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Titel
The Crusade Indulgence. Spiritual Rewards and the Theology of the Crusades, c. 1095–1216


Autor(en)
Bysted, Ane L.
Reihe
History of Warfare 103
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 319 S.
Preis
€ 126,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Axel Ehlers, Hannover

Als Papst Urban II. 1095 zur Befreiung der orientalischen Kirche und des Heiligen Landes aufrief, versprach er den Teilnehmern an der Expedition einen geistlichen Lohn. Der Wortlaut dieses Versprechens ist umstritten. Belegt ist, dass Urbans Aufruf großen Erfolg hatte, woran der versprochene geistliche Lohn großen Anteil gehabt haben dürfte.1 Was aber genau versprach Urban da? Die 1971 geborene dänische Historikerin Ane Bysted widmet sich in ihrer 2004 an der Universität Odense eingereichten Dissertation der Frage nach den geistlichen Belohnungen, die den Teilnehmern eines Kreuzzuges zugesagt wurden. Der ursprüngliche Titel der Arbeit („In Merit as well as in Reward. Indulgences, Spiritual Merit, and the Theology of the Crusades, c. 1095–1216“) wurde für den Druck geändert, der Text leicht überarbeitet, neuere Literatur in eng begrenzter Auswahl hinzugefügt. Hans Eberhard Mayers Standardwerk zur Geschichte der Kreuzzüge wird jedoch nur in der 8. deutschen Auflage und nicht in der aktuellen 10., überarbeiteten und erweiterten Auflage von 2005 zitiert, obwohl es eine wichtige Referenz für diese Arbeit ist.2 Dem deutschsprachigen Leser fallen zudem einige Ungenauigkeiten bei deutschen Zitaten und Literaturangaben auf3, während das Englisch der Darstellung makellos ist.

Bysted gliedert ihre Untersuchung auf plausible Weise in sechs Kapitel4, von denen der ausführlichen Einleitung und dem vierten Kapitel besondere Bedeutung zukommen. Sie möchte herausfinden, was genau die geistlichen Belohnungen für die Teilnahme an einem kirchlich autorisierten Krieg bedeuteten: „the inner, religious meaning“ (S. 6) dieser Versprechen soll ergründet werden. Dazu untersucht sie vor allem Papsturkunden und scholastische Literatur aus der Zeit des 10. bis 13. Jahrhunderts. Damit kann man sicher der Bedeutung, die Theologen und Prälaten dem Ablass zuschrieben, auf die Spur kommen, aber der volle religiöse Gehalt, der sich ja auch in der Rezeption dieses kirchlichen Angebots durch Laien zeigt, wird kaum erfasst.

In einem sehr instruktiven Forschungsüberblick (Kapitel 1) zeichnet Bysted die mediävistische Debatte um den Kreuzzugsablass nach. Sie selbst ist der „pluralistischen“ Schule der Kreuzzugshistoriographie um Jonathan Riley-Smith zuzurechnen, die den auch im Jenseits wirksamen Ablass als konstitutives Element eines Kreuzzuges ansieht. Demgegenüber vertrat etwa Hans Eberhard Mayer die These, dass Urban II. den Kreuzfahrern in Clermont lediglich einen Nachlass bzw. eine Umwandlung der kirchlichen Bußstrafen, eine Redemption also, versprochen habe. Vom Nachlass der im Jenseits abzuleistenden Sündenstrafen sei in Clermont „nicht die Rede gewesen“. Erst die Kreuzzugspredigt und zweideutige Äußerungen Urbans hätten daraus eine „remissio peccatorum“ gemacht, worunter man einen Plenarablass (mit jenseitiger Wirksamkeit) verstehen konnte.5 Bysted hingegen meint, dass Urbans Versprechen zwingend auch eine jenseitige Wirksamkeit beinhaltet haben müsste, weil andernfalls eine Verdienstlichkeit des Krieges vor Gott gar nicht gewährleistet gewesen wäre. Da aber bei einem Kreuzzug alles davon abhänge, dass Gott den Krieg gutheiße, müsse das auch schon für den ersten Kreuzzug gegolten haben. Das klingt logisch, aber ist es auch historisch plausibel?

