J. Holstein (Hrsg.): Buchumschläge in der Weimarer Republik

Cover
Titel
Buchumschläge in der Weimarer Republik. The Book Cover in the Weimar Republic


Herausgeber
Holstein, Jürgen
Erschienen
Köln 2015: Taschen
Anzahl Seiten
451 S.
Preis
€ 49,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
David Oels, Berlin

Ein „Orchideenfach für Connaisseurs“ sei die Geschichte der Buchkunst und damit die Beschäftigung mit Einbänden und Schutzumschlägen geblieben, stellt Christoph Stölzl diesem opulenten Bildband zu den Buchumschlägen der Weimarer Republik voran (S. 9). Obgleich Stölzl dies bereits beim ersten Erscheinen 2005 schrieb1, trifft die Diagnose durchaus weiterhin zu. Das liegt – und hier hat sich die Lage im vergangenen Jahrzehnt deutlich gewandelt – indes kaum mehr am mangelnden Interesse der Forschung. Verschiedene textzentrierte Disziplinen, wie Literatur- und Kulturwissenschaften, gelegentlich auch die Geschichtswissenschaften, zumal die Wissens- und Wissenschaftsgeschichte, haben sich in der Folge des Material Turns immer stärker den materiellen Bedingungen der schriftlichen Massenkommunikation zugewandt und versuchen damit zunehmend einzulösen, was Lucien Febvre, Henri-Jean Martin, Roger Chartier, Donald F. McKenzie und viele andere bereits seit Jahrzehnten fordern, nämlich die Produktion, Zirkulation und Rezeption von Texten und Ideen nur im Zusammenhang mit deren materieller Realisation zu denken. Was Uwe Jochum bereits 1996 auf die Agenda der Germanistik wie der Buchforschung schrieb, dass nämlich auch für das Verhältnis von Buch und Text gelte, dass Inhalt und Form sich gegenseitig bedingen2, ist mittlerweile ins Bewusstsein der historischen Geisteswissenschaften vorgedrungen.

Das Problem, dem sich viele auf Umschlägen und Einbänden – wenn auch nicht als genuinem Forschungsgegenstand, sondern im Hinblick auf eine materiell fundierte Kultur-, Literatur- und Wissensgeschichte – zielende Forschungen gegenübersehen, ist nicht selten schlicht eines der Zugänglichkeit. Bis heute überliefern Bibliotheken wohl Texte und damit auch deren jeweiligen materiellen Träger – Pergament, Papier, digitale Daten und dergleichen. Alle zusätzlichen Bestandteile von Büchern oder auch CDs und DVDs werden dagegen entfernt oder angepasst. Der Schutzumschlag als im späten 19. Jahrhundert eingeführte und erst im zwanzigsten Jahrhundert durchgesetzte ephemere Verkaufsverpackung wird in der Regel sogleich weggeworfen oder spätestens dann entsorgt, wenn er zerschlissen ist, Einbände wurden und werden ersetzt, gestempelt oder mit Signaturen und Barcodes beklebt. Angewiesen ist die Forschung daher auf andere Quellen und diese stellen vor allem Sammler und Antiquare bereit, jene „Connaisseurs“, die Stölzl vor allem meinte. Antiquariats-, Auktions- und Ausstellungskataloge oder auch Portale wie zvab.com und eine unübersehbare Fülle privater Internet-Seiten, auf denen mehr oder weniger geschulte Sammler ihre Spezialgebiete vorstellen, liefern nicht nur genaue Beschreibungen von Einbänden und Umschlägen, sondern auch Abbildungen hoher Qualität. Der Dank für solche Sammlungen und die damit verbundenen Kosten und Mühen kann also gar nicht überschwänglich genug ausfallen, sind doch viele Daten nur auf diese Weise der Wissenschaft überhaupt zugänglich.

Dies gilt ohne Abstriche auch für den vorliegenden Band, der rund 1.000 Beispiele der Produktion Berliner Verlage der Jahre 1919 bis 1933 abbildet und beschreibt – vor allem Belletristik, aber auch einige Publikumssachbücher, bekannte wie die Einbände John Heartfields oder Sasha Stones und weniger bekannte wie die Bücher der vielen russischen Verlage im Berlin der Zwischenkriegszeit. Jürgen Holstein hat in Jahrzehnten eine beeindruckende Sammlung zusammengetragen, der er 2005 mit dem im Selbstverlag erschienen Band Blickfang ein Denkmal setzte. Dieses seit Jahren vergriffene Buch hat nun der Taschen Verlag in veränderter Gruppierung mit englischen Übersetzungen versehen und im Text wesentlich gekürzt wieder herausgebracht und damit der an Einband und Schutzumschlag interessierten Forschung breit zugänglich gemacht.

