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Titel
Attila. Der Schrecken der Welt


Autor(en)
Rosen, Klaus
Erschienen
München 2016: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Valeria Lilie, Leibniz School of Education, Leibniz Universität Hannover

Während momentan das 5. Jahrhundert von der Forschung zur Spätantike geradezu inflationär behandelt wird, scheint auch die Nachfrage an Biographien zu den „großen Männern“ der Epoche zu steigen. Allein der Bonner Emeritus für Alte Geschichte Klaus Rosen legt mit seiner Biographie zu Attila, dem „Schrecken der Welt“, bereits seine vierte innerhalb von vierzehn Jahren verfasste Biographie einer herausragenden Persönlichkeit der Spätantike vor – nach der Behandlung der Kaiser Julian und Konstantin sowie des Augustinus. Die souveräne Annäherung an Leben und Wirken des Hunnenkönigs zeichnet sich vor allem durch die profunde Kenntnis der Überlieferung aus, die sich in zahlreichen vom Autor selbst übersetzten Quellen widerspiegelt, und zeigt sich insbesondere an dessen breiter Einordnung Attilas und einer Vielzahl wichtiger Akteuren der hunnisch-römischen Geschichte sowie der gentilen Königreiche unter Beachtung weiterer einflussreicher paralleler historischer Erzählstränge im Zeithorizont vom letzten Viertel des 4. Jahrhunderts bis ins hohe 6. Jahrhundert. Gleichzeitig wird die Komplexität des Themas so farbig und unterhaltsam dargestellt, dass das Werk besonders interessierten Laien und Studierenden als Eingangslektüre empfohlen werden kann. Die Relevanz des Themas zeigt Rosen nicht zuletzt wie auch in früheren Werken durch eine äußerst breite Kenntnis der (ebenfalls in Übersetzungen präsentierten) Rezeption, der das erste (I: „Attila aktuell“) und letzte (XV: „Erinnerung ohne Ende“) Kapitel gewidmet sind. Die frühen Rezeptionen der Zeitgenossen sind Thema des zweiten Kapitels.

Gleichwohl spiegelt sich die Auseinandersetzung mit der Forschung vor allem im Hinblick auf Realien wie die Heeres- und Bevölkerungsgrößen oder die Interpretation archäologischer und sprachwissenschaftlicher Zeugnisse wider. Im Sinne der Ethnogenesetheorie seit Wenskus zeigt Rosen die Entwicklung und Veränderung der „hunnischen Stämme“, wobei sich die Veränderung der gentilen Zusammensetzung der Bevölkerung – jedoch ohne systematische Erörterung der Herkunft der Hunnen – ab Kapitel III („Wer waren die Hunnen?“) gleichsam nebenbei durch zahlreiche Quellenbelege wie ein roter Faden durch das Werk zieht. Der historisch-geographischen Kontextualisierung der Herrschaft Attilas wird sehr viel Raum gegeben (Kapitel IV bis VIII) – von der Etablierung der hunnischen Herrschaft zwischen Schwarzem Meer und Donaulimes, über die Funktion der Hunnen im Spannungsfeld zwischen Römischem Reich und Barbaricum bis zu den Beziehungen der hunnischen Könige untereinander und zum römischen Kaisertum. Die militärische Funktionalisierung hunnischer Gruppen durch römische Heermeister wie Stilicho und Aetius zeigt gegenüber hunnischen Plünderungszügen im Römischen Reich das gespaltene Verhältnis Roms zu den Hunnen, das sich vermehrt unter den Königen Rua und Octar durch intensiven diplomatischen Verkehr auch unter Einsatz von römischen Geldgeschenken auszeichnete. Insofern stehe Attila in der Tradition seiner Vorgänger, welche die machtpolitische Grundlage dafür geschaffen hätten, dass er sich als König eine herausragende Position aufbauen und immer wieder bestätigen konnte (vgl. Kapitel IX bis XIII). Auch die Kenntnisse und der Einsatz römischer Eroberungstechnik, die die Schlagkraft der hunnischen Reiterkrieger ergänzte und den topographischen Gegebenheiten angemessen und für Attilas Kriegsführung entscheidend werden sollte, gehen auf Ruas Herrschaft zurück.1

An zentraler Stelle der Kapitel zu Attila steht, der Quellenlage geschuldet, der Gesandtschaftsbericht des Priskos von Panion über seine Reise an den Hof Attilas (Kapitel XI). Dieser zentralen Quelle zu Attila widmet Rosen daher zurecht auch mehr als einige erläuternde Sätze (S. 148ff.). Bei dem Versuch, auf dem schmalen Grat zwischen Wahrheit und Fiktion in der Deutung des Berichts zu wandern, entscheidet Rosen sich trotz wiederholter Betonung klassizistischer Topik und der Kenntnis der Forschung jedoch weitgehend für die traditionelle wörtliche Auslegung, nach welcher dem Augenzeugenbericht als ursprünglich literarischem Brief ein hoher Grad an Glaubwürdigkeit eingeräumt wird (S. 151). Dabei werden jüngere Thesen der Forschung wie die „zweifache Verformung“ des Berichts außer Acht gelassen2, die neben der Verwendung historiographischer Topoi durch den Historiker sowohl die Absichten des Priskos als Verfasser als auch die Selbstdarstellung Attilas gegenüber der Gesandtschaft berücksichtigen. Gleichwohl sind die auf der Grundlage der neuesten Textausgabe wiedergegebenen Exzerpte sehr anschaulich und sorgfältig historisch kontextualisiert, so dass ein überzeugendes Bild der wachsenden Überlegenheit Attilas gegenüber Kaiser Theodosios II. entsteht. Wie abhängig Attilas Territorialherrschaft letztlich von der Stabilität persönlicher Loyalitäten seiner engsten Vertrauten, den logades, war, die letztlich nur durch immer neue Beute und dauerhaften Wohlstand erhalten werden konnten, spiegeln die Kapitel zu Attilas Reich (XII) und dem Krieg gegen den Westen (XIII) ebenso anschaulich wider wie die Darstellung des raschen Zerfalls seines Reiches nach seinem Tode (XIV).

Eine Zeittafel, ein Personenverzeichnis, einige sehr hilfreiche Karten (S. 92, 117 u. 190) sowie Bildmaterial dienen ebenfalls der Illustrierung und dem besseren Verständnis der Thematik. Das Literaturverzeichnis gibt den Forschungsstand bis zur Vollendung des Werks wider, auf die an vielen Stellen in den Endnoten auch verwiesen wird. Das Werk hat damit das Potential, das Interesse seiner Leserinnen und Leser am Zeitalter Attilas zu entfachen oder zu vertiefen.

Anmerkungen:
1 Der Einbezug der neuesten Studien zur west- und oströmischen Diplomatie wäre hier ergänzend gewinnbringend gewesen: Vgl. Audrey Becker, Les relations diplomatiques romano-barbares en Occident au Ve siècle. Acteurs, fonctions, modalités, Paris 2013; Ekaterina Nechaeva, Embassies. Negotiations, Gifts. Systems of East Roman Diplomacy in Late Antiquity, Stuttgart 2014.
2 Timo Stickler, Die Hunnen, München 2007, S. 76. Auch Dariusz Brodka, Attila, Tyche und die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern. Eine Untersuchung zum Geschichtsdenken des Priskos von Panion, in: Hermes 136 (2008), S. 227–245, wird beispielweise zwar in der Literaturliste aufgeführt, auf seine These zur Deutung von Attilas Rolle durch die spätantiken Historiker anhand der Einführung der tyché geht Rosen jedoch nicht ein (vgl. S. 198f.).

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