E. Baltrusch u.a. (Hrsg.): Amici – socii – clientes?

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Titel
Amici – socii – clientes?. Abhängige Herrschaft im Imperium Romanum


Herausgeber
Baltrusch, Ernst; Wilker, Julia
Reihe
Berlin Studies of the Ancient World 31
Erschienen
Berlin 2015: Edition Topoi
Anzahl Seiten
362 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer, Seminar für Alte Geschichte, Philipps-Universität Marburg

In den letzten Jahren hat sich die Forschung wieder verstärkt den sogenannten Klientel- oder Vasallenherrschern Roms zugewandt, die zuletzt von Braund 1984 monographisch behandelt worden waren. Der hier zu besprechende Band ist das Ergebnis einer 2011 veranstalteten Tagung des Berliner Exzellenzclusters Topoi und vereinigt Beiträge, die das Phänomen abhängiger Herrscher in seiner vielfältigen Ausprägung sowohl aus der Perspektive römischer Interessen als auch unter dem Gesichtspunkt der Herrschaftslegitimation der Klientelkönige Rom wie ihren eigenen Untertanen gegenüber beleuchten und den aktuellen Diskussionsstand wiedergeben möchten.

Den im Titel des Buches vermiedenen Begriff der Klientelherrschaft diskutiert Christian Wendt im ersten Beitrag, vor allem die Probleme, die sich aus der Übertragung des Begriffs ‚Klientel‘ von der privatrechtlichen römischen Institution auf die Außenbeziehungen Roms zu Fürsten und Gemeinden für die Forschung ergeben haben (S. 19–35). Seit Ernest Badian 1958 die Metapher der foreign clientelae prägte und damit eine Analogie zwischen der individuellen Abhängigkeitsbeziehung von Patron und Klient sowie der von Rom zu auswärtigen Fürsten zog, wurden dieses Konzept und seine Terminologie immer wieder in Frage gestellt, auch weil die Römer selbst ihre Außenbeziehungen offiziell nie als clientela bezeichneten, sondern als amicitia oder foedus. Wendt verweist darauf, dass die Begriffe clientela und amicitia schon in ihrem angestammten Bereich als Bezeichnung personaler Bindungen keineswegs eindeutig einander entgegengesetzt waren im Sinne asymmetrischer Reziprozität einerseits und egalitärer Bindung andererseits. Die Vermeidung des Klientelbegriffs im ‚zwischenstaatlichen‘ Bereich erklärt Wendt so, dass die damit konnotierte Verpflichtung eines Patrons gegenüber seinem Klienten ebenso wenig evoziert werden sollte wie die personale Komponente zwischen den einzelnen Amtsträgern und den auswärtigen Fürsten oder Städten. Seit dem 2. Jahrhundert v.Chr. aber hätte nicht nur Rom Gefolgschaft von seinen amici und socii erwartet, sondern diese auch Schutz und Unterstützung von der Hegemonialmacht. Mit der dominierenden Stellung der Imperatoren gegenüber Senat und Bürgerschaft in der römischen Außenpolitik des 1. Jahrhunderts v.Chr. habe sich dann eine „Repersonalisierung“ (S. 29) der Klientelbindungen in auswärtigen Beziehungen ergeben. Wendt plädiert daher für die Beibehaltung des Klientelkonzepts als heuristischer Kategorie.

