R. Aurich u.a. (Hrsg.): Wie der Film unsterblich wurde

Cover
Titel
Wie der Film unsterblich wurde. Vorakademische Filmwissenschaft in Deutschland


Herausgeber
Aurich, Rolf; Forster, Ralf
Reihe
Film-Erbe 1
Anzahl Seiten
417 S.; s/w Abb.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Annegarn-Gläß, Georg-Eckert-Institut, Braunschweig

Rolf Aurich und Ralf Forster haben mit „Wie der Film unsterblich wurde. Vorakademische Filmwissenschaft in Deutschland“ einen Sammelband vorgelegt, der aufzeigt, wie facettenreich historische Filmwissenschaft in Deutschland betrieben wird. Der Band ist der erste in einer neuen Reihe „Film-Erbe“, die von Chris Wahl, Heisenberg-Professor für das Audiovisuelle Kulturerbe an der Filmuniversität Potsdam-Babelsberg, herausgegeben wird. Die 37 Beiträge dieses Auftakt-Bandes werfen Schlaglichter auf Personen und Institutionen, die dazu beitrugen, Filme in Deutschland archivarisch zu sammeln, zu lagern und auszuwerten.

Die Beiträge sind nach den Oberthemen „Filmarchive und -sammlungen“, „Filmausstellungen“, „Filmvermittlung und Filmpublizistik“, „Filmgeschichte in Kino und Fernsehen“ und „Wege zur Filmwissenschaft“ gegliedert. Jeder einzelne Teil wird durch eine kurze Einleitung der Herausgeber eingeführt, in dem zum einen beschrieben wird, inwiefern die nachfolgenden Texte dem übergeordneten Thema Film-Erbe zugeordnet werden können, zum anderen aber auch aufgezeigt wird, welche Desiderata noch bestehen. Dabei fällt auf, dass rein von der Anzahl der Beiträge her, „Filmarchive und -sammlungen“, „Filmvermittlung und Filmpublizistik“ und „Wege zur Filmwissenschaft“ einen stärkeren Schwerpunkt bilden als die beiden anderen Kapitel.

Die einzelnen Beiträge sind teilweise recht kurz. Malte Hageners Text „Transnationale Vorhut. Einflüsse von Avantgarde und Filmkultur der Weimarer Republik auf die frühe Filmwissenschaft“ beispielsweise, weist nur einen Umfang von knapp fünf Seiten auf. Hagener gibt eine kurze Definition der Avantgarde, ehe er einige Themen wie deren transnationales Netzwerk der 1920er-Jahre oder deutsche zeitgenössische Publikationen zu diesem Thema anschneidet. Leider kann er in dem beschränkten Rahmen den großen Einfluss der Avant Garde auf die Filmwissenschaft nur andeuten. Wer hier genaueres wissen möchte, wird nach wie vor zu seiner thematisch einschlägigen Monografie greifen müssen.1

Ein Großteil der weiteren Beiträge befasst sich entweder mit Institutions- und Sammlungsgeschichte oder mit Biografien einzelner Pioniere der Filmwissenschaft: So beschreibt Dieter B. Herrmann die ersten Versuche der Treptower Sternwarte sowie der Berliner und der Wiener Urania, den Film in der Bildung einzusetzen. Herrmann zeigt, wie groß die Widerstände vor dem Ersten Weltkrieg waren, auf die die Mitarbeiter der Sternwarte stießen. Film galt für die Schulverwaltung und einen Großteil der Lehrer als „Schund“, und es mangelte an geeigneten Filmen mit belehrendem Inhalt. Trotzdem begann man nach dem Krieg sowohl an der Sternwarte als auch an der Berliner und der Wiener Urania damit, Filme zu verwenden und erste Filmsammlungen aufzubauen. Interessant wäre ein Ausblick auf die Zeit nach 1924 gewesen. In einer Fußnote erfährt der Leser lediglich, dass das Archiv der Wiener Urania im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurde.

Rolf Aurich und Renate Göthe diskutieren in ihrem Beitrag Walther Günthers Einfluss in der Frühphase des Lehrfilms in Deutschland. Sie zeichnen das Bild eines engagierten Lehrers und Filmenthusiasten, der das neue Medium in den Dienst der Schule stellen wollte und sowohl in der Weimarer Republik als auch dem nationalsozialistischen Deutschland aktiv war. Sein Wirken während des „Dritten Reichs“ verhinderte eine Fortsetzung seines Engagements nach 1945. Hervorzuheben ist im Falle Günthers dessen Beitrag zum Aufbau der Landesfilmstelle Berlin und des dazugehörigen Archivs, das bereits zu Beginn der 1920er-Jahre als Verleihstelle für Schulen und Vereine in Berlin fungierte. Unbeantwortet bleibt leider die Frage, warum Günther ein Stellenangebot der „Reichsstelle für den Unterrichtsfilm“ ausgeschlagen hat.

Insgesamt betrachtet gibt der Sammelband einen repräsentativen Überblick über den Forschungsstand zur frühen Filmwissenschaft und richtet sich somit sowohl an Historiker/innen, als auch an Medienwissenschaftler/innen. Er dokumentiert damit mehr den status quo, als dass Forschungsperspektiven und -lücken aufgezeigt würden. Eine Ausnahme bildet hier beispielsweise Mahelia Hannemann, die in ihrem Aufsatz „Frank Hensel, das Reichsfilmarchiv und Henri Langlois“ darauf hinweist, dass die deutschsprachigen Quellen in der Bibliothèque Nationale in Paris bisher unbeachtet geblieben seien. Zu untersuchen sei, inwiefern Joseph Goebbels plante, ein Welt-Filmarchiv zu gründen. Gerade das Reichsfilmarchiv, darin sind sich mehrere Autor/innen des Bandes einig, bedürfe der weiteren Erforschung. Dies werde allerdings durch die fragmentierte Überlieferung erschwert.

In der Reihe „Film-Erbe“ sollen bis 2017 in loser Folge weitere Bände erscheinen, die sich mit anderen Aspekten der Filmüberlieferung, wie beispielsweise den Konsequenzen der Digitalisierung beschäftigen werden. Darauf kann man schon jetzt gespannt sein.

Anmerkung:
1 Malte Hagener, Moving Forward, Looking Back. The European Avant-garde and the Invention of Film Culture, 1919–1939, Amsterdam 2007.

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