J. Eiben: Das Subjekt des Fußballs

Cover
Titel
Das Subjekt des Fußballs. Eine Geschichte bewegter Körper im Kaiserreich


Autor(en)
Eiben, Jörn
Reihe
Praktiken der Subjektivierung 6
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 39,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nils Havemann, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Trotz der Vielzahl an wissenschaftlichen Studien, die im letzten Jahrzehnt zur Geschichte des deutschen Fußballs erschienen sind, gibt es noch Desiderate. Ein Bereich, der weitgehend im Dunkeln liegt, ist die Entwicklung dieses Sports im Kaiserreich. Zwar haben einige Beiträge wichtige Teilaspekte erhellt1, aber insgesamt fehlen grundlegende Arbeiten zu dieser Epoche, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass sich die Quellensuche bisweilen schwierig gestaltet.

Jörn Eiben betont in der vorliegenden Studie, dass ihm nicht daran gelegen sei, diese Lücke zu schließen, er also mitnichten die Absicht habe, die Geschichte des deutschen Fußballs im Kaiserreich „auf diachroner Ebene“ zu erzählen (S. 12). Vielmehr nähert er sich dem Gegenstand diskursanalytisch. Dabei geht er davon aus, dass das Spiel mit dem runden Leder in seinen Anfängen in Deutschland auf zahlreiche gesellschaftliche Widerstände stieß, bevor es sich als ein breites Kulturphänomen etablieren konnte. In diesem Zusammenhang interessiert ihn vor allem, wie „die Akzeptabilität des Fußballs zeitgenössisch ausgehandelt“ und wie „das Individuum in diesen Aushandlungsprozessen in welche Verhältnisse zum Fußballspiel gesetzt“ wurde (S. 12).

Eiben macht es sich bei seinem Vorhaben nicht leicht. Er zieht nicht einfach zeitgenössische Publikationen heran, um sie unbedarft auf seine leitende Fragestellung hin zu untersuchen. Vielmehr setzt er seine Untersuchung gleich in mehrfacher Hinsicht auf ein anspruchsvolles theoretisches Fundament. Zunächst definiert er den „Problemhorizont“, der anhand des Fußballs ausgeleuchtet werden soll und sich während des Untersuchungszeitraums aus den sich überlagernden Bereichen „Nationalismus“ und „Moderne“ zusammengesetzt habe. In Abgrenzung zu anderen Arbeiten begründet er die Notwendigkeit, Aspekte wie Körper und Geschlecht in den Mittelpunkt zu stellen und die „über den Fußball aufgerufenen Körperlichkeiten und Imaginationshorizonte sowie deren Beziehungen zu zeitgenössischen Rezeptionen der Gegenwart“ herauszuarbeiten (S. 18). Bei der Beschreibung seiner Vorgehensweise stützt er sich unter anderem auf Arbeiten von Bourdieu und Foucault, die ihm dabei helfen sollen, „die diskursive Formation einzugrenzen, in die sich die Diskursivierung des Fußballs einschrieb“ (S. 23). Und schließlich ordnet er noch den „Fußballer als Subjekt des Fußballs“ theoretisch ein, indem er betont, dass es sich dabei nicht um das Individuum handele, sondern angesichts der Öffentlichkeit der Spiele sowohl um den „Ort“, an dem Spieler als solche wahrgenommen wurden, als auch um den „Ort“, an dem sie sich selbst als solche wahrnahmen (S. 27).

Auch der Hauptteil der Untersuchung ist durchsetzt mit theoretischen und methodischen Überlegungen. Dabei benennt Eiben drei Bereiche, in denen die „Akzeptabilitätsbedingungen des Fußballs“ ausgehandelt wurden: Gesundheit, Männlichkeit und Militärtauglichkeit, wobei er dieses „Klassifikationsraster“ auf allen drei Achsen für „relativ eigenlogisch“ hält (S. 63). Mithilfe seines „Klassifikationsrasters“ legt er dar, dass vornehmlich „bürgerliche Männer“ durch die Unterscheidung von guten und schlechten Körpern den gesellschaftlichen Wert des Fußballs argumentativ zu heben versuchten. Die Gegner des Spiels unterstrichen hingegen seine Gefährlichkeit, wobei sie kritisierten, dass hauptsächlich der untere Körperbereich benutzt werde, was früher oder später zu einer physisch-psychischen Degeneration führe. Seine Befürworter erhöhten die Akzeptanz des Fußballs vor allem durch die Behauptung, dass er im Gegensatz zum Turnen männliche Ideale wie Mut und Selbstbeherrschung fördere, weil es für den Spieler gelte, die Angst vor schmerzhaftem Körperkontakt zu überwinden. Mit diesen Eigenschaften wurden Fußballer „mutlosen, effeminierten, körperlich zurückgebliebenen und sexuell potenziell anormalen Jungen“ gegenübergestellt (S. 184). Ein weiterer Diskursstrang bildete die militärische Eignung des Spiels, das den Sportler „im Spannungsverhältnis von Ordnung und Unterordnung zu flexiblen Soldaten“ forme (S. 213). Und schließlich war das Spiel ein Thema, bei dem das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft ausgehandelt werden konnte. Die bestimmende Bezugsgröße für das Kollektiv stellte die Nation dar: Unter anderem über die Forderung, durch das Spiel einen Teil zur Regeneration des auch kulturell gefährdeten „Volkskörpers“ beizutragen, schaffte es den Bezug zur damaligen Gegenwart und erhöhte dadurch seine Akzeptanz (S. 261).