Um ihre Deutung zu untermauern, untersucht Bysted zunächst die Überlieferung zum Konzil von Clermont (Kapitel 2). Während Mayer betonte, in Clermont habe man „exakt“6 formuliert, zieht Bysted sowohl die Zuverlässigkeit der Angaben beim Zeitzeugen Lambert von Arras als auch die terminologische Präzision in Urbans Briefen in Zweifel. Sie versucht unter Berücksichtigung der früheren Aufrufe Urbans zur Befreiung Tarragonas plausibel zu machen, dass der Papst einen Krieg in kirchlichem Auftrag genauso verdienstvoll fand wie eine kirchliche Buße. Die Buße aber habe auch jenseitige Wirkungen, so dass der Nachlass der Buße und die „remissio peccatorum“ die gleiche Bedeutung hätten.

Bysted ordnet Urbans Aufruf in den Kontext der Bußpraxis des 11. Jahrhunderts und der frühen Ablasstheologie ein (Kapitel 3). Dabei bestätigt sie weitgehend die Ergebnisse von Nikolaus Paulus und Bernhard Poschmann zur Entwicklung des Ablasses.7 Die Versprechen von Clermont seien vor dem Hintergrund der noch diffusen theologischen Konzeptionen zu deuten. Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten in Urbans Briefen könnten darin ihre Ursache haben. Hier lauert ein Widerspruch in Bysteds Argumentation: Wenn Urban selbst nicht so genau wusste, was er tat, wie kann man dann herausfinden, ob die von ihm verkündete geistliche Belohnung jenseitige Wirksamkeit haben sollte?

Die weitere Entwicklung des Ablasses zeichnet Bysted durch eine Beschreibung der Ablasstheologie des 12. Jahrhunderts seit Abaelard nach. Wirklich Neues über den Ablass erfährt man hier nicht, aber als konzise Einführung hat die Darstellung ihren Reiz. Erst im 12. Jahrhundert wurden die für die Theologie des Ablasses grundlegenden Unterscheidungen zwischen ewiger und zeitlicher Strafe sowie zwischen Sündenschuld und Sündenstrafen theologisch entwickelt. Bysted veranschaulicht die Entwicklung in einem Schaubild schon zu Beginn ihres Buches (S. 12). Für die Zeit des Ersten Kreuzzuges kann man diese Differenzierungen nicht nachweisen. Bysted bestätigt die zentrale Bedeutung der Lehre vom Schatz der überschüssigen Verdienste Christi und seiner Heiligen (dem „thesaurus ecclesiae“), die im 13. Jahrhundert zu einer Klärung der Frage führte, wie eine jenseitige Wirkung von Ablässen verbürgt werden könnte. Davor wurde eine solche Wirksamkeit theologisch immer wieder bestritten – kann man dann annehmen, dass Urban II. sie sicher voraussetzte?

Indem sich Bysted im vierten Kapitel der Begriffsgeschichte zuwendet, kommt sie zum Kern ihrer Argumentation. Auf der Grundlage der Patrologia Latina-Datenbank untersucht sie die Häufigkeit der Formeln, die im Zusammenhang mit geistlicher Belohnung zwischen 1099 (!) und 1216 in Papsturkunden benutzt wurden. Dabei trägt sie den Unzulänglichkeiten der Editionen Mignes in der Patrologia sowie der Unvollständigkeit der gewählten Datengrundlage Rechnung und vermeidet eine statistische Überinterpretation des Materials. Allerdings wäre es hilfreich gewesen, ergänzend die auch sonst genutzten neueren Papsturkundeneditionen in die Anmerkungen einzuarbeiten, anstatt abschnittsweise ausschließlich nach Migne zu zitieren. Die Ergebnisse der Recherche werden im Anhang der Arbeit in zwei Tabellen dokumentiert. Ein weiterer Anhang gibt päpstliche Gewährungen geistlicher Belohnungen für Kreuzzüge von Urban II. bis zu Innozenz III. wieder und dokumentiert so in kompakter Weise zentrale Quellentexte für die Untersuchung.

