S. C. Ionescu: Jewish Resistance to 'Romanianization', 1940–44

Titel
Jewish Resistance to 'Romanianization', 1940–44.


Autor(en)
Ionescu, Ştefan Cristian
Reihe
Palgrave Studies in the History of Genocide
Erschienen
Basingstoke 2015: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
XV, 270 S.
Preis
€ 79,99
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Armin Heinen, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Dass die aus dem Osten eingewanderten Juden den Aufstieg einer rumänischen Mittelschicht verhindert hätten, war ein über viele Jahrzehnte gepflegter Topos des rumänischen Nationalismus. Bis 1918 sahen sich die Juden Rumäniens systematisch ausgegrenzt, rechtlich benachteiligt, von der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg erzwang die Intervention der Siegermächte deren staatsbürgerliche Gleichstellung. Allerdings blieben die antijüdischen Einstellungsmuster in Teilen der Gesellschaft durchaus virulent.

Als dann in den 1930er-Jahren sich das internationale Klima neuerlich wandelte, der Antisemitismus in ganz Europa hoffähig wurde, da wurden die Juden Rumäniens zunehmend auch wieder gesetzlich benachteilig (1938ff.). Indes gab es systembedingte Schranken der Dissoziation und der Verfolgung. Denn die Juden besetzten Schlüsselstellungen in der modernen Wirtschaft, in der modernen Kultur. Je nach Region hatten sie sich mehr oder weniger erfolgreich in die lokale Gesellschaft integriert. Viele der jüdischen Ärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, Schriftsteller verfügten über funktionierende soziale Netzwerke bis weit in die (rumänische) Oberschicht hinein.

Aus Sicht der rumänischen Antisemiten ließ sich der Sachverhalt nur mit Verrat und Korruption erklären. Da nützten auch die offensichtlich gegen die Juden gerichteten Diskriminierungen und verwaltungstechnischen Maßnahmen nichts, die schon der rumänische Parlamentarismus und die Königsdiktatur auf den Weg gebracht hatten. Die Kluft zwischen der nationalistischen Propaganda und der komplexen gesellschaftlichen Wirklichkeit ließ sich durch Diskriminierung der Juden jedenfalls nicht verringern. In dieser Situation versprach Antonescu, der als Diktatur (1940–1944) sich selbst alles zutraute und die Politik für allmächtig hielt, es „besser“ zu machen, weder zu wilden Gewaltaktionen zu greifen, wie es die Legionäre 1940/41 vorführten, noch die „Duldsamkeit“ der politischen Verwaltungen vor 1940 zu gestatten. Indem er die „Rumänisierung“ der Wirtschaft im Altreich vorantrieb (Enteignungen, Entlassung von Juden), wollte er beweisen, dass nur rücksichtsloses gesetzliches Durchgreifen half und seine Diktatur allen anderen Regimen überlegen sei. Er scheiterte grandios.

