J. Rüpke: Römische Religion in republikanischer Zeit

Cover
Titel
Römische Religion in republikanischer Zeit. Rationalisierung und ritueller Wandel


Autor(en)
Rüpke, Jörg
Erschienen
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Valeria Marchetti, SFB 1136 “Bildung und Religion”, Georg-August-Universität Göttigen

In seinem Buch analysiert Jörg Rüpke die römische Religion der republikanischen Zeit unter dem Gesichtspunkt ihres Wandels aufgrund von Rationalisierungsprozessen. Schon beim Lesen der Einleitung kann man feststellen, dass sich die Struktur des Buches diesem komplexen und umfassenden Thema gut anpasst.

Zunächst bemüht sich der Verfasser, seine Analyse in einen geographischen und chronologischen Rahmen einzufassen. Infolgedessen behandelt er lediglich den Wandel, der in der römischen Religion stattgefunden hat, und innerhalb der römischen Geschichte lediglich die Zeitspanne zwischen der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v.Chr. und der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v.Chr. (ungefähr von 350 v.Chr. bis 50 v.Chr.). Der Grund für dieses Vorgehen soll eine konsequente Behandlung dieses Themas sein. Schon zu Beginn des Textes bestätigt Rüpke, Wolfgang Schluchters Variante von Max Webers religionssoziologischem Modell angewandt zu haben.

Rüpke behauptet, dass wirtschaftliche und soziale Veränderungen insbesondere innerhalb der römischen Aristokratie während der im Buch behandelten Zeitspanne zu einem Wandel in der römischen Religion in Richtung auf eine öffentliche Kommunikation führten. (“Die Religion bemächtigte sich des ‚öffentlichen‘ Raumes und definierte ihn” S. 61). Dies ist das Konzept, der aus dem Bereich der Soziologie stammende Begriff, das Rüpke verwendet. Darunter soll eine Systematisierung der Religion und demzufolge ihre soziale Verbreitung verstanden werden. In dem untersuchten Zeitraum erhält die Religion zum ersten Mal in der römischen Geschichte feste Regeln, schriftliche Texte und ein System an Normen, das sie auch für Nichtfachleute (für das Volk) verständlich macht („Aus Praktiken wurden Regeln und Prinzipien gewonnen“ S.9). Dies hat laut Rüpke zweierlei Folgen: einerseits entsteht am Ende dieses Prozesses eine typisch römische religiöse Identität, andererseits verliert die römische Aristokratie an Macht.

Rüpkes Behauptungen werden insbesondere durch die Analyse des Publikums, das diese Texte hört und anerkennt. Demzufolge werden im ersten Teil des Buches (Kap. 1–5) die öffentlichen Rituale der mittleren republikanischen Zeit in Betracht gezogen, für die wir allerdings keine zeitgenössischen Quellen haben, sondern nur diejenigen der späteren Autoren (Cicero, Livius, Vergil, Polybius). In der mittleren republikanischen Zeit war die römische Religion im Allgemeinen ein cultus, das heißt ein uneinheitliches System von Sitten und Gebräuchen, Institutionen und Erwartungen. Dem Verfasser nach hatten die sozialen Forderungen in Rom zwischen dem 4. und dem 3. Jahrhundert v.Chr. eine Ausweitung des religiösen Systems und damit ihre Rationalisierung zur Folge. Einerseits war die Aristokratie gezwungen, einen Teil ihrer Macht und Vorrechte aufzugeben und sie mit dem Volk zu teilen, anderseits versuchte der Adel, seine Privilegien zu erhalten, in einem Spiel der Gleichgewichte, das oft zu leges für das Volk oder zu sozialen Streitigkeiten führte. Die soziale Kontrolle, die vom Adel ausgeübt wurde, zeigt sich in verschiedenen Bereichen und auf unterschiedliche Weise, zum Beispiel in der Religion durch die öffentlichen Rituale. Rüpke untersucht zunächst die römischen Dramen des 2. Jahrhunderts v.Chr., insbesondere die Tragödien des Accius. In dessen leider nur noch in Bruchstücken vorhandenen Werken ist der Rationalisierungsprozess deutlich erkennbar, weitaus mehr als zum Beispiel in den Werken des Plautus und des Terenz. Accius scheint oft der traditionellen Religion skeptisch gegenüber zu stehen und erklärt Erscheinungen, die normalerweise den Göttern zugeschrieben wurden, mit physischen oder naturwissenschaftlichen Argumenten. Accius' Skepsis und seine Rationalisierung lassen auf keinen Fall einen kompletten Blick auf seine Theologie zu, wir können aber annehmen, dass sie die gesellschaftlichen Prozesse widerspiegeln. Von daher kann Rüpke meiner Ansicht nach zu Recht behaupten, dass in der römischen Gesellschaft eine solche Rationalisierung in der beschriebenen Zeit stattgefunden hat.

