch die institutionelle Stabilität des Verfassungsstaates. Monarchen waren Teil einer sich verändernden politischen Kultur, die von Land zu Land variierte. Thronfolger in ihrem jeweiligen politischen und gesamtgesellschaftlichen Umfeld geben dabei Auskunft über "the extent (as well as the limits) of monarchical durability, adaptibility and success in the nineteenth century"(S. 8).

Es zeichnet die Thronfolger aus, dass in Ihnen Privates und Öffentliches, Familie und Politik, nicht zu trennen waren. Christopher Clark beschreibt die Geschichte des Hauses Brandenburg-Preußen vom Ende des 17. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts anhand dynastischer Vater-Sohn-Konflikte. Während Clark diese "psychopolitical tensions"(S. 27) kenntnisreich darlegt und in ihnen eine Art zweihundertjährige Konstante des preußischen Königshauses erkennt, bleibt deren Wirkung auf politischer Bühne unterbelichtet. Gerne hätte man gewusst, ob und vor allen Dingen wie sich individuelle Konflikterfahrungen junger Prinzen in deren späterem Handeln als preußische Könige wiederfinden lassen. Der Thronfolger in Axel Körners Aufsatz ist dagegen in erster Linie repräsentativer Natur. Anders als seinem Sohn Umberto wurde Vittorio Emmanuele trotz seiner führenden Rolle bei der Einigung Italiens vielfach die Eignung abgesprochen, die Nation zu führen und zu repräsentieren. Dessen Ansehen verdankte sich vor allem seiner Rolle als erfolgreicher Heerführer im Einigungskrieg. Die Zuverlässigkeit Vittorio Emmanueles als konstitutioneller Monarch wurde jedoch immer wieder in Frage gestellt und nicht zuletzt verschiedene außereheliche Beziehungen eigneten sich wenig dazu, die königliche Familie als gelungene Verbindung von Krone und Nation darzustellen. Dies änderte sich mit der Verbindung von Vittorio Emmanueles Sohn Umberto I. mit Margherita. Nach der Einigung Italiens spielte die Inszenierung Margheritas als treusorgende Mutter eine wichtige Rolle etwa bei der Annäherung des mezzogiorno an Rom. In der im Thronfolgerehepaar und später dann in der Königsfamilie verkörperten Einheit und Stabilität fand die italienische Nation ihren symbolischen Anker.

Zu den vielen Attributen, die das 19. Jahrhundert erhalten hat, zählt nicht zuletzt das der Bürgerlichkeit; die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Kultur begleitet deshalb viele der im Band versammelten Texte. Daniel Schönpflug zeigt am Beispiel Preußens die nach wie vor vorhandene performative Aufladung von Hochzeiten als dynastischem Ritual. Dieses Ritual schien sich seit Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend von einem machtpolitischen Ereignis entfernt und bürgerlichen Vorstellungen angenähert zu haben. Was aber vordergründig als Liebesheirat und eine auf Intimität der Partner gründende Ehe erschien, hatte gerade durch die Betonung des Privaten eine eminent politische Funktion. Ähnliches gilt auch für die Erziehung junger Prinzen, die sich, wie Eberhard Fritz am württembergischen Beispiel zeigt, bürgerliche Elemente aneignete, aber gerade dort ihre Funktion erfüllt hat, wo sie, auf Kosten einer auf Liebe, Geborgenheit und Hinwendung zum Kind basierenden Erziehung, auf aristokratischen Idealen und Traditionen beharrte.

Anhand der Reisen Prinz Alberts zeigt Sophie Gordon, dass die Fotografie von Beginn an ein wichtiges Medium der Annäherung an breite Bevölkerungsschichten und ferne Gebiete war, damit aber zugleich das Bestreben einherging, diese mediale Vermittlung zu kontrollieren. Stärker als im englischen oder preußischen Königshaus war dagegen der österreichische Thronfolger dem amtierenden Monarchen als pater familias untergeordnet und hatte dies auch durch seinen Wohnsitz in der Hofburg zum Ausdruck zu bringen. Stärker als in anderen europäischen Ländern hing in Österreich-Ungarn von der dynastischen Kontinuität, so Richard Kurdiovsky, Wohl und Wehe des Staates ab. Die räumliche Nähe zum Kaiser bedeutete jedoch nicht, dass die Thronfolger zur Passivität verurteilt waren. Günther Kronenbitters Text zeigt die Spielräume auf, die österreichische Kronprinzen hatten, selbst politisch tätig zu werden.

