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Titel
Weltkarten – Weltbilder. Zehn Schlüsseldokumente der Globalgeschichte


Autor(en)
Oswalt, Vadim
Erschienen
Stuttgart 2015: Reclam
Anzahl Seiten
220 S.
Preis
€ 12,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Crom, Kartenabteilung, Staatsbibliothek zu Berlin

Nachdem Neil MacGregor vor wenigen Jahren eine „Geschichte der Welt in 100 Objekten“1 vorgelegt hatte, scheint es offenbar auch einen Kanon an Weltkarten zu geben, die als Schlüsseldokumente betrachtet werden können und die als wirkmächtig für die Weltgeschichte bzw. als Zeugen der Weltgeschichte gelten. Allenthalben begegnet man dem Topos von der „Macht der Karten“, sodass die Frage zu stellen ist, ob Karten Einfluss auf den Lauf der Weltgeschichte ausüben konnten oder ob sie nicht eher eine Folge des Verlaufs der Weltgeschichte sind. 2014 erschien die Übersetzung des Werkes von Jerry Brotton „Die Geschichte der Welt in zwölf Karten“2, dem Vadim Oswalt nun mit seinem Buch „Weltkarten – Weltbilder. Zehn Schlüsseldokumente der Globalgeschichte“ folgt. Der erste Blick richtet sich dementsprechend auf die Auswahl und zeigt eine Übereinstimmung von sechs Weltkarten, die von beiden Autoren als maßgebliche Ikonen beschrieben werden. Interessanterweise gibt es Abweichungen bei den Beispielen aus der Antike, dem heilsgeschichtlichen Weltbild des Mittelalters und der Neuzeit. Übereinstimmung herrscht dagegen bei den Beispielen aus anderen Kulturkreisen, der Renaissance und der aktuellen Kartographie. Oswalt hatte sein Manuskript jedoch bereits abgeschlossen, als das Werk von Brotton auf den Markt kam, insofern sind beide Bücher unabhängig voneinander entstanden, die Rezension beschränkt sich demnach auf den bei Reclam erschienenen Band.

Die Aufnahme des Buches in das Verlagsprogramm bei Reclam wirkt befremdlich, denn Werke zur Kartographiegeschichte werden normalerweise opulent mit farbigen Abbildungen ausgestattet. Dies ist insbesondere bei Weltkarten mit ihren großflächigen Darstellungen zu erwarten, um die Wirkung des Kartenbildes ins rechte Licht setzen zu können, wie es die behandelte Thematik erfordert. So erstaunt die karge Ausstattung ohne Farbabbildungen mit extrem verkleinerter, unleserlicher Wiedergabe. Nur wenige Beispiele sind auf einer Doppelseite abgebildet, die im Original lediglich 34 cm hohe und etwa 6,75 m lange Tabula Peutingerinana erstreckt sich über sieben Doppelseiten, bleibt aber bei dem Format des Bandes unentzifferbar. Auch die wenigen Detailvergrößerungen von Kartenausschnitten können diesen Mangel nicht beheben. So wird der Fokus auf den Text gerichtet und der ist sehr lesenswert.

Vadim Oswalt erläutert seine Motivation und Herangehensweise im einleitenden Kapitel und hebt die Bedeutung der Karten als „Spiegel von zeitgenössischen Raumordnungen und räumlich verankerten Konzeptionen der Welt“ (S. 10f.) hervor. Die den Karten sonst gerne unterlegte Objektivität wird relativiert, durch eine gesellschaftspolitische, kulturelle oder religiöse Ordnung ersetzt und diese in räumliche Muster übertragen. Er geht von der Prämisse aus, dass „ähnlich wie bei historischen Bildern […] über die Inhalte dieser Karten, über ihre Bedeutung und vor allem auch die geschichtlichen Bezüge, denen sie entstammen, in der Regel wenig bekannt“ (S. 12) ist. Das führt Oswalt dazu, die Umstände der Entstehung sowie ihre Wirkung anhand der ausgewählten Beispiele zu erläutern und auszuloten. Dabei beschränkt er sich, anders als Brotton, auf Weltkarten, die ihm inhaltliche wie kontextuelle Gegenüberstellungen erlauben.

