W. Ruppert (Hrsg.): Künstler im Nationalsozialismus

Cover
Titel
Künstler im Nationalsozialismus. Die "Deutsche Kunst", die Kunstpolitik und die Berliner Kunsthochschule


Herausgeber
Ruppert, Wolfgang
Erschienen
Köln 2015: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
372 S., zahlr. s/w- u. farb. Abb.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ines Katenhusen, Philosophische Fakultät, Leibniz Universität Hannover

Im November 1936 berichtete Wassily Kandinsky an Josef Albers über die Auswirkungen nationalsozialistischer Kunstpolitik auf verschiedene deutsche Museen. „Scheinbar“, so fasste Kandinsky seinen Eindruck zusammen, „ist ein Land ebenso schwer ohne Gegensätze zu gestalten wie ein Bild“.1 Drei Jahre zuvor hatten die beiden Künstler Deutschland verlassen, der eine lebte nun in Frankreich, der andere in den USA. Beide waren sie Lehrer am Bauhaus gewesen, das im Sommer 1932 in Dessau geschlossen und ein Jahr später in Berlin zur Selbstauflösung gezwungen worden war.

Mit dem vorliegenden Band wendet sich Wolfgang Ruppert der Geschichte einer anderen bedeutenden deutschen Kunstschule während des Nationalsozialismus zu, den Berliner Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst (VS), die 1924 im gleichen Zuge Weimarer Reformbereitschaft, die auch das Bauhaus möglich machte, aus dem Zusammenschluss der Hochschule für die bildenden Künste und der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums gegründet wurden. Bis zum Jahr 1933 galten die VS, wie Ruppert und Stefanie Johnen betonen, als Ort praxisnaher Lehre und kreativer Vielfalt im Geist der Überwindung der Grenzen zwischen Kunst und Handwerk. 1939, die VS waren lange „gleichgeschaltet“, „gesäubert“ und ihres „pluralistischen Kunst- und Kulturbegriffs“ (S. 141) beraubt, wurde daraus die Staatliche Hochschule für bildende Künste. Nach Kriegsende erfolgte die Neugründung als Hochschule für bildende Künste, die wiederum über zwischenzeitliche Fusionen 2001 in die Universität der Künste (UdK) einging – jene Hochschule, an der Ruppert seit Längerem unter anderem die Figur des Künstlers in der Moderne beforscht, dessen Professionalisierung, Selbstwahrnehmung und -darstellung unter unterschiedlichen politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Um all das geht es in dem Band, der maßgeblich aus einer Tagung vom Herbst 2013 hervorging, anlässlich derer die UdK die Rückschau auf ihre eigene Geschichte während der Jahre 1933 bis 1945 unternahm und sich damit zugleich in eine mehr als drei Jahrzehnte umfassende Tradition stellte.2

„Künstler im Nationalsozialismus“ steht, seinem etwas amorphen Titel zum Trotz, entschieden in der von Wissenschaftlern wie Olaf Peters, Uwe Fleckner, Christian Fuhrmeister oder, auf internationaler Ebene, Jonathan Petropoulos etwa seit Beginn des neuen Jahrtausends verantworteten Reihe von Publikationen zum Thema der Kunst und ihrer Geschichte im Nationalsozialismus. Einer Reihe also, deren Beiträge Institutionen- mit Wissenschaftsgeschichte zusammenführen und Einzelbiographien in ihrem „Bezugsfeld Kunst“ verorten, das immer auch ein Bezugsfeld von Kunst- und Wissenschaftspolitik ist.3 Dieser Tagungsband zeigt auf verschiedenen Ebenen die unterschiedlichen Spielarten von politischer Blindheit und hellsichtiger Zeitgenossenschaft, (Selbst-)Ermächtigung und Verweigerung, Ambition und Enttäuschung, von weltanschaulich-politischen Kontinuitäten und Brüchen. Er liefert neue Belege für beide Teile der Hermann Göring zugesprochenen Aussage, nach der es leichter sei, „aus einem großen Künstler mit der Zeit einen anständigen Nationalsozialisten zu machen als aus irgend einem kleinen Parteigenossen einen großen Künstler“.4 Und er illustriert Ausgrenzung, Verfemung und Vertreibung als Folgen nationalsozialistischer Kulturpolitik an den VS – fundiert, klar, stark, ohne plump moralisierende Darstellung der Kunstschule als „hall of shame“.5

