Cover
Titel
Film Front Weimar. Representations of the First World War in German films from the Weimar period (1919-1933)


Autor(en)
Kester, Bernadette
Reihe
Film Culture in Transition
Erschienen
Anzahl Seiten
329 p.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Stiasny, Humboldt-Universität zu Berlin

In den zahlreichen Studien über die Erfahrung des Ersten Weltkriegs und seine Auswirkungen auf Gesellschaft, Politik und Kultur der Weimarer Republik ist die zeitgenössische Bedeutung des Massenmediums Film bislang kaum thematisiert worden. Einerseits ist das deshalb bemerkenswert, weil die jüngere historische Forschung sich verstärkt kulturwissenschaftlichen Fragestellungen öffnet, vernachlässigte Quellenbestände erschließt und auch Konzepte wie Erinnerung und Gedächtnis im Kontext einer Erfahrungsgeschichte des Krieges auf Interesse stoßen. Andererseits ist die so zögerliche Hinwendung deutscher Historiker zum Film als Forschungsgegenstand keine Neuigkeit, und tatsächlich führt hierzulande die historische Filmforschung eine weitgehend unbehauste Existenz an den Rändern der Medien-, Literatur- und Kunstwissenschaften.

So ist es am Ende nicht erstaunlich, sondern typisch, dass mit Bernadette Kester eine niederländische Historikerin die erste, längst überfällige Monographie über das Bild des Weltkrieges im Kino der Weimarer Republik geschrieben hat. In der englischen Übersetzung wird diese Rotterdamer Dissertation, die zuerst 1998 auf niederländisch erschienen ist und bis heute kaum auf Resonanz stieß, hoffentlich mehr Leser erreichen.

Bis heute wird bei der Frage nach Filmen über das Bild des Krieges fast immer auf „Im Westen nichts Neues“ (USA 1930, Regie: Lewis Milestone), die amerikanische Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Erich Maria Remarque, verwiesen, der einen Angelpunkt im Deutungskampf um die Kriegserfahrung bildete. Im Schatten dieses dramatischen „Fall Remarque“, der von den Nationalsozialisten als Protest der Straße gegen die „Asphaltdemokratie“ inszeniert wurde und im Verbot des Filmes gipfelte, sind die früheren Weltkriegsfilme verblasst. Kester bringt hier Licht ins Dunkel.

In „Film Front Weimar“ gibt Bernadette Kester nach einer knappen Einführung in die jüngeren kulturgeschichtlichen Arbeiten zur Weltkriegserfahrung von Modris Eksteins, George Mosse und Jay Winter 1 sowie in die besonderen Probleme der filmhistorischen Forschung zunächst einen Überblick über die Entwicklung der deutschen Filmproduktion während des Weltkrieges und in der Weimarer Republik. Ausgehend von der allgemeinen Frage nach dem Beitrag deutscher Filme innerhalb der öffentlichen Auseinandersetzung um Kriegserfahrung und Kriegsdeutung, rekonstruiert sie danach aus den überlieferten Filmen, der zeitgenössischen Berichterstattung und Kritik in Fach- und Tagespresse sowie den Zensurunterlagen ein Korpus von 29 Filmen aus den Jahren 1925-1933; nur ein Film stammt aus der Zeit davor. Dabei beschränkt sich Kester auf abendfüllende Filme, die auf manifeste, unverschlüsselte Weise vom Weltkrieg handeln, und spart die Masse der Wochenschauen, die anlässlich von Demonstrationen, Vertragsabschlüssen und Gedenktagen immer wieder das Thema Kriegserfahrung streiften, aus. Gleichwohl sind im Korpus dokumentarische und fiktionale Erzählweisen vertreten. Spielfilme bilden allerdings die Mehrheit.