Die Rolle, die ein Thronfolger, selten auch eine Thronfolgerin, in der Lage war zu spielen, wurde besonders dann deutlich, wenn es keinen direkten Nachfahren des Amtsinhabers gab oder der- bzw. dieselbe vor der Übernahme des Thrones starb. In einem lesenswerten Aufsatz beleuchtet Jes Fabricius Møller die besondere Herausforderung, die ein solcher Fall für die Zeitgenossen darstellte und wie diese ihn zu lösen suchten. Unter Rückgriff auf Simon Schamas Theorie der "Domestizierung" der neuzeitlichen Monarchie zeigt Møller, wie nach dem kinderlos gebliebenen Friedrich VII. dessen designierter Nachfolger sich die dänische Nation aneignete – und umgekehrt. Im langen Prozess, der aus dem deutschstämmigen Christian von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg den dänischen König Christian IX. werden ließ, waren die Betonung seiner Rolle als Soldat und die damit verbundene Anerkennung des militärischen Leistungsprinzips sowie die bewusst bürgerlich inszenierten Familienfotos wichtige Strategien. In Spanien dagegen lag der Fall anders: hier hatte sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts ein Konflikt um die rechtmäßige Thronfolge entfacht, der bis weit ins 20. Jahrhundert die politische Landschaft prägen sollte. Mit der Geburt eines Thronfolgers im Jahre 1886 wurde vor allem von gemäßigter konstitutioneller Seite die Hoffnung auf eine Beruhigung der militärischen und politischen Kämpfe verbunden. Die Geburt Alfons' XIII. bleibt im Aufsatz von Carmina López Sánchez allerdings ein nur schwach ausgeleuchteter Erwartungshorizont was die Wahrnehmung und das Handeln der Zeitgenossen angeht. Hier schien die Thronfolgekrise allenfalls die Ausrichtung der Monarchie – gemäßigt-liberal oder traditionell-absolutistisch – zu bestimmen, nicht aber die Monarchie als solche zu betreffen. Dass Thronfolger und späterer König nicht zu trennen sind, bestätigt dann Valentina Villa, die anhand von Vittorio Emmanuele zeigt, wie mit Hilfe einer entsprechenden Erziehung Krisen entweder bewältigt werden oder zum endgültigen Scheitern führen können.

Der belgische Fall zeigt dagegen, dass der Tod eines beziehungsweise mehrerer Thronfolger auch eine Bewährungsprobe sein konnte, an der gerade eine Monarchie wie die belgische wachsen und zur Konsolidierung der jungen und fragilen Nation beitragen konnte. Überhaupt konnte der Tod eines Thronfolgers zwiespältige Reaktionen hervorrufen. Zunächst musste die Thronfolge innerhalb der Dynastie neu geregelt werden. Schlimmstenfalls konnte es, wie im 18. Jahrhundert, zu internationalen Krisen kommen, ohne dabei jedoch Anlass zu Kriegen abzugeben – nicht zuletzt hier bewährte sich das auf dem Wiener Kongress entworfene Mächtesystem. Entstanden also einerseits beträchtliche dynastische Verwerfungen, konnte der Tod eines Prinzen auch auf eine breite Anteilnahme stoßen und gerade dadurch das Band zwischen Nation und Königshaus weit über seinen Tod hinaus stärken, wie Heidi Mehrkens anhand des 1842 verstorbenen, bei Politikern angesehenen und beim Volk beliebten Prinzen Ferdinand Philippe darstellt.

