I. Israelowich: Patients and Healers in the High Roman Empire

Cover
Titel
Patients and Healers in the High Roman Empire.


Autor(en)
Israelowich, Ido
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 191 S.
Preis
$ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Overwien, Institut für Klassische Philologie, Humboldt-Universität zu Berlin

Die medizinische Ausbildung war in der griechisch-römischen Antike weder einheitlich organisiert noch gab es zu irgendeiner Zeit eine „staatliche“ Prüfungsanstalt. Folglich konnte im Prinzip jeder Kranke behandeln, sofern er über entsprechende Kenntnisse verfügte. Da unter den Heilern außerdem zum Teil völlig unterschiedliche Vorstellungen von den Vorgängen im Körper und damit zusammenhängend von Krankheit und Gesundheit existierten, kann man sich leicht vorstellen, dass die antike Gesundheitsversorgung ein äußerst heterogenes Feld war. Vor diesem Hintergrund muss man das vorliegende Buch von Ido Israelowich lesen. Der Autor hat es sich nämlich zum Ziel gesetzt, zumindest einige Aspekte herauszuarbeiten, die man als gemeinsames Band der antiken Gesundheitsversorgung betrachten kann: Er fragt, „whether a shared belief system underpinned the various instances“ (S. 5), und konstatiert schließlich, dass „some unifying features of the health care system […] have emerged“ (S. 135). Sein Fokus liegt dabei auf dem Zeitraum vom 1. Jahrhundert v.Chr. bis zum 2. Jahrhundert n.Chr.

In der Einleitung präsentiert Israelowich einige grundsätzliche Überlegungen zum Thema, seine methodischen Grundlagen sowie den Aufbau des Buches (S. 1–10). Das erste Kapitel handelt davon, wie sich der Beruf des Arztes über die Jahrhunderte im Römischen Reich etabliert hat (S. 11–44). Im zweiten Abschnitt wendet sich Israelowich der Frage zu, wie sich die ärztliche Behandlung aus Sicht der Patienten darstellte (S. 45–69). Zu diesem Zweck betrachtet er vor allem (Weih-)Inschriften und arbeitet dabei heraus, dass die Behandlungen in den Asklepiosheiligtümern eine große Nähe zur theoretisch-wissenschaftlichen Medizin aufwiesen. In den folgenden drei Kapiteln diskutiert Israelowich unterschiedliche Bereiche, in denen die Gesundheitsversorgung im weitesten Sinne eine Rolle spielte: das Haus (z.B. Hebammen), die Armee (Militärärzte und Militärkrankenhäuser) sowie öffentliche Orte wie die Asklepiosheiligtümer oder die Bäder (S. 70–134).

Israelowich kommt dabei zu dem Schluss, dass folgende drei Aspekte für alle Bereiche der antiken Gesundheitsversorgung Gültigkeit hatten: Die Autorität des Arztes wird durch seinen Rechtsstatus, seine Reputation und seine Erfahrung bestimmt; der Einfluss des römischen Staates auf die Gesundheitsversorgung insbesondere durch die Gesetzgebung und Bereitstellung der Infrastruktur machte es möglich, dass sich die wissenschaftliche, auf griechischen Traditionen basierende Medizin durchsetzen konnte; aus Sicht des Patienten waren alle Behandlungsformen gleichwertig (S. 135–137).

Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass sich Israelowich bemüht, ein umfassendes Bild vom Beruf des antiken Arztes zu präsentieren. So thematisiert er unterschiedliche Tätigkeitsbereiche und benutzt zudem neben den üblichen medizinischen Texten etwa auch Inschriften oder juristische Quellen. Des Weiteren konzentriert er sich nicht nur auf die Darstellung bzw. Sicht des Arztes, sondern versucht auch die Perspektive des Patienten in den Blick zu nehmen. Israelowichs Untersuchungen in den einzelnen Kapiteln sind außerdem im Großen und Ganzen nachvollziehbar. Gleichwohl müssen einige Kritikpunkte angeführt werden, die die Benutzbarkeit des Buches im weitesten Sinne betreffen.

Bei einer Darstellung so vieler unterschiedlicher Bereiche bleibt es zum einen nicht aus, dass sich Ungenauigkeiten und Fehler einschleichen: Die Compositiones des Scribonius Largus sind nicht dem Kaiser gewidmet, sondern dem Hofbeamten Gaius Julius Callistus (S. 32). Der erste Teil der Anmerkung 40 auf S. 141, die Stellenangaben zum „liebeskranken Prinzen“ bietet, ist in dieser Form völlig unbrauchbar. Es wird weder gesagt, wer der Quellenautor Stephanus ist (ein Iatrosophist aus dem 6.–7. Jahrhundert n.Chr.), noch erfahren wir, dass es um seine Vorlesung über das hippokratische Prognostikon geht, und die angegebene Textausgabe von Friedrich Dietz aus dem Jahre 1834 wurde schon vor mehr als 30 Jahren durch die CMG-Edition von Duffy ersetzt.1 Ein Kuriosum stellt der Verweis auf Galens Kommentar zur hippokratischen Schrift De aere als Quelle dar (S. 127), da sich diese Schrift im griechischen Original überhaupt nicht erhalten hat. Leider findet man Fehler dieser Art bei Israelowich häufiger. Hier wäre ein zweiter Korrekturdurchgang angeraten gewesen.2