Das Problem, dass ein Großteil dieser Filme materiell nicht überliefert ist, eine ästhetisch orientierte Analyse des erhaltenen Materials keine repräsentativen Ergebnisse erbringen würde und Produktionsunterlagen zumeist fehlen, umgeht Kester, indem sie sich auf die Rezeption der Filme konzentriert. Sie unterzieht die zahlreichen Rezeptionszeugnisse, die sie zumeist der Berliner Tagespresse entnimmt, einem „close-reading“, stellt Bezüge zu angrenzenden Diskursen her und bettet die Filme in die zeitgenössische Debatte über Darstellungs- und Deutungsmodi der Kriegserfahrung ein. Die häufig sehr kontrovers besprochenen Filme erscheinen in diesem Kontext als Katalysatoren politischer Einstellungen. Und obwohl über den Distributionsgrad, den finanziellen Erfolg der Filme, deren Reichweite und die Zusammensetzung des Publikums angesichts der mangelhaften Quellenlage nur vage Aussagen möglich sind, verweist das starke und emotional heftige Presseecho nachdrücklich auf das außergewöhnliche Interesse an Kriegsfilmen in der Öffentlichkeit. Wiederholt wurde etwa über den Besuch hoher politischer und militärischer Repräsentanten bei Erstaufführungen berichtet.

Das Korpus, das sich großenteils aus kommerziellen Durchschnitts- und nicht aus Prestigefilmen zusammensetzt, wird von Kester inhaltlich nach den Bereichen Kriegsschuldfrage, Westfront, Seekrieg, Heimatfront und Heimkehr geordnet. Zwar erschwert das den Blick auf eine allgemeine Chronologie der Filmproduktion, doch lassen sich nun die wiederkehrende und variierende Beschäftigung der Filme mit mythisierenden Vorstellungen sowie motivische und stilistische Verwandtschaften besser erkennen. So analysiert Kester am Beispiel jener Filme, die das Thema Kriegsschuldfrage aufnehmen, die Wechselbeziehung zwischen politischem und geschichtswissenschaftlichem Diskurs und der populären Vermittlung im Kino. Beschwiegen werden in den Filmen der Anteil Deutschlands am Ausbruch des Krieges ebenso wie die Tatsache der deutschen Niederlage.

Kester bleibt hier nicht bei der Presserezeption als Spiegel der öffentlichen Meinung stehen, sondern beschreibt innerhalb der vorgegebenen Grenzen auch Inhalte, Motive, Figurenkonstellationen und ästhetische Strategien der Kriegsfilme. Da die Kritiker auf den vorgeblichen Realismus und die Wahrhaftigkeit der Bilder und Inhalte immer wieder abhoben, untersucht Kester insbesondere die Techniken der Authentifizierung der dargestellten Kriegserfahrungen. Sie hebt hervor, dass die Verwendung von Archiv-Material aus der Kriegszeit meist unkritisch begrüßt wurde. Zugleich weist Kester nach, in welchem Maße etwa nicht-fiktionale Filme auf nachgestellte Szenen angewiesen waren und durch Kommentare in den Zwischentiteln emotionalisierend wirkten und daneben fiktionale Filme vorgeblich dokumentarisches Material einbezogen. Auch die Grenzen des Darstellbaren zeigt Kester auf: Tabu waren die Darstellung des individuellen Tötens der Feinde, die Darstellung von sexuellem Begehren, Ungehorsam und Desertion, von militärischen Fehlentscheidungen und deutscher Unterlegenheit sowie die Abbildung des Kaisers.

