K. Brodersen: Classics outside Classics

Cover
Titel
Classics outside Classics. Rezeption der Antike


Autor(en)
Brodersen, Kai
Reihe
Rezeption der Antike 3
Erschienen
Heidelberg 2015: Verlag Antike
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 37,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Filippo Carlà-Uhink, Department of Classics and Ancient History, University of Exeter

Die Erforschung der Antikenrezeption ist ein Forschungsfeld, dessen Popularität (seit Jahren) konstant ansteigt, was durch die Entstehung diverser Bereiche in diesem Feld sichtbar wird. Auch in Deutschland ist ein vermehrtes Interesse an diesem Wissenschaftszweig zu erkennen, was die wissenschaftliche Reihe „Rezeption der Antike“ belegt. In eben dieser Reihe erscheinen in dem zur Rezension vorliegenden Sammelband 14 Beiträge, die zwischen 1990 und 2014 von einem der weltweit bekanntesten Althistoriker und Rezeptionsforscher publiziert worden sind.

Eigentlich befinden sich in dem Band keine Beiträge, die das traditionelle Gebiet der Antikenrezeption – etwa Antikenfilm oder historische Malerei – thematisieren; der Titel „Classics outside Classics“ deutet auf ein sehr breites Interessensfeld hin, das im Buch vertreten ist und in der Tat ein legitimer Teil der Antikenrezeption und Wissenschaftsgeschichte darstellt. Alle Beiträge sind auf Englisch publiziert obwohl einige von ihnen ursprünglich auf Deutsch veröffentlicht worden waren. Dies ist jedoch lobenswert, da der Band somit nicht nur den Zugang zu teilweise schwer einsehbaren Publikationen ermöglicht, sondern auch eine Verwendung dieser sehr relevanten Veröffentlichungen außerhalb des deutschsprachigen Raums erlaubt; eine Funktion, die leider viel zu häufig vergessen wird.

Die Beiträge sind insgesamt in fünf Sektionen gegliedert. Im ersten Teil untersuchen zwei Aufsätze die Präsenz der klassischen Kultur im studentischen Leben des 19. Jahrhunderts, und in seinem Liedgut. Der zweite Teil, „Classics outside the World of Academic Classics“ ist in vier Abschnitte ganz unterschiedlicher Natur unterteilt – es geht hier um die Didaktik der Geographie anhand von antiken Texten (3), um die Neuentdeckung des Peri gymnastikes von Philostratus und um seine Rolle in der Geburt der modernen olympischen Spiele (4), um die Darstellung der Gorillas in der Antike und ihr Einfluss auf die moderne Pop-Kultur (über den Film King Kong) (5), und um die nationalistische Appropriation des Spartakus durch Bulgarien (6). Im dritten Teil sind ebenfalls vier Artikel thematisch zusammengefasst, die absichtliche Fälschungen oder unabsichtliche Fehler der Altertumswissenschaften und deren Konsequenzen für die folgenden Generationen, untersuchen. Es wir hier dargelegt, dass die geographischen Werke, die traditionell dem Nikephoros Blemmydes zugeschrieben wurden, gar nicht von ihm sind (7). Es folgt eine Erklärung, wie man zu dem Gedanken kam, dass es eine Stadt Kume auf Euböa gab, die eigentlich nie existierte (9). Weiterhin trifft man in diesem Teil auf zwei interessante Beiträge zu spielerischen „Erfindungen“ und Fälschungen von berühmten Altertumswissenschaftlern: ein agraphon Jesu, das von Coleman-Norton erfunden wurde (8) sowie „modernisierende“ Lexikon-Artikel, die ein wichtigerer Bestandteil akademischer Tätigkeiten darstellten, als man glauben könnte (10).

