U. Babusiaux u.a. (Hrsg.): Das Recht der "Soldatenkaiser"

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Titel
Das Recht der „Soldatenkaiser“. Rechtliche Stabilität in Zeiten politischen Umbruchs?


Herausgeber
Babusiaux, Ulrike; Kolb, Anne
Erschienen
Berlin 2015: de Gruyter
Anzahl Seiten
VIII, 292 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Körner, Historisches Institut, Universität Bern

Die Transformationsprozesse, die das Römische Reich im Verlauf des 3. Jahrhunderts n.Chr. veränderten, sind in den letzten Jahren Gegenstand zahlreicher althistorischer Einzelstudien, aber auch des monumentalen Handbuchs zur „Soldatenkaiserzeit“ gewesen.1 Im Vergleich dazu hat die Entwicklung des römischen Rechts in diesem Zeitraum weniger Aufmerksamkeit erfahren. Eine interdisziplinäre Tagung an der Universität Zürich im April 2013 hat sich daher diesem Thema aus romanistischer wie althistorischer Perspektive gewidmet. Deren Ergebnisse liegen nun auch in schriftlicher Form vor.

Den Ausgangspunkt der Beiträge stellt die Frage dar, inwieweit die Entwicklung des römischen Rechts im 3. Jahrhundert ältere Traditionen, vor allem der severischen Juristen, fortsetzt und inwieweit sich Neuerungen fassen lassen, die in die Spätantike vorausweisen. Den Einstieg in den Band stellt ein Forschungsüberblick zur „Soldatenkaiserzeit“ von Michael Sommer dar (S. 15–30). Der Beitrag lässt allerdings jeglichen Bezug zur eigentlichen Thematik, nämlich der Rechtsprechung, vermissen, so dass der Zweck dieser Einführung unklar bleibt. An guten Forschungsüberblicken zum 3. Jahrhundert aus althistorischer Perspektive besteht jedenfalls wahrlich kein Mangel.2 Der Thematik der Tagung entsprechend, wäre also stattdessen ein Überblick über die Forschung zur Rechtsgeschichte im 3. Jahrhundert angezeigt gewesen.

Sehr gelungen ist hingegen die Einführung von Adriaan J. B. Sirks in die Reskripte der „Soldatenkaiserzeit“ (S. 31–45). Ausgehend von den im Codex Gregorianus erhaltenen Texten, zeigt Sirks die Kontinuität in der Arbeit der kaiserlichen Kanzleien auf. Dabei werden auch signifikante Unterschiede zwischen Kaisern mit einer hohen Anzahl überlieferter Reskripte (Gordian III. und Philippus Arabs) und solchen mit wenigen oder keinen (Aurelian und Tacitus) deutlich. Problematisch ist Sirks’ Versuch, die Anzahl der Reskripte bestimmter Kaiser mit deren Charakterisierungen in der Historia Augusta als „gute“ oder „schlechte“ Herrscher zu verbinden (S. 41). Sollte diese hochproblematische Quelle in ihren moralischen Urteilen über einzelne Kaiser tatsächlich deren Reskriptenpraxis reflektieren? Die Widersprüche zwischen der Historia Augusta und der Überlieferung im Codex werden jedenfalls im Falle von Aurelian besonders deutlich, wie Sirks selbst einräumt: So berichtet die Aureliansvita (Aur. 35,3), dieser Kaiser habe viele gute Gesetze erlassen, während im Codex lediglich fünf oder sechs Reskripte überliefert sind.

Michael A. Speidel untersucht, ob sich eine soldatenfreundliche Politik einzelner Herrscher des 3. Jahrhunderts nachweisen lasse, die die Verwendung des Begriffs „Soldatenkaiser“ rechtfertigen würde (S. 46–64). Dabei zeigt er klar auf, dass die Quellen keineswegs auf ein schlechtes Verhältnis der Zivilbevölkerung zu den Soldaten schließen lassen. Die in der Forschung oft herangezogenen Hilferufe aus den östlichen Provinzen wertet Speidel nicht als Zeugnis anarchischer Zustände, sondern vielmehr eben gerade eines Vertrauens in die Obrigkeit, von der sich die Bevölkerung sogar den Einsatz von Soldaten zu ihrem Schutz erhoffte. Auch eine einseitige Privilegierung der Truppen durch die Kaiser des 3. Jahrhunderts ist nicht gesichert. Speidel kommt daher zum Ergebnis, dass „die Zeit der ‚Soldatenkaiser‘ […] sich nicht als eine ‚Zeit der Soldaten‘ beschreiben“ lasse (S. 61).