Zum anderen vermittelt Israelowich mehrfach fälschlicherweise den Eindruck, dass seine Ergebnisse neu seien. Zwei Beispiele mögen dies illustrieren: So schreibt er: „I use this analysis […] to suggest that the domus in fact acted as a microcosm of the medical market place“ (S. 71). Dem Rezensenten wäre nicht bekannt, dass dieser Umstand in der Forschung angezweifelt wird. Des Weiteren wurde die enge Verbindung zwischen religiös-heilkultlicher und wissenschaftlich-heilkundlicher Medizin (S. 52–69) schon anderweitig beobachtet.3

Der letzte Kritikpunkt betrifft schließlich die eigentliche These des Buches. Israelowich merkt zwar mehrfach an (z.B. S. 7, 31 u. 137), dass er bei Weitem nicht auf alle bekannten Gruppen eingeht, die im Römischen Reich als Heiler tätig waren. Da er seine getroffene Auswahl aber zu Beginn als „broad spectrum of health-related experiences“ (S. 7) bezeichnet und im Weiteren von „unified health care system“ (S. 134) oder „unifying features of the health care system“ (S. 135) spricht, muss der Leser zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass er seine Untersuchungsergebnisse als repräsentativ erachtet und somit auf die komplette antike Gesundheitsversorgung bezogen wissen will. Abgesehen davon, dass es an sich schon problematisch ist, eine bestimmte Auswahl an Sachverhalten ohne jede weitere Erläuterung als aussagekräftig zu bestimmen, führt es im vorliegenden Fall auch definitiv in die Irre. Dafür muss man sich nur vergegenwärtigen, welche Bereiche der antiken Medizin von Israelowich nicht behandelt werden. Dazu gehört beispielsweise die Gruppe der Einreiber und Apotheker. Da wir über diese nur sehr wenig wissen4, lässt sich auch nicht sagen, ob für sie die von Israelowich herausgearbeiteten Kategorien überhaupt gelten. Es sei außerdem an die sogenannte volkstümliche Medizin erinnert, eine Mischung aus Hausmitteln und „Dreckapotheke“, die nicht selten mit religiös-magischen Praktiken einherging. Wie verbreitet diese war, lässt sich daraus ersehen, dass sie vom älteren Plinius an bis weit in die Spätantike hinein wesentlicher Bestandteil nahezu jedes Medizinwerkes in lateinischer Sprache war. Nicht vergessen werden soll schließlich die jüdische Medizin, die wiederum einen ganz eigenen Kosmos darstellte.5 Dass die von Israelowich als dominant bezeichnete griechisch-wissenschaftliche Medizin in allen diesen Bereichen keine große Rolle spielte, liegt auf der Hand, und dass die Bestrebungen des römischen Staates, die Ärzteschaft zu fördern, auch hierauf abzielten, ist kaum wahrscheinlich.

Israelowich ist einzig darin Recht zu geben, dass Aspekte wie Reputation und Erfahrung, die die Autorität eines Heilers bedingten, über die Jahrhunderte hinweg reichsweit Geltung gehabt haben dürften. Ursache hierfür dürfte die fehlende staatliche Zertifizierung des Berufes gewesen sein. Diese Erkenntnis ist allerdings wiederum keineswegs neu.6

Die von Israelowich vertretene These kann daher in ihrer Gesamtheit kaum überzeugen. Dafür ist seine Darstellung viel zu selektiv. Es erscheint allerdings ohnehin fraglich, ob sich für die antike Gesundheitsversorgung einheitliche Strukturen herausarbeiten lassen. Man muss sich in diesem Zusammenhang nur vor Augen führen, dass wir für viele Bereiche entweder gar keine oder nur sehr wenige Quellen vorliegen haben. Somit dürfte es letztlich wohl sinnvoller sein, jeweils einzelne Aspekte herauszugreifen und näher zu untersuchen. Israelowichs Ausführungen zur Rolle der Armee bei der Verbreitung griechischer Traditionen könnten hierfür etwa ein interessanter Ansatzpunkt sein.

Anmerkungen:
1 Stephani philosophi In Hippocratis Prognosticum commentaria III, hrsg. v. John M. Duffy (Corpus Medicorum Graecorum XI 1.2), Berlin 1983.
2 Weitere Fehler dieser Art werden in der Rezension von Lawrence J. Bliquez, in Bryn Mawr Classical Review 2015.08.05 <http://bmcr.brynmawr.edu/2015/2015-08-05.html> (05.11.2015), genannt.
3 Sie liegt z.B. als These der Untersuchung von Florian Steger, Asklepiosmedizin. Medizinischer Alltag in der römischen Kaiserzeit, Stuttgart 2004, zugrunde. Israelowich nennt dieses Werk in seiner Literaturliste nicht.
4 Siehe Steger, Asklepiosmedizin, S. 70–72.
5 Zu diesen Aspekten siehe etwa die entsprechenden Kapitel in den in Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 37.1 (1993) erschienenen Artikeln von John Scarborough, Roman Medicine to Galen, S. 3–48, hier S. 13–22, und von John M. Riddle, High Medicine and Low Medicine in the Roman Empire, S. 102–120, hier S. 117–120.
6 Siehe z.B. Antje Krug, Heilkunst und Heilkult, 2. Aufl., München 1993, S. 192, oder Steger, Asklepiosmedizin, S. 50f.

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