Die letzten zwei Sektionen sind eindeutig kleiner, da sie nur von je zwei Beiträgen gebildet werden. Im Abschnitt „Classicists Ousted from Classics“ befinden sich zwei Biopics, von Richard Laqueur (11) und Victor Ehrenberg (12), deren Biographie eindeutig zeigt, wie fehlerhaft es sein kann, die akademische Welt als „Elfenbeinturm“ zu verstehen, und welche Interaktionen zwischen Wissenschaft und Politik auch auf persönlicher Ebene zustande kommen können. Die letzten beiden Aufsätze, unter dem Titel „Popularizing Classics Then and Now“, sind wieder sehr unterschiedlich und kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Es wird zuerst die Entstehung, der Erfolg und die Relevanz von „Hellas und Rom: Eine Culturgeschichte des klassischen Alterthums“ von Jakob von Falke thematisiert (13). Der letzte Beitrag beschäftigt sich in einer sehr humorvollen Art und Weise mit der Auffindung eines Votivbleches in Hagenbach, das von einem Andossus, Sohn des Obbelexxus, dem Gott Mars gewidmet wurde. Die Ähnlichkeit des letzteren Namens zu demjenigen des Helden aus der Comic-Serie Astérix ist auffällig, und Brodersen „rekonstruiert“ die Prosopographie des Andossus und die Geschichte des gallischen Dorfes „nach den Comics“, die als primäre Quelle benutzt werden. Ein Verzeichnis der ersten Veröffentlichungen, eine Bibliographie und ein Index komplettieren den Band.

Wie man anhand dieser kurzen Vorstellung sehen kann, handelt es sich um eine sehr mannigfaltige Sammlung von Ansätzen, Themen und Methoden, die genau die Interessenvielfalt und die verschiedenen Forschungsgebiete des Autors, von der antiken Geographie bis zur Antikenrezeption in Astérix, von der Wissenschaftsgeschichte bis zur Verwendung der Antike bei der Konstruktion moderner nationaler Identitäten, spiegelt. Dies macht es in der Tat sehr schwierig, wie man vermutlich schon nachvollzogen hat, diese Beiträge in Sektionen einzuteilen und in feste Kategorien „einzuschließen“. Man fragt sich jedoch, ob diese Kategorisierung wirklich notwendig war, da eine “freie Sequenz” der Beiträge vielleicht noch besser hervorgehoben hätte, was letzten Endes der wichtigste Punkt des Bandes ist: die Relevanz der Antike außerhalb der Universitäten sowie die Erkenntnis, dass sie unsere Welt kontinuierlich beeinflusst bzw. beeinflussen kann und dass es aufgrund der Vielfältigkeit und der Möglichkeit verschiedener Ansätze absolut unmöglich ist, die “Antikenrezeption” zu definieren oder zu kategorisieren.

Die Antikenrezeption hatte und hat in der Tat immer noch insbesondere in Deutschland sehr große Schwierigkeiten als wissenschaftlich würdiges Forschungsgebiet anerkannt zu werden. Dieses Buch muss als Mahnung gelten, dass eine solche Anerkennung keinesfalls durch die „Fossilisation“ der Antikenrezeption zu einem fest definierten Fach, das, wie die „traditionellen Fächer“ strenge Grenzen hat, stattfinden darf.

Aus diesem Grund formuliert dieser Rezensent eine einzige Kritik über dieses Buch – man hätte sich gewünscht, dass der Autor ein Vorwort verfasst hätte, in dem er explizit erklärt, wieso er diese Beiträge aus seiner fast unerschöpflichen Publikationsliste1 ausgewählt, und in dieser Form gegliedert hat, und eventuell sogar in welcher Richtung sich seines Erachtens die Altertumswissenschaften des 21. Jahrhunderts bewegen. Es wäre ein sehr wertvoller Anstoß zur Reflexion über unsere Fächer und ihre Rolle in der (post-post?-)modernen Welt gewesen – eine Reflexion, die immer dringender wird2 – und man kann nur bedauern, dass dies Kai Brodersen bei dieser Gelegenheit nicht getan hat. Wir können darauf nur mit Spannung warten.

Anmerkungen:
1 Über 300 Titel laut <https://www.uni-erfurt.de/geschichte/antike/forschung/publikationen/> (20.3.2016).
2 Vgl. Filippo Carlà / Christian Stoffel / Christine Walde, Geleitwort der Herausgeber, in: Thersites. Journal for Transcultural Presences and Diacronic Identities from Antiquity to Date 1, 2015, S. ix–xiv, <http://www.thersites.uni-mainz.de/index.php/thr/issue/view/1/showToc> (20.3.2016).

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