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Titel
Menzel militaris. Sein "Armeewerk" und das "Leuthen"-Bild im militärhistorischen Quellenkontext


Autor(en)
Kloosterhuis, Jürgen
Anzahl Seiten
VIII, 279 S., 6 Begleitkarten
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marian Füssel, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Georg-August-Universität Göttingen

Wenn der Militärgeschichte insgesamt lange der Charakter eines historiographischen „Schmuddelkindes“ zugeschrieben wurde, so gilt das für den Teilbereich der sogenannten Heereskunde sicher noch in weit höherem Ausmaß.1 Schnell liegt der Verdacht nahe, es handele sich allein um eine antiquarische Liebhaberwissenschaft von und für Sammler von Zinnfiguren und Militaria. Jürgen Kloosterhuis ist sich dieses Images wohl bewusst, wenn er gleich zu Beginn seiner Monographie „Menzel militaris“ unmissverständlich klarmacht, dass es sich „nicht lediglich [um] eine Knopfologenorgie zum Entzücken von Heereskundigen“ (S. V) handele, sondern um den Gewinn eines „Erkenntnis-Plus“ in der Auseinandersetzung mit einem der bekanntesten aber auch rätselhaftesten Gemälde Adolph von Menzels (1815–1905). Die Rede ist von dem unvollendeten monumentalen Bild „Friedrich der Große mit seiner Suite und Generalität vor der Schlacht von Leuthen“, das der Maler im Jahr 1859 begann, aber 1867 unvollendet abbrach.

Die Studie setzt sich aus zwei großen Hauptkapiteln zusammen. Das erste ist der minutiösen Rekonstruktion des „Armeewerks“ Menzels gewidmet, der zweite einer Neuinterpretation des Leuthen-Gemäldes. Das Armeewerk setzt sich aus 436 Lithographien zusammen, mit denen Menzel laut Kloosterhuis zum „Entzücken der Heereskundler“ und dem „Entsetzen der Kunsthistoriker“ (S. 1) en détail die Uniformen, Körperhaltungen und Physiognomien der Soldaten und Offiziere der altpreußischen Armee Friedrichs II. rekonstruierte. Nicht minder detailgetreu fällt auch Kloosterhuis Rekonstruktion aus, die den weniger materialerprobten Leser zunächst auf eine harte Probe stellt. Doch der heuristische Ertrag rechtfertigt tatsächlich die bewältigten ‚Stoffmengen‘, indem es gelingt zu zeigen, mit welchem Aufwand Menzel sich das für seine „realistische“ Darstellungsweise erforderliche heereskundliche Wissen aneignete. Menzels militärhistorische Quellen setzten sich aus Realien (wie unter anderem den Sammlungen des Königlichen Zeughauses oder der Kunstkammer), Archivalien (unter anderem Kabinetts-Ordres, ein Tressen-Musterbuch), kolorierten Uniform-Handschriften (unter anderem die Dessauer Spezifikation von 1729), Porträts (aus den Berliner Schlössern, Bibliotheken und Kupferstichkabinetten) und Literatur (Dienstreglements, Selbstzeugnisse) zusammen (S. 22–63). Menzel beließ es jedoch keineswegs bei reinen Uniform- und Ausrüstungsrekonstruktionen, sondern schuf auf vielen Blättern kleine „Bildergeschichten“, in denen sich eine eigene Sichtweise auf die altpreußische Militärtradition entwickelte, die sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts trotz manch monarchischer „Tabus“ (S. 84) weiter lebendig hielt (S. 63–84).

Das von Menzel seit dem Sommer 1859 projektierte „Galleriebild“ zur Schlacht von Leuthen trägt die beeindruckenden Maße von 3,18 m Höhe und 4,24 m Breite (S. 86), was den Zeitgenossen immer wieder praktische Probleme bereitete. Denn allein eine Besichtigung durch den König an angemessenem Ort bedeutete eine logistische Herausforderung. Die Schlacht von Leuthen im Dezember 1757, die dem Bild seinen historischen Hintergrund liefert, stellt bis heute einen der bekanntesten militärischen Erfolge des Preußenkönigs dar. Sie ist unter anderem aufgrund der dort innerhalb seiner zahlreichen Schlachten einmalig erfolgreichen schiefen Schlachtordnung und dem nach der Schlacht kollektiv von den preußischen Soldaten gesungenen „Choral von Leuthen“ zu einem preußisch-deutschen Erinnerungsort geworden. Doch nicht die eigentliche Schlacht ist Menzels Thema, sondern die sogenannte Parchwitzer Rede, eine Ansprache Friedrichs II. an seine Generäle und Befehlshaber, mit der er sie angesichts des bevorstehenden Wagnisses der nahenden Schlacht auf Gefolgschaft und Zusammenhalt einschwor. Der genaue Wortlaut der Rede ist ebenso unsicher überliefert wie der eigentliche Ort, an dem sie gehalten wurde: nach heutigen Erkenntnissen nämlich wahrscheinlich nicht im Freien, im Marschquartier von Parchwitz, sondern in geschlossenem Raum im Schloss von Parchwitz (S. 96). Zwar geht Kloosterhuis nicht auf die Geländekenntnisse der preußischen Armee von der Leuthener Gegend aus vorherigen Manövern ein, die zur Bedingung der Möglichkeit des Sieges wurde2, doch erfährt der Leser viele neue Einzelheiten zur Schlacht und erhält so en passant eine kleine Einführung in die Alltagsgeschichte der friderizianischen Kriegführung.