Stärken und Schwächen der Studie resultieren aus dem umfangreichen theoretischen Rüstzeug, das Eiben in den Kapiteln seines Buches ausbreitet. Zwar sind viele Texte und Körperbilder, die er analysiert, bereits bekannt, und auch die Erkenntnis, dass in den damaligen Diskursen über Fußball militärische, nationalistische und volksgesundheitlich-hygienische Konzepte ebenso wie bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit eine große Rolle spielten, ist nicht neu. Doch durch die Anwendung seiner Theorien erreicht er bisweilen eine interpretatorische Tiefe, die zu interessanten Befunden führt. Als Beispiel dafür sei die Feststellung genannt, dass mit Ausbruch der militärischen Auseinandersetzungen im Jahr 1914 das herrschende Bild vom Fußball als Krieg verkehrt wurde, indem einige Autoren den Krieg nun zum „Analogon des Fußballs“ stilisierten (S. 214). Die hohe Theorielast verleitet aber zu einer Sprache, durch die selbst der Leser, der mit der Materie vertraut ist, Schwierigkeiten hat, dem Autor immer zu folgen. Sicherlich gehört die Anwendung von Fachvokabular zum kleinen Einmaleins des wissenschaftlichen Arbeitens. Ob es aber ein Ausweis von hoher Wissenschaftlichkeit und gedanklicher Schärfe ist, wenn den oft schon im Original verquast formulierten Theorien weitere verquaste Konstruktionen und imponierende Wendungen wie „eingefaltete Konturierung des Fußballers“ (S. 18), „assanierende Interventionen“ (S. 37) oder „zellular-organische Dependenz“ (S. 55) hinzugefügt werden, sei einmal dahin gestellt.

Mag die Sprache eine Frage des Geschmacks sein, so ist der zweite Einwand nicht so einfach zu übergehen. Arbeiten, die sich stark auf Theorien stützen, laufen Gefahr, die Offenheit der eigenen Forschung extrem einzuengen, das Ergebnis vorherzubestimmen und damit das „Vetorecht der Quellen“ auszuhebeln. Dies ist auch in der vorliegenden Studie der Fall: Es besteht kein Zweifel daran, dass Eiben mit seinem „Klassifikationsraster“ Gesundheit, Männlichkeit und Militärtauglichkeit drei wichtige Bereiche ausgesucht hat, mit denen eine erste analytische Schneise durch die damaligen Diskurse geschlagen werden kann. Aber wer nur wenige Fußballpublikationen aus der damaligen Zeit durchblättert, wird rasch erkennen, dass das „Klassifikationsraster“ – selbst wenn man sich auf eine „Geschichte bewegter Körper“ beschränken will – durch zahlreiche andere, teilweise sogar gegensätzliche Linien wie zum Beispiel Völkerverständigung, lokale und regionale Identifikationen oder soziale Schichtung erweitert werden könnte. So erweisen sich die Theorien, mit denen sich Eiben durch das Dickicht an gedruckten Quellen bewegt, als unhandliche Krücken, die ihn daran hindern, bei der Interpretation auch zu unentdecktem Terrain vorzustoßen. Entstanden ist ein schematisches Bild von der damaligen Diskurslandschaft, das die gewählten Aspekte gut durchdringt, aber die Lebhaftigkeit, Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit, mit der damals über Fußball geschrieben und gesprochen wurde, nicht zu erfassen vermag.

Anmerkung:
1 Genannt seien Peter Tauber, Vom Schützengraben auf den grünen Rasen. Der Erste Weltkrieg und die Entwicklung des Sports in Deutschland, Münster 2008; Heiner Gillmeister, Jüdische Fußball- und Olympiapioniere an der Wende des 20. Jahrhunderts, in: Ellen Bertke/Heike Kuhn/Karl Lennarz (Red.), Olympisch bewegt. Festschrift zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Manfred Lämmer, Köln 2003, S. 85–98; Jürgen Court, Deutsche Sportwissenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Band 1: Die Vorgeschichte 1900–1918, Münster 2008.