A. te Heesen u.a. (Hrsg.): Museumskrise und Ausstellungserfolg

Cover
Titel
Museumskrise und Ausstellungserfolg. Die Entwicklung der Geschichtsausstellung in den Siebzigern


Herausgeber
te Heesen, Anke; Schulze, Mario; Dold, Vincent
Erschienen
Berlin 2015: Selbstverlag
Anzahl Seiten
123 S., 71 Ill.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Ludwig, Zentrum für Zeithistorische Forschung

Im Verlauf der 1970er- und frühen 1980er-Jahre entwickelten sich in der Bundesrepublik historische Ausstellungen als eine neue Art Massenmedium: Während in der Öffentlichkeit und in den Medien noch über die Geschichtsvergessenheit im Land räsoniert wurde, zogen historische Sonderausstellungen oft mehrere hunderttausend Besucher an. Sieben dieser Ausstellungen im Zeitraum zwischen 1971 und 1981 werden in dem am Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin herausgegebenen Band „Museumskrise und Ausstellungserfolg“ vorgestellt.1

Im Verlauf der 1970er-Jahre sei die „Geschichtsausstellung“ als neue Gattung durch eine „spezifische Verquickung von historischer Argumentation und Objektpräsentation“ (S. 12) entstanden, betonen Anke te Heesen und Mario Schulze in ihrem Vorwort. Herausgebildet hat sie sich durch die Abkehr von einer „Ästhetik der Meisterwerke“ (S. 12), die sich in unterschiedlichen Versuchen der Darstellung von Geschichte vollzog. Die Darstellungspole seien informierende Bild-Text-Arrangements auf der einen, ironisierende Objektzusammenstellungen auf der anderen Seite gewesen, aus denen sich schließlich „argumentierende Environments“ (S. 13) als Präsentationsform herausgebildet hätten, die die Ausstellungsgestaltung über einen langen Zeitraum dominierten. Historische Ausstellungen wurden in den 1970er-Jahren echte Publikumsmagneten, die oft mehrere hunderttausend Besucher anzogen und Gottfried Korff, reflektierender Protagonist dieses Ausstellungsbooms, hat für ihre doppelte Anziehungskraft die Formulierung „Popularisierung des Musealen und Musealisierung des Popularen“ gefunden. Vorhersehbar war der Erfolg jedoch nicht. Noch 1971 wurde die „Notlage der Museen“ konstatiert2 und noch lange nach der Etablierung der „Geschichtsausstellung“ wurde grundsätzlich debattiert, ob Geschichte ausstellbar sei, das heißt darüber, ob Objekte als Vergegenständlichung des Kulturellen geeignet seien, die narrative Struktur der Geschichte in Szene zu setzen.3

Wie grundsätzlich neu der Typus Geschichtsausstellung, die inszenatorische Herangehensweise und vor allem das Themenspektrum der Ausstellungen waren, zeigen Übersichten über vorangegangene kulturhistorische Ausstellungen, die meist kunstgeschichtlich ausgerichtet, oft auf das Mittelalter und die Frühe Neuzeit bezogen und vor allem der Präsentation von Meisterwerken verpflichtet waren, wobei die christlich-herrschaftliche Kulturlandschaft einen besonderen Stellenwert hatte.4 Die nun versammelten Analysen wollen die Ausstellungen in ihren jeweiligen Besonderheiten fassen, rücken die Präsentation sowie die zeitgenössische Rezeption in den Vordergrund und beschränken sich damit nicht auf die nachträgliche Lektüre der Ausstellungskataloge. Das Medium Ausstellung als Verhandlungsort von Geschichte steht im Zentrum der chronologisch angeordneten Analysen.

Die 1971 im Berliner Reichstag eröffnete Ausstellung „1871 – Fragen an die deutsche Geschichte“, seit 1994 im Deutschen Dom am Gendarmenmarkt und seit 2002 in überarbeiteter Fassung zu sehen, zeigte die deutsche Geschichte seit 1871 mit Fokus auf die Entwicklung zur parlamentarischen Demokratie. Die von Lothar Gall entwickelte Ausstellung war als öffentliche Präsentation der Gegenentwurf der Bundesrepublik zur Geschichtsdarstellung des bereits seit 1953 bestehenden Museums für deutsche Geschichte in Ost-Berlin. Am symbolischen Ort, unmittelbar an die Berliner Mauer angrenzend, wurde eine chronologisch geordnete, politikgeschichtliche Ausstellung gezeigt, die sich bewusst an ein junges Publikum richtete und die Teil des Besuchsprogramms westdeutscher Schulklassen in West-Berlin war. Sie wurde als „begehbares Lehrbuch“ (S. 23) kritisiert, weil sie vor allem aus Bild-Text-Tafeln bestand, setzte aber, im Gegensatz zu früheren kunstgeschichtlichen Ausstellungen, auf einen betont sachlichen Stil. Der Beitrag zeichnet die inhaltlichen Modifikationen ebenso nach, wie die Gestaltungsmittel, vor allem verweist er auf die begleitenden Diskussionen um ein Geschichtsverständnis der Bundesrepublik.