Die Kontinuität in der Rechtsprechung wird im Beitrag von Detlef Liebs (S. 89–108) deutlich, der die explizit an Soldaten gerichteten Reskripte des 3. Jahrhunderts untersucht. Deren Bestimmungen orientieren sich an den Rechtspraktiken früherer Kaiser. Zum selben Ergebnis kommt Jakob Stagls Untersuchung der Soldatentestamente (S. 109–126): Auch hier zeigt sich, dass die Kaiser des 3. Jahrhunderts keineswegs Neuland betraten, sondern die bereits etablierten Grundsätze der severischen Jurisprudenz fortsetzten. Auch in den Reskripten zu Fragen der infamia stützten sich die Kanzleien des 3. Jahrhunderts eindeutig auf die Grundsätze des klassischen Rechts, wie die umfangreiche und detaillierte Auswertung von Lorena Atzeri zeigt (S. 127–159). Liebs, Stagl und Atzeri können damit den Befund von Schnebelt bestätigen, der bereits 1974 die Traditionsgebundenheit der Rechtsprechung des 3. Jahrhunderts aufgezeigt hatte.3

Während im Inhalt der Reskripte also die Kontinuität überwiegt, ist es die sich wandelnde soziale Provenienz der Juristen, die in die Spätantike vorausweist: Wie Stagl zeigt, verschwindet der Typus des schriftstellernden, aus der Oberschicht stammenden Juristen, wie ihn Ulpian verkörpert hatte. Stattdessen wird deren Tätigkeit ganz in die Verwaltung integriert: Die Rechtsgutachten kommen von subalternen Beamten. Dies erklärt Stagl damit, dass die „Soldatenkaiser“ angesichts ihrer oft schwachen Position kein Interesse mehr an senatorischen, autonom denkenden Rechtsgelehrten hatten: „In der Zeit der Soldatenkaiser wurde das Habitat der klassischen Juristen vernichtet und damit auch ihre Lebensform, was übrig blieb, war eine gut informierte Subalternjurisprudenz“ (S. 124).

Der Beitrag von Lukas de Blois (S. 225–237) geht ebenfalls der Frage nach, weshalb im 3. Jahrhundert die gelehrten Juristen keine Rolle mehr spielten. Ein wesentliches Moment sieht de Blois in der häufigen, kriegsbedingten Abwesenheit der Kaiser von Rom. Die Nähe zum Kaiser war aber ein wichtiges Element für die Tätigkeit der Juristen gewesen, wie bereits der Beitrag von Stagl zeigt (besonders S. 124). Zudem dürfte die Zurückdrängung der Senatoren, die als „leisure class“ die Möglichkeit hatten, sich unabhängig den Rechtswissenschaften zu widmen, zusammen mit der zunehmenden Professionalisierung und Bürokratisierung der Laufbahnen zum Verschwinden des gelehrten Juristen beigetragen haben.

Wiederum von Kontinuität geprägt ist die Praxis der Besetzung der Stadtpräfektur mit verdienten, kaisernahen Senatoren, wie der Beitrag von Katharina Wojciech zeigt (S. 172–191). Doch kann Wojciech daneben durch eine sorgfältige Analyse des Quellenmaterials glaubhaft machen, dass die Kompetenzen des Stadtpräfekten in der „Soldatenkaiserzeit“ auch punktuelle Erweiterungen erfuhren, so im Bereich der Marktaufsicht, die über die Grenzen Roms hinaus ausgedehnt worden sein könnte: Es scheint, dass die aus der Spätantike bekannte Praxis, dass der Stadtpräfekt auch gültige Hohlmaße in die Regionen Italiens verschickte, zum ersten Mal im 3. Jahrhundert Anwendung fand.

Vereinzelt weist auch die Rechtsprechung des 3. Jahrhunderts Innovatives auf. Dass Decius neben dem berühmten Opferedikt auch Konstitutionen erließ, deren acht im Codex Iustinianus erhalten sind, ist Thema des Beitrags von Iole Fargnoli (S. 160–171). Während zwar auch hier das Bild der Kontinuität zur früheren Kaiserzeit bis in die sprachlichen Formulierungen hinein dominiert, finden sich doch neue Elemente: So ist die in der Spätantike gängige Indiktion erstmals in einer Konstitution von Decius bezeugt. Eine maßgebliche Veränderung stellten aber vor allem die Eingriffe in die Lokalverwaltung in Ägypten unter Philippus Arabs dar, wie die umfassende Untersuchung von Bernhard Palme zeigt (S. 192–208). Die ägyptischen Papyri spiegeln die zunehmende Belastung der Bouleuten durch das Leiturgiensystem wider. Kern der Reformen Philipps, die zweifellos über Ägypten hinaus reichten, war daher eine klare Festlegung der Steuer- und Leiturgieverpflichtungen der Bürger, um auf diese Weise auch dem Finanzbedarf der Reichsregierung (etwa für die Tausendjahrfeier 248 oder die Kriege) zu entsprechen. Dabei kam es zudem zu institutionellen Veränderungen: Ältere Ämter verschwinden, neue werden eingerichtet; beispielsweise sind erstmals in den 240er-Jahren die Dekaprotoi in Ägypten bezeugt, die als Leiturgie eingerichtet wurden und jeweils für einen ganzen Gau zuständig waren. Palme zeigt klar auf, dass diese Maßnahmen nicht als Reaktion auf eine sich zuspitzende Krise, sondern als Konsequenz aus den sozialen Veränderungen, die durch die constitutio Antoniniana eingeleitet worden waren, zu verstehen sind.

Ulrike Babusiaux befasst sich in ihrem Beitrag zu den Zitaten klassischer Juristen in den Reskripten der „Soldatenkaiser“ mit der Frage nach dem Verhältnis der Rechtsprechung des 3. Jahrhunderts zu den früheren Denkern des römischen Rechts (S. 238–269). Sie kommt dabei zum interessanten Ergebnis, dass diese Zitate den Verlust des bisherigen Adressaten juristischer Reflexion, nämlich den fehlenden römischen Kaiser ersetzen sollten.

So kreisen die meisten der Beiträge des Bands um die Grundfrage nach Kontinuität und Innovation der römischen Rechtsprechung im 3. Jahrhundert. Dabei zeigt die Mehrheit der Untersuchungen klar die enorme Dauerhaftigkeit und Stärke der Traditionen (Sirks, Liebs, Stagl, Atzeri, Fargnoli und Wojciech). Daneben finden sich auch neue Elemente (Fargnoli und Wojciech), vor allem in den durch die ägyptischen Papyri bezeugten Verwaltungsreformen unter Philippus Arabs (Palme). Mehrere Beiträge befassen sich zudem mit der Frage nach der sozialen Herkunft der Juristen. So endet die Arbeit der „großen“ Juristen senatorischer Herkunft mit den Severern. Die Beiträge von Stagl und de Blois liefern interessante Erklärungsansätze für dieses Phänomen. Dass die klassischen Juristen als Bezugsgrößen fortlebten, zeigt sehr schön der Beitrag von Babusiaux.

Mit der Tagung ist es gelungen, durch die Verbindung von althistorischen und romanistischen Fachleuten sehr konkrete Ergebnisse zur Rechtsprechung der „Soldatenkaiserzeit“ vorzulegen. Diese ermutigen dazu, den interdisziplinären Austausch fortzusetzen, liegt doch mit den Reskripten ein für das oft als quellenarm bezeichnete 3. Jahrhundert sehr umfangreiches Material vor. Die Beiträge des Bands vermitteln in ihrer Gesamtheit ein fein differenziertes Bild der Tätigkeit der kaiserlichen Verwaltung und Kanzleien in der „Soldatenkaiserzeit“.

Anmerkungen:
1 Klaus-Peter Johne / Udo Hartmann / Thomas Gerhardt (Hrsg.), Die Zeit der Soldatenkaiser. Krise und Transformation des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert n. Chr. (235–284), 2 Bde., Berlin 2008.
2 So beispielsweise in dem hervorragenden Überblick von Thomas Gerhardt, Forschung, in: Johne / Hartmann / Gerhardt, Soldatenkaiser, Bd. 1, S. 125–157.
3 Günter Schnebelt, Reskripte der Soldatenkaiser, Karlsruhe 1974, S. 199: „Die Reskriptenpraxis der Soldatenkaiser stimmt weithin mit Geist und Buchstaben des klassischen Rechts überein.“

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