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Titel
Subversion im Satz. Die turbulenten Anfänge der "Neuen Zürcher Zeitung" (1780–1798)


Autor(en)
Hafner, Urs
Erschienen
Zürich 2015: NZZ Libro
Anzahl Seiten
180 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Holger Böning, Deutsche Presseforschung, Universität Bremen

Bedenkt man, dass die regelmäßige Berichterstattung über das Weltgeschehen, die die gedruckten Zeitungen seit dem frühen 17. Jahrhundert leisteten, für die Zeitgenossen äußerst faszinierend gewesen sein muss, dann ist es erstaunlich, dass es kaum einmal unternommen wurde, genauer zu beschreiben, was diese Faszination in einem Prozeß der Welteroberung und Weltaneignung durch Information genau ausgemacht hat. Genau dies versucht erfreulicherweise Urs Hafner am Beispiel der „Neuen Zürcher Zeitung“.

Es mag als ein Paradox erscheinen, dass kaum irgendwo die Zensur gleich große Macht hatte und die Berichterstattung der Zeitungen und Zeitschriften so sehr eingeschränkt war wie im als aufgeklärt geltenden Zürich. Berichte über die Schweiz und deren politische wie gesellschaftliche Verhältnisse waren für die Zeitungen tabu, öffentliche Kritik ohnehin. Gab es in Preußen allenfalls vom aufgeklärten König angeordnete Prügel für Zeitungsredakteure, so musste man in der Eidgenossenschaft um sein Leben fürchten. Im Gründungsjahr der „Neuen Zürcher Zeitung“, 1780, verlor der Theologe und Publizist Johann Heinrich Waser wegen sogenannter „Preßvergehen“ sein Leben (S. 43) – da hatte man schon sorgfältig zu bedenken, was man sagen wollte und wozu man besser schwieg. Auch wenn die Zensur in nahezu allen Orten des deutschsprachigen Raumes ihres Amtes waltete, so gab es an anderen Orten beträchtlich mehr Freiheiten für die Zeitungsberichterstattung, von den Zeitschriften mit ihrem kritischen Geist ganz abgesehen. Erst mit der Helvetischen Revolution und Republik wurde es 1798 für eine kurze Zeit möglich, ungehindert zu berichten und seine Meinung zu sagen.

Die NZZ war ihrem Selbstverständnis nach eine politische Zeitung, die wie ihre Vorgängerinnen seit 1605 über das Weltgeschehen berichten wollte, zugleich auch ein Verlagsprodukt, mit dem Geld verdient werden sollte. Es eint die Zeitungen im deutschsprachigen Raum bis ans Ende des 18. Jahrhunderts, dass Ereignisse am eigenen Erscheinungsort kein Teil der Berichterstattung zu sein hatten, so dass es zunächst nichts Besonderes darstellt, dass in der neugegründeten Zeitung weder Berichte aus Zürich, noch aus der Eidgenossenschaft zu finden waren. Die ersten Nummern des im berühmten Verlag „Orell, Gessner, Füssli und Comp.“ erscheinenden Blattes betreute der Initiator und Mitbesitzer Salomon Gessner, der wie die meisten anderen Züricher Aufklärer aus den etablierten Bürgergeschlechtern stammte, eng mit deren Interessen verbunden sowie politisch und sozial in das Machtgefüge der Stadt eingebunden war (S. 19). Dies war beim ersten Redakteur der Zeitung, der über längere Zeit von 1780 bis 1783 die Redaktion führte, anders. Johann Kaspar Riesbeck gehörte zu den Freigeistern unter den deutschen Aufklärern, zu den herausragenden Vertretern einer aufklärerischen Reiseliteratur vor der Französischen Revolution, seine antiklerikale Haltung teilte er mit seinen Nachfolgern Peter Philipp Wolf und Franz Xaver Bronner, man kann alle hier in Frage kommenden Redakteure – zu den drei genannten kommt noch Johann Michael Armbruster – als mutige Migranten bezeichnen, die der Zeitung ihren Stempel aufdrückten. Scheiterte Riesbeck auf Druck der Obrigkeit an kritischen Bemerkungen über die mit der Eidgenossenschaft alliierte französische Monarchie, so wurde Armbruster ins Gefängnis gesteckt, nachdem er in seinem „Schwäbischen Museum“ Kritik an Graubünden und Solothurn geäußert hatte. Nur der 1758 geborene entflohene Mönch Bronner konnte sich – trotz seiner Sympathien für die Französische Revolution und obwohl er mit der Helvetischen Revolutionsregierung in Konflikt geriet – dauerhaft eine Existenz in der Schweiz aufbauen.

Nachdem der Autor im Kapitel „Zornige junge Männer“ die ersten vier Redakteure der Zeitung mit ihren Biographien vorstellt, steht im Kapitel „Das Lachen als Waffe“ die Berichterstattung im Mittelpunkt. Dass er dabei von „subersivem Humor“ spricht, der das bürgerliche Lesepublikum angesprochen habe, mag ebenso angehen wie die Beschreibung von Spott, Ironie und Sarkasmus, die mit Lust am Sprachwitz einhergegangen sei und dazu beigetragen habe, dass eine bürgerliche Öffentlichkeit entstehen konnte (S. 33, 37). Ganz so sensationell, wie Hafner manchmal nahelegt, war die Berichterstattung im Vergleich mit zahlreichen deutschen Zeitungen jedoch nicht, auch in anderen Blättern trat man für Pressefreiheit ein und „gärte diese ersehnte Freiheit unter und zwischen den Zeilen“ (S. 41). Bemerkenswert ist allerdings der Mut Riesbeks, der vor der Hinrichtung Wasers mehrfach aus jener Zeitschrift Schlözers referierte, in der Waser seine inkriminierten Beiträge veröffentlicht hatte (S. 44).