Allerdings bleiben auch Fragen und Einwände. Zunächst ist es schade, dass der Verlag die immerhin zehn Jahre Forschung, die zwischen dem ersten und dem zweiten Erscheinen lagen, nicht zum Anlass für eine gründliche Revision und Aktualisierung genommen hat. Auf einige kleine Fehler hat bereits Wilhelm Haefs in einer Rezension aufmerksam gemacht3 – weitere ließen sich anfügen: Etwa wurde Mascha Kalékos Lyrisches Stenogrammheft nicht 1935, sondern erst 1937 in die Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums eingereiht, und Ullsteins Zeitschrift Koralle war keineswegs von Anfang an ein großer Erfolg, der stellte sich vielmehr erst 1933 ein. Haefs hat auch dem Erstaunen Ausdruck gegeben, dass die Bibliografie aus der Erstausgabe nicht aktualisiert – wofür es reichlich Grund gegeben hätte –, sondern schlicht gestrichen wurde. Gleichfalls verwundert, dass aus dem Untertitel der Erstausgabe „Bucheinbände und Schutzumschläge Berliner Verlage 1919–1933“ in der Neuausgabe zwar „Buchumschläge in der Weimarer Republik“ geworden ist, dies jedoch keineswegs eine Erweiterung um die Produktion der nicht wenigen Leipziger, Münchener, Stuttgarter oder Hamburger Verlage zur Folge hatte.

Sind dies eher akzidentielle Schwierigkeiten, denen mit einem angemessenen Etat und einer erhöhten Portion Sorgfalt zu begegnen gewesen wäre, muss auch auf ein strukturelles Problem aufmerksam gemacht werden. Das jeder Sammlung notwendig innewohnende idiosynkratische Moment kann einerseits überraschende und auf anderem Wege kaum zu erhaltene Einsichten generieren – wie beispielsweise Umschlagvarianten, die bei Upton Sinclairs Hundert Prozent nur einzelne Auflagen betreffen. Im Rahmen eines notwendig repräsentativen Bandes müssen jedoch Auswahl und Aussagen hinterfragt werden. Zunächst überzeugt es nicht, dass Zeitschriften aufgenommen wurden. Ästhetisch mag dies gerechtfertigt sein, jedoch stellt sich dann die Frage, warum ausgerechnet diese Zeitschriften ausgewählt und warum nicht beispielsweise Zeitungen, Romanheftchen oder wissenschaftliche Bücher in Erwägung gezogen wurden. Dass Herbert Beyers Schaffen bis 1938 abgebildet wird, schadet selbstredend nicht, doch wären auch die Arbeiten anderer Gestalter nach Ende der Weimarer Republik von Interesse gewesen. Vollends rätselhaft ist schließlich die Abbildung einiger rororo-Umschläge aus den 1950er-Jahren in der Einleitung. Es handele sich um eine „sentimentale“ Reminiszenz an Karl Gröning jr. und Gisela Pferdmenges, mit deren Arbeiten er einst das Sammeln begonnen hatte, schreibt Holstein (S. 27). Einige Seiten zuvor hatte er dagegen festgestellt: „[S]eit dem Siegeszug der Taschenbücher“ – der maßgeblich durch die rororos eingeleitet wurde – sei „die Buchgestaltung immer beliebiger“ geworden (S. 23).

Es handelt sich bei dem Band insgesamt, so Holstein, um eine „subjektiv[e]“ Auswahl: „Wir folgten unseren langjährigen Erfahrungen als Antiquare und Büchersammler. Wir vertrauten unserer Erinnerung an die unzähligen Bücher, den optischen Eindrücken, die man in Jahrzehnten aufgenommen und im Gedächtnis gespeichert hat.“ (S. 28) Damit sind die großen Vorzüge des Bandes als Dokumentation einer einzigartigen Sammlung ebenso wie die notwendigen wissenschaftlichen Einschränkungen benannt.

Anmerkungen:
1 Jürgen Holstein, Blickfang. Bucheinbände und Schutzumschläge Berliner Verlage 1919–1933, Selbstverlag, Berlin 2005.
2 Uwe Jochum, Buchgestalt und Textgestalt. Überlegungen zu einer Literaturgeschichte des gedruckten Buches, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 26 (1996), Nr. 103, S. 20–34.
3 Vgl. Wilhelm Haefs, Buchumschläge in der Weimarer Republik, in: Aus dem Antiquariat NF 14 (2016), Nr. 1, S. 43–47.

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