W. Strubelt u.a. (Hrsg.): Raumplanung nach 1945

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Titel
Raumplanung nach 1945. Kontinuitäten und Neuanfänge in der Bundesrepublik Deutschland


Herausgeber
Strubelt, Wendelin; Briesen, Detlef
Erschienen
Frankfurt am Main 2015: Campus Verlag
Anzahl Seiten
419 S., 13 s/w Abb.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Engler, Historische Forschungsstelle, Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung, Erkner

Die Raumplanung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Gesamtdarstellung zusammenzufassen ist ein wertvolles geschichts- und planungswissenschaftliches Unterfangen. Dabei geht es nicht nur um das Aufzeigen der Kontinuitäten von der nationalsozialistischen Zeit in die frühe Bundesrepublik, sondern auch um den anspruchsvollen Versuch, Periodisierungen und Einordnungen der westdeutschen Raumplanung vorzunehmen. Das unternimmt eine von der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) unterstützte Publikation, die von dem ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, Wendelin Strubelt, sowie dem Historiker Detlef Briesen herausgegeben wurde. Besonders aufschlussreich und kennzeichnend für den Umgang mit der NS-Vergangenheit des Faches in der Bundesrepublik ist die Aussage der beiden Herausgeber im Vorwort, wonach die ARL noch 1985 nach Aussage ihres Präsidenten nicht in der Lage war, die dunklen Jahre ihrer Geschichte als Nachfolge der 1935 gegründeten Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung der deutschen Hochschulen, die der Reichsstelle für Raumordnung zuarbeiten sollte, kritisch aufzuarbeiten, weil „noch zu viele aus der damaligen Zeit lebten“ (S. 10).

Als Konzept und Intention für den Band wird auf dem Buchrücken darauf hingewiesen, dass Raumplanung und Raumforschung für die Nachkriegszeit in Deutschland nur ungenügend aufbereitet wären, der Band insofern eine eminente Forschungslücke der Aufarbeitung eines wichtigen Stücks deutscher Nachkriegsgeschichte schließe. Raumplanung und -forschung werden sodann als Innovation gekennzeichnet, die gleichzeitig „Teil eines verwissenschaftlichen Konsenses zur Modernisierung, Rationalisierung und Demokratisierung der Gesellschaft“ gewesen seien. Diese naive und positivistische Sicht auf das Fach und die Disziplin wird in den Einzelbeiträgen des Bandes zum Glück deutlich differenziert. In ihrem Vorwort umreißen die Herausgeber den Anspruch des Bandes, der die gegenwärtige Raumforschung stärker mit historischen Entwicklungen und den Erträgen der Geschichtswissenschaft verbinden soll (S. 9).

Hauptziel der Einleitung wie des gesamten Bandes ist es, aufzuzeigen, wie vom NS-Regime geprägte und sozialisierte sowie häufig völkisch denkende Raumplaner in die Bundesrepublik und ihr demokratisches System aufgenommen wurden und dort eine konstruktive Funktion übernehmen konnten. So wurde der Begriff „Raum“ Ende der 1940er-Jahre zwar in das „Wörterbuch des Unmenschen“1 aufgenommen, gleichzeitig wurden in der ARL selbst die „klammheimlichen Kontinuitäten von der NS-Zeit in die mittlere Bundesrepublik“ nicht angesprochen (S. 16f.). Strubelt und Briesen konzentrieren sich sodann vor allem auf die Rolle der politisch-administrativen Eliten beim Aufbau des neuen demokratischen Systems. Zu den Kernpunkten des Bandes gehört dabei die Frage, wie es selbst führenden Raumforschern und Raumplanern aus der Zeit vor 1945 gelang, sich fast bruchlos in die neuen Strukturen der Bundesrepublik zu integrieren, wie sich gleichzeitig vor allem Westdeutschland nach dem Krieg in eine moderne Industrie- und Wohlstandsgesellschaft verwandelte und wie sich dieser Transformationsprozess auf Raumforschung und -planung auswirkte. Für die Einleitung wie den gesamten Band liegt ein deutlicher Fokus auf Westdeutschland – die Entwicklung in der DDR „wäre stets mitzudenken“ (S. 32), was aber nur rudimentär eingelöst wird. Briesen und Strubelt liefern dann eine zeitliche Phasengliederung von Raumforschung und -planung in ein Zwei-Phasen-Modell mit sich überlappenden Perioden, ehe Thesen zu den Grundstrukturen des raumplanerischen Wandels 1945 bis 1980 geboten werden.

Danach präsentiert der Band insgesamt 14 Aufsätze, die vier Kapiteln zugeordnet werden, von denen drei aus wissenschaftlichen und eines aus Beiträgen aus der Zeitzeugenperspektive bestehen. Im ersten Kapitel über den „Wandel der Raumplanung 1940 bis 1980“ bietet Karl R. Kegler einen interessanten Überblick über die deutsche Raumplanung nach 1945, indem er diese als Bewältigungsmittel gegen Krisenängste und als Instrumentarium zur Krisendiagnose charakterisiert. Der Münchner Architektur- und Stadthistoriker analysiert eindrucksvoll, wie allmählich von der Vorstellung Abschied genommen wurde, dass sich „Ordnung und Unordnung im Raum wie Gesundheit und Krankheit auf der Basis objektiver Prinzipien ermitteln“ ließen (S. 87). Das zweite Kapitel ist mit „Gesellschaftliche Zäsuren und die räumliche Planung in der Bundesrepublik“ überschrieben und umfasst fünf Beiträge. Dabei zeigt Dirk van Laak in seinem Aufsatz über den Mythos „Hessenplan“ von 1963, wie Planungsvorgänge politisch instrumentalisiert wurden und arbeitet an diesem Beispiel die in der Geschichte der Raumplanung häufiger vorzufindende Inkongruenz von Planungsrhetorik und Planungsrealität sowie die Anfang der siebziger Jahre zu beobachtende „Überdehnung der zentralisierten Planungsbemühungen“ (S. 143) heraus. Axel Zutz gelingt es in seinem Beitrag zur Bedeutung der Landschaftsplanung als Subdisziplin der Raumplanung besonders gut, die Verbindungslinien zwischen der Vorgeschichte der Grünplaner vor 1945 und ihrer institutionellen wie personalen Kontinuität in der BRD und schließlich im Paradigmenwechsel im neuen demokratischen System („Wandel durch Anpassung“, S. 181) nachzuvollziehen. Zutz nimmt auch als einziger der Beiträger eine differenzierte deutsch-deutsche Perspektive ein.

Im dritten Kapitel wird dem „Wandel im deutschen und internationalen Vergleich“ nachgegangen. Gegen den „suggestiven Ausdruck“ der „Planungseuphorie“ wendet sich Max Welch Guerra in seinem Beitrag zur Charakterisierung der räumlichen Planung als Teil der Gesellschaftspolitik in der Bundesrepublik der 1970er-Jahre. Er plädiert stattdessen für die Kennzeichnung der in den 1960er-Jahren beschleunigt einsetzenden Planung als „Wachstumseuphorie“ und akzentuiert damit die Funktion von Raumplanung bei der Sicherung volkswirtschaftlicher Wachstumsraten (S. 287, S. 312). Harald Kegler liefert in seinem Beitrag über „Ernst Kanow und die Geschichte der DDR-Territorialplanung“ den einzigen Aufsatz, der sich ausschließlich mit der ostdeutschen Variante der Planungsgeschichte befasst. Kegler sorgt nicht nur für eine gelungene Verknüpfung der verschlungenen biografischen und fachdiskursiven Wege der DDR-Variante der Territorialplanung, sondern liefert als „übergreifenden Modellversuch“ einen Neuansatz für eine Periodisierung der räumlichen Planung der DDR. Schließlich enthält das letzte Kapitel „Perspektiven der Zeitzeugen“ aus der Sicht ehemaliger Planer. Im Vergleich zu den wissenschaftlichen Beiträgen bieten diese leider keinen großen Erkenntniswert, da es sich nicht um die erwarteten subjektiven Einschätzungen der Planungsvorgänge aus Sicht der ehemaligen Planungsakteure handelt, sondern vielmehr um Darstellungen der großen Planungsvorgänge, zu denen es aber weit bessere wissenschaftliche Studien gibt.