Manche Aussagen wird man diskutieren können, wenn von der im internationalen Vergleich beträchtlichen Auflage der NZZ von 1500 Exemplaren gesprochen wird (S. 45), vertrieb doch die „Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburger unpartheyischen Correspondenten“ mehrere Zehntausend Exemplare. Auch war es nicht wirklich neu, dass ein Redakteur das Blatt betreute, gleiches war schon beträchtlich früher bei zahlreichen deutschen Zeitungen der Fall (S. 47). Insgesamt aber darf man loben, in welcher Weise der Autor ein sprödes Thema auf spannende Weise darstellt, wie er sich in die zeitgenössischen Leser einfühlt. Das gilt auch für das Kapitel „Glaube als Privatsache. Wider die ‚Religionsstupidität‘“, in dem jene Berichte analysiert werden, mit denen die Relativierung von religiösen Dogmen erfolgte, oder jenes, in dem die Zeitung und ihr Verlag mit seinem aufklärerischen Programm vorgestellt wird. Hafner ruft in Erinnerung, dass es für ein breites Publikum die Zeitungen waren, die die öffentliche Diskussion über Bücher und das Politische förderten, allerdings fehlt hier der Hinweis auf die im Gegensatz zur NZZ in zahlreichen deutschen Zeitungen wichtigen gelehrten Teil mit seinen Rezensionen und Debatten (S. 69). Die etwa sechsmal im Jahre zu lesende Überschrift „Bey den Verlegern dieser Zeitung ist zu haben“ ist nun wahrlich nichts Besonderes, jedenfalls scheint die Zeitung an der Popularisierung des aufklärerischen Verlagsprogramms einen eher geringen Anteil gehabt zu haben. Interessant dann das Kapitel „Die Macht des Wissens“, in dem das Vorgehen der Zeitung gegen Wunderheiler, Alchemisten und Magier wie Alessandro Graf von Cagliostro ebenso dargestellt wird wie die Auseinandersetzung mit Technik und Naturwissenschaften. Die Frage, wo die Zeitung in der „Querelle des femmes“ steht, erscheint ein wenig weit hergeholt, denn was hier aufgefunden wird, gehört zur gewöhnlichen Zeitungsberichterstattung. Dass die NZZ mit ihren vermischten Meldungen Einblick in ihre Wahrnehmung und Bewertung der Geschlechterverhältnisse gab, gilt fraglos für die gesamte Zeitungspresse (S. 113).

Anregend ist das Kapitel „Das Leben der anderen. Sklaven, Muslime, Neger“, das schön zeigt, wie die Zeitung zur Weltaneignung beiträgt, gleichzeitig aber solche Dummheiten verbreitet wie die Gleichsetzung von schwarzen Menschen und wilden Tieren. Beschlossen endlich wird das Buch mit „Revolutionsgewitter. Wenn das Volk rebelliert“. Nichts ist in der Zeitung zu finden über die nun allenthalben auch in der Schweiz zunehmenden Unruhen. Ob es tatsächlich so war, dass der Schweizer Leser bei der Berichterstattung der NZZ über Revolten im Ausland an das Geschehen in der Schweiz dachte? Ob die Züricher Zeitung in der Berichterstattung über die Französische Revolution wirklich führend war, könnte nur ein Vergleich mit anderen Zeitungen zeigen. Die zitierten Berichte unterscheiden sich jedenfalls nicht sehr von denen etwa in der Hamburger oder Frankfurter Presse. Zu Recht betont Urs Hafner, welche Wirkung die in der Zeitung abgedruckte Menschenrechtserklärung auf die Züricher Bürger gehabt haben muss. (S. 169) In welchem Maß dieser Text auf die Bewohner Stäfas und ihre Revolutionsbereitschaft gewirkt hat, ist jedenfalls bekannt. Am 24. Februar ist dann auf dem Titelblatt statt des Postreiters das Motto „Neu, freymüthig, wahr“ zu lesen. Jetzt ist es die Schweizer Bevölkerung, die nach Veränderungen verlangt, die Aufforderung an die Züricher Regierung des späteren NZZ-Redakteurs Paul Usteri, Pressefreiheit und für die Landgebiete „Freiheit und Gleichheit“ einzuführen, bleibt vergeblich. Nun bestimmen die Ereignisse in der Eidgenossenschaft die Berichterstattung auch der NZZ, „jetzt da die Wahrheit rein und ungeschminkt verkündigt werden darf“ – jedenfalls für eine kurze Zeit (S. 177, 184).

Hätte es dem Rezensenten gefallen, wenn die Geschichte der NZZ etwas stärker in dem Rahmen der allgemeinen Pressegeschichte gestellt worden wäre, so ist doch andererseits zu loben, dass der Autor hier die Berichterstattung einer Zeitung in einer Weise darstellt, die den Leser mitreißt und sicherlich sein Interesse an dem kurzen historischen Zeitraum am Ende des 18. Jahrhunderts und dem Ende der Alten Eidgenossenschaft weckt. Seine Sympathie für den Kampf der von ihm in den Mittelpunkt gestellten vier deutschen Redakteure gegen Ignoranz, Obskurantismus und Borniertheit, lässt ihn zu dem Schluss kommen, es gebe heute in einer Zeit, das die gedruckte Presse vor einer ungewissen Zukunft stehe, mehr denn je viel zu tun: „zu beobachten, zu deuten, zu schreiben.“ (S. 190)

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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