Zwar verzichtet Kester auf griffige Thesen und geht gelegentlich eher deskriptiv als analytisch mit dem Material um, doch konturiert sie auf differenzierende und abwägende Art erstmals ein vernachlässigtes Korpus und hinterfragt einige langlebige Einschätzungen. Zurecht ist sie skeptisch gegenüber Rückschlüssen von der Presserezeption auf die ideologischen Positionen der Filme und bemängelt die auf Siegfried Kracauers teleologischer Sicht basierende wirkungsmächtige Vorstellung, das Weimarer Kino sei mehrheitlich autoritätsversessen und antidemokratisch gewesen und habe Hitlers Machtübernahme vorweggenommen.2 Indem Kester zudem die Kontinuität der Kriegsfilmproduktion ab 1925 herausarbeitet, kann sie, zumindest was den Film betrifft, die gängige Vorstellung widerlegen, um 1930 sei Deutschland, parallel zur „Trendwende in der politischen Stimmungslage“, von einer „Welle nationalistischer Kriegsbücher und Kriegsfilme überschwemmt“ worden.3 Kester zufolge bediente das Massenmedium Film in der Spätphase der Weimarer Republik durchaus nicht nur eskapistische Neigungen. Vielmehr fungierten Kriegsfilme, wie Kester an der gleichbleibend intensiven Pressekritik zeigt, immer wieder als Spiegelflächen des Diskurses über die Kriegserfahrung.

Einige Kritikpunkte, die Kesters Verdienst kaum schmälern, seien benannt. Einzuwenden wäre beispielsweise, dass Kester zwar das Aufkommen der Kriegsfilmproduktion aus der krisenhaften Spätphase der Republik in die Phase der Stabilisierung vordatiert, gleichwohl aber die Jahre vor 1925 etwas unterbelichtet erscheinen. So bleiben einige Filme unerwähnt, die schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit direkt auf den Weltkrieg Bezug nahmen, ohne freilich eine kontinuierliche Produktion in Gang zu setzen.

Zurecht weist Kester auf die Reihe der Fridericus Rex-Filme ab 1922 hin, die sehr populär waren, von historischen Kriegen handelten und in der Presse in Relation zum Weltkrieg gestellt wurden. Um die Voraussetzungen der Weltkriegsfilme genauer zu erkennen, wäre es wichtig gewesen, den Untersuchungsgegenstand hier etwas weiter zu fassen und die Funktion der historischen Kriegsfilme im Deutungskampf um die Kriegserfahrung genauer zu bestimmen. Auch die Rolle der amerikanischen Weltkriegsfilme, die in Deutschland ab Mitte der zwanziger Jahre in die Kinos kamen und deren Art der Kriegsdarstellung Standards setzte, wird von Kester zurecht hervorgehoben. Doch auch hier wäre eine Weitung der Perspektive und die Untersuchung von Aneignung und Ablehnung des Hollywood-Musters in den deutschen Kriegsfilmen sinnvoll gewesen. Schließlich beschränkt sich Kester weitgehend auf die Auswertung der Berliner Tagespresse. Angesichts der Sonderstellung Berlins sowohl hinsichtlich des Kinoangebots wie der Pressevielfalt wären Mikrostudien wünschenswert, die die Rezeption in der Provinz genauer untersuchen.

Ungeachtet dieser Anmerkungen hat Bernadette Kester mit „Film Front Weimar“ eine gut lesbare Pionierstudie vorgelegt, die den Beitrag des Massenmediums Film im Deutungskampf um die Kriegserfahrung sorgfältig nachzeichnet. Damit ist ein wichtiger Schritt getan, um eine Lücke in der Forschung zu schließen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Eksteins, Modris, Rites of Spring. The Great War and the Birth of Modern Age, New York 1989; Mosse, George L., Fallen Soldiers. Reshaping the Memory of the World Wars, Oxford 1990; Winter, Jay M., Sites of Memory, Sites of Mourning. The Great War in European Cultural History, Cambridge 1995.
2 Vgl. Kracauer, Siegfried, Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films, Frankfurt am Main 1979 (zuerst Princeton 1947).
3 Wette, Wolfram, Ideologien, Propaganda und Innenpolitik als Voraussetzungen der Kriegspolitik des Dritten Reiches, in: Deist, Wilhelm, Ursachen und Voraussetzungen des Zweiten Weltkrieges, Frankfurt am Main 1989, S. 23-208, hier S. 110.

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