Die zentralen Ergebnisse der klugen Studie von Ştefan Cristian Ionescu sind rasch zusammengefasst: So zeigt der Autor, warum auch die Gesetzgebung Antonescus unfähig blieb, der komplizierten gesellschaftlichen Wirklichkeit gerecht zu werden. Wer tatsächlich „Rumäne“ war, wer „Deutscher“ oder wer „Jude“ war, das ließ sich nicht ohne weiteres feststellen. Die ausländischen Juden blieben von der Gesetzgebung verschont, gerade jene also, denen der Vorwurf galt, das Land auszubeuten und sich der Verfassungsordnung zu widersetzen. Die getauften Juden – und immer mehr Juden ließen sich taufen, obwohl Antonescu das eigentlich verboten hatte – erhielten Schutz durch die katholische Kirche, teilweise auch durch die orthodoxe Kirche. Die ganze (antisemitische) Rumänisierungsgesetzgebung endete in einem vollkommen inkohärenten Stückwerk einzelner Dekretgesetze, die zu allen möglichen willkürlichen Interpretationen einluden. Ein riesiger bürokratischer Apparat sollte die Rumänisierung vorantreiben, die „angemessene Eigentumsübertragung“ kontrollieren, die Entlassung von jüdischen Fachkräften in zweckgerichteter Weise steuern, ohne dass die rumänische Wirtschaft litt. Das hätte schon in normalen Zeiten die rumänische Verwaltung überfordert. Während des Krieges entstand ein Apparat, der bald jegliche Legitimation verlor. Als riesige Umverteilungsorganisation von Reichtum zog er gewissenlose Profiteure, notorische Betrüger und unfähige Mitarbeiter magnetisch an. Nicht, dass die Rumänen in ihrer Mehrheit den nur oberflächlich verdeckten Raub ihrer jüdischen Mitbürger ablehnten. Aber allzu viele sahen sich vom erwarteten Reichtum ausgeschlossen, zu Unrecht hintangestellt. Während zahlreiche Flüchtlinge und Vertriebene aus Bessarabien und der Bukowina leer ausgingen, erwarben andere Häuser und Wohnungen, die sie nicht benötigten. Der Streit, ob nun auch Deutschland und die deutsche Minderheit einen Anspruch auf Teilhabe am vermeintlichen Reichtum hatten, schwächte die Kohäsionskraft zwischen Berlin und Bukarest und verschärfte die inneren Konflikte zusätzlich. Als Antonescu daranging, gewaltsam auch einen Teil der Roma aus dem Stadtbild Bukarests zu entfernen, weil sie seinen Vorstellungen von Ordnung und Sauberkeit widersprachen, da war das Erschrecken in Teilen der rumänischen Gesellschaft groß. Denn ähnliche Vorwürfe ließen sich gegenüber manch anderen Gruppen erheben. Wen es traf und wen nicht, das oblag weitgehend der Entscheidung subalterner Beamter. Der Willkür der Verwaltung öffnete die Anordnung Tür und Tor. Und nicht wenige Roma hatten feste Anstellungen als Handwerker, waren als Musiker beliebt oder lebten erfolgreich als Landwirte. Eine ganze Flut von Protestbriefen traf in der Bukarester Zentrale ein.

Während in der Nordbukowina und in Bessarabien, den rückeroberten Provinzen, zeitweise jegliche soziale Ordnung zusammengebrochen war, blieben die sozialen Strukturen im Altreich weitgehend in Takt. Schon die wirtschaftlichen Belange erforderten, dass der Normenstaat den Maßnahmenstaat begrenzte. Selbst deutsche Stellen intervenierten zugunsten von Juden, wenn die wirtschaftliche Leistungskraft wichtiger Unternehmen durch die Rumänisierung gefährdet war. Vor allem aber organisierten die Juden selbst einen erfolgreichen Widerstand, sei es, dass sie die rechtlichen Grundlagen von Anordnungen bestritten, und das war angesichts der widersprüchlichen Gesetzeslage durchaus erfolgversprechend, sei es, dass sie mit ethnischen Rumänen zusammenarbeiteten, die nach außen vermeintlich den Betrieb übernahmen, während er doch eigentlich vom jüdischen Besitzer fortgeführt wurde. Es gab viele Möglichkeiten der „Camouflage“, und nicht immer war klar, wer da wie profitierte; nur dass das eigentliche Ziel nicht erreicht wurde. Dass der Staat sich immer mehr auflöste, die äußeren Formen und das gesellschaftliche Fundament auseinandertraten, das war jedem aufmerksamen Beobachter klar. Im Bemühen, die Nation zu vollenden, die Wirtschaft von oben zu modernisieren, zerfaserte der Staat, und Cliquen von Profiteuren, zynische Kommentatoren des politischen Geschehens und tatkräftige Obstrukteure bestimmten das Geschehen.