Der Band weist neben den wissenschaftlich bemerkenswerten Beiträgen allerdings auch einige diskussionswürdige Punkte auf. Es fällt auf, dass die Konzeptualisierung von Planung doch eher in alten Fahrwassern unterwegs ist. Denn außer in einigen Anklängen des Beitrags von Dirk van Laak wird der Aspekt der „Aneignung“ der Planung kaum gestreift, das heißt die Bevölkerungen als „Beplante“ und Objekte der gesellschaftlichen Steuerung werden so gut wie gar nicht thematisiert, was zumindest konzeptionell hätte reflektiert werden sollen. Der zweite große Kritikpunkt ist die Konzentration auf die Bundesrepublik und damit die einseitige westliche Orientierung des Bandes. Die DDR wird nur gelegentlich mit aufgerufen und nur in einem einzigen Beitrag systematisch und vertiefend analysiert. Zum einen stellt sich die Frage, warum ein solcher Beitrag zur Territorialplanung der DDR überhaupt aufgenommen wurde, wenn es sich schon um eine Geschichte der Raumplanung und -forschung der Bundesrepublik handeln soll. Noch besser wäre es aber gewesen, die Chance zu nutzen und eine Gesamtgeschichte der Raumplanung in Deutschland unter angemessener Berücksichtigung der DDR vorzulegen, weil die dortige Territorialplanung 40 Jahre lang den Osten Deutschlands weithin prägte und es inzwischen einige Forschungsansätze zur Analyse dieses Politikfeldes gibt. Eher randständiger ist die Kritik, dass die Beiträge von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen nur Forschungsliteratur verwenden und keine Archivquellen, vereinzelt dem Leser die vollständigen bibliographischen Angaben für in den Fußnoten genannte Forschungsliteratur vorenthalten wird und der Band leider auch über keinerlei Register verfügt.

Alles in allem handelt es sich aber um einen gelungenen Versuch einer Gesamtsichtung der Geschichte der Raumforschung und -planung zumindest für die Bundesrepublik mit einem insgesamt kritischen Blick auf das Forschungsgebiet, die Community und die Vorgeschichte der ARL. So wird beispielsweise das Konzepts von der „Planungseuphorie“ hinterfragt (Briesen/Strubel, S. 41; Welch Guerra, S. 287) oder es werden mit der Einbeziehung von internationalen (leider nur der Beitrag von Faludi zu Frankreich und den Niederlanden) sowie ostdeutschen Fallbeispielen (Kegler) zumindest Ansätze für eine perspektivreichere Erforschung des Themas angedeutet, auch wenn sie quantitativ nicht konsequent vertreten sind. Der Band könnte insofern eine Basis bilden, von der aus künftig systematischer und auch durchgehend deutsch-deutsch und in einer weiteren Stufe inter- und transnational vergleichend Raumplanung und -forschung in den Blick genommen werden könnte. Dabei wäre es produktiv, zielgerichteter nach dem Beitrag dieser Disziplinen zur räumlichen Transformierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg zu fahnden und diese Großerzählung möglichst nicht nur einseitig-teleologisch als Modernisierung zu konzeptualisieren.

Anmerkung:
1 Dolf Sternberger / Gerhard Storz / Wilhelm E. Süskind, Aus dem Wörterbuch des Unmenschen, Hamburg 1957.

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