Cover
Titel
Monotheismus.


Herausgeber
Manemann, Jürgen
Reihe
Jahrbuch Politische Theologie 4
Erschienen
Münster 2002: LIT Verlag
Anzahl Seiten
188 S.
Preis
€ 20,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Siegfried Weichlein, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

In der aktuellen Debatte um die Thesen des Heidelberger Ägyptologen Jan Assmann über den Zusammenhang zwischen Monotheismus und Intoleranz fällt das dröhnende Schweigen der Historiker und Sozialwissenschaftler auf. Dies ist umso bemerkenswerter, als der Zusammenhang von Religion und Gewalt im Allgemeinen und dem monotheistischem Gottesbild und der Gewaltbereitschaft im Besonderen durch den 11. September 2001 ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt ist. Einerseits richtete sich die öffentliche Diskussion seit 9/11 vor allem auf den islamischen Fundamentalismus - andererseits aber geriet ganz generell das Phänomen Religion in den Geruch der Rationalitäts- und Modernitätsfeindlichkeit. Jan Assmanns Antwort, die er schon lange vor den Anschlägen gegeben hat, weist dagegen auf die spezifische Affinität zu Intoleranz und Gewalt im biblischen Monotheismus und damit in den drei monotheistischen Religionen hin.1 Damit stehen Grundlinien der Geschichte Europas auf dem Spiel. Für die europäische Geschichte ist es von entscheidender Bedeutung, ob Gewalt und Intoleranz dem Christentum und dem Islam (das Judentum nimmt Assmann bewusst aus) akzidentiell oder aber wesentlich sind. Sind die monotheistischen Religionen Teil der Lösung oder des Problems von Gewalt und Intoleranz?

Historiker beanspruchen auf diesem zentralen Feld der aktuellen politischen Gesellschaftsdiagnose keine öffentlich wahrnehmbare Deutungskompetenz. Die Debatte wird stattdessen von Literaturwissenschaftlern und von Theologen geführt.2 Das hier anzuzeigende Themenheft ‚Monotheismus‘ des ‚Jahrbuches Politische Theologie 2002‘ versammelt Beiträge von politisch sensibilisierten Theologen und Philosophen aus dem Umkreis des Münsteraner Fundamentaltheologen Johann Baptist Metz.

‚Politische Theologie‘ ist ein durchaus vieldeutiger Begriff. Auch Jan Assmann spricht von ‚Politischer Theologie‘, freilich in einem anderen Sinn als der Stichwortgeber moderner Politischer Theologie Carl Schmitt. Dessen Ausgangsbeobachtung war es gewesen, dass die modernen politischen Begriffe allesamt säkularisierte theologische Begriffe seien. Jan Assmann gibt sich damit nicht zufrieden. Er verschärft den Zusammenhang von Theologie und Politik weiter. „Was in der Neuzeit vom Himmel auf die Erde heruntergeholt wurde, war in früheren Zeitaltern von der Erde in den Himmel versetzt worden.“3 Gemeint ist damit die Begegnung von Altägypten und Israel um 1350 v. Chr., genauer die Konstitution des biblischen Monotheismus in der Konfrontation mit dem ägyptischen Polytheismus und dem kurzzeitigen Sonnen-Eingottglauben Amenophis IV (Echnaton, 1364-1347 v. Chr.). Ihren Niederschlag fand diese Begegnung in der biblischen Figur des Moses, ihre literarische Verdichtung im Buch Exodus.

Jan Assmann zeichnet anders als Schmitt nicht Prozesse der Säkularisierung, der Nach- und Weiterwirkung des Religiösen nach, sondern gerade solche der Theologisierung und der Sakralisierung von zuvor unsakral verstandenen Phänomenen. Die Achsenzeit der Politischen Theologie ist die Begegnung Altägyptens mit Israel. Immer mehr Phänomene des menschlichen Lebens geraten in den Sog von Theologie und Religion. Das Paradebeispiel Assmanns ist die Sakralisierung von ‚Zorn‘ und ‚Liebe‘ zu Attributen eines ‘gerechten Gottes’. „Der alles entscheidende Schritt Israels bestand darin, die Gerechtigkeit aus der sozialen und politischen in die theologische Sphäre zu transponieren und dem unmittelbaren Willens Gottes zu unterstellen.“ Der Durchbruch der monotheistischen Religion war gleichbedeutend mit dem theologischen Weg von Ägypten nach Israel. Für ihn stand der Name Mose, egal was unter diesem Namen an Historischem subsumiert wird: eine Person, eine Gruppe oder eine spätere Traditionsbildung. Nicht die „Ethisierung der Religion“, wie sie sich Max Weber vorstellte, war das Ergebnis dieses Prozesses, sondern die „Sakralisierung der Ethik“.4 Jan Assmann glaubt damit einen der geistigen Ursprünge der Geschichte von Gewalt und Intoleranz identifiziert zu haben. Die theologisch-politische Urerfahrung Ägyptens sei es gerade gewesen, dass sich fremde Götter ohne weiteres in den eigenen Götterhimmel integrieren ließen, was Formen religiöser Toleranz begünstigte. Dem religiösen Pluralismus Altägyptens waren die Dichotomien wahr/falsch und gut/böse, die nach Assmann den biblischen Monotheismus prägten, fremd. Die Gewaltspur dieser begrifflichen Raster durch die Geschichte begann mit „Moses dem Ägypter“. Unter diesem Buchtitel waren Assmanns Thesen 1988 zum ersten Mal einem größeren Publikum bekannt geworden.

Die kritische Geschichtswissenschaft kann es sich nicht leisten, diese Debatte um die religiösen Ursprünge von Gewalt zu ignorieren. Wenn die Gewaltbereitschaft dem monotheistischen und hier zumal dem christlichen und dem islamischen Gottesbild eingeschrieben ist, dann erfordert eine friedliche Welt die radikale Abkehr vom Monotheismus und der ihm eigenen Intoleranz. Mehr noch: dann ist die begriffliche Unterscheidung von wahr und falsch eine der Ursachen für die Intoleranz. Eine dreitausendjährige jüdisch-christlich-muslimische Tradition des Monotheismus wäre dann nicht akzidentiell, sondern ganz prinzipiell gewaltaffin. Nicht ein eifersüchtiger Gott, sondern nur eine pluralistische Vielfalt von Göttern garantierte ein friedliches Zusammenleben.

Dieser fröhlich-friedliche Polytheismus findet nicht nur unter Theologen seine Kritiker.5 Mehrere Probleme zeichnen sich in der neueren Debatte um den Monotheismus ab. Im Zentrum der Analyse Assmanns steht die Annahme eines Zusammenhanges zwischen Polytheismus und Toleranz einerseits und zwischen Monotheismus und Intoleranz andererseits. Überspitzt ausgedrückt stellt er der befreienden Vielfalt des Polytheismus den absolutistischen Eingottglauben gegenüber. Dass sich Polytheismus und Monotheismus zueinander verhalten würden wie Toleranz und Intoleranz, unterschlägt jedoch den Ebenenwechsel zwischen den beiden Überzeugungen. Der Wahrheitsanspruch des Monotheismus bedeutete einen erhöhten Legitimationsbedarf, der nicht mehr durch den Erfolg und den Weiterbestand des bestehenden Systems eingelöst werden konnte.6 Wer von Wahrheit redete, thematisierte auch die Machtfrage. Altägypten kam ohne den Wahrheitsanspruch aus, solange die Pharaonen die in Mythen narrativ dargestellte kosmische Balance politisch erfolgreich wahren konnten.7 Die Machtfrage existierte trotzdem: beschwiegen und mythisch stillgestellt. Das als kritisch empfundene Verhältnis von Wahrheit und Macht sprengte die mythische stillgestellte Machtfrage. Aus der Perspektive der unterdrückten Mose-Gruppe musste das Verhältnis zwischen Macht und Wahrheit anders aussehen als aus der Sicht des ägyptischen Polytheismus. Es liegt auf der Hand, dass es nicht die Götter der Systemprofiteure sein konnten, die zu einer Wahr-Unwahr-Differenzierung zwangen. Der Übergang zur Wahr/Unwahr-Differenz war tatsächlich Teil einer Befreiungsgeschichte, die sich nicht durch die Systemerfolge des politisch-sozialen Systems Ägyptens aufhalten ließ. Auch die Ausdehnung dieses Jahwe-Glaubens wird biblisch nicht mit der Differenz von wahrem Gott und falschen Göttern gerechtfertigt, sondern angebunden an eine historische Erfahrung. Das Buch Deuteronomium fordert die Verbesserung der Lage politischer Flüchtlinge und hilfesuchender Fremder: „Auch Ihr sollt die Fremden lieben, denn auch Ihr seid Fremde in Ägypten gewesen“(Dtn 10,19).

Der Monotheismus verpflichtete nicht nur, beanspruchte Priorität und schloss damit den Pluralismus in der Theologie aus, sondern er hatte auch einen verheißenden Charakter. Für den Monotheismus galt generell der Zusammenhang: Keine Verpflichtung ohne Verheißung. Wer bekannte, dass die vielen Götter untergehen werden, der eine Gott aber bleiben werde, der glaubte an eine ganz diesseitige Alternative zur Unfreiheit im „Sklavenhaus Ägypten".8 Nicht die rechthaberische Dichotomie von Wahr und Falsch war also die Ursprungssituation des Monotheismus, sondern diejenige von Unterdrückung und Befreiung, wie der Münsteraner Alttestamentler Erich Zenger in seinen „Thesen zum Proprium des biblischen Monotheismus“ betont (S. 160-163).9 Den Zusammenhang zwischen Befreiung und Monotheismus formuliert der Anfang des Dekalogs, einem der zentralen Texte auch der europäischen Geschichte: „Ich bin JHWH dein Gott, der Dich aus Ägypten, dem Sklavenhaus befreit hat. Darum sollst Du keine anderen Götter haben neben mir“ (Ex 20,2f. = Dtn 5,6f.). Diese Befreiungserfahrung machte nun ihrerseits Geschichte: Erst die Herausforderung durch die Jahwe-Gruppe zwang Ägypten dazu, nach seiner eigenen, ebenso verpflichtenden wie verheißungsvollen Wahrheit zu fragen.

