D. T. Bauer: Das Bildungsverständnis des Theologen Schleiermacher

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Titel
Das Bildungsverständnis des Theologen Friedrich Schleiermacher.


Autor(en)
Bauer, Daniel Tobias
Reihe
Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart 16
Erschienen
Tübingen 2015: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
XI, 207 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Matthias Blum, Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften, Freie Universität Berlin

Friedrich Schleiermacher ist nach Luther und Calvin der bedeutendste protestantische Theologe. Vor dem Hintergrund des Reformationsjubiläums 2017 wird Schleiermachers Bedeutung für den Protestantismus in der Moderne erneut offensichtlich. Dass die Auseinandersetzung mit dem „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“1 und seinem Werk eine bleibende und lohnenswerte Herausforderung darstellt, zeigt ebenfalls die anzuzeigende Publikation.

Die vorliegende Arbeit, die im Wintersemester 2014/15 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen wurde, ist bestrebt, im dogmatisch-theologischen Werk Schleiermachers ein Konzept religiöser Bildung zu eruieren, das sich für moderne Gesellschaftskonzepte als kompatibel erweisen könnte (vgl. S. 7f.). Dass Schleiermachers dogmatisch-theologische Schriften dabei nicht von seinen philosophischen Schriften abhängig sind, setzt Daniel Tobias Bauer voraus. Neben einer Einleitung, die das Anliegen der Arbeit erhellt und Einblicke in die Forschungsgeschichte gewährt, bietet Bauer eine Auseinandersetzung mit der Thematik in vier Kapiteln. Abschließend werden Fazit und Ausblick zu religionspädagogischen Perspektiven geboten.

Im ersten Kapitel untersucht der Autor die frühen Schriften Schleiermachers – die „Monologen“ (1800), die „Reden“ (erste Auflage; 1799) und „Die Weihnachtsfeier“ (1806)2 – hinsichtlich eines potentiellen Bildungskonzeptes. Im Zentrum des zweiten Kapitels steht das Verhältnis von Schleiermachers Philosophie, insbesondere „Dialektik“ (1814 und öfter)3 zu seiner dogmatischen Theologie, insbesondere „Glaubenslehre“, wobei infolge der Abgrenzung von der „Dialektik“ die Möglichkeit eines von der Philosophie unabhängigen religiösen Bildungsbegriffes aufgezeigt wird. Im dritten Kapitel befragt Bauer sodann die dogmatischen Gedanken der „Glaubenslehre“ (2. Auflage; 1830/31)4 bezüglich ihrer Bedeutung für ein religiöses Bildungsverständnis, während er die besondere Bedeutung der Christologie hervorhebt. Dass ein umfassendes Bildungsverständnis des Theologen Schleiermacher herausgearbeitet werden kann, das in der Christologie gründet und gipfelt, zeigt Bauer in dem vierten Kapitel seiner Arbeit. In diesem Kapitel nimmt er nicht nur Bezug auf den bildenden Christus, sondern votiert für eine Unterscheidung zwischen religiöser und theologischer Bildung, während er zudem auf die Strukturähnlichkeit von Meister Eckharts und Schleiermachers Bildungsverständnis verweist.

Nach Bauer ist Bildung bei Schleiermacher als „Personbildung“ im Rahmen eines wechselseitigen Bildungsprozesses zu verstehen, „bei dem sich zuerst durch Christus die göttliche Universalität in den Menschen hineinbildet und ihn entschränkt, dieser aber sich sodann durch seine individualisierende Intelligenz in diesen universalen Grund, den er niemals in seiner Ganzheit fassen kann, hineinbildet“ (S. 170). Somit könne christlich-religiöse Bildung nur „als das Bildende der Religion“ bestimmt werden (vgl. S. 174). Dabei unterscheidet Bauer also einerseits die die Menschen „entschränkende und personbildende Einbildung Christi beziehungsweise Gottes“ in die Menschen und andererseits die individualisierende Vereinzelung dieses Unendlichen durch den menschlichen Intellekt, wobei er dann den ersten Bildungsprozess als religiöse Bildung und den zweiten Prozess als theologische Bildung bezeichnet (vgl. S. 174f.). Der theologischen Bildung kommt die Aufgabe zu, das religiöse Gefühl zu reflektieren und somit nachvollziehbar erscheinen zu lassen. Dabei bedürfe das theologische Verstehen immer einer dialogischen Form, indem religiöse und menschliche Bildung in einen Dialog gebracht würden (vgl. S. 181f.). Dieses sei nach Schleiermacher aber nicht nur selbst-, sondern auch weltbildend zu verstehen. „Theologische Bildung als ‚Im-Dialog-Sein von Religion und Menschheit‘ hat zugleich die gesamtgesellschaftliche Funktion, den menschlichen Bildungsprozess durch ihre Dolmetscher-Tätigkeit und somit die niemals gänzlich mögliche, aber doch immer teilweise vollzogene Übersetzung der Frömmigkeit in allgemein nachvollziehbare Formen fruchtbar zu speisen, ohne von diesem jemals verzehrt zu werden.“ (S. 182) Dass Schleiermachers religiöses Bildungsverständnis sein Zentrum in der Christologie, in dem personbildenden Wirken Christi habe, eröffnet für Bauer eine religionspädagogische Perspektive, in der die Christologie für die Konzeptualisierung religiöser Bildung eine zentrale Bedeutung gewinnt und als Zielhorizont der Religionspädagogik etabliert wird (vgl. S. 183ff.). Die Christologie wäre danach nicht nur Thema, sondern auch Grund von Bildung.