Rüpke untersucht darüber hinaus eine andere öffentliche Dimension – keine literarische, sondern eine gesellschaftliche: die öffentlichen Rituale, besonders die pompae, supplicationes und triumphi. Anhand der Veränderungen, die diese im Laufe der Jahrhunderte durchmachten, kann man eindeutig damit einhergehende soziale Veränderungen erkennen: der Begriff der religiösen Kommunikation weitet sich aus, eine Rationalisierung der Rituale tritt ein und die Rituale selber werden von der Aristokratie benutzt, um ihre Macht über das Volk zu festigen (man denke nur an die römischen Generäle, die triumphierend den Göttern neue Tempel errichten). Die Ausweitung der Religion hatte zwei Folgen: einerseits verbreitet sie sich nun auch in sozialen Schichten, die zuvor kaum in das religiöse System integriert waren; andererseits diente sie als Instrument einer erhöhten sozialen Kontrolle.

Im zweiten Teil des Buches (Kap. 6–10) werden juristische und gesetzliche Textquellen analysiert, mit deren Hilfe man den Rationalisierungsprozess verfolgen kann. Sie beziehen sich auf die mittlere republikanische Zeit, in der die Verschriftung üblich wird. Ab 240–230 v.Chr. kann man in der römischen Gesellschaft eine Veränderung in der Verbreitung der Kommunikationsorte feststellen. Die Rationalisierung ist am besten in der Literatur jener Zeit erkennbar, insbesondere im epos. Rüpkes ist der Meinung, dass dank der mündlichen Weitergabe des epos und seiner Anwendung bei Banketten eine römische Identität entstand, die noch besser definiert wurde, als die mündliche Epik einem Verschriftungsprozess unterzogen wurde. Die Verschriftung ermöglicht der römischen Gesellschaft, ihrer Geschichte eine Systematisierung zu geben und demzufolge eine Rationalisierung. Nach dem epos wendet sich Rüpke der Zeit und der Zeitmessung zu, indem er die Entstehung des Kalenders untersucht. Die Ausarbeitung eines Mondkalenders an Stelle des bisherigen Sonnenkalenders zeigt einmal mehr den Prozess der Rationalisierung. Der römische Kalender wurde benutzt, um alle öffentlichen, wirtschaftlichen und sozialen Tätigkeiten zu organisieren; ab einem bestimmten Zeitpunkt war er nicht länger ein Vorrecht des Adels und der Religionsdiener, die ihn lesen konnten. Schließlich zeigt Rüpke eine interessante Parallele mit der Kolonie Iulia Genetiva in Spanien auf. Er verdeutlicht damit, dass das römische Modell exportiert wurde und dass “keine neuen systematischen Begriffe entwickelt [wurden], sondern bereits existierende Terminologie und institutionelle Muster mit einer grundlegenden Idee vom Platz der Religion in der Gesellschaft in Einklang gebracht.” (S. 132)

Im dritten und letzten Teil des Buches (Kap. 10–14), werden zwei verschiedene literarische Perspektiven in Betracht gezogen, die erneut die Veränderungen in der Religion aufzeigen. Einerseits wendet sich Rukpe der antiquarischen Literatur, anderseits der philosophischen Literatur zu. Die ausgewählten Quellen beschreiben den Hellenisierungsprozess in der späten Republik; in diesem Prozess ist auch die bis jetzt beschriebene Systematisierung der Religion enthalten. Der erste Text, der untersucht wird, sind die Ennianischen Fasten in Fulvius’ Tempel, die Rüpke Ennius zuschreibt. Darauf folgt eine Beschreibung von Varros Antiquitates, insbesondere die Dreiteilung der Theologie, im Hinblick auf die theologia civilis. Laut Rüpke bieten diese Werke einen Einblick auf den in der römischen Gesellschaft stattfindenden Prozess im Anschluss an die Kontakte mit den Griechen: einerseits die Herausarbeitung und Systematisierung der römischen Identität, anderseits ein Assimilationsprozess mit der griechischen Kultur. Kapitel 13 befasst sich mit Ciceros religiösen Werken. Rüpke behauptet, Cicero habe versucht, eine Systematisierung der römischen Religion zu bewirken, indem er zwei unterschiedliche und gegenseitige Merkmale kombinierte: einerseits die traditionelle Religion, andererseits eine rationale, innovative Religion, von mir als „rationalistische verbreitete Religion“ definiert. Im letzten Kapitel werden alle bis jetzt analysierten Begriffe zusammengefasst und unter dem Begriff „Hellenisierung“ betrachtet. Laut Rüpkes Ansicht scheint dieser Begriff alle andere in sich zu sammeln: den der Systematisierung, der Rationalisierung, der Verschriftlichung, Ritualisierung etc.

Um Rüpkes Buch verstehen zu können, benötigt man gründliche Vorkenntnisse seiner früheren Werke. Es ist nicht immer leicht, die Grundidee des Buches zu verstehen und ihr zu folgen, auch aufgrund des sehr langen Zeitraums, der untersucht wird, sowie der vielfältigen Quellen, die Rüpke benutzt. Diese Fülle schadet teilweise einem Gesamtüberblick, den Rüpke allerdings – sicher im Bewusstsein dieser Schwierigkeiten – immer wieder aufgreift und hervorhebt. Das größte Verdienst dieses Textes sind die vielfältigen unterschiedlichen Anregungen, besonders im dritten Teil des Buches, wo die Beziehung zwischen Literatur und Religion behandelt wird. Hier sticht insbesondere Rüpkes Deutung von Ciceros Werken deutlich hervor. Auch kommt Rüpke das Verdienst zu, zusätzlich zu den üblichen literarischen auch noch andere Quellen in Erwägung zu ziehen.

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