Titel
Frau und Krieg. Weibliche Kriegsästhektik, weiblicher Rassismus und Antisemitismus: Eine psychoanalytisch-tiefenhermeneutische Literaturanalyse


Autor(en)
de Visser, Ellen
Erschienen
Anzahl Seiten
335 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Osterwalder, Historisches Institut, Universität Bern

Die bereits 1997 erschienene Untersuchung von Ellen de Visser steht im Bemühen, sich dem Problem "wie die eigene belastete Geschichte zu begreifen ist" zu stellen. Es ist dies das Bemühen der Nachgeborenen des Nationalsozialismus, sich über Schuld oder Unschuld der Elterngeneration klar zu werden. Die Beantwortung dieser Frage soll dabei auch der Beilegung des Generationenkonfliktes dienen, denn "für die Nachgeborenen [hat das kollektive Schweigen nach dem Zivilisationsbruch durch den Nationalsozialismus] einschneidende Konsequenzen. Die mögliche oder unmögliche Integration der Elterngeneration ist immer verbunden mit der Frage nach ihrer Schuld oder Nicht-Schuld." (12)

Ellen de Visser rechnet ihre Untersuchung der "Schreibtischtäter(innen)-Forschung" zu und geht dabei der Frage nach einer spezifisch weiblichen Kriegsästhetik, nach einer spezifisch weiblichen Form des Antisemitismus und des Rassismus nach. Über diesen Umweg soll der Anteil von Frauen an der Ideologieproduktion des Nationalsozialismus ersichtlich werden. Ellen de Visser erwartet über die Beantwortung der Frage, welche gesellschaftlichen Gegebenheiten und welche damit verbundenen inneren Erlebensvorgänge verschiedene Autorinnen dazu brachte, mit immer radikalerem Rassismus und Antisemitismus und einer sich steigernden Kriegsbereitschaft auf die Verhältnisse zu reagieren, Aufschluß über das Maß der Herrschaftslegitimierung zu erhalten. Bereits zu Beginn hält sie aber fest, daß die "in den Texten enthaltenen Größenphantasien, Wünsche und (nationalsozialistischen) Frauenbilder ... sicherlich nicht deckungsgleich mit der weiblichen Lebenswirklichkeit im Zweiten Weltkrieg" waren. (21)

"Frau und Krieg" hinterläßt aus unterschiedlichen Gründen Ratlosigkeit. Dies hat u.a. damit zu tun, daß das Buch im Untertitel verspricht, was es nur sehr bedingt auch einzulösen vermag. Doch der Reihe nach! Diese Ratlosigkeit rührt nun einerseits daher, daß de Visser ihrer Untersuchung eine eher schmale Quellenbasis zugrunde legt. Sie untersucht und interpretiert kriegspropagandistische Texte von Liane von Gentzkow (Liebe und Tapferkeit - Frauen um deutsche Soldaten, Essen 1940), von Margareta Schickedanz (Deutsche Frau und deutsche Not im Weltkrieg, Leipzig-Berlin 1938) und von Sophie Rogge-Börner (Die innere Gestalt der nordischen Frau: Eine seelenkundliche Untersuchung, Berlin 1938) von innen her, unterläßt es aber weitgehend, etwas über die Wirkungsgeschichte dieser Quellen zu sagen. Inwiefern die erwähnte Kriegspropaganda gerade Frauen in ihrer Wahrnehmung des Alltags im Nationalsozialismus beeinflußte, bleibt außen vor. Dies befremdet u.a. auch deshalb, weil de Visser ihren Untersuchungsgegenstand sehr präzis in der Forschungslandschaft zu platzieren weiß. Einerseits verweist sie etwa auf den Diskurs rund um Ideologiekonstruktion und um das Herausarbeiten nationalsozialistischer Ideologeme und um die Einbettung derselben in die bekannten Vorläuferideologien. Andererseits zeigt sie auf, daß das Verhältnis zwischen Frauen und Faschismus vor allem über die konkrete Praxis (Winkler, Roth, Lehker, Thalmann, Koonz), den weiblichen Alltag, die nationalsozialistische Frauenpolitik und den Frauenalltag im Krieg abgehandelt wurde. Zurecht streicht de Visser auch den Hinweis hervor, daß es zur weiblichen nationalsozialistischen Ideologieproduktion verhältnismäßig wenige Forschungsarbeiten gebe. (33)

Ratlosigkeit stellt sich aber auch ein, weil de Visser mit der psychoanalytisch-tiefenhermeneutischen Literaturanalyse eine Methode verwendet, deren Verwendung in einer historischen Untersuchung zumindest erklärungsbedürftig wäre. Erklärungsbedürftig wären aber auch die zahlreichen Voraussetzungen, die dieser eigenartigen Art der Hermeneutik zugrunde liegen. So setzt de Visser mit Lorenzer 1 voraus, daß Literatur öffentlicher Ort der Symbolisierung des Nichtsprachlichen sei, denn "die entscheidende Prämisse ist, daß sich die Botschaften eines künstlerischen Werks nicht nur über das oberflächlich Sichtbare oder Lesbare darbieten." Obwohl dieser Hinweis ganz offensichtlich banal ist, klärt de Visser nicht weiter ab, warum gerade die Tiefenhermeneutik den Zugang zum Nichtlesbaren öffnen soll. Mit Hilfe des von Lorenzer entwickelten "szenischen Verstehens" soll es möglich sein, hinter den eigentlich Text zu und damit auf die biografische Vorlage zu gelangen. Da das Eigentliche eines Textes aus dem Unsagbaren besteht, "auf das der Rezipient mit seinem Unbewußten reagiert", braucht es die Tiefenhermeneutik, die die in den Texten "latent enthaltenen, zur Diskussion gestellten unbewußten Praxisfiguren" zu entschlüsseln vermag. (38) Dies mag in der psychoanalytischen Praxis so zur Geltung kommen und sicherlich vielen helfen, der historischen Forschung scheint das szenische Verstehen aber kaum dienlich, insbesondere dann nicht, wenn beispielsweise das Problem des sogenannten Vorverständnisses ausgeblendet wird. Dies fordert aber de Visser ganz ausdrücklich: "Erstes Gebot für das Herangehen an einen Text ist die frei- oder gleichschwebende Aufmerksamkeit. ... Alles ist wichtig. ... Nur dieser Blick auf den Text ermöglicht das Sich-Einlassen auf den Text als Ganzes und damit ein szenisches Verstehen. ... Der Interpret trägt an den Text nicht seine vorgefaßten - bspw. durch eine Theorie präzisierte - Sinndeutung heran, sondern versucht, den Text ohne bewußte Steuerungen aus sich wirken zu lassen." (48)

Dies ist schlicht nicht möglich, da wir in jeder Form mit einem Vorverständnis an Untersuchungsgegenstände herantreten. Zudem ist der Widerspruch offensichtlich: Die der Tiefenhermeneutik unterlegten Voraussetzungen entsprechen ja bereits den von de Visser auszuschließenden bewußten Steuerungen. Weiter geht aus ihren Ausführungen zum szenischen Verstehen und zur psychoanalytisch-tiefenhermeneutischen Literaturanalyse nicht hervor, warum die Methode Vorteile gegenüber anderen Arten der Quelleninterpretation bringt. Deshalb auch ist der Aufwand, den Ellen de Visser mit dieser Methode betreibt, nicht so recht nachvollziehbar. Zudem, und dies verstärkt die eingangs erwähnte Ratlosigkeit, wird nicht klar, wann de Visser bei der Interpretation "szenisches Verstehen" verwendet.

Die Resultate, die Ellen de Visser gewinnt, sollen hier aber nicht vorenthalten werden. Zum einen zeigt sie auf, daß von Gentzkow, Schickedanz und Rogge-Börner in ihren ideologieproduzierenden Texten auf historische Ereignisse zurückgriffen und anhand dieser Rückgriffe eine spezifisch weibliche Kriegsästhetik entwickelten. In "Liebe und Tapferkeit" definierte Gentzkow anhand der sogenannten Befreiungskriege das Verhältnis zwischen Militär und Gesellschaft neu, und wertete insbesondere den Kriegsalltag auf. Gentzkow hob dabei vor allem die Rolle der Frau und deren pflegerische Qualitäten in den Vordergrund, um den Einsatz der Frauen für das Wohl des Vaterlandes zu legitimieren. Unterschwellig, so Ellen de Visser, habe von Gentzkow dabei über ihre Heldinnen eine national-rassistische Ideologie transportiert. Die meistens blonden, ernsten und stillen Frauen hätten vorzüglich als nationalsozialistische Rollenvorbilder gedient, denn zu blond gehöre arisch, zu ernst und still deutsche Tiefe und zu Güte, Wärme und weichem Herz passe mütterliche Weiblichkeit bestens. Das von Gentzkow entwickelte Frauenbild sei, so de Visser weiter, sicher bei der Mobilisierung der Mädchen und Frauen im Zweiten Weltkrieg nicht ohne Einfluß gewesen. Warum, vermag de Visser aber nicht zu zeigen, was ja recht eigentlich zu bedauern ist.

In "Deutsche Frau und deutsche Not im Weltkrieg" griff Schickedanz auf das Wesen und Wirken von Frauen während des Ersten Weltkrieges zurück. Die Rektorin eines Gymnasiums zeichnete das Bild der Frau als Stellvertreterin an der Heimatfront (in Fürsorge, Pflegeberufen, aber auch im Berufsalltag). Laut Ellen de Visser vermittle Schickedanz dabei ein Frauenbild, das die "eigene, so lange unerprobte, unterbewertete und nicht anerkannte weibliche Handlungs- und Führungsfähigkeit" unter Beweis stellt (123). Die Frau führe dabei aber nicht Eigenes zu Ende, sondern sei - so de Visser - nur Vollstreckerin des väterlichen Willens.

Rogge-Börner griff in ihren kriegspropagandistischen Texten auf die Germanen zurück. Gerade das Klischee der kämpferischen Germanin habe dabei sowohl auf die Frauenbewegung als auch auf mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden Autorinnen große Anziehungskraft ausgeübt (141). Insgesamt hat Rogge-Börner am deutlichsten eine spezifisch weibliche Kriegsästhetik, eine typisch weibliche Form des Antisemitismus und des Rassismus entwickelt. Die Frauen bei Rogge-Börner bestachen durch Größe und Durchsetzungskraft und verfügten über großen Einfluß. Der (Sippen)-Ehre verpflichtet, stachelten sie zu Rache an oder rächten sich als kriegerisch stolze und übermächtige Frau. Insgesamt ersetzte Rogge-Börner dabei traditionelle weibliche Identität durch "eine phallisch-weibliche, soldatisch-heldische Identität. ... Die phallische Identifikation der weiblichen Figur mit der Waffe, dem Sohn, der Vernichtung, der so freudig begrüßten Zerstörung der (feindlichen) Körper deutet darauf hin." (234).

Insgesamt schien es, so die Schlußfolgerung de Vissers, durchaus möglich gewesen zu sein, männerbündische Gesellschaftsmodelle abzulehnen, rassistische, völkische und nationalsozialistische Argumentationsmuster zu adaptieren und trotzdem frauenbewegt zu sein.

Wie insbesondere an den kriegspropagandistischen Texten Rogge-Börners gezeigt werden könne, hätten Autorinnen durchaus nach neuen Ordnungskategorien Welt strukturiert, die sich von jener schied, wie sie etwa aufschien in den Texten Rosenbergs, Darrés u.a.m. Gemeinsam sei dabei der Hang der germanischen Heldinnen zur Großartigkeit und ihre proklamierte Fähigkeit zur Führung gewesen. Da beispielsweise bei Rogge-Börner Frauen die besseren Männer seien, strebe sie "nicht nach Partizipation an männlicher Macht. Sie will sie unter Ausschaltung der männlichen Gefahr ganz und gar selbst. Symbol hierfür ist das Schwert." (254)

Insgesamt zeige sich in den Texten, ausgehend von Verschmelzungsphantasien (von Gentzkow) über das Arbeitsbündnis Bürger-Frau und Vater-Staat (Schickedanz) zu Destruktivität und Gewaltbereitschaft (Rogge-Börner) eine "latent schlummernde Phantasie der idealen Paarbildung." (261) Gerade Rogge-Börner habe das Bild der zur destruktiven und kontrollierten Aggression bereiten und fähigen (Krieger)-Frau gezeichnet, daß sich - in Sachen Kriegsästhetik - von der herrschenden Ideologie abhob. Männergewalt erscheint bei Rogge-Börner denn auch als industriell-kriegerisch, während Frauengewalt archaisch-vormodern sei - eine Art kontrolliert-kultivierter Kriegsästhetik. (265) Neu daran ist, "daß weibliche Gewalt, Rache, weibliche Kriegsführung als gute Gewalt gedacht wird. Allen untersuchten Texten gemeinsam - ob als preußische Soldatenfrau, Kriegerfrau an der Heimatfront, als Frontschwester oder als Germanin - , ist die Grandiosität und Bereitschaft zur Destruktivität der Frauenfiguren. Dahinter stehe der Wunsch oder die unbewußte, verschlüsselte Wunscherfüllung nach Übernahme der Macht, "für zumindest einige Frauen, die es satt haben, um die ... gleichberechtigte politische Partizipation zu kämpfen." (263) Leider - wie bereits bemerkt - unterläßt es Ellen de Visser aber, einen Zusammenhang zwischen Ideologieproduktion und Rezeption herzustellen.

Anmerkung:
1 Ellen de Visser bezieht sich in ihrer Arbeit ganz ausdrücklich auf den folgenden Aufsatz von Alfred Lorenzer: Tiefenhermeneutische Kulturanalyse, in: Hans-Dieter Konig und Alfred Lorenzer (Hrsg.), Kultur-Analysen, Frankfurt am Main 1986, 11-99.

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