Im darauffolgenden Jahr, 1972, wurde die Dauerausstellung des Historischen Museums Frankfurt am Main eröffnet, die heftige Kontroversen hervorrief.5 Die Ausstellung war konsequent didaktisiert und verstand sich als aufklärerische Initiative. Im Zentrum stand die historische Information, in den Jahren nach 1968 mit explizit kritischem Impetus. Zugleich sollte das Museum als Institution bürgerlicher Selbstrepräsentation durch eine seine Konventionen kontrastierende Darstellung verwandelt und gegenüber seinen Besucher/innen geöffnet werden: Kommunales Kino und Café wurden in das Museumsensemble integriert, ein Konzept, das auch das ebenfalls in diesem Band besprochene Römische-Germanische Museum in Köln (1974 eröffnet) aufnahm. Textlastigkeit und reiner Belegcharakter der gegenständlichen Objekte in Frankfurt waren Kritikpunkte, stärker noch die Themenauswahl, die beispielsweise das Rätesystem 1918/19 oder die Frankfurter Wohnungs- und Sozialpolitik der 1920er-Jahre in den Vordergrund stellte. Obwohl die Frankfurter Ausstellung ein kommunales Projekt war, wurde sie bundesweit beachtet. Sie stellt in gewisser Weise eine Weiterentwicklung der Berliner Ausstellung dar, indem historische Information und politische Deutungsabsicht im Vordergrund standen, die jedoch zugleich Themen aufgriff, die bis dahin nicht zum Kanon musealer Darstellungen gehört hatten. Wenn die Frankfurter Ausstellung hier als „Motor der Modernisierung (historischer) Museen in Westdeutschland“ (S. 41) charakterisiert wird, so kann dem nur bedingt zugestimmt werden: Einerseits war sie Ausgangspunkt für eine Berücksichtigung der Sozialgeschichte, beispielsweise im Museum Rüsselsheim und im Ruhrlandmuseum Essen, sie war aber in ihrer didaktisierten und textlastigen Form kein Modell.

Dies ist am 1976 eröffnetem Museum der Stadt Rüsselsheim erkennbar, einer Weiterentwicklung des Frankfurter Vorbilds: Sozialgeschichte, vor allem der Industriearbeiterschaft, Alltags- und Technikgeschichte stehen im Vordergrund einer kritischen Lokalgeschichte, die in den 1980er-Jahren von zahlreichen Stadt(-teil)museen aufgegriffen wurde. Um die zuvor kritisierte Textlastigkeit zu vermeiden, wurde in Rüsselsheim die Präsentationsform des „analytischen Environments“ (S. 70) entwickelt, die Objekte und Objektensembles mit Fotografien und erläuternden Texten verband. Diese Darstellungsform bildete bis zur Wiederentdeckung des Einzelobjekts in den 2010er-Jahren eine fast standardisierte Inszenierung historischer Ausstellungen.

Einen Gegenentwurf zu diesen historisch aufklärenden Ausstellungen bildet die Kölner Inszenierung „Musée Sentimental de Cologne“ von 1979, einer Neufassung der Pariser Ausstellung „Musée sentimental“ von 1977 im Auftrag des Kölner Kunstvereins. In ihr wurden Objekte der Kölner Lokalgeschichte „lexikalisch“ organisiert, von „Adenauer“ bis „Zoo“ in 119 Stichworten. Mit dieser Behauptung von gleicher Bedeutung des Banalen wie des Sakralen wurde eine Dekonstruktion lokaler Geschichtserzählung betrieben. Das Konzept der dingbezogenen Bedeutungsaufladung durch Bindung an Personen, Orte und Ereignisse bei gleichzeitiger Ablehnung von Hierarchien der Bedeutsamkeit oder der Chronologie als Ordnungsprinzip zeigte sich später in zahlreichen Ausstellungen in Form von ironischer Brechung oder kontrastierenden Dingensembles, wurde jedoch als strukturierendes Ausstellungsprinzip erst wieder in den 2010er-Jahren angewandt, etwa bei der Dauerausstellung des Heimatmuseums Neukölln.6

Ausdruck eines sich in den späten 1970er-Jahren entwickelnden neuen Geschichtsinteresses waren die sogenannten Landesausstellungen, von denen zwei in diesem Band besprochen werden. Die Stuttgarter Ausstellung „Zeit der Staufer“ von 1977 war zunächst zur Feier der Bildung des Landes Baden-Württemberg geplant und sollte auf das gemeinsame kulturelle Erbe der beiden Landesteile verweisen. Jenseits dieser politischen Implikation entwickelte sich die Ausstellung zu einem, mit 671.000 Besuchern völlig überraschenden Publikumserfolg. Mit ihrem eher kulturgeschichtlichen Ansatz blieb die Ausstellung hinter den zuvor besprochenen Experimenten zurück. Vielmehr war das Publikumsinteresse am Mittelalter ausschlaggebend für den Ausstellungserfolg. So wurde, wie bereits zeitgenössisch konstatiert, eine neue Haltung des Publikums gegenüber dem Museum erkennbar, das eine historische Ausstellung erstmals als Event auffasste.