Daniel Tobias Bauer bietet interessante Anregungen zum religiösen Bildungsverständnis Schleiermachers. Es bliebe zu diskutieren, ob der schulische Religionsunterricht vor dem Hintergrund der zentralen Rolle der Christologie als Grund von Bildung nicht doch ein Ort religiöser Bildung sein könnte und damit nicht nur ein Ort theologischer Bildung, wie der Autor ausführt (vgl. S. 175).

Die Anmerkungen zur Forschungsgeschichte gewähren interessante Einblicke. Es stellt sich jedoch insgesamt, das heißt über die Forschungsgeschichte hinaus, die Frage, warum die Arbeiten führender evangelischer Religionspädagogen nur selektiv berücksichtigt werden. So wird Karl Ernst Nipkow nur mit einer Arbeit aus dem Jahr 1960 berücksichtigt, während die Arbeiten von Peter Biehl gänzlich unberücksichtigt bleiben5. Eine entsprechende Einordnung der Ausführungen wäre hilfreich gewesen, nicht zuletzt auch deshalb, um prüfen zu können, inwiefern der gebotene Rekurs auf Schleiermacher neue Perspektiven eröffnen kann. Ebenso hilfreich wäre eine Einordnung in die klassischen Diskurse der evangelischen systematischen Theologie und eine entsprechende Gewichtung des eigenen Forschungsertrages gewesen.6 Die Arbeit zeigt einmal mehr, wie inspirierend Friedrich Schleiermacher, ein Klassiker der Theologie und Pädagogik gleichermaßen, für die Theologie auch weiterhin ist.

Anmerkungen:
1 Vgl. Christian Lülmann, Schleiermacher, der Kirchenvater des 19. Jahrhunderts, Tübingen 1907; ferner auch Gunther Wenz, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Sinn und Geschmack fürs Unendliche, in: Peter Neuner / Gunther Wenz (Hrsg.), Theologen des 19. Jahrhunderts. Eine Einführung, Darmstadt 2002, 21–38, S. 21: „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“.
2 Friedrich Schleiermacher, Monologen. Eine Neujahrsgabe (1800), in: Ders., Schriften aus der Berliner Zeit 1800–1802, hrsg. von Günter Meckenstock, Berlin 1988, S. 1–62; Ders., Über die Religion, Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1. Aufl. 1799), in: Ders., Schriften aus der Berliner Zeit 1796–1799, hrsg. von Günter Meckenstock, Berlin 1984, S. 185–326 und ders., Die Weihnachtsfeier. Ein Gespräch (1806), in: Ders., Schriften aus der Hallenser Zeit 1804–1807, hrsg. von Hermann Patch, Berlin 1995, S. 39–98.
3 Friedrich Schleiermacher, Dialektik (1814–1828), Band 1 und 2, hrsg. und eingeleitet von Manfred Frank, Frankfurt am Main 2001.
4 Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube. Nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, zweite Auflage 1830/31 (Kritische Gesamtausgabe I.13,1/2), hrsg. von Rolf Schäfer, Berlin 2003.
5 Vgl. Peter Biehl / Karl Ernst Nipkow, Bildung und Bildungspolitik in theologischer Perspektive, Münster 2003.
6 Vgl. Karl Barth, Evangelium und Bildung, 2. Auflage, Zollikon-Zürich 1947; Wolfhart Pannenberg, Gottebenbildlichkeit und Bildung des Menschen, in: Ders., Grundfragen systematischer Theologie, Band 2, Göttingen 1980, S. 207–225.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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