Oswalt vergisst dabei nicht die für Karten grundlegenden Elemente wie Projektion oder Maßstab sowie Gedanken zur kulturellen Einordnung in einem ersten, als Kompendium aufgebauten Kapitel, anzusprechen. Bereits die Tatsache, dass es seit der Antike Weltkarten gibt, als die Welt noch nicht als zusammenhängendes Ganzes überblickt werden konnte, weist auf eine philosophische Auseinandersetzung mit der Thematik hin. Karten sollen nicht nur räumliche Orientierung bieten, sondern gleichfalls Ordnung schaffen. Diese sehr unterschiedlichen Sichtweisen auf Karten diskutiert Oswalt bei den einzelnen Beispielen sehr gewissenhaft, indem er „Ursprung und Überlieferung“ immer als erstes Unterkapitel einfügt und darin die Intention ihrer Genese herleitet.

Die Durchführung der zehn Schlüsseldokumente gelingt Oswalt insgesamt hervorragend, denn er bietet keine stereotypen Lesarten. Stattdessen beschreibt er anhand der Beispiele jeweils die wegweisenden Errungenschaften, sei es der Entdeckungsgeschichte oder der Kartenherstellung, die maßgeblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung sowohl der Weltbilder als auch der Kartographie hatten. Dadurch wird dem Leser verständlich, dass Kartographen in erster Linie das Wissen ihrer Zeit graphisch umsetzen wollten und nicht die Visualisierung phantastischer Imaginationen im Vordergrund ihres Schaffens stand. Allerdings weist Oswalt sehr richtig darauf hin, dass es in der Kartographie keine kontinuierliche Entwicklung geben kann, sondern diese durch mannigfaltige Einflüsse bestimmt wird.

Seine Auswahl berücksichtigt eine babylonische Weltkarte (um 600 v. Chr.), die Tabula Peutingeriana (4. Jahrhundert), die kreisförmige Weltkarte von Idrisi (12. Jahrhundert), die Ebstorfer Weltkarte (um 1300), die koreanische Weltkarte Kangnido (1402), die Weltkarte Waldseemüllers von 1507, Gerhard Mercators Weltkarte von 1569 mit der nach ihm benannten Projektion, die Weltkarte von Matteo Ricci (1602), die Weltkarte von Colomb und Crane des britischen Kolonialreichs (1886) und die Weltkarte von Arno Peters (1973) und lässt abschließend seine Betrachtungen über ubiquitär verfügbare digitale Weltkarten ausklingen. Bei einzelnen Aspekten ist jedoch nicht der neueste Forschungsstand berücksichtigt. So bezieht er sich bei seinen Ausführungen zur Tabula Peutingeriana auf den journalistischen Text des Katalogs zur Ausstellung des Topoi-Excellence-Clusters, statt die originären Forschungsbeiträge selbst zu berücksichtigen. Die Beeinflussung der Sichtweise auf die Welt im Zeitalter der permanenten medial-visuellen Aufmerksamkeit legt Oswalt anhand des Beispiels der Peters-Weltkarte dar. Damit bekommt die behandelte Thematik eine Aktualität und wird aus der historischen Betrachtung in die heutige überführt, so dass die Diskussion über die Objektivität von Karten im digitalen Zeitalter weitergeführt werden muss. Vadim Oswalt hat ein lehrreiches, unterhaltsames und lesenswertes Buch geschrieben.

Anmerkungen:
1 Neil MacGregor, Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten, Göttingen 2011. Originalausgabe: A History of the World in 100 Objects, London 2010.
2 Jerry Brotton, Die Geschichte der Welt in zwölf Karten, München 2012. Originalausgabe: A History of the World in Twelve Maps, London 2012.

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