Ausgelöst durch den Publikumserfolg der Staufer-Ausstellung gewann das Veranstaltungsformat Landesausstellung als regionale Selbstrepräsentation wie auch als mediales Ereignis in den 1980er- und 1990er-Jahren eine große Bedeutung. Insbesondere die Berliner Ausstellung „Preußen – Versuch einer Bilanz“ von 1981, die hier ebenfalls analysiert wird, steht für die in Stuttgart ausgelöste Welle kultureller Markierungen. Mit der Ausstellung wurde der nach Kriegszerstörungen rekonstruierte „Martin-Gropius-Bau“, das direkt an der Mauer zu Ost-Berlin gelegene ehemalige Kunstgewerbemuseum, eingeweiht und damit ein kulturpolitisches Signal der West-Berliner Wiederaneignung grenznaher Brachen gesetzt. Das Thema war äußerst umstritten, denn Preußen stand in der öffentlichen Meinung überwiegend für den autoritären Obrigkeitsstaat; die internen Auseinandersetzungen um das darzustellende Preußen-Bild werden in dem vorliegenden Band detailliert dargestellt. Die schließlich realisierte Ausstellung setzte sich deutlich von dynastischen Perspektiven ab und zeigte ein breites, Gegensätze aufnehmendes, gleichsam liberales, aber auch objektzentriertes Bild, mit den Worten des Ausstellungsmachers Gottfried Korff eine „Re-Dimensionalisierung der Objekte“ (S. 113).

Die in „Museumskrise und Ausstellungserfolg“ zusammengefassten Ausstellungsanalysen überzeugen zunächst durch konzentrierte Darstellung der Hintergründe, Konzeptionen und Präsentationsformen der jeweiligen Ausstellungen, die durch zahlreiche Fotos gut nachvollziehbar sind. Historische Ausstellungen in den 1970er-Jahren zeigen dabei eine, binnen lediglich zehn Jahren entwickelte, Vielfalt der Ansätze: als experimentelle kuratorische Arbeit (Museé Sentimental de Cologne), als Faszination des originalen Objekts (Römisch-Germanisches Museum Köln), als Faszination des neuen Orts und nuancierte Betrachtung eines Staates (Preußenausstellung), als geschichtsdidaktische Wende in der post-68er-Gesellschaft (Historisches Museum Frankfurt), als Entdeckung der Industrie- und Arbeiterkultur (Rüsselsheim), als historisch-kulturelle Definition einer Landesidentität (Staufer-Ausstellung) oder als Ort der politischen Bildung (1871 – Fragen an die deutsche Geschichte). Die hier vorgelegten Analysen überzeugen durch Materialfülle und kundige Kontextualisierung, und der Band macht die Bedeutung historischer Ausstellungen auch über den besprochenen Zeitraum hinaus deutlich.

Anmerkungen:
1 Die Publikation kann, solange vorrätig, kostenlos bzw. gegen eine Spende beim Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin bestellt werden.
2 Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hrsg.), Die Notlage der Museen. Ein Appell, Bonn 1971.
3 Vgl. Werner Schäfke, "Geschichte ist nicht ausstellbar", in: Achim Preiß / Karl Stamm / Frank Günter Zehnder (Hrsg.), Das Museum. Die Entwicklung in den 80er Jahren. Festschrift für Hugo Borger zum 65. Geburtstag, München 1990, S. 279–297.
4 Rainer A. Müller, Historische Ausstellungen 1960–1990. Eine Bibliographie der Kataloge, Paderborn 1992; Martin Große Burlage, Große historische Ausstellungen in der Bundesrepublik Deutschland. 1960–2000 (Zeitgeschichte-Zeitverständnis 15), Münster 2005, mit ausführlicher Bibliographie.
5 Teilweise dokumentiert in Detlef Hoffmann / Almut Junker / Peter Schirmbeck (Hrsg.), Geschichte als öffentliches Ärgernis, oder: Ein Museum für die demokratische Gesellschaft, Fernwald 1974.
6 Ausstellungskatalog herausgegeben von Udo Gößwald, 99 x Neukölln, Berlin 2010.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension