Titel
NeuZeit?.


Herausgeber
Bader-Zaar, Birgitta; Hämmerle, Christa
Reihe
Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 2/01
Erschienen
Insbruck 2001: StudienVerlag
Anzahl Seiten
198 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Bähr, Arbeitsstelle Historische Anthropologie, Max-Planck-Institut für Geschichte, Universität Erfurt

„Neuzeit als Epoche – ein notwendiges heuristisches Prinzip?“ Dieser Frage haben Birgitta Bader-Zaar und Christa Hämmerle ein Themenheft der „Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit“ gewidmet. Und mit der Frage nach der heuristischen Notwendigkeit des Epochenbegriffes ‚Neuzeit’ stellt sich die Frage nach der heuristischen, historiographischen und historischen Bedeutung von Epochengliederung überhaupt. Anstoß ihrer Überlegungen ist den Herausgeberinnen die auffällige Diskrepanz zwischen der Persistenz der Epochentrias zur institutionellen Strukturierung wissenschaftlicher und schulischer Lehrgebiete und Curricula auf der einen und der zunehmenden praktischen und theoretischen geschichtswissenschaftlichen Infragestellung dieser Trias auf der anderen Seite – einer Infragestellung, die zu einer kaum mehr überschaubaren und „in sich widersprüchliche[n] Vielfalt von Epochenverständnissen und –begriffen“ geführt hat (Editorial, S. 7). Diese Diskrepanz lässt es als notwendig erscheinen, der Frage nach der Epochalisierung eine eigene Zeitschriftenausgabe zu widmen, nicht allein, um gängige Epocheneinteilungen in Frage zu stellen oder die verschiedenen Epochenverständnisse einer neuen Synthese zuzuführen, sondern auch, um darüber nachzudenken, warum eine derartige Infragestellung praktisch derart wenig Wirkung zeitigt. Das Besondere des Heftes „NeuZeit?“ ist nicht, dass es das Problem der Epochalisierung aufgreift, sondern dass es die verschiedenen und disparaten Ansätze in Theorie und Praxis in einer systematischen Reflexion zusammenzuführen sucht: dass es die Frage der Epochalisierung vor dem Hintergrund einer historiographischen Selbstreflexion stellt, vor dem Hintergrund der historischen und (geschichts-)wissenschaftlichen Wahrnehmung historischer Zeit. Dieses Heft trägt bei zu einer Historisierung historisierender Kategorien, die neue Möglichkeiten der Historisierung eröffnet: um die Frage nach dem Verhältnis von Zeit und Geschichte, von Kontinuität und Diskontinuität neu und in anderer Weise zu stellen.

Die klassische Epochentrias ist, so führt das Editorial ein, in den vergangenen Jahrzehnten in mehrfacher Hinsicht in Frage gestellt worden. Erstens sind auf der Ebene der Bestimmung und Charakterisierung der zeitlichen Grenzen der Neuzeit insbesondere die Zäsuren 1500, 1800 und der Übergang von Moderne zur sogenannten Postmoderne in die Diskussion geraten. Neue ,materielle’ Kriterien für die Feststellung von Kontinuität und Wandel, eine Differenzierung von Zeit und Zeitbewusstsein nach sozialen und geschlechtsspezifischen Parametern und die Berücksichtigung des Periodisierungsgefühls der historischen Akteure haben nicht allein zu neuen Zäsurbildungen, sondern auch zum Hinweis auf die Überlagerung von Zeitschichten geführt. Grundlegender ist zweitens die poststrukturalistische Kritik. In ihr erscheint jegliche Epochengliederung als eine kategorisierende Interpretationsleistung des historischen Bewusstseins. Aus dieser Perspektive genügt es nicht, Epochengliederungen zu verschieben, zu differenzieren und zu pluralisieren. Vielmehr scheint es erforderlich, diese an sich zu entessentialisieren. Die Dekonstruktion von Epochenzäsuren ist dann am Ende auch die Dekonstruktion der einem derartigen Epochenbewusstsein zugrunde liegenden Vorstellung von der linearen Kontinuität geschichtlicher Zeit. Sie weist hin auf die Diskontinuität diskursiver Formationen. Hier wird die Identifizierung einer Epoche ‚Neuzeit’ selbst zum Diskurs, zu einem diskursiven Ereignis, das Aufschluss gibt nicht über die periodisierte Zeit, sondern über Identität und Selbstverständigungsprozesse der Periodisierenden.

Die im vorliegenden Band „NeuZeit?“ versammelten Aufsätze setzen in je unterschiedlicher Weise an diesen Aspekten an. Der Wirtschaftshistoriker Erich Landsteiner erweist in seinem Beitrag „Epochen, Stufen, Zeiten. Vom historistischen Epochenschema zu Fernand Braudels Dialektik sozialer Zeitabläufe“, die klassische Epochengliederung als das Erbe eines in nationalstaatlicher Ideologie fundierten Historismus. Gegen die essentialisierende Trias setzt Landsteiner „Periodisierung als Bestandteil der historischen Forschungspraxis und ihrer Gegenstandskonstruktion“ (S. 37). Vor diesem Hintergrund wird es für Landsteiner nicht allein möglich, die bestehende Epochengliederung in Frage zu stellen, sondern darüber hinaus auf dem Boden dieser Infragestellung neue Epochengliederungen zu konstruieren. Landsteiner betont hier zum einen die wirtschaftshistorischen Kontinuitäten zwischen 1300 und 1800, zum anderen zeigt er anhand der Kontroverse über die Industrielle Revolution, inwiefern Umbrüche auch innerhalb der Wirtschaftsgeschichte das Ergebnis einer spezifischen Aspektwahrnehmung sind. Anknüpfend an Fernand Braudel ersetzt Landsteiner die historistische homogen-lineare Zeit nationalstaatlicher Entwicklung durch eine dialektische Vielfalt sozialer Zeitabläufe und ein in dieser Vielfalt gegebenes Ineinander von Kontinuitäten und Diskontinuitäten.

Martin Scheutz und Harald Tersch beschäftigen sich mit der anderen Seite, dem quasi komplementären Gegenstück des Mythos vom neuzeitlichen Staat: dem Individuum. In ihrem Beitrag „Individualisierungsprozesse in der Frühen Neuzeit? Anmerkungen zu einem Konzept“ unterziehen sie Richard van Dülmens These von der spezifisch neuzeitlichen „Entdeckung des Individuums“, die in der Nachfolge Jacob Burckhardts formuliert worden ist, einer kritischen Prüfung hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit für Periodisierungsfragen. Die besondere Heterogenität des historiographischen Streits über den Zeitpunkt der Entstehung des neuzeitlichen Selbst (hier reichen die Angebote vom 12. bis ins 17. und 18. Jahrhundert) führen sie auf die Unschärfe des jeweils zugrunde gelegten Konzeptes von Individuum und Individualität zurück. Dieser Unschärfe korrespondiere die Schwierigkeit, den Begriff des Selbstzeugnisses zu definieren – derjenigen Quellengattung, auf die in der Forschung als Hauptzeugin für Prozesse der Individualisierung und Selbstbewusstwerdung rekurriert wird. Scheutz und Tersch verweisen hier auf die gattungsgeschichtliche Dimension derartiger ‚Zeugnisse’: auf textuelle Strukturen und Stereotypen, auf kontextuelle Entstehungsbedingungen. Vor diesem Hintergrund sehen sie in der Suche nach den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ursprüngen von Individualität, Subjektivität und Innenschau eine idealistische Rückprojektion des 19. Jahrhunderts. Diese für die Selbstzeugnisforschung äußerst wichtigen Hinweise führen die Verfasser jedoch lediglich zu der quellenkritischen und forschungspraktischen Skepsis, den „Grad der Selbstthematisierung der historischen Individuen“ erkennen und zu einem historiographischen „Konsens über eine verbindliche Definition von ‚Individualität’“ gelangen zu können (S. 59).

Der dritte Hauptbeitrag des Bandes eröffnet eine geschlechtergeschichtliche Perspektive. In ihren Überlegungen zu „Women in Public in Eighteenth Century Britain. The Problem of Periodization“ fokussiert Anna Clark auf die das Narrativ von Staatlichkeit und Individualität begleitende spezifische Dichotomisierung von Öffentlichkeit und Privatsphäre im 18. Jahrhundert. Am Anfang ihrer Erörterung steht eine Dekonstruktion der einschlägigen Forschungsthesen: Die Auffassung, Großbritanniens Weg in die Moderne habe seine Grundlage im Ausschluss der Frauen aus der Öffentlichkeit, entlarvt sie ebenso als grand narrative wie die entgegengesetzte These, es sei der Eintritt der Frauen in diese Öffentlichkeit gewesen, der der Modernisierung die Bahn bereitete. Beide Konstruktionen, das Niedergangs- wie das Fortschrittstheorem, korrespondieren einander, insofern sie auf ein homogenes und lineares Zeit- und Geschichtsbild zurückgreifen, das mit einer Essentialisierung von Öffentlichkeit und Privatheit verbunden ist. Demgegenüber verweist Clark auf die Notwendigkeit spezifischer Differenzierungen. Besonders betont sie erstens die Differenzierung weiblicher Erfahrungen nach classes, und zweitens die Differenzierung des Ein- und Ausschlusses von Frauen aus der Öffentlichkeit nach den jeweiligen Begriffen und Formen von Öffentlichkeit und den an diese Begriffe jeweils geknüpften Unterscheidungen von Norm und Praxis. Der geschlechtergeschichtliche Ansatz, wie Clark ihn versteht, ermöglicht es nicht lediglich, nach Präsenz oder Abwesenheit von Frauen in der Öffentlichkeit zu fragen: „A gender analysis is not only about adding women to history, but transforming our understanding of the public“ (S. 78). Insofern Clarks Kritik an tradierter Periodisierung eine Kritik an dem dieser Periodisierung zugrunde liegenden Begriff der Öffentlichkeit ist, ist auch diese Kritik der Hinweis, dass Periodisierung eine Interpretationsleistung ist. Sie ist dabei jedoch eine Kritik, die neue Begriffe des Öffentlichen und mit diesen neue Periodisierungen ermöglichen soll.

Alice Pechriggls Reflexionen über „Postmoderne als epoché in der Moderne? Zur Dialektik von Nachträglichkeit und programmatischer Antizipation einer un-/möglichen Epochalisierung“ bringen den Hauptteil des Bandes zu einem geschichtsphilosophischen Abschluss. Die Kritik an essentialistischer Epochalisierung erfährt hier nicht allein ihre eigene historische Verortung. Aus geschichtstheoretischer Perspektive stellt sich für Pechriggl vor allem die Frage, ob und wie sich diese Kritik ihrerseits epochal einordnen und charakterisieren lässt. Ausgehend vom antiken Begriff der epoché bestimmt Pechriggl Epochalisierung als Haltung: als ein Innehalten in der Zeit, das es erlaubt, geschichtliche Wirklichkeit nach verschiedenen Parametern und Merkmalen zu beschreiben, zu ordnen und damit erkennbar zu machen. Dieses Verständnis von Epochalisierung bedeutet für Pechriggl eine radikalisierte Skepsis gegenüber bestehenden Normierungsmechanismen statisch-essentialistischer Epocheneinteilungen. Es impliziert den (geschlechtergeschichtlichen) Hinweis auf die Heterogenität sozialer Zeiten vor dem Hintergrund einer grundlegenden Teleologiekritik, die auch Ernst Blochs Theorem der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ einschließt. Und es impliziert eine Kritik des Begriffs der Postmoderne. Pechriggl verweist auf die diesem Begriff immanente Widersprüchlichkeit: ‚Postmoderne’ ist eine Epochenbezeichnung. Angesichts dessen stellt sich die Frage, wie ein kritisches Bewusstsein gegenüber (essentialisierenden) Epochalisierungen seinerseits eine Epoche konstituieren kann. Zudem setzt eine Selbstbeschreibung dieses Bewusstseins als ‚postmodern’ ein Wissen darum voraus, was die kritisierte Moderne (als Epoche) eigentlich sei. Vor diesem Hintergrund sieht Pechriggl in der historiographischen epoché eine Interpretationsleistung, die nicht jenseits der Moderne anzusiedeln ist, sondern als deren Bestandteil erscheint – als Bestandteil einer Moderne, die – insofern sie sich als Moderne versteht – nicht ohne Einteilungen und Identifikationen historischer Zeit(en) auskommt, diese jedoch einer kritischen Selbstreflexion unterzieht und auf diese Weise beständige, transdisziplinär orientierte Perspektivverschiebungen ermöglicht.

Die vier Aufsätze des Hauptteils werden ergänzt zum einen um einen Rezensionsteil zu einschlägigen Publikationen sowie um Thomas Fröschls Eindrücke eines Wieder-Lesens von Hans Blumenbergs „Die Legitimität der Neuzeit“, zum anderen um ein „Forum“. Dieses präsentiert zunächst Miszellen zu Periodisierungsfragen in der nicht-westeuropäischen Geschichte (Balkan (von Roumen Daskalov), Afrika (von Jan-Georg Deutsch), Lateinamerika (von Fernando J. Devoto) und Japan (von Ulrich Goch)). Daran anschließend beschäftigt sich Thomas Angerer mit der historischen Semantik von Neuzeit und Zeitgeschichte im westeuropäischen Kontext. In seinem Beitrag „Gegenwärtiges Zeitalter – gegenwärtiges Menschenalter. Neuzeit und Zeitgeschichte im begriffsgeschichtlichen Zusammenhang“ versteht Angerer die Debatten um die Abgrenzung der Zeitgeschichte von der Neuzeit zum einen aus Prozessen politisch-gesellschaftlicher Selbstverständigung, zum anderen aus den Unterschieden der diesen beiden Epochenbegriffen jeweils zugrunde liegenden Zeittheorien (und deren mangelnder Reflexion): aus den Unterschieden zwischen einer relational-synchronen Epochenbestimmung auf der einen und einer inhaltlich-diachronen auf der anderen Seite. Zur Klärung des Verhältnisses zwischen Neuerer Geschichte und Zeitgeschichte plädiert Angerer daher für eine Verfeinerung der Zeittheorie im Bewusstsein des Ineinandergreifens und der Überlagerung unterschiedlicher Zeitschichten, darüber hinaus und damit gegen die unreflektierte spezifisch neuzeitliche „Inflation epochaler Zäsurerlebnisse“ (S. 132): für eine „Rückbesinnung auf die Zusammengehörigkeit aller Zweige der Geschichtswissenschaft“ (S. 133).

In den Aporien der Diskussion um das Verhältnis von Neuerer und Zeitgeschichte wird in besonderer Weise anschaulich, inwiefern die Semantiken der Neuzeitlichkeit und historischen Gegenwärtigkeit sich die Bedingungen ihrer Selbstüberholung und Selbstaufhebung schaffen. Lässt sich das Problem im Falle der Zeitgeschichte noch durch eine kontinuierliche Weiterverlagerung der Epochengrenze lösen, so ist die Semantik der Neuzeit mit dem Problem konfrontiert, dass ihre infinite Selbststeigerung zugleich notwendig und unmöglich ist. Eine derartige Aporie wirft nicht mehr allein die Frage auf, ob neue Periodisierungen gefunden und alte aufgegeben werden müssen, sondern darüber hinaus, was Periodisierungen überhaupt leisten können. Wird vorausgesetzt, dass ein spezifisch historisches Bewusstsein Formen der Periodisierung verlangt (um historische Gegenstände und Prozesse in der differenzierenden Identifizierung beschreiben zu können), so verlangt dieses Bewusstsein auch das Bewusstsein der grundlegenden Historizität von Periodisierungen. Das Heft „NeuZeit?“ zeigt sowohl die Notwendigkeit als auch die Vielfalt der Möglichkeiten von Reperiodisierung. Und es trägt bei zur Beantwortung der Frage, ob es genügt, aus der Kritik an alten Periodisierungen zu neuen zu gelangen: zu der Frage, inwieweit die Verflüssigung von Grenzen und die Pluralisierung von Zeitschichten und sozialen Zeitabläufen das Paradigma bestätigen und sich am Ende denselben Einwänden aussetzen, in denen sie sich formiert haben. Die der triadischen Epochalisierung immanenten Aporien lassen sich nicht allein durch die Suche nach neuen Epochengrenzen und Periodisierungen lösen. Sie lassen sich auch nicht lösen durch den gänzlichen Abschied von (zeitlichen) Einteilungen des historischen Materials, ohne dass sich ein historisches Bewusstsein selbst widerspräche. Ein historisches Bewusstsein, so scheint es, kann diese Aporien allenfalls vermeiden im Bewusstsein der Grenzen seiner selbst: in einer „epistemologischen Verunsicherung“ 1, die zu einer Form der historischen und historiographischen Selbstreflexion führt, die die eigenen Kategorien der Beschreibung im Augenblick ihrer Formulierung zu hinterfragen bereit ist: die ihre eigenen Beschreibungskategorien überhaupt erst findet in der Reflexion auf deren (historische) Entstehungsbedingungen. Eine konstruktive Dekonstruktion von Periodisierungen vermeidet es, Abgrenzungen welcher Art auch immer zu einem Erklärungsgrund historischer Prozesse geraten zu lassen. In diesem Sinne liegt ein Ausweg aus der Essentialisierung von Epochengrenzen nicht allein in Prozessualisierung und Pluralisierung, sondern vor allem in einer grundlegenden Problematisierung.

Anmerkung:
1 Zum Begriff vgl. Nassehi, Armin, Die Paradoxie der Sichtbarkeit. Für eine epistemologische Verunsicherung der (Kultur-)Soziologie, in: Beck, Ulrich; Kieserling, André, Ortbestimmungen der Soziologie: Wie die kommende Generation Gesellschaftswissenschaften betreiben will, Baden-Baden 2000, S. 17-29.

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