Der Tagungsband, 372 Seiten und gut 120 Abbildungen stark (gut die Hälfte davon in Farbe), umfasst sechzehn Beiträge. Die Publikation wird eingeleitet durch zwei Beiträge des Herausgebers, der nach einer knapperen Standortbestimmung ausführlich am Beispiel einiger mit den VS verbundener Künstlerbiographien die Handlungsspielräume während der verschiedenen Phasen nationalsozialistischen Herrschaft sowie, damit verbunden, die „Verschiebung der Leitmuster in der öffentlichen Kunst“ (S. 24) jener Jahre auslotet. Es schließen sich drei Aufsätze unter der Überschrift „‚Deutsche Kunst‘, ‚Entartete Kunst‘ und Kunstpolitik“ an, die am Beispiel der hinter den eigenen Ansprüchen konstant zurück bleibenden Reichskammer der bildenden Künste (Nina Kubowitsch) sowie anhand der Großen Deutschen Kunstausstellungen 1937 bis 1944 (Christian Fuhrmeister) zentrale institutionelle und konzeptionelle Rahmenbedingungen für künstlerisches Schaffen im Nationalsozialismus beleuchten. Fuhrmeisters prägnante Darstellung einer Veranstaltungsform, die keine politisierte Kunst favorisierte und sich gerade deshalb der „Verankerung in breiten gesellschaftlichen Kreisen und Milieus“ (S. 98) gewiss sein konnte, erhebt Einspruch gegen das „traditionelle Narrativ“ (S. 101), das, den Kanon von „der Moderne“ und „der Nazi-Kunst“ fest im Blick, mit den Dikta der Kunst wie der Unkunst vor wie nach 1945 so uninformiert wie voreingenommen umsprang. Otto Karl Werckmeisters Analyse des Kunstbetriebs insbesondere während der Kriegsjahre stützt diesen Ansatz, indem sie eine bisher so nicht wahrgenommene Divergenz zwischen Erwartungshaltungen vieler deutscher Ausstellungsbesucher und den Mechanismen eines konventionellen Kunstmarktes zutage fördert. Die Sektion „Institutionen – unterschiedliche Vorstellungen von Kunst“ bindet den informierten Beitrag Stefanie Johnens über die bisweilen erst mit erstaunlich großem Abstand auf die Machtübernahme sich vollziehende politisch-weltanschauliche Überformung künstlerischer Ausbildung und Arbeit an der VS bis 1937 mit James van Dykes nicht minder fundierter Analyse von Programmschriften der ganz ähnlich strukturierten Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf im gleichen Zeitraum zusammen.

Mit diesen beiden kürzeren Kapiteln ist der Grund gelegt für einen längeren Abschnitt zu „Künstlerindividuum zwischen Eigenständigkeit, An- und Einpassung in den ‚deutschen‘ Kunstbetrieb“. Warum hier Anführungszeichen verwendet wurden, erhellt sich nicht, wie überhaupt ein gründlicheres Redigieren und das Setzen von Querverweisen auf in verschiedenen Artikeln thematisierte Informationen hilfreich gewesen wären. Die politische „Säuberung“ (z.B. S. 133) der Studierendenschaft jedenfalls gehört in Anführungszeichen, und ob es wirklich die „Mutter aller Malverbote“ (S. 262) sein muss, die erlitten zu haben Emil Nolde nach der ansonsten überaus gut geschriebenen Darstellung Bernhard Fuldas in Anspruch nahm, darüber mag man geteilter Meinung sein. Zwei Künstlerindividuen, beides VS-Professoren, die ihre Positionen rasch nach der Machtübernahme verloren, werden gesondert in den Blick genommen: In Andreas Hünekes Beitrag über den Maler Karl Hofer geht es wie in jenem Magdalena Drostes über Oskar Schlemmer um „Ambitionen und Ambivalenzen“ (so Drostes Untertitel), um den schmalen Grat zwischen Selbstbewerbung und Abstandswahrung im neuen Staat und die jeweiligen Folgen für ein künstlerisches Schaffen, dem die höchste Priorität gehörte. Eckart Gillen verfolgt in seinem Beitrag den lange vor 1933 entstandenen und danach auch an der VS weiter verfolgten Versuch, mit der Postulierung des Expressionismus als „deutschem Stil“ die Avantgarde, zur „Staatskunst“ domestiziert, in den Dienst einer nationalen Aufgabe zu stellen. Und Josephine Gabler widmet sich in ihrem Beitrag zur Großplastik im Nationalsozialismus bekannten und weniger bekannten Bildhauern von Arno Breker und Josef Thorak bis zu ihren Epigonen, die weltanschaulich-politisch nicht notwendigerweise prononciert zu agieren brauchten, wenn ihre Produkte nur etwas darstellten, was schon Zeitgenossen kritisch als „schablonenhafte Monumentalisierung“ (S. 238) wahrnahmen.

Mit „‚Künstlersein‘ gegen die Mehrheiten in der NS-Kultur“ schließlich ist das letzte Kapitel überschrieben, es ist mit sechs Aufsätzen auf knapp 120 Seiten das vielschichtigste und ambivalenteste. Diejenigen, die „dagegen“ waren, fordern besondere Aufmerksamkeit ein, schon allein, weil dieser Band unter Beweis stellt, dass es „die“ NS-Kultur eben nicht gab. Zudem: Emil Nolde nahm weder die Machtübernahme noch den Ausschluss aus der Reichskulturkammer und das Berufs- (nicht: Mal-)Verbot im August 1941 als „Endpunkt seiner künstlerischen Karriere“ (Bernhard Fulda, S. 278), sein ausschließlich auf seine Arbeit bezogenes „Dagegen“ nährte dank mancherlei „Verrenkungen“ (S. 280) nach 1945 die Darstellung Noldes als unbelastetes NS-Opfer. Ambivalent fällt auch Gerd Brünes Studie des Bildhauers Fritz Cremer aus, der sich, ursprünglich dem Kommunismus nahestehend, durch die Wahl seiner künstlerischen Formensprache während des Nationalsozialismus unverdächtig gerieren konnte, nicht unerfolgreich war und nach 1945 an frühere Werke in dem Bewusstsein anknüpfte, „immer Antifaschist gewesen zu sein“ (S. 317).

