T. Maurer: "... und wir gehören auch dazu"

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Titel
"... und wir gehören auch dazu". Universität und 'Volksgemeinschaft' im Ersten Weltkrieg. 2 Bände


Autor(en)
Maurer, Trude
Erschienen
Göttingen 2015: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
1214 S.
Preis
€ 130,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Hettling, Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Über das militärische Geschehen des Ersten Weltkrieges wissen wir inzwischen sehr viel. Im Vergleich dazu ist über das Leben zwischen 1914 und 1918 in der Heimat, die sich ja auch ‘im Krieg’ befand, sehr viel weniger bekannt, trotz einiger älterer und weniger neuerer Arbeiten. Schon aus diesem Grund ist es sehr vielversprechend, dass Trude Maurer sich auf die Universitäten im Krieg konzentriert und die Hochschulen, konzentriert auf Lehrende und Studenten und nicht die Institutionen, als Teil einer kriegsführenden Gesellschaft untersucht. Auch über die Gelehrten im Krieg ist das Bekannte ungleich verteilt, über die publizistischen Aktivitäten, insbesondere zu Beginn des Krieges, gibt es eine große Anzahl an Forschungsliteratur, durch die wir über die öffentlichen Äußerungen von Professoren, Dichtern, Künstlern viel wissen. Hingegen ist der Kenntnisstand über die Arbeitsbedingungen und Tätigkeiten der Gelehrten während des Weltkrieges sehr viel weniger erforscht.

Was kann nun der Leser aus den 1214 Seiten von Trude Maurer lernen? Die Arbeit ist konzipiert als Gesellschaftsgeschichte der Universitäten während des Weltkriegs, das setzt Maurer in drei Leitfragen um. Wie beteiligte sich die Universität am Krieg, sowohl in der Front wie in der Heimat; nahmen die Wissenschaftler eigeninitiativ am Kriegseinsatz teil, oder folgten sie Impulsen, Vorgaben, Verordnungen von außen? Veränderte sich die Universität in ihrem Binnenleben, in ihrem Selbstverständnis durch den Krieg? Veränderte sich die Stellung der Universität, und damit auch der Gelehrten bzw. Studenten, in der deutschen Gesellschaft? Diese Fragen führen zur Untersuchung von Selbst- und Fremdmobilisierung, zur gesellschaftlichen Rolle der Gelehrten, zum Stellenwert von Wissenschaft und Universität in der Öffentlichkeit. Dieser Blick ist nicht zuletzt auch deshalb lohnend, weil die Bedeutung der Gelehrten und Studenten in den politischen Radikalisierungsprozessen nach 1918 zur Genüge bekannt ist. Doch setzen die meisten Untersuchungen hierzu in der Regel erst 1918, also mit der Niederlage ein. Dadurch bleibt die mögliche Wirkung der Kriegsjahre auf die politische Dynamik der Weimarer Zeit oft unterbelichtet.

Die Arbeit konzentriert sich auf drei Hochschulen, auf Berlin (Preußen) als Hauptstadt-, Gießen (Hessen-Darmstadt) als Provinz-, Straßburg (unter Reichsverwaltung) als Grenzuniversität. Material zu diesen drei Universitäten bildet den empirischen Kern der Studie, doch ergänzt die Verfasserin das immer wieder durch Beispiele aus anderen Universitäten. Das vertieft den Blick und erweitert das Spektrum, doch entsteht dabei – weil Auswahlkriterien für Material jenseits der drei Universitäten nicht genannt werden, unvermeidlich – ein wenig der Eindruck der Zufallsauswahl. Langfristig dürfte sich erst auf der Basis weiterer Studien zu einzelnen Universitäten ein fundiertes Gesamturteil über die deutschen Hochschulen im Weltkrieg formulieren lassen.

Hinsichtlich des Ertrags der Studie erscheinen mir, neben der Möglichkeit der vergleichenden Betrachtung der Universitäten, drei Aspekte besonders hervorhebenswert. Erstens wird hier so ausführlich und detailliert wie nirgends über das Innenleben der Hochschulen zwischen 1914 und 1918 informiert. Jedoch muss sich der Leser durch eine ausführlich beschreibende Ausbreitung der Strukturmerkmale der drei Universitäten (218 Seiten) arbeiten, und sich durch viele Einzelheiten über die jeweiligen Studentenschaften, Lehrkörper, Fächer und Fakultäten, akademische und staatliche Verwaltungen, das akademische Selbstverständnis kämpfen, um zum Hauptteil zu gelangen. Auf 474 Seiten werden dann die Tätigkeitsbereiche der Universität ‘im Kriegseinsatz’ abgehandelt. Hierbei wird das gesamt Spektrum der symbolischen und direkten Teilhabe, von den Aufrufen und Bekenntnisschriften über die Kriegsteilnahmen von Studenten und (selten) Professoren, den fachspezifischen Einsätzen im jeweiligen Metier, dem Vaterländischen Hilfsdienst, der publizistischen Arbeit an der gesellschaftlich-politischen Deutung beschrieben. Um nur ein Beispiel zu erwähnen: Gerade etwa die ausführliche Analyse, welche Gelehrten aus welchen Fächern und Universitäten sich an den verschiedenen Aufrufen beteiligten oder nicht, überzeugt durch die Differenzierung. Der zweite Teil, 414 Seiten, untersucht das inneruniversitäre Leben. Beschrieben werden Veränderungen der Lehrenden und der Studenten, der Lehre, des universitären Alltags, den inneren Friktionen (Inländer versus Ausländer, Studenten versus Studentinnen, Lehrende versus Studenten), bis hin zu akademischen Feiern, Jubiläen und Gefallenenehrungen. Das ist vor allem differenziert und detailreich, weniger analytisch, eher anschaulich als typologisierend. Doch tritt die Vielfalt des universitären Lebens plastisch hervor, etwa hinsichtlich der Auswirkungen des anwachsenden Frauenstudiums, oder auch in den vielen Differenzierungen in den politischen Einstellungen und Aktivitäten der Gelehrten.