Der Erste Weltkrieg markierte dann das Ende vieler Monarchien in Europa, wenn nicht als Institution so doch als Herrschaftsform. Die Monarchie, egal wie sehr sie durch eine Verfassung in ihrer Macht begrenzt war, hatte ausgedient. Dies wird gemeinhin mit einem Verlust an Legitimität infolge der militärischen Niederlage erklärt. Dabei hatte der Krieg auch die künftigen Monarchen durchaus von der Monarchie entfernt. Edwards VII. Selbstverständnis sollte auch nach 1918 von der Schützengrabengemeinschaft, in die er sich selbst bereitwillig eingefügt hatte, und vom Bewusstsein von der gemeinsam mit den Untertanen für die Nation erbrachten Opfer und Entbehrungen geprägt bleiben. Auch für Kronprinz Wilhelm blieb der Krieg ein einschneidendes Erlebnis, dessen Verlauf und Ausgang letztlich schwerer wog als der Verlust der Macht. 1918 war nicht die Monarchie am Ende, sondern die, die sie repräsentierten. Die Monarchie scheiterte nicht an ihren Gegnern, sondern an der Unfähigkeit ihrer Anhänger, den raschen Wandel seit Kriegsende zu begleiten und zu moderieren. Es gehört zu den Widersprüchen des deutschen Falles, dass es in Gestalt Max von Badens ein Prinz war, der, so Lothar Machtan, letztendlich das Ende der Hohenzollernherrschaft besiegelte.

Der Geschichte der Monarchie im 19. Jahrhundert fügen Lorenz und Mehrkens eine wichtige Arbeit hinzu und das aus origineller Perspektive. Als Reservepotenzial standen Thronfolger für die Kontinuität der Monarchie und gaben zugleich die Projektionsfläche für deren bessere Zukunft ab. Es ist die große Stärke des Bandes, die dem Thema innewohnende Spannung zwischen dynastischer Tradition und den spezifischen Umständen der postnapoleonischen Welt mit ihren Brüchen, Innovationen und Transformationen in den Blick zu nehmen ohne diese Spannung immer auch gleich auflösen zu wollen. Dabei verlangt der Band dem Leser einiges an Bereitschaft, sich auf eine Vielzahl unterschiedlicher Beispiele einzulassen, ab. Trotz der eigentlich inter- oder vielmehr transnationalen Anlage europäischer Monarchien, die auch in nahezu allen der hier versammelten Aufsätze durchscheint, ist der Horizont vieler Texte in erster Linie national und erschwert es, hinter den Einzelgeschichten auch die im Untertitel des Werkes behauptete politische Kultur im Europa des 19. Jahrhunderts, die es vermutlich gegeben hat, zu erkennen. Die Unterteilung des Bandes in fünf Abschnitte: Familie, Hof, Thronfolgekrisen, Tod des Thronfolgers und Erster Weltkrieg will dieser Zergliederung wohl entgegenwirken. Dagegen zeigen die Beiträge, wie schwer es ist, diese Sphären voneinander zu trennen. Ähnliches gilt für die Konzentration des Bandes auf die Figur des Thronfolgers, der oftmals gerade dadurch an Kontur gewinnt, indem in ihm auch der spätere Monarch in den Blick genommen wird.

Der Qualität der einzelnen Beiträge und dem hohen Rang, den dieses Buch innerhalb der Monarchie-Forschung einnimmt, kann dies gleichwohl keinen Abbruch tun. Man mag reklamieren, dass ausschließlich die großen Dynastien Westeuropas Eingang in das Werk gefunden haben, wo doch neben Russland, Bulgarien oder Rumänien auch Griechenland, das um die Mitte des 19. Jahrhunderts für drei Jahrzehnte von einem Wittelsbacher regiert wurde, Einschlägiges zum Thema bereithalten dürften. Und auch den außereuropäischen Dimensionen europäischer Dynastien, zum Beispiel in Brasilien oder Mexiko, oder der Bedeutung der Thronfolge für die afrikanischen oder asiatischen Kolonien wird nicht nachgegangen. Diese Kritik verdankt sich allerdings selbst zu einem guten Teil der Lektüre des Bandes und ist damit auch ein Beleg für den Gewinn, mit dem die verschiedenen Beiträge gelesen werden können.

Anmerkungn:
1 Dieter Langewiesche, Die Monarchie im Jahrhundert Europas. Selbstbehauptung durch Wandel im 19. Jahrhundert, Heidelberg 2013; Volker Sellin, Gewalt und Legitimität. Die europäische Monarchie im Zeitalter der Revolutionen, München 2011.

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