Deutlicher scheint der Fall bei Charlotte Salomon zu liegen, die Ende 1935 Studentin der VS werden konnte, weil ihr Vater Frontkämpfer war, die Hochschule zwei Jahre später infolge antisemitischer Diffamierung verließ und im Herbst 1943 in Auschwitz ermordet wurde (Christine Fischer-Defoy). Felix Nussbaum, der Ende der 1920er-Jahre Meisterschüler an den VS gewesen war, schuf vor der Deportation nach Auschwitz 1944 den bedeutendsten Teil seines Œuvres als Akt des „Widerstands gegen die politischen Zeitumstände“ und zugleich des Bekenntnisses zu Würde und Humanität (Anne Sybille Schwetter, S. 286) – Themen, die auch für Käthe Kollwitz von Bedeutung waren, die in ihrer künstlerischen Arbeit auf Resonanz, mehr als auf materiellen Ertrag, angewiesen blieb und das faschistische Regime ohne öffentliche Protestbekundungen in einer Haltung „gegenseitigen Erdulden[s] und zugleich gegenseitiger Ablehnung“ (Marie Derenda, S. 247) ertrug. Kollwitz setzte ihre Arbeit nach dem erzwungenen Austritt aus der Akademie der Künste in der Ateliergemeinschaft Klosterstraße fort, einer Gruppe von VS-Angehörigen, die 1933 zusammenfand und der Angela Lammert in ihrem Beitrag nachspürt, der zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit den Positionen zweier bedeutender Nachkriegskunsthistoriker, Werner Haftmann und Julius Posener, ist.

Die Hinterfragung der Deutung der Ateliergemeinschaft als 'Insel im nationalsozialistischen Berlin' (S. 327) bringt eine Zielrichtung des gesamten Bandes auf den Punkt: das durchweg erfolgreiche Bemühen, dem „spezifisch Unspezifische[n]“6 nationalsozialistischer Kultur- und Kulturpolitik – und derer, die in ihrer Arbeit deren Auswirkungen erfuhren, auf die Spur zu kommen. Posener erinnert sich, es sei mitnichten so gewesen, „dass die Künstler sich unterworfen haben: viele haben eben das gewollt, und Jahre vorher“ (S. 343).

Anmerkungen:
1 Wassily Kandinsky an Josef Albers vom 14.11.1936, Yale University Archives, Josef Albers Papers, Group No. 32.
2 Hochschule der Künste Berlin (Hrsg.), Kunst Hochschule Faschismus. Dokumentation der Vorlesungsreihe an der Hochschule der Künste Berlin im 50. Jahr der Machtübertragung an die Nationalsozialisten, Berlin 1984; Christine Fischer-Defoy, Kunst, Macht, Politik: Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin, Berlin 1988. Vgl. auch den Tagungsbericht von Gisela Heßler-Edelstein (Bochum), Tagungsbericht: Künstler im Nationalsozialismus. Die Universität der Künste Berlin fragt nach ihrer Geschichte im Kontext der Kunstentwicklung in Deutschland 1933–45, 01.11.2013 – 03.11.2013 Berlin, in: H-Soz-Kult, 01.03.2014, <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5247> (18.04.2016).
3 Exemplarisch: Ruth Heftrig / Olaf Peters / Barbara Schellewald (Hrsg.), Kunstgeschichte im ‚Dritten Reich‘. Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin 2008; Uwe Fleckner (Hrsg.), Angriff auf die Avantgarde. Kunst und Kunstpolitik im Nationalsozialismus, Berlin 2007; ders., Das verfemte Meisterwerk. Schicksalswege moderner Kunst im ‚Dritten Reich‘, Berlin 2009; Nikola Doll / Christian Fuhrmeister / Michael H. Sprenger (Hrsg.), Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005; Jonathan Petropoulos, Artists under Hitler. Collaboration and Survival in Nazi Germany, New Haven 2015.
4 Zit. nach Uwe Fleckner, Carl Einstein und sein Jahrhundert. Fragmente einer intellektuellen Biographie, Berlin 2006, S. 401.
5 Petropoulos, Artists under Hitler, S. 305.
6 Achim Preiß, Vorwort, in: Bazon Brock / Achim Preiß (Hrsg.), Kunst auf Befehl? Dreiunddreißig bis Fünfundvierzig, München 1990, S. 7f., S. 7.

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