Nicht nur inhaltlich überzeugt die Studie von Ionescu, sondern auch formal. Jedes Kapitel beginnt mit einer Einführung und endet wiederum mit einer präzisen Zusammenfassung. Ionescu versteht zu schreiben. Da merkt man die anglo-amerikanische Schule, die mehr Wert auf die Fähigkeit zur präzisen Formulierung und pointierten Darlegung legt, als das in Deutschland der Fall ist. Nicht die Nacherzählung aus den Quellen und der Literatur interessiert, sondern der gut lesbare Befund und die Erzählung des Historikers, der selbstverständlich seine eigene Geschichte der Geschichte vorlegt. Der eigentliche Text umfasst nur 190 Seiten. Und er endet so, wie der ganze Text konzipiert ist, mit einem präzisen Fazit: „By the time the Antonescu regime collapsed in August 1944, complete Romanization was more of a regime fiction than a reality.“ (S. 190)

Gibt es also nichts zu kritisieren? Doch sehr wohl. Für einige der Mängel ist vermutlich eher der Verlag denn der Autor verantwortlich. Zunächst, der Titel und der Inhalt des Buches stimmen nicht überein. Der Titel ist in vieler Hinsicht zu eng und zu weit zugleich. Er ist zu eng, weil Ionescu nicht nur den jüdischen Widerstand schildert, sondern – wie dargelegt – die Rumänisierungspolitik selbst ausführlich betrachtet. Und er ist zu weit, weil Ionescu nicht die Rumänisierung im Altreich untersucht, sondern den Fokus allein auf Bukarest lenkt. Hier allerdings waren die Voraussetzungen doch ganz einzigartig. Die jüdische Bevölkerung repräsentierte ein viel breiteres Spektrum als in vielen anderen Teilen des Landes (religiös, wirtschaftlich, sozial). Sie war mit der städtischen Mittel- und Oberschicht teilweise eng verzahnt, und sie verfügte über Zugang zu einflussreichen Stellen von Kultur und Verwaltung. Kurz, der Band von Ionescu handelt vom Scheitern der Rumänisierungspolitik in Bukarest. Wie die „Entjudungspolitik“ in anderen Städten, in anderen Landesteilen konkret aussah, welche Folgen sie hatte, muss noch erkundet werden.

Ganz eindeutig verantwortlich für einige der Mängel ist der Verlag. Er verfügte offensichtlich, dass das Inhaltsverzeichnis nur eine Seite umfassen dürfe. Und er entschied, dass der Leser immer wieder zu den Endnoten blättern solle, statt Fußnoten lesen zu können. Beides ist höchst leseunfreundlich, denn eigentlich beruht Ionescus Darlegung auf einem sehr ausführlichen und aussagekräftigen Gliederungsschema. Nur werden die Zwischenüberschriften im Inhaltsverzeichnis nicht reproduziert. (Offensichtlich soll das detaillierte und ausführliche Register den Zugriff erleichtern. Doch ersetzt es nicht die Wiedergabe der fein ziselierten, die Argumentation widerspiegelnden Gliederung.) Dass viele englischsprachige Werke inzwischen Endnoten bevorzugen anstelle von Fußnoten, ist bei geschichtswissenschaftlichen Werken gleichermaßen eine Unsitte, denn ein Blick in die teilweise ausführlichen Anmerkungen Ionescus lohnt sehr wohl.

Es gibt allerdings auch einen Aspekt, den ich bei der inhaltlichen Konzeption vermisst habe. Ionescu verzichtet auf jeglichen theorieorientierten Zugriff. Er berichtet analytisch immer präzise, immer aus den Quellen scharf schließend. Was fehlt, ist eine politikwissenschaftlich ausgerichtete, sozial- und kulturgeschichtliche Einordnung seiner Befunde. Denn – das ist das entscheidende Ergebnis seiner Untersuchung – die rumänische Gesellschaft, jedenfalls die in Bukarest, behielt gegenüber dem diktatorialen Zugriff Antonescus ihre Autonomie. Vermutlich war die Diskrepanz zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen rechtlichen Formen und sozialem Fundament nie so groß wie unter der „Diktatur der Tat“ Antonescus. Doch über die Motive der Unterstützer der Juden, über die symbolische Ordnung der Kollaboration von „Rumänen“ und „Juden“ hätte ich tatsächlich gerne mehr erfahren.

Dennoch, Ştefan Cristian Ionescu hat ein gut lesbares, wichtiges und höchst aufschlussreiches Buch vorgelegt, das unser Wissen über Rumänien in den Jahren des Zweiten Weltkrieges um einen wichtigen Aspekt erweitert.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/