Die Geschichts-, Gesellschafts- und Sozialwissenschaften sollten schon deshalb skeptisch gegenüber dem modischen Anti-Mono[tono]theismus sein, weil im Mono- und nicht im Polytheismus das eigentlich dynamisierende Prinzip der Geschichte liegt. Die Philosophie des Aristoteles setzte sich scharf von den theoi der griechischen Göttergeschichten ab. Die antike Philosophie nahm ihren Ursprung, indem sie gegen die Göttergeschichten der theologoi - ein Schimpfwort! - polemisierte.10 In noch größerem Maße galt dies für den Monotheismus Altisraels. Nicht die vielen altorientalischen Götter, sondern „der eine unwandelbare Gott bewirkt offenbar die größtmögliche Dynamisierung der Weltgeschichte", wie der verstorbene Züricher Religionswissenschaftler Fritz Stolz bemerkte.11
Der Monotheismus warf rationale Fragen auf, für die im polytheistischen Weltbild kein Platz gewesen war. Was im Polytheismus mythologisch gelöst schien, wurde im Monotheismus in Bewegung gesetzt. Triebfeder dieser Dynamisierung war die spezifisch monotheistische Aufgabe der Vermittlung zwischen dem Jenseits Gottes und der hiesigen Welt. Diese Fragen betrafen die Theodizee: Wenn Gott die Welt gut geschaffen hat, warum gibt es dann das Böse? Da im Monotheismus mehrere göttliche Eigenschaften von einem einzigen göttlichen Wesen ausgesagt wurde, stellte sich die Frage nach dem Verhältnis dieser Eigenschaften: Wie stehen Allmacht und Ohnmacht, Endlichkeit und Unendlichkeit in Beziehung? Die Theologie Israels musste Exklusivität und Universalität zusammen denken. Wie kann der Gott Israels gleichzeitig der Gott aller Menschen sein? Letztlich wurden damit hochkomplexe Probleme menschlichen Zusammenlebens in der Theologie verhandelt: das Problem von Einheit und Vielheit, von Teil und Ganzem, vor allem aber von Exklusivität und Universalität. Die mythologische Welt wurde dadurch so dynamisiert, dass es kein Zurück mehr gab. Das Verhältnis von Immanenz und Transzendenz wurde neu bestimmt. Ohne die Rationalisierung durch den Ein-Gott-Glauben Altisraels wäre es nicht zu der definitiven Säkularisierung durch das Christentum gekommen. Nichts wirkte schließlich so säkularisierend wie die Einsicht, dass die Welt ganz und gar weltlich und nur Gott allein göttlich ist. Geschichte als eine dezidiert profane Erzählung wurde erst möglich nach dieser Einsicht.

Anmerkungen:
1 Vgl. Assmann, Jan, Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, München 1998.
2 Vgl. Kaiser, Gerhard, War der Exodus ein Sündenfall? Fragen an Jan Assmann anläßlich seiner Monographie ‚Moses der Ägypter‘, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 98 (2001), S. 1-24; Söding, Thomas (Hg.), Ist der Glaube Feind der Freiheit? Die neue Debatte um den Monotheismus (Quaestiones Disputatae 196), Freiburg im Breisgau 2003.
3 Assmann, Jan, Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa, München 2000, S. 12; vgl. die Besprechung von Reinhard Mehring in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 53 (2001), S. 375-379.
4 Assmann (wie Anm. 3), S. 69.
5 Diese Debatte wurde freilich nicht nur von Jan Assmann angestoßen. Vgl. auch: Miles, Jack, Gott. Eine Biografie, München 1996; Lang, Bernhard (Hg.), Der Einzige Gott. Die Geburt des biblischen Monotheismus, München 1981; Wacker, Marie-Theres; Zenger, Erich (Hgg.), Der eine Gott und die Göttin, Freiburg im Breisgau 1991.
6 Zum Folgenden vgl. Werbick, Jürgen, Absolutistischer Eingottglaube? Befreiende Vielfalt des Polytheismus?, in: Söding (wie Anm. 2), S. 142-175, hier S. 164.
7 So: Werbick (wie Anm. 6), S. 165.
8 Vgl. Dtn 7,8; 8,14b, Jos 24,17.
9 Vgl. auch: Zenger, Erich, Der Monotheismus Israels. Entstehung - Profil - Relevanz, in: Söding (wie Anm. 2), S. 9-52.
10 Vgl. Aristoteles Met. I,, 3, 983b 29; III, 4, 1000a 9;XII 6, 1071 b 27; 10, 1075 b 26; XIV, 4, 1091 a 34.
11 Vgl. Stolz, Fritz, Wesen und Funktion von Monotheismus, in: Evangelische Theologie 61 (2001), S. 172-89, hier S. 188.

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