Anhand der Details von Uniform und Mondierung gelingt es Kloosterhuis alle 38 auf dem Gemälde abgebildeten Figuren zu identifizieren. Den eigentlichen Schlüssel zur Neuinterpretation des gesamten Gemäldes sieht er jedoch im sogenannten „Billerbeck-Moment“ (S. 99, 141). So bestand der psychologische ‚Trick‘ der Ansprache darin, den Männern ihren „Abschied“ frei zu stellen, was allerdings keiner von ihnen nutzte, sondern die Treue nun kollektiv umso vehementer bekräftigt wurde (S. 95). So brach es angeblich aus dem Major Konstantin von Billerbeck (1713–1785) heraus: „Ja, das müsste ein infamer Hundsfott sein; nun wäre es die Zeit.“ (S. 98) Der Monarch schätzte normalerweise derartige Unterbrechungen nicht, doch kam ihm dieser Ausruf zweifellos mehr als gelegen. Zwei der von Menzel nicht fertiggestellten Figuren links und rechts des goldenen Schnitts, Friedrich und der Major von Billerbeck, letzterer bei näherer Sicht mit geöffnetem Mund, bilden die „sekundenschnelle Zwiesprache“ (S. 143) zwischen dem König und seinem Major ab. Durch die Anwesenden geht in Menzels Komposition wortwörtlich ein Ruck in diesem Moment, was sich vor allem an der Kleidung ablesen lässt. Der Billerbeck-Moment wird damit als „Dreh- und Angelpunkt“ des Werkes identifiziert (S. 142). Entgegen den Stimmen seiner zeitgenössischen Kritiker habe Menzel damit nicht lediglich ein Genrebild produziert, sondern gekonnt einen entscheidenden historischen Moment mit einer existentiellen Bedrohungssituation visualisiert.

Nachdem damit der Schlüssel zum Leuthen-Bild gefunden ist, geht Kloosterhuis anhand umfangreichen Aktenmaterials der Geschichte der Nicht-Vollendung des Gemäldes bis zum Tod des Künstlers im Jahr 1905 nach. So geben die von Menzel aufgetragenen Kreidekorrekturen bis heute weitere Rätsel auf. Aber auch wenn die Korrekturen ausgeführt worden wären, hätten sie den Billerbeck-Moment nicht zerstört. Die meisten gängigen Interpretamente für die Nichtvollendung kann Kloosterhuis rasch aus dem Feld räumen (S. 175). Weder die Vermutung physischer und psychischer Hindernisse noch das heroische Autonomiegebaren des „modernen“ Künstlers, der mit den traditionellen Formen des Historiengemäldes brach, will Kloosterhuis recht gelten lassen. Die sich aus den Akten ergebenden Befunde fallen wesentlich nüchterner aus. So zeichnet sich eine Chronik verpasster Momente und administrativer wie logistischer Friktionen ab, die dem Künstler nicht die Gunst des Königs und der Kunstkommission mit dem Auftrag zur Fertigstellung zu Teil werden ließen. Der Kairos der Idealisierung der friderizianischen Vergangenheit im Stil Menzels war alsbald überschritten, in den Worten Theodor Fontanes: „Man wollte Gegenwart, nicht Vergangenheit.“ (S. 170) Die politische Aktualität des Leuthen-Themas zur Zeit des Vormärz und der Reaktion, als die idealisierte Figur Friedrichs II. als volksnaher Monarch als Vorbild propagiert werden konnte, war nun vorbei. Der ungebrochene militärische Heroismus der eigenen Gegenwart war nun tonangebend geworden. Gerade damit aber hatte Menzel nach persönlichen Eindrücken von der Grausamkeit und den Leiden des Krieges am Rande der Schlachtfelder des deutsch-österreichischen Krieges in Böhmen endgültig gebrochen. Vorbei war das „Schlachtenmalinteresse, ich will für keinen dergleichen gelten“ schrieb er im April 1867 (S. 172).

Kloosterhuis’ im Selbstverlag des Geheimen Staatsarchivs PK publizierte Doppelstudie zu „Armeewerk“ und „Leuthen“-Bild ist von einer geradezu bibliophilen handwerklichen Ausstattungsqualität und enthält unter anderem einen hochwertigen Abbildungsteil (S. 185–224), drei doppelseitig bedruckte herausnehmbare Einzeltafeln, ein Personen- und Ortsregister und umfangreiche thematisch gegliederte Bibliographie. Die Materialnähe militärhistorischer Tuchfühlung ist folglich nicht nur Programmatik des analytischen Zugangs, sondern auch der Darstellungsweise und Präsentation, die ansonsten von der markigen Diktion des Preußenkenners geprägt ist. Insofern ist die Studie auch als Beitrag zu einer Neubewertung der materiellen Kultur des Militärischen jenseits der „Knopfologie“ zu begrüßen. Ob sich auch die Kunstgeschichte davon überzeugen lassen wird, bleibt abzuwarten.

Anmerkungen:
1 Ralf Pröve, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin? Die „neue Militärgeschichte“ der Frühen Neuzeit, Perspektiven, Entwicklungen, Probleme, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000), S. 597–612.
2 Bernhard R. Kroener, Die Geburt eines Mythos – die „schiefe Schlachtordnung“, Leuthen, 5. Dezember, in: Stig Förster / Dierk Walter / Markus Pöhlmann (Hrsg.), Schlachten der Weltgeschichte. Von Salamis bis Sinai, München 2001, S. 169–183, hier S. 177.

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