S. Becker: Zwischen Duldung und Dialog

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Titel
Zwischen Duldung und Dialog. Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg als Kirchenpolitiker


Autor(en)
Becker, Susanne
Reihe
Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 184
Erschienen
Anzahl Seiten
390 S.
Preis
€ 46,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Arend, Forschungsstelle "Evangelische Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts", Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Die in den Vereinigten Herzogtümern Jülich-Kleve-Berg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einsetzende Konfessionalisierung stand in den letzten 20 Jahren verstärkt im Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Neben zahlreichen Aufsätzen sind insbesondere die monographischen Arbeiten von Christian Schulte (1995) und Antje Flüchter (2006) zu nennen, die sich gezielt mit der Kirchenpolitik der Klever Herzöge befassen.1

Vor dem Hintergrund eines somit schon recht intensiv beackerten wissenschaftlichen Feldes legt Susanne Becker mit ihrer an der Universität Trier von dem Kirchenhistoriker Andreas Mühling betreuten Dissertation nun eine weitere Studie zur herzoglichen Kirchenpolitik in Jülich-Kleve-Berg vor. Während Flüchter in ihrer Arbeit dem speziellen Aspekt des Zölibats nachging, weist Beckers Studie, die eher einen überblicksartigen und nicht von einer zugespitzten Fragestellung geleiteten Charakter trägt, vor allem Ähnlichkeit mit der Arbeit von Christian Schulte auf, der jedoch einen Schwerpunkt auf den Einfluss des Bischofs von Münster auf die Kirchenpolitik der Vereinigten Herzogtümer legt. Becker weist einleitend auf die „relativ intensive Beschäftigung der kirchengeschichtlichen Forschung mit dem Themenkomplex der klevischen Kirchenpolitik“ hin und will mit ihrer eigenen Untersuchung bisherige Forschungsergebnisse ergänzen und noch bestehende Lücken schließen (S. 17).

Susanne Becker hat ihr Thema anhand der Ereignischronologie in fünf Kapitel unterteilt. Gewissermaßen als Vorspann zeichnet sie nach, wie aus mehreren Landesteilen Anfang des 16. Jahrhunderts der Territorialkomplex der Vereinigten Herzogtümer entstand, in dem die beiden westfälischen Grafschaften Mark und Ravensberg eine gewisse Autonomie behaupten konnten. Mit Blick auf die Verfassung, Verwaltung, Wirtschaft und Kultur des Landes beschreibt Becker die geistliche Situation am Ende des Mittelalters und geht ausführlich auf die am Niederrhein weit verbreitete Bewegung der devotio moderna ein.

Anschließend führt sie die kirchlichen Reformbestrebungen Johanns III. (1521–1539) vor Augen. Sie diskutiert die Wechselbeziehungen zwischen der Reichs- und der Klever Territorialpolitik, beleuchtet das dynastische Netzwerk des Herzogshauses, zeichnet die frühe evangelische Bewegung in der zum Herzogtum Kleve gehörenden Hansestadt Wesel nach, erwähnt das Auftauchen der den Täufern nahestehenden „Wassenberger Prädikanten“ im Herzogtum Jülich sowie den Einfluss des Erasmus von Rotterdam auf die Frömmigkeit am Niederrhein.

Im Schnittpunkt dieser unterschiedlichen Einflüsse strengte Herzog Johann kirchliche Reformen an, mit denen er den verschiedenen Interessen gerecht zu werden suchte: Vor dem Hintergrund seines aus einzelnen „Föderalstaaten“ bestehenden und noch nicht zu einer Einheit verschmolzenen Herrschaftsgebietes war es ihm vor allem daran gelegen, seine Machtfülle zu erhalten. Dies war jedoch nur möglich, indem er eine gewisse Flexibilität gegenüber den reformatorischen Eigenarten der einzelnen Landesteile an den Tag legte, und hierzu gehörte auch, die Strömungen, die in den Grafschaften Mark und Ravensberg früh zur Einführung der Reformation in den Hansestädten geführt hatten, in seine Kirchenpolitik zu integrieren. 1532 erließ er eine Kirchenordnung, der ein Jahr darauf eine weitere Ordnung, die „Declaratio“, folgte. In beiden Ordnungen vertrat Johann III. eine vermittelnde, integrierende Politik, die „gemäßigte“ Vertreter der neuen Lehre, wie die Lutheraner, duldete, aber gegen Gruppen, von denen radikalere Lehren und mögliche Gefahren für die öffentliche Ordnung auszugehen drohten, entschieden vorging. In der Darstellung der Reformationsgeschichte unter Johann III. geht Becker nicht über die bisherigen Forschungserkenntnisse hinaus, was aufgrund einer spärlichen Überlieferung, die zudem bereits mehrfach durchkämmt wurde, auch schwer möglich ist.

In der Beurteilung der johanneischen Kirchenpolitik gelangt sie zu dem Schluss, dass der Herzog keine „verlegene Politik des Ausweichens und kruder Erneuerungsversuche“ (S. 346) betrieben habe, sondern dass sein Handeln von Zielstrebigkeit bestimmt gewesen sei. Entgegen Beckers Einschätzung steht dieses Urteil jedoch nicht im Gegensatz zur bisherigen Forschung. Bereits Antje Flüchter hatte in ihrer Arbeit resümiert, dass die Herzöge „ihre eigene kirchenpolitische und im weiteren Sinne auch konfessionelle Position der via media bewußt und selbstbewußt vertraten“.2

Becker widmet sich der Regierungszeit Johanns III. sehr ausführlich und wendet sich ihrem eigentlichen Thema, der Kirchenpolitik Wilhelms V., erst nach rund 160 Seiten, also nach knapp der Hälfte ihres Buches, zu. Die nahezu gleich intensive Behandlung beider Klever Herzöge hätte sich durchaus im Titel der Arbeit niederschlagen können, zumal das gewählte Motto „Zwischen Duldung und Dialog“ auch für die Kirchenpolitik Johanns III. stehen kann.

Im Hauptteil ihrer Untersuchung führt Becker aus, dass die Kirchenpolitik Wilhelms V. (1539–1592) zunächst an die Linie seines Vaters anknüpfte. Auch er wollte die Reform der Kirche vorantreiben, einen Bruch mit der Römischen Kirche aber unter allen Umständen vermeiden. Der Herzog gab eine ganze Reihe von Reformentwürfen in Auftrag, die Becker intensiv beschreibt und miteinander in Beziehung setzt. Zu diesen Texten zählen die 1545 erarbeiteten „Articuli aliquot“, mit denen Wilhelm den kaiserlichen Appell umsetzte, auf territorialer Ebene Lösungsvorschläge für die Frage der Religionsspaltung zu erarbeiten. Die „Deliberatio super articulis confessionis Augustanae“ sowie der „Kurze Bericht, was die Augspurgische Confession und Apologia vermag“ kommentieren das Augsburger Bekenntnis und fragen nach dessen möglichem Nutzen für die Klever Kirchenpolitik. Mit der „Einfaltigen Anleitung und Bedencken christlicher und politischer Lehr“ wurde schließlich eine Reformordnung geschaffen. Obwohl deren theologische Linie an die Kirchenordnungen von 1532/33 anknüpfte, wird in Wilhelms V. kirchenpolitischer Linie eine deutliche Sympathie für den Protestantismus greifbar, und diese Tendenz schlug sich auch in den Bemühungen um die Erarbeitung einer neuen Kirchenordnung nieder.

In den 1560er-Jahren ließ der Herzog Gutachten und Entwürfe von den katholischen Reformtheologen Georg Cassander und Georg Witzel, aber auch von dem Lutheraner Johannes Brenz, dem Stuttgarter Stiftspropst und Reformator Württembergs, verfassen. Nach jahrelangen Verhandlungen wurden 1567 eine Kirchenordnung, eine Agende und ein Katechismus vorgelegt, die jedoch nicht in Geltung gesetzt wurden. Zu den Gründen zählten der sich verschlechternde Gesundheitszustand des Fürsten und der zunehmende Einfluss der katholischen Räte auf die Klever Kirchenpolitik sowie der Zuzug reformierter Glaubensflüchtlinge nach Wesel und die damit einhergehende Sorge vor möglichen Unruhen. Anstelle einer neuen bestätigte der Herzog die Kirchenordnungen seines Vaters von 1532/33. Seine reformpolitischen Ambitionen mündeten also in eine gewisse Resignation. In seinen letzten 25 Regierungsjahren zwischen 1567 und 1592 nahm Wilhelm V. – auch aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme – eine eher passive Rolle ein und beschränkte seine kirchenpolitischen Aktivitäten auf die Bekämpfung radikal erscheinender Gruppen.

Die von Susanne Becker vorgelegte Untersuchung stellt eine konzise und in klarer Sprache verfasste Studie über die Kirchenpolitik der Herzöge in Jülich-Kleve-Berg im 16. Jahrhundert und insbesondere Herzog Wilhelms V. dar, der die Geschicke des Landes mehr als 50 Jahre lang prägte. Becker löst ihren Ansatz, Forschungsergebnisse zu ergänzen und Lücken zu schließen, insbesondere hinsichtlich der Reformschriften ein, die Herzog Wilhelm über mehrere Jahrzehnte hinweg erarbeiten und immer wieder diskutieren ließ. Diese Schriften wurden in den bisherigen Studien lediglich am Rande behandelt, und hier zeigt sich die Stärke von Beckers Arbeit. Wünschenswert wäre darüber hinaus gewesen, wenn sie näher auf die 1567 entstandene Agende und den Katechismus eingegangen wäre, die Ansätze evangelischer Theologie erkennen lassen, die aber ebenfalls noch nahezu unbekannt sind.

Anmerkungen:
1 Christian Schulte, Versuchte konfessionelle Neutralität im Reformationszeitalter. Die Herzogtümer Jülich Kleve Berg unter Johann III. und Wilhelm V. und das Fürstbistum Münster unter Wilhelm von Ketteler, Münster 1995; Antje Flüchter, Der Zölibat zwischen Devianz und Norm. Kirchenpolitik und Gemeindealltag in den Herzogtümern Jülich und Berg im 16. und 17. Jahrhundert, Köln 2006.
2 Flüchter, Zölibat, S. 404; vgl. ebd., S. 249f.

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