Zweitens erweist sich die Perspektive, die "Wissenschaft" während des Krieges in einer prinzipiellen Spannung zur "Wehrkraft" zu verstehen, als fruchtbar. Denn das Primat des Krieges stellte der akademischen Welt nicht nur Herausforderungen durch die Teilnahme der Studenten, die Unterstützung innerhalb der Heimatgesellschaft, durch neue Indienstnahmen wie den Hilfsdienst, sondern wirkte sich auch auf das Selbstverständnis aus. Das hatte kurz- wie langfristige Folgen. Indem einhellig der militärische Dienst fürs Vaterland höher eingeschätzt, und das auch permanent öffentlich von Vertretern der Wissenschaft proklamiert wurde, wuchs der Handlungsdruck für die Gelehrten. Aktiv im Heeresdienst standen (außer den Studenten) nur die wenigsten Hochschulangehörigen, verbreiteter war die Betätigung in vielfältigsten Engagementformen innerhalb der – modern gesprochen – kaiserzeitlichen Zivilgesellschaft, bis hin zur Organisation von Hochschulkursen. Doch betont Maurer überzeugend, dass die vielfältigen öffentlichen Äußerungen, die eine historisch-politische Deutung des Geschehens und eine geistige Mobilisierung der Nation intendierten, sowohl eine ideelle Unterstützung zum Ausdruck brachten wie auch eine kompensatorische Funktion hatten. Dabei spielte auch, was nicht thematisiert wird, schlicht die nationalstaatliche Zugehörigkeit eine Rolle. Deshalb erscheint es etwas vereinfachend, ein "von heute aus ungläubig bestauntes Engagement" der Akademiker nur "mentaler Vorbereitung" (S. 1129) im späten Kaiserreich zuzurechnen, die in Liedern, Reden, Feiern sich artikuliert habe. Das gab es, doch war das keinesfalls ein bloß deutsches Phänomen, vergleichbar "mental militarisiert" (S. 465) waren auch Gelehrte anderer Länder. Auch war die Bereitschaft zur aktiven Teilhabe am Krieg der Nation in Deutschland kein Produkt kaiserzeitlicher Erziehung, sondern seit dem 18. Jahrhundert auch aus der Forderung nach demokratischer Teilhabe am Geschick der Nation langfristig gewachsen.

Drittens wurde im Krieg das Spannungsverhältnis zwischen einer ständisch gefärbten Sonderstellung der Gelehrten einerseits und der Teilhabe am Ganzen der Nation neu bestimmt. Maurer betont zu Recht, dass die besondere Betonung der Verbindung mit dem Volk, der Herausforderung des gemeinsamen Schicksals, die während des Krieges öffentliche Äußerungen prägte, die herkömmliche soziale Exklusivität der Gebildeten in Frage stellte. Dabei verteidigte man zugleich in vielen Situationen, etwa den Tätigkeitsfeldern, die man im Hilfsdienst ausübte, diese soziale Exklusivität. Insgesamt aber dürfte hier eine Ursache liegen, dass nach 1918 gerade auch die Studenten einerseits mehrheitlich für völkisch-nationale Orientierungen optierten, zugleich aber auch an gesellschaftlichen Führungsrollen für die Akademiker festhielten. Auch hier lohnten Analysen, welche zeitlich über den Krieg ausgreifen und langfristige Veränderungen untersuchten. Wenn Maurer von einer Spannung zwischen Universität und ‘Volksgemeinschaft’ spricht, sei jedoch angemerkt, dass sich in den von ihr zitierten Quellen in der Regel nicht dieser Begriff findet, sondern Ausdrücke wie Volk, Ganzes, Vaterland. Mit dieser Semantik, auch mit dem Begriff Nation, konnten schon lange vor 1914 ständische Sonderungen problemlos mit dem Anspruch auf gemeinsame Zugehörigkeit am Gemeinwesen bezeichnet werden. Im Krieg scheint sich das dann neu verbunden zu haben mit dem Begriff ‘Gemeinschaft’ – darin dürfte die prägende und radikalisierende Wirkung des Krieges, auch des Kriegsanfangs 1914, gelegen haben.

Als Bilanz der umfangreichen Studie ist festzuhalten, dass manche Straffung gut getan hätte, aber auch, dass umfangreichere Systematisierungen und zusammenfassende Urteile über das Hochschulwesen insgesamt nach wie vor schwierig sind. So zeigt die Arbeit, dass es im Grunde genommen eine große Bandbreite an Einstellungen, Verhaltensmöglichkeiten, Optionen, auch an politischen Orientierungen, gab. Da war mehr an Verschiedenheit, als bislang oft angenommen wurde, zugleich aber auch ein großer nationaler Konsens (inwiefern und wie ‘Nation’ und ‘Volksgemeinschaft’ unterschiedliche Bindekräfte verkörpern, lohnte eine ausführlichere Diskussion). Das demonstriert die Arbeit in der Fülle des ausgebreiteten Materials, bleibt jedoch zurückhaltend in den Versuchen, diese Heterogenität intensiver zu thematisieren, bleibt sparsam in der Formulierung von Hypothesen, bleibt auch schweigsam in der Diskussion konzeptioneller und methodischer Überlegungen.