Die besonders häufige Ablassformel „remissio peccatorum“ kann bereits seit Urban II. in den Quellen nachgewiesen werden. Aus der Tatsache, dass spätere Päpste diese Formel ausdrücklich als den Ablass bezeichneten, den Urban II. in Clermont gewährt habe, folgert Bysted, dass dem auch so gewesen sei. Wenn man aber in Rechnung stellt, wie im Mittelalter Legitimität durch Verweis auf ältere Autoritäten konstruiert wurde, ist das kein besonders sicherer Boden. Auffällig ist, dass in den Urkunden weitaus häufiger vom „Nachlass der Sünden“ die Rede ist als vom „Nachlass der Buße“. Insbesondere die von Lambert von Arras benutzte Wendung „pro poenitentia reputetur“ sei in den päpstlichen Dokumenten gar nicht nachweisbar, womit Bysted ihre Kritik an der Verlässlichkeit dieser Überlieferung geschickt untermauert. Was genau eine Phrase wie „remissio peccatorum“ bezeichnete, muss stets im Einzelfall geprüft werden. Daraus folgt aber, dass auf diese Weise nicht geklärt werden kann, ob mit dieser Formel wirklich in jedem Fall eine jenseitige Wirksamkeit des wie auch immer vorgestellten geistlichen Lohns konnotiert war.

Schließlich wendet sich Bysted noch den Begründungen dafür zu, warum die Teilnahme am Kreuzzug überhaupt geistlich verdienstvoll sein kann (Kapitel 5). Dabei stellt sie eine zunehmende Spiritualisierung des Kreuzzugsgedankens im 12. Jahrhundert fest. Während zunächst die Verteidigung der Kirche und der heiligen Stätten im Vordergrund stand, verschob sich der Akzent hin zu einer Verteidigung Christi. Die persönliche Tat des Kreuzfahrers wurde zunehmend durch den gnadenhaften Charakter des Kreuzzuges und der damit verbundenen Privilegien in den Schatten gestellt. In dieser Entwicklung lag bereits der Keim für den späteren römischen Jubiläumsablass.

Neue Gesichtspunkte für die Beurteilung von Urbans Versprechen aber können durch die Betrachtungen nicht gewonnen werden. Auch die Untersuchung der wenigen Zeugnisse für die Kreuzzugspredigt im 12. und frühen 13. Jahrhundert (Kapitel 6) erlaubt keine Schlüsse darauf, was der innere Gehalt von Urbans Versprechen in Clermont gewesen sein könnte. Sie zeigt aber, dass die Vorstellungen, die sich in den Papsturkunden spiegeln, und die Ideen, die in den Predigten vorgetragen wurden, sich wechselseitig beeinflussten. Dass in den Predigten komplizierte theologische Sachverhalte häufig vereinfacht wurden, überrascht dabei kaum.

Ane Bysted kann in ihrer Studie den begrifflichen Kontext geistlicher Belohnungen für die Teilnahme an einem Kreuzzug im 11. und 12. Jahrhundert anschaulich entfalten. Ein überzeugender Nachweis, dass Urban bereits in Clermont einen jenseitig wirksamen Ablass verkündet habe, gelingt aus Sicht des Rezensenten nicht. Bysted macht aber deutlich, dass diese Möglichkeit auf keinen Fall kategorisch ausgeschlossen werden kann. Es ist ihr Verdienst, die Uneindeutigkeit der im Zusammenhang mit den frühen Kreuzzügen verwendeten Begrifflichkeit für geistliche Belohnungen klar herausgearbeitet zu haben. Für eine Beschäftigung mit dem theologischen Referenzrahmen der Kreuzzüge ist ihre Arbeit unbedingt heranzuziehen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Norman Housley, Contesting the Crusades, Malden, MA 2006, S. 24–38.
2 Hans Eberhard Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, 10. überarb. und erw. Aufl., Stuttgart 2005 (1. Aufl. 1965).
3 Vgl. etwa ein siebenzeiliges fehlerhaftes Zitat von Nikolaus Paulus auf S. 28 („zugeschriben“ statt „zugeschrieben“, „solte" statt „sollte“, „nämlig“ statt „nämlich“, in Zeile 2 fehlt ein „sie“).
4 Das Inhaltsverzeichnis ist abrufbar beim Verlag: <http://www.brill.com/products/book/crusade-indulgence> (01.03.2016).
5 Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, S. 44–46, 341 Anm. 16.
6 Ebd., S. 45.
7 Nikolaus Paulus, Geschichte des Ablasses im Mittelalter. Vom Ursprunge bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, 2 Bde., Paderborn 1922–23 (Neudruck mit veränderter Paginierung Darmstadt 2000); Bernhard Poschmann, Der Ablass im Licht der Bußgeschichte, Bonn 1948.

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