M. Buggeln u.a. (Hrsg.): Arbeit im Nationalsozialismus

Cover
Titel
Arbeit im Nationalsozialismus.


Herausgeber
Buggeln, Marc; Wildt, Michael
Erschienen
München 2014: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
XXXVIII, 404 S.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Michael Schneider, Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Der Band geht zurück auf eine Tagung, die im Dezember 2012 im Internationalen Geisteswissenschaftlichen Kolleg „Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive“ in Berlin stattfand. Ziel dieser Tagung war es, mannigfache Aspekte der Arbeit im Nationalsozialismus auszuleuchten; diese werden in der Einleitung der beiden Herausgeber zum vorliegenden Band in einen größeren systematischen Zusammenhang gestellt. Dabei wird vor allem der Wandel des Arbeitsbegriffs im Laufe der Jahrhunderte skizziert, um die Spezifik der nationalsozialistischen Arbeitsvorstellungen herauszuarbeiten. Arbeit war für die Nationalsozialisten „Dienst an der Volksgemeinschaft“ und zugleich ein Unterscheidungsmerkmal in rassistischem und sozialdarwinistischen Sinne: Den wahren Sinn der Arbeit erkenne und verwirkliche nur der „nordische Mensch“; und umgekehrt: Wer nicht arbeitet sei asozial und damit „gemeinschaftsfremd“, wenn nicht „gemeinschaftsfeindlich“. Erziehung zur Arbeit war demgemäß ein zentrales Kennzeichen der nationalsozialistischen Politik, die mit der Einführung des Arbeitsbuches (1935) den Weg zur Arbeitspflicht und zum Arbeitseinsatz im Krieg vorzeichnete. In der Konsequenz dieses Weges lag der Ausbau der Zwangsarbeit während des Krieges, zu der ausländische Arbeitskräfte, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene sowie die Insassen von Gefängnissen und Zuchthäusern herangezogen wurden. Die Arbeitsgesellschaft wurde, wie Marc Buggeln und Michael Wildt pointiert zusammenfassen, zu einer rassistisch und sozial segregierten Leistungsgemeinschaft unter dem Vorzeichen der restlosen Verwertung der Arbeitskraft.

Die Beiträge des Sammelbandes sind zu drei Problembereichen gruppiert: Da geht es zum einen um die programmatischen Vorstellungen und die Arbeitspolitik der Nationalsozialisten: Ausgehend von einer einführenden Analyse von Hitlers Arbeitsbegriff (Michael Wildt), in dem die in- und exkludierenden Elemente der nationalsozialistischen Arbeitsideologie entfaltet werden, und eher grundsätzlich angelegten Überlegungen zu „Ambivalenzen der Arbeit“ im NS-Reich im Spannungsfeld von Zwang und Verführung (Jürgen Kocka), werden zentrale Bereiche der Arbeitswelt behandelt, die die Spezifik der nationalsozialistischen Politik spiegeln: Da geht es im Einzelnen um den Weg von der Arbeitsvermittlung der Weimarer Republik zum „Arbeitseinsatz“ im Krieg, also um den Wandel der Arbeitsverwaltung im Rahmen des polykratischen Herrschaftsgefüges des „Dritten Reiches“ (Karsten Linne), um die Entwicklung des Arbeitsrechts, das mit der Zerschlagung von Gewerkschaften und Betriebsräten sowie der Abschaffung der Tarifautonomie nach den Vorgaben der nationalsozialistischen Betriebs- und Volksgemeinschaftsideologie umgeformt wurde (Martin Becker), um die Indienstnahme „der“ Wissenschaft am Beispiel der Untersuchungen des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Arbeitsphysiologie, konkret zur Gasschutz- und zur Leistungsernährungsforschung bei Zwangsarbeitern (Irene Raehlmann), um Organisation, Disziplinierung und Arbeitserziehung der Arbeitnehmerschaft sowie Durchsetzung des fordistischen Produktionsregimes durch die Deutsche Arbeitsfront (Rüdiger Hachtmann) und um die Politik der Arbeitsbeschaffung (Detlev Humann), die mit ihren mannigfachen Maßnahmen von den Notstandsarbeiten bis zum Arbeitsdienst gewiss als propagandistischer Erfolg der Nationalsozialisten zu betrachten ist – wobei die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen die Einordnung dieser Politik in die forcierte Aufrüstung kaum wahrnahmen. Ein differenzierter Blick auf die unterschiedlichen Dimensionen der Frauenarbeit im „Dritten Reich“ (Nicole Kramer) bezieht die Bereiche von Haushalt, Betrieb und Ehrenamt ein und wirft ein Schlaglicht auf die Vielgestaltigkeit weiblicher Arbeitsbereiche und -erfahrungen sowie die Mehrdeutigkeiten „der“ nationalsozialistischen Frauenpolitik.

In einem zweiten großen Themenkomplex rückt die „Inszenierung der Arbeit“ in den Vordergrund, die freilich schon bei den zuvor behandelten Bereichen – von der Betriebs- und Volksgemeinschaft über die Deutsche Arbeitsfront bis hin zur „Arbeitsschlacht“ – eine große Rolle spielte. Nun aber wird dieser Aspekt in den Fokus genommen, so bei der Untersuchung der NS-Bildpropaganda zur „deutschen“ und „jüdischen“ Arbeit (Harriet Scharnberg) und am Beispiel der Inszenierung der Arbeit und des Arbeiters am 1. Mai 1933 (Inge Marszolek), mit dem die Nationalsozialisten den internationalen Kampftag der Arbeiterbewegung zum „Tag der nationalen Arbeit“ umgedeutet haben. Erweitert wird die Perspektive zeitlich und regional zum einen durch einen Blick auf Fotografien der Arbeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Ulrich Prehn), die die Selbstdarstellung der „ordentlichen“ Arbeit im NS-Reich illustrieren, und zum anderen durch einen Blick auf die Propaganda der Arbeit im faschistischen Italien 1922–1945 (Katharina Schembs), deren bildliche Mythisierung der im „Dritten Reich“ in nichts nachstand. Dass die Beiträge zu diesem Themenbereich mit Abbildungen versehen sind, die das Analysierte „augenfällig“ machen, ist zwar naheliegend, aber nicht selbstverständlich und sei deswegen erwähnt.

Mit dem dritten Themenkomplex, zum Weg „Von der Kollaboration bis zur Vernichtung“, wird deutlich, dass zur nationalsozialistischen Arbeitspolitik immer auch brutale Ausbeutung und Vernichtung, eben Menschenverachtung mit System, gehörten. Nach ebenso problemorientierter wie systematischer Klärung der unterschiedlichen Dimensionen und Begriffe von unfreier Arbeit im Nationalsozialismus (Marc Buggeln) und einer auf Zeitzeugeninterviews gestützten Analyse zu „Geschichte und Erinnerung der NS-Zwangsarbeit als lebensgeschichtlich reflektierte Arbeitserfahrung“ (Christoph Thonfeld) werden folgende Themenaspekte beleuchtet: Die Arbeitsbedingungen im Bergbau im nördlichen Jugoslawien unter deutscher Besatzung in den Jahren von 1941 bis 1945 (Sabine Rutar) sowie die Arbeit in den Ghettos Lodz und Krakau (Andrea Löw) und im Konzentrationslager, am Beispiel Mittelbau-Dora (Jens-Christian Wagner). Schon in diesen Beiträgen, speziell in den beiden letztgenannten, wird deutlich, dass Arbeitsbereitschaft und Arbeitsfähigkeit über Leben oder Tod entschieden – ein Selektionskriterium, das an den Beispielen als „arbeitsscheu“ eingestufter „Volksgenossen“ (Julia Hörath) und der „Rationalisierung des KZ-Systems 1943–1945“ (Stefan Hördler) nochmals systematisch entfaltet wird.

Ein Gespräch der beiden Herausgeber mit Alf Lüdtke, in dem das breite Themenfeld des Sammelbandes abgeschritten wird, zieht die Verbindungslinien zwischen den einzelnen Themenbereichen und rundet damit den Sammelband ab. Resümierend ist festzuhalten: Mit den Beiträgen ist es den Herausgebern gelungen, zentrale Aspekte des Themenbereichs abzudecken, so dass ein umfassendes und differenziertes Bild der „Arbeit im Nationalsozialismus“ entsteht. Die Lektüre wird durch die Untergliederung der einzelnen Beiträge, deren Ergebnisse überdies zumeist durch ein „Fazit“ erschlossen werden, erleichtert. Allerdings wäre eine Liste der Autorinnen und Autoren mit Informationen „zur Person“ hilfreich gewesen. Positiv sei schließlich vermerkt, dass in mehreren Beiträgen darauf hingewiesen wird, dass einzelne Topoi der nationalsozialistischen Arbeitsideologie (z.B. „Qualitätsarbeit“, „Betriebsgemeinschaft“, „Arbeitsscheue“) auch in anderen politischen und zeitlichen Kontexten verwandt wurden. Eine Vertiefung dieser Aspekte könnte sich empfehlen, zeigten sich darin doch vielfach Einfallstore für die Akzeptanz nationalsozialistischer Ideologieelemente in breiten Kreisen der Bevölkerung, eben auch der Arbeiterschaft. Mit diesem Hinweis soll freilich nicht der besondere Charakter der nationalsozialistischen Arbeits- als Leistungsgesellschaft verwischt werden, deren Spezifik darin lag, dass sowohl die rassistischen und sozialdarwinistischen als auch die militaristischen Elemente zur Staatsdoktrin erhoben und mit furchtbarer Konsequenz praktiziert wurden. Dies ebenso durchgängig wie eindeutig zu belegen, gehört zu den Verdiensten des Bandes, der ein facettenreiches Thema mit breiter Perspektive erschließt - und zudem komplett im Open Access verfügbar ist unter
http://www.degruyter.com/view/product/220380

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/