Der Rolle provinznaher Könige und Dynasten im Osten des Reiches für die römische Politik und den finanziellen Interessen seiner Amtsträger widmet sich Raimund Schulz (S. 37–50). Nach einer Skizze der vielfältigen Aufgaben, zu denen sich die reges amici et socii Rom und ihren Amtsträgern gegenüber verpflichtet sahen – Schutz der Grenzen, militärische Unterstützung durch Truppen und Logistik, Ordnungswahrung gegenüber Piraten und Banditen sowie Informationsbeschaffung –, betont Schulz, welche finanziellen Kosten darüber hinaus für die Aufrechterhaltung römischer Gewogenheit aufgewendet werden mussten, wie Bestechungsgelder, Belohnungen, Gastgeschenke, Kriegskostenentschädigungen und eine aufwendige Hofhaltung für Amtsträger und Geschäftsleute.. Da die finanziellen Ressourcen der Herrscher bald erschöpft waren, sprangen hier die ritterständigen Publikanen und über Agenten auch die Senatoren mit Krediten ein, für die sie sich weitgehende Rechte einräumen ließen. Diese Situation führte dazu, so Schulz, dass der Senat die außenpolitische Initiative und Kontrolle gegenüber den zunehmend eigenständig operierenden Imperatoren der späten Republik verlor, die die Verhältnisse in ihrem Interesse regeln konnten. Daher hätten die Publikanen und die mit ihnen verbündeten Senatoren ein größeres Interesse an der Aufrechterhaltung des Status quo als an einer Provinzialisierung der Klientelreiche gehabt. Zugleich aber vermochten es die Imperatoren aufgrund ihrer persönlichen Nahebeziehungen, die reges amici et socii viel schneller und effektiver militärisch zu mobilisieren als der ferne Senat. Man könnte ergänzen: Erst mit Augustus wurde schließlich der Primat des Politischen über die ökonomischen Interessen Einzelner in der Außenpolitik wiederhergestellt.

Zwei Beiträge befassen sich mit den Rollen, die Herodes der Große für Rom, für die Juden in Palästina und in der Diaspora, aber auch für die Griechen erfüllte: Ernst Baltrusch vertritt die These, dass Marcus Antonius und besonders Octavian/Augustus mit der Ernennung des Herodes zum König der Juden 40 v.Chr. ein neues „Verwaltungsmodell“ (S. 68) für die an der Peripherie des Reiches eroberten Gebiete erprobt habe (S. 67–90). Ausgehend von der Frage, weshalb der weder dynastisch noch religiös legitimierte, aus Judäa vertriebene Idumäer Herodes zu einem „König ohne Land“ (S. 75) ernannt worden sei, gibt Baltrusch die Antwort, dass dieser den Vorzug gehabt habe, einerseits nicht Hohepriester werden und damit nicht religiöse und politische Macht vereinen zu können und andererseits doch über ein Wissen über die für Römer und Griechen fremdartige jüdische Kultur verfügt zu haben, womit er als geeigneter Kandidat erschien, um diese Gegend befrieden zu können. Damit habe Augustus auf ein zentrales Problem der spätrepublikanischen Provinzialverwaltung reagiert, nämlich die fehlende kulturelle Kompetenz der meisten Gouverneure. Wie es Herodes nun gelang, Roms Erwartungen zu entsprechen und sein Legitimationsdefizit durch eine möglichst breite Akzeptanz als jüdischer König, römischer König und Erster unter den nahöstlichen Dynasten wettzumachen, erörtert Baltrusch an dessen Wirken während seiner zu Teilen mit Agrippa unternommenen Kleinasienreise 14 v.Chr. Herodes präsentierte sich hier als Vermittler griechischer wie jüdischer Polisinteressen gegenüber Rom und erwirkte von Agrippa die Bestätigung der bisherigen Privilegien der Juden bezüglich ihrer Kultausübung. Letzteres war das Ergebnis eines Tribunals in Ephesos, wo die Gravamina der kleinasiatischen Juden vorgetragen worden waren und Nikolaos von Damaskos eine Rede zu deren Unterstützung gehalten hatte. In dessen Rede erkennt Baltrusch ein programmatisches Statement zur „imperialen Mission“ Roms (S. 85), das unter dem Schlagwort der pax gentium die Gleichbehandlung aller ihr unterworfenen Kulturen propagiert habe. Herodes hätte sich so als nützlich für die römischen Interessen erwiesen, sich mit seinem Eintreten für die Diaspora-Gemeinden den Juden in Palästina gegenüber legitimiert und diesen auch bei ihren griechischen Nachbarn Akzeptanz verschafft.

Der von Baltrusch nicht eigens behandelten euergetischen Praxis des Herodes und anderer kleinasiatischer wie nahöstlicher Dynasten widmet sich Julia Wilker, wobei sie sich nicht mit den Euergesien der Dynasten in deren Herrschaftsbereich, sondern den auswärtigen Stiftungen befasst (S. 91–122). Sie geht der Frage nach, ob sich mit der Formierung der imperialen Monarchie unter Augustus auch die Stiftungspraxis der Dynasten gegenüber der hellenistischen Zeit verändert habe. Nach einer Charakteristik des monarchischen Euergetismus in hellenistischer Zeit wendet sie sich den Stiftungen und Schenkungen der Klientelherrscher zu und stellt fest, dass diese sich einerseits noch in die hellenistische Königstradition gestellt oder diese adaptiert, andererseits aber auch den neuen politischen Verhältnissen Rechnung getragen hätten. Durch eine Untersuchung der überlieferten Euergesien verschiedener Klientelherrscher wird deutlich, dass in Fortführung hellenistischer Traditionen vor allem die panhellenischen Heiligtümer und die Orte, an denen die dynastischen Vorgänger bereits als Euergeten aufgetreten waren oder die die Dynasten selbst besucht hatten, bedacht wurden. Die römische Ausrichtung wird in den Stiftungen für den Kaiserkult, für römische Erinnerungsorte und römische Kolonien deutlich. Mit dieser Umorientierung sei ein Funktionswandel des auswärtigen Euergetismus verbunden gewesen: Dieser war nun Ausdruck von Loyalität zum übermächtigen Prinzeps geworden, was auch erlaubte, gemeinschaftlich als Euergeten aufzutreten. Die Rivalität der Dynasten bestand seither darin, sich als loyalster und eifrigster Klientelfürst zu präsentieren.

David Braund erörtert das Konzept imperium Romanum anhand der Rolle, die friendly kings außerhalb der Regionen, die die römischen Kaiser militärisch zu dominieren in der Lage waren, für Rom spielten (S. 123–159). Er behandelt einerseits die Beziehungen Roms zu den Parthern, die damit verbundene Armenienfrage sowie die Fürsten diesseits und jenseits der Kaspischen Pforte und andererseits die militärischen Missionen oder Erkundungsreisen in das Reich von Meroe unter Augustus, Germanicus und Nero sowie den Feldzug Trajans bis zum Persischen Golf. Braund vertritt die Auffassung, dass weder die ägyptischen claustra Syene und Elephantine (Tac. ann. 2,61) noch die Caspia claustra (Plin. nat. 6,40) Grenzen des Römischen Imperium darstellt hätten, und wertet die Diplomatie mit den Fürsten jenseits direkter Einflussgebiete Roms als ein Verhältnis zu Klientelherrschern; diese hätten zum Imperium gehört und man hätte von ihnen erwartet, römischen Befehlen zu gehorchen (S. 152). Diese Auffassung ist insofern problematisch, als sie das Konzept der Klientelherrschaft überdehnt. . Braund analysiert letztlich die imperiale Ideologie Roms, nicht die römische Herrschaftspraxis.

Klientelherrscher waren keineswegs immer Könige; nicht wenige führten in der späten Republik und Kaiserzeit Titel wie ‚Ethnarch‘, ‚Tetrarch‘ oder ‚Phylarch‘, womit eine geringere Stellung als die eines ‚Basileus‘ indiziert wurde. Altay Coşkun untersucht in seinem Beitrag die Genese des Tetrarchentitels und gelangt dabei zu neuen Ergebnissen in dieser strittigen Frage (S. 161–197). Seine These lautet: Der bei den Galatern geläufige Tetrarchentitel wurde zuerst von Marcus Antonius bei der Neuordnung der kleinasiatisch-nahöstlichen Verhältnisse nach 42 v.Chr. auf Herrscher übertragen, die nicht den Rang eines Königs erhalten sollten, womit das ursprünglich ethno-politische Viererkonzept aufgegeben worden sei (S. 168). In Bezug auf die Galater erweist Coşkun den locus classicus zur Gliederung der galatischen Stämme bei Strabon (12,5,1: drei Stämme mit jeweils tetrarchischer Untergliederung) als anachronistische Konstruktion und spricht sich auch überzeugend gegen eine keltische oder seleukidische Herkunft des Tetrarchie-Konzepts aus. Im Folgenden untersucht er die für Syrien, Lykaonien und Pisidien belegten Tetrarchen, nachdem er eingangs bereits die Tetrarchien in der Herodes-Dynastie behandelt hatte. Da seiner These die Tetrarchentitel der ituräischen Dynasten, die die Forschung spätestens in die Zeit des Pompeius datiert hatte, am deutlichsten zu widersprechen scheinen, widmet Coşkun der Rekonstruktion der Mennaiden-Dynastie größeren Raum und gelangt zu dem Ergebnis, dass der Ituräer Ptolemaios (84/83–41/40 v.Chr.), der den Königstitel getragen hatte, nach der Schlacht von Philippi von Antonius mit dem Entzug dieser Würde bestraft und zum Tetrarchen degradiert worden sei.

Boris Dreyer kontrastiert in seinem Beitrag die Herrschaft der Attaliden mit der römischen Provinzialherrschaft in Asia, wobei implizit die Attaliden als Klientelherrscher aufgefasst werden (S. 199–223). Er skizziert zunächst die zögerliche Politik Roms nach den Siegen über Philipp V. und Antiochos III., in der griechischen Welt direkte Verantwortung zu übernehmen, sich stattdessen aus Furcht vor dem Machtzuwachs Einzelner wieder zurückzuziehen und nur präventiv romfeindliche Machtkonstellationen zu verhindern. Seine einleuchtende These lautet daher, dass die römische Herrschaftspolitik bis in die Kaiserzeit hinein ein „Derivat innenpolitischer Auseinandersetzungen“ gewesen sei (S. 206). Die Provinzialisierung des Attalidenreiches nach 133 v.Chr. sei den Römern wider Willen durch den Aristonikos-Aufstand und das Agieren des Tiberius Gracchus aufgezwungen worden, doch habe die unter Manius Aquilius einsetzende Provinzialisierung zu einer geringeren Herrschaftsdichte und zu einer größeren Willkür als in attalidischer Zeit geführt.

Ob sich das Konzept der Klientelherrschaft auf die Beziehungen Roms zu den Germanen übertragen lasse, untersucht Klaus-Peter Johne und gelangt zu einem überwiegend negativen Urteil (S. 225–242). Ausgehend von der Übertragung des Klientelbegriffs auf die Germanen und Gallier durch Caesar und Tacitus – Klientel als Begriff für unterschiedliche Gefolgschaftsbeziehungen innerhalb eines Stammes sowie zwischen verschiedenen Stämmen – problematisiert er die Begriffe „Klientelkönig“ und „Klientelrandstaaten“ (Johannes Klose) zur Charakterisierung der Beziehungen zwischen Rom und germanischen Fürsten, wobei deutlich wird, dass sich damit die tatsächlichen Machtlagerungen nur in Ausnahmefällen beschreiben lassen. Nach einer Untersuchung der Stellung einzelner germanischer principes und reges in ihrem Stamm sowie dem Kaiser gegenüber formuliert Johne die These, dass Rom zwar versucht habe, das im Osten des Reiches erfolgreiche Konzept auf die nördlichen ‚Barbaren‘ zu übertragen, in den meisten Fällen damit aber gescheitert sei (S. 236f.). Johne erklärt das Scheitern der römischen Klientelherrscherpolitik in Germanien zum einen damit, dass in den östlichen Regionen die seit langem etablierten Monarchen und Dynasten eine stärkere Stellung innegehabt hätten als die Heeres- und Stammeskönige der Germanen in ihren Verbänden, und zum anderen mit der unterschiedlichen geopolitischen Situation im Osten, wo die zwischen dem Parther- und dem Römerreich eingezwängten lokalen Dynasten weniger Handlungsmöglichkeiten besessen hätten als die germanischen Fürsten im offenen Raum jenseits von Rhein und Donau.

Mit noch komplizierteren Verhältnissen sah sich Rom in Nordafrika konfrontiert, wo es auf (semi-)nomadische Stämme und Clans traf, für die die römischen Herrschaftstechniken am wenigsten geeignet schienen, wie Claudia Tiersch in ihrem Beitrag darlegt (S. 242–273). Nach einer Skizze des römischen Nomadenbildes, das die Alterität ‚des‘ Nomaden betont und die nomadische Lebensweise als Gegenteil jeglicher Zivilisation konturiert, stellt sie die Frage, weshalb die heftigen Konflikte der Stämme mit Rom seit der Einrichtung der Provinz Africa Nova 46 v.Chr. dann im 2. und 3. Jahrhundert merklich zurückgingen, bevor sie ab dem 4. Jahrhundert wieder zunahmen. Anhand einer Fülle von Beispielen charakterisiert Tiersch die Beziehungen von Clan- und Stammesführern zu den provinzialen Amtsträgern und zum Kaiser in diesen drei Zeiträumen: Konfliktträchtig seien zunächst die mit der Landnahme verbundene Katastrierung und Steuererhebung, die militärische Präsenz in den neugegründeten Kolonien, der Eingriff in die Wanderbewegungen nomadischer Gruppen gewesen, seit Augustus dann die attributio der Nomadengruppen an Städte sowie die Einsetzung von praefecti gentium, während aus der Perspektive der principes gentium kriegerischer Erfolg in Unternehmungen gegen die Römer die Führungsstellung innerhalb ihres Clans oder Stammes stärkte. Für das 2. und 3. Jahrhundert erkennt Tiersch regional unterschiedliche Akkulturationsprozesse bei den nomadischen Eliten, die sie darauf zurückführt, dass Rom die Clanchefs mit materiellen Gütern und Statusgratifikationen für sich eingenommen hätte, womit diese innerhalb ihrer sozial sich stratifizierenden tribalen Gesellschaften an Macht gewonnen hätten. Wie bei den germanischen Fürsten setzte Rom auch hier auf persönliche Bindungen an die principes, was bei deren strukturell schwacher indigener Machtposition oft nur temporäre Erfolge zeitigte. Mit der nachlassenden Präsenz der römischen Herrschaft in Nordafrika sei es seit dem späten 3. Jahrhundert zu einer „Retribalisierung der Machtverteilung in Nordafrika“ gekommen. Anders als Johne reflektiert Tiersch nicht, ob das Konzept der Klientelherrschaft auf diese Verhältnisse angewandt werden und ob man die Clanführer als Klientelherrscher Roms bezeichnen könne.

Die letzten beiden Beiträge befassen sich mit den Klientel- bzw. Vasallenfürsten im Spannungsfeld zwischen Rom und Parthien: Andreas Luther widmet sich dem Königreich Adiabene am mittleren Euphrat, dessen politischer Status noch nicht ausreichend geklärt sei, und fragt, ob die Adiabene trotz ihrer Zugehörigkeit zum Partherreich zeitweise als römischer Klientelstaat gelten konnte (S. 275–300). Dazu rekonstruiert er zunächst auf schwieriger Quellengrundlage die Beziehungen der adiabenischen Könige zu Rom: Bis um 140 v.Chr. unter seleukidischer, seither unter parthischer Herrschaft traten ab Augustus einzelne Herrscher mit Rom in Kontakt, indem sie entweder dorthin flüchteten, Geiseln zur Vertragsabsicherung stellten oder Söhne römisch erziehen ließen. Luther betrachtet dabei zwei Situationen näher, nämlich zum einen den Übertritt des Königs Izates zur Zeit des Caligula zum Judentum, der ebenso wie sein Nachfolger Monobazes II. unter Nero Kinder nach Rom schickte, während andere Angehörige der Dynastie in Jerusalem weilten, und zum anderen die unklare Stellung adiabenischer Städte und Gebiete nach den Partherkriegen des Trajan, Lucius Verus und Septimius Severus. Er spricht sich für die kurzfristige Etablierung einer Provinz Assyria unter Trajan aus und geht nicht nur von einem Kleintelreich Osrhoene seit den 160er-Jahren, sondern auch von römischer Kontrolle über die westlich des Tigris gelegenen adiabenischen Gebiete um Nisibis aus. Die Aufteilung des Gebiets von Adiabene in eine römisch beherrschte Region westlich des Tigris und dem östlich davon gelegenen Kerngebiet lässt sich aber kaum so deuten, wie Luther suggeriert, dass erstere noch unter parthischer Herrschaft gestanden hätte („im Westen römisch besetzt, aber weiterhin zum parthischen Reichsverband gehörig“, S. 292). Dass Rom versuchte, auf die Dynasten und Könige an der Peripherie des Partherreiches Einfluss zu nehmen, ist unstrittig; diese aber, sofern sie unter parthischer Kontrolle blieben, in die Nähe von Klientelstaaten zu rücken, überzeugt nicht. Problematisch erscheint auch die sorglos-anachronistische Verwendung des Staatsbegriffs für die Adiabene und das Partherreich.

Alle Vasallen- und Klientelherrscher zwischen Syrien und Iran behandelt Udo Hartmann unter der Fragestellung, welcher politische Freiraum diesen verblieben sei und welche politischen Strategien sie verfolgten (S. 301–362). Er kontrastiert einleitend den römischen Typus des Klientelherrschers mit dem parthischen des Vasallenfürsten und erkennt bei vielen Gemeinsamkeiten beider Formen indirekter Herrschaft zwei Unterschiede, die er auf die Herrschaftsstruktur der beiden Imperien zurückführt: So hätten die Vasallen im heterogeneren Herrschaftsverband der Parther eine wichtigere und auch unabhängigere Position innegehabt als die römischen Klientelfürsten, was vor allem daran gelegen habe, dass sie für die Heeresfolge der Partherkönige, die über kein stehendes Heer verfügten, größere Bedeutung besaßen. Im Folgenden diskutiert Hartmann die „geteilten Loyalitäten“ der parthischen Vasallen und römischen Klientelkönige anhand von vier Beispielen, wobei ihn die spärliche und disparate, dabei einseitig romorientierte Quellenlage dazu zwingt, sich in ausführlichen Fußnoten mit den widersprüchlichen Quellenaussagen und Forschungsmeinungen auseinanderzusetzen. Im ersten Beispiel wird die Rolle des Phylarchen Abgar von Osrhoëne beim gescheiterten Feldzug des Crassus gegen die Parther 54/53 v.Chr. untersucht, im zweiten die Annexion der Kommagene und die Absetzung Antiochos’ IV. im Kontext des Alaneneinfalls und einer expansiven Westpolitik des Partherkönigs 72/73 n.Chr., im dritten die verschiedenen Reaktionen der parthischen Vasallen auf den Partherfeldzug Trajans zwischen bereitwilliger Unterwerfung, Hinhalten, Verweigern und offenem Widerstand und im vierten die auch von Luther behandelte Frage, wie der von Cassius Dio berichtete „Abfall“ der Osrhoëne und Adiabene während des Partherkrieges des Septimius Severus 214/15 zu verstehen sei, wobei Hartmann darin einen Versuch erblickt, sich in der Situation des Bürgerkrieges mit Pescennius Niger der seit Lucius Verus westlich des Tigris stationierten römischen Truppen zu entledigen. In allen Fällen erkennt Hartman die gleichen politischen Strategien bei den parthischen Vasallen: Wie die römischen Klientelherrscher grundsätzlich gezwungen, sich einem der beiden Imperien zuzuordnen, verblieben ihnen dennoch in jeder Situation verschiedene Handlungsoptionen, um eigene Interessen durchzusetzen, womit sie einen größeren Handlungsspielraum besessen hätten als die römischen Klientelkönige. Die parthischen Vasallen hätten die inneren Wirren im Parther- wie im Römerreich dazu benutzt, den eigenen Machtausbau in gegenseitiger Rivalität voranzutreiben.

Insgesamt betrachtet erreicht der sorgfältig gemachte Tagungsband sein Ziel, die mit dem Konzept der foreign clientelae verbundenen vielfältigen Instrumente indirekter Herrschaft ebenso aufzuzeigen wie die politischen Optionen und Strategien der Klientel- und Vasallenherrscher, die ihre eigenen Interessen verfolgten. Deutlich ist auch geworden, dass dieses Konzept – selbst in seiner vagen, nicht definierten Umschreibung als „abhängige Herrschaft“ – zwar auf die kleinasiatischen und nahöstlichen Verhältnisse fruchtbar angewendet werden kann, für die Beziehungen zu „befreundeten“ Herrschern jenseits von Rhein und Donau oder in den Wüstenregionen Nordafrikas und Arabiens hingegen Erkenntnisgewinn